Georg Semler, einst Unternehmer, ist seit 2014 der Interessenvertreter von 3800 Freimaurern in Österreich
Geheimbund

Freimaurer: Im Extrazimmer der Republik

Wer sind die Freimaurer wirklich? Ein elitärer Geheimbund, ein frauendiskriminierender Herrenklub, ein Netzwerk, ohne das in Österreich nichts geht? Ein Gespräch mit dem Großmeister Georg Semler, Sprachrohr von 3800 Freimaurern in Österreich, über Klischees und Vorurteile.

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Dass der Sitz der Wiener Freimaurer ausgerechnet in der Rauhensteingasse Nummer 3, einer Seitengasse der Wiener Kärntner Straße, liegt, ist ein Indiz für die Ironie des Zufalls. Tatsächlich war das Haus nach Karrieren als Kloster und Gefängnis einst ein Lager für ein Kaufhaus, ehe es in den 1980er-Jahren in den Besitz der Freimaurer wanderte. Über dem mächtigen Tor hängt ein rauer Stein an einer Messingkette, der gleichzeitig ein wichtiger Bestandteil des Symbolrepertoires der Freimaurerei ist, da die Ursprünge in den Steinmetzzünften (siehe auch Kasten) lagen. Der raue, noch unbehandelte Stein dient als Metapher für die ungeschliffene Persönlichkeit, die in Form von „Arbeit“ (so die wöchentlichen Diskursveranstaltungen) und der „Legung von Zeichnungen“ (so das Codewort für die in den Logen vorgetragenen Referate) zu einem glatten Stein werden soll. Der glatte Stein steht für eine Vervollkommnung der Persönlichkeit durch die Freimaurerei. Klingt alles ziemlich abstrakt und bedarf Erklärungen für die „profane Welt“, so die Welt außerhalb des an Codes und Chiffren reichen Freimaureruniversums. Überdies befinden sich die meisten Freimaurer „in Deckung“, sprich: wirken im Verborgenen und behalten ihren Status für sich, was natürlich den Mythos von einer geheimniskrämerischen Elitevereinigung nährt.

Im Zuge von die Pandemie begleitenden Verschwörungstheorien dienten und dienen Freimaurer ebenso wie Juden oder auch Kommunisten dem Rechtsextremismus häufig als Projektionsfläche und Abladeplatz für dessen abstruse Theorien.In einem Interview anlässlich der Publikation des Gesprächsbands „Die Freimaurer und ihr Geheimnis“ (Löcker Verlag) gewährt der ehrenamtliche Großmeister der Großloge von Österreich, Georg Semler, seit 2014 Interessensvertreter von 3800 Freimaurern in Österreich, profil erstaunlich offene Einblicke in das „Extrazimmer der Republik“, wie er im Buch an einer Stelle seine Vereinigung bezeichnet.

Das Gespräch findet in Semlers Büro im Sitz der Großloge statt: Auf dem Boden liegt, gleich einer Skulptur, ein 100 Jahre alter Pflasterstein vom Wiener Graben. An der Wand hängt eine Replik des im Besitz des Wien Museums befindlichen Gemäldes „Innenansicht einer Wiener Loge“, auf dem Wolfgang Amadeus Mozart, bekennender Freimaurer, zu sehen ist. Durch das Haus selbst mit dem Sitzungssaal, der Gemäldegalerie mit vorangegangenen Großmeistern und der Orgel („Bei uns sind viele Künstler und Musiker“) darf der Großmeister profil nicht führen: „Was glauben Sie? Da stünde das Telefon nicht still. Da hieße es gleich: ‚Sind wir schon so weit, dass wir jetzt öffentliche Führungen veranstalten?‘ Die Brüder sind durchaus auch sehr eigenwillige Herren.“

