Geld und Glück: Wie klingelt Ihre Seele?

Pathologischer Geizhals, haltloser Verschwender, Sparefroh oder für immer im Minus? Wie Psyche und Kindheit unseren Umgang mit Geld prägen. Warum Besitz nicht nur glücklich, sondern auch klug macht. Und manche erst in der Pleite Sinn finden.

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Mitarbeit: Christina Feist, Christoph Schattleitner, Susanne Veil

Auf der Höhe seines Ruhms war F. Scott Fitzgerald der höchstbezahlte Schriftsteller seiner Zeit. In den 1920er-Jahren verdiente er 4000 Dollar für ein Stück "happy trash“, wie er seine von ihm geringgeschätzten Kurzgeschichten kokett nannte, was dem Dreijahresgehalt eines Fabrikarbeiters entsprach.

"Wir waren trotzdem immerzu pleite“, schrieb er in einem literarischen Selbstbekenntnis, "denn wir waren Teil dieses großartigen und prachtvollsten Rausches in der Geschichte Amerikas mit all seinen empörenden Verderbtheiten.“ Zum Tanz auf dem Vulkan gehörte für das Glamourpaar der Jazz-Ära F. Scott und Zelda Fitzgerald Verschwendungssucht de luxe: Sie duschten mit Champagner, heuerten Armeen von Personal an, feierten allabendlich dekadente Orgien, die in Fitzgeralds opus magnum "Der große Gatsby“ in die Weltliteratur eingingen, und lebten trotz der anfangs so irrwitzigen Einnahmen immer "auf Pump“. Als der "Pokal“ ihres Lebens "zerbrochen war“, übte sich der ausgebrannte Schriftsteller, der nur 44 Jahre alt werden sollte, in Realitätsverweigerung: "Wir sind zu arm, um zu sparen. Sparsamkeit ist Luxus. Unsere einzige Rettung liegt im Geldausgeben … Der Pokal ist zwar zerbrochen, aber er war wenigstens aus Gold.“

F. Scott Fitzgerald litt zeitlebens an einem Minderwertigkeitskomplex ob seiner bescheidenen Herkunft und der finanziellen Beschränktheit seiner Jugend, die er mit seinem exzessiven Lebensstil zu kompensieren suchte.

Geldausgeben als Zwangsstörung

Notorische Prasser wie die Fitzgeralds erweisen sich in der Regel als beratungsresistent, wie Ulrike Müller - deutsche