Was hat diese Geheimniskrämerei eigentlich für einen Zweck?
Semler
Ich bin seit 30 Jahren Freimaurer und immer sehr offen damit umgegangen. Wenn ein Bruder sich öffentlich dazu bekennt, ist das immer seine Entscheidung. Aber es widerspricht unseren Regeln, eines unserer Mitglieder zu outen. Diese Diskretion ist auch historisch zu erklären. Die katholische Kirche sah sich seit jeher von den Freimaurerei bedroht, die sie als eine Art Modereligion missverstand. Die Missverständnisse haben sich erst unter Kardinal König in den 1980er Jahren zu lösen begonnen. Josef Ratzinger, der spätere Papst, hat jedoch dann in der Glaubenskongregation die Freimaurerei wieder als kirchenfeindliche Bewegung aufgelistet.
Kann man auch als katholischer Würdenträger auch Freimaurer sein?
Semler
Von uns aus selbstverständlich, nur die katholische Kirche hätte wahrscheinlich Probleme damit. Wahrscheinlich hat ein Arzt, der sich für ein Primariat in einem Ordensspital bewirbt, kaum Chancen, den Posten zu bekommen, wenn bekannt wäre, dass er ein Bruder ist.
Kann man in diesem Land jenseits der Kirche in irgendeine Machtposition klettern, ohne Ihrer Bewegung anzugehören?
Semler
Bewegung würde ich es nicht nennen, Bewegung hat etwas Politisches.Sagen wir, wir sind ein Bund.
Hilft oder erleichtert eine Mitgliedschaft in diesem Bund Karriere-Fortkommen in Politik, Wirtschaft, Medien?
Semler
Als Antwort zwei Beispiele: Kein einziger Bundespräsident war Freimaurer, wir haben auch nur einen Bundeskanzler, der ein Bruder war: Fred Sinowatz.
Sebastian Kurz wurde nie vorstellig in der Rauhensteingasse?
Semler
Nein, nie. Wir hatten auch nur einen ORF-Generalintendant in unseren Reihen. Das war Gerhard Weis. Allerdings nur für zwei Wochen. Denn der CV (Anm. österreichischer Kartellverband) wollte ihn ausschließen, als sie ihm, wie er es nannte, „drauf” gekommen sind, dass er ein Bruder war.
Woher kommt dann der Ruf, dass eine Mitgliedschaft bei den Freimaurern, das beste Protektionsticket in dem Land ist?
Semler
Das rührt wahrscheinlich daher, dass prägende Persönlichkeiten sowohl Brüder sind, als auch in einflußreichen Positionen sitzen. Wir streben nicht nach Macht und sind auch keine Macht-Elite, wir streben danach, eine moralische Elite zu sein.
Es ist bekannt, dass auch der Schauspieler Florian Teichtmeister, der wegen pornografischem Material von Minderjährigen und Drogenbesitz vor Gericht stand, Mitglied in einer Wiener Loge war.
Semler
Sobald wir von einem Bruder gehört hatten, dass eine polizeiliche Anzeige wegen häuslicher Gewalt und Drogenbesitz gegen Teichtmeister vorliegt, habe ich ihn zu einem Gespräch gebeten. Das war lange bevor die Vorwürfe wegen pornografischem Material von Minderjährigen auch öffentlich wurden. Er hat uns, genauso wie das Burgtheater und viele andere, angelogen und das als bloßen Racheakt verkauft. Ich erklärte ihm schon damals, dass er nicht mehr für uns tragbar sei, und er, wenn ihm an uns soviel liegt, wie er immer behauptet hat, austreten muss. Das hat er dann auch gemacht.
Kommt das öfter vor, dass Ihre Mitglieder von der moralischen Spur kommen?
Semler
Wirklich selten. Ein Fall war zum Beispiel der Lobbyist Peter Hochegger, dem ich auch erklären musste, dass er nach all den Korruptions-Vorwürfen eine Belastung für uns ist. Das hat mich in seinem Fall drei Stunden gekostet, er wollte es anfangs nicht einsehen.
Ich gehe davon aus, dass viele hier Mitglieder werden wollen, weil sie es als beschleunigend für ihr Fortkommen erachten und den Rest, also die Zeremonien und Rituale, dafür quasi in Kauf nehmen.
Semler
Ja, natürlich gibt es das. Oft mit großer Vehemenz und am liebsten im Eilzugtempo, weil sie Stimmen in einem Aufsichtsrat oder einem anderen Gremium brauchen. Aber das lässt sich sehr schnell in einem Gespräch heraus finden, ob die Absicht lauter ist oder nicht. Wer mit allein einer solchen Absicht kommt, wird vor verschlossenen Türen stehen.
Wie dringt man aber als Außenstehender in dieses doch recht hermetisch abgeriegelte System?
Semler
Natürlich kann man auch per Email sein Interesse bekunden, dann wird ein Bruder ein Erstgespräch führen und danach über dieses Gespräch ein Protokoll verfassen. Aber in der Regel hat man einen Bürgen, der Freimaurer ist. Oft empfiehlt ein väterlicher Freund einen jungen Mann. Denn je jünger man mit unseren Werten in Verbindung kommt, desto besser ist es für die Entwicklung einer Persönlichkeit.
Definieren Sie bitte diese Werte?
Semler
Der Grundmesser für die Moral ist das persönliche Gewissen. Die Freimaurerei hat die Aufgabe, einen Menschen in die richtige Richtung zu bringen. Unsere Werte verkörpern das, was menschliche Moral ausmacht: Humanität, Toleranz und das Verständnis für andere Menschen. Wir leisten auch viele Charity-Arbeiten, betreiben das aber diskret und ohne Namensnennung. Auf den von uns bezahlten Rettungswägen brauchen wir keine Zirkel oder Winkelmaße, uns reicht, dass die Rettungswägen fahren.
Aber Herkunft spielt sehr wohl eine Rolle. Am leichtesten ist doch der Zugang, wenn schon Vater und auch Großvater Logenmitglieder waren und sind?
Semler
Dass ein Lufton, wie ein Sohn eines Freimaurers bezeichnet wird, mit unseren Werten und Traditionen quasi aufgewachsen ist, erleichtert den Zugang sicher.
Hier in der Rauhensteingasse 3 ist der Sitz der Großloge, dem Dachverband für 83 Logen in Österreich.
Semler
Die Großloge selbst hat keine physischen Mitglieder, sie erfüllt organisatorische und logistische Aufgaben. Die 52 Logen mit Standort Wien treffen sich hier allwöchentlich in verschiedenen Räumen, wir haben allein 15 Speisesäle, täglich sind 300 Abendessen vorbereitet.
Wie kann man sich so einen Freimaurer-Alltag vorstellen?
Semler
Jede Loge tritt sich einmal wöchentlich, dann wird zu einem Thema diskutiert, danach wird gemeinsam in einem Speisesaal gegessen. Natürlich gibt es auch zusätzliche Treffen wie das alljährliche Rosen-Ritual, wo wir der verstorbenen Brüder gedenken. Ich bin römisch-katholisch, aber an meiner Seite stehen ein jüdischer und ein muslimischer Bruder. Mir ist wichtig, dass dabei alle drei Religionen vertreten sind.
Dabei ist Religion und Politik doch ein Tabuthema bei den Diskussionsveranstaltungen.
Semler
Religion ja, Politik bezieht sich auf Tages- und Parteipolitik. Alles, was einen gesellschaftspolitischen Bezug hat, ist natürlich Thema.
Gibt es einen einheitlichen Standpunkt angesichts des aktuellen Kriegs?
Semler
Wir verurteilen jeglichen Antisemitismus auf das Schärfste. Viele unserer Brüder sind jüdischer Herkunft.
Sie sind und bleiben ein reiner Männerbund. Widerspricht diese Regel nicht dem Gedankengut der Aufklärung von der Gleichheit aller Menschen, ungeachtet Herkunft und Geschlecht, dem wichtigsten Fundament der Freimaurerei?
Semler
Es gibt in Österreich mehr als 600 Freimaurerinnen. Und die Frauenloge „Le Droit Humain” wurde vor 200 Jahren von einer Frau und einem Mann gegründet. Uns gibt es seit 300 Jahren. Trotzdem finde ich es gut, dass Frauen und Männer in den Logen getrennt sind.
Mit welcher Begründung? Pardon, aber das ist doch eine sehr rückschrittliche Ansicht?
Semler
Es gibt in Österreich auch einige gemischte Logen, was nicht immer zum Positiven ist. Da wird viel mehr gestritten, wer jetzt welche Funktion übernehmen darf. Ich bin der Meinung, dass sowohl Männer, als auch Frauen untereinander offener und ehrlicher miteinander reden, als wenn sie gemischt sind. Auch die Koedukation hat ja auch in gewissen Belangen ihre Nachteile: Mädchen lernen zum Beispiel viel leichter Sprachen und könnten durch die Burschen in ihren Fortschritten gebremst werden. Es ist vielleicht sowie mit Coca Cola und Pepsi: Beides ist allein gleich gut, sollte besser aber nicht vermischt werden.
Darf man auch einem anderen Club oder Bund wie den Rotariern oder dem CV angehören, wenn man Mitglied einer Loge ist?
Semler
Natürlich, solange man das ernst nimmt, was wir hier machen, kann man alles sein – quer durch alle Vereinigungen und Parteien. Bis auf eine Partei, dagegen wehren wir uns vehement.
Ich gehe davon aus, dass es sich um die FPÖ handelt. Gab es da nie Versuche, in eine Loge zu kommen?
Semler
Immer wieder, aber ohne Erfolg. Wir vermuteten auch, dass da die Absicht dahinter stand, Troianer einzuschleusen und uns zu bespitzeln. Um heraus zu finden, wer was bei uns so von sich gibt.
Auf dem rechtsextremen TV-Sender Auf1 verbeitet der Österreicher Stefan Magnet nicht nur antisemitische Hass-Parolen, sondern wettert auch von einem „freimaurerischen Weltbild”, das auf globale Machtergreifung programmiert ist. Auch in den Verschwörungsportalen dienen die Freimaurer neben den Juden als häufiges Feindbild.
Semler
Wie Juden haben auch wir Rituale, die Außenstehenden seltsam erscheinen mögen. Da man zu wenig über uns weiß, sind wir auch die ideale Projektionsfläche, wenn man einen Sündenbock braucht.
Wenn Sie mit einem Wort das Wirkungsziel der Freimaurer erklären müssten, wie würde es heißen?
Semler
Ich würde sagen, es ist ein Persönlichkeitsentwicklungsprogramm. Mit dem Ziel: Werde der, der du sein könntest.
Das klingt, ehrlich gesagt, ein bisschen nach esoterischer Gruppentherapie.
Semler
Es ist aber indivualistisch ausgerichtet. Der Ruf der Esoterik haftet uns an, aber er bezieht sich rein auf Transzendentales: Es gibt eben Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht mit menschlicher Logik ausgeleuchtet werden können. Jeder Bruder ist anders und sollte sein Ziel im Alleingang versuchen zu erreichen. Wenn er dann ein glatt geschliffener Stein ist und seine Persönlichkeit verbessert hat, dann fügt er sich nahtlos in eine Mauer von anderen glatten Steinen ein. Und diese Mauer kann dann die Gesellschaft moralisch beeinflußen.

Zur Geschichte der Freimaurer

Die ersten Logen gingen aus Steinmetzbruderschaften in England hervor. Mit der Gründung ersten Großloge am 24. Juni 1717 wird auch der Beginn der Bewegung gleich gesetzt. „Freemansons” hießen die englischen Freimaurer – Symbole wie die Maurerkelle, das Winkelmaß und der Zirkel beziehen sich auf die Handwerkstätigkeit der ersten Freimaurer und sind es bis heute geblieben. Schon in den ersten Jahrzehnten nach ihrer Enstehung bewegte  sich die Freimaurerei weg vom Handwerk in Richtung Bildungsbürgertum. Maria Theresia hatte nach radikalen Verboten am Anfang ihrer Regierungszeit etliche enge Berater, die Freimaurer waren,  auch ihr Mann Franz Stephan war Freimaurer. Joseph von Sonnenfels, der Leibarzt, erreichte sogar die Abschaffung der Folter, was eine bahnbrechende Reform war. Langsam wirkten die Freimaurer im Verborgenen, zahlreiche Logen wurden gegründet, sie werden zu einem Treffpunkt von liberalen Adeligen und dem Bildungsbürgertum, 1918 wurde erneut ein Verbot erlassen.  Der Austrofaschismus verschärfte die Situation; Vereinigungen wurden polizeilich überwacht. Nur einem Tag nach dem Anschluss im März 1938 wird das Logenhaus gestürmt und geplündert und  der Großmeister von der Gestapo verhaftet. Das Archiv der Freimaurer lagert bis heute in Moskau. Georg Semlers Versuche, es wieder nach Wien zurück zu bringen, scheiterten, weil es, „wie mir dort versichert wurde, als Kriegsbeute gilt.”

Buchtipp

„Die Freimaurer und ihr Geheimnis” von Martin Haidinger, Löcker-Verlag, 25,50€.Der Radiojournalist und Buchautor mit dem Spezialgebiet Männerbünde und Geheimzirkel spricht mit Großmeister Georg Semler, 65, über historische Hintergründe, Rituale, Aufgaben und die gesellschaftliche Bedeutung der Freimaurer.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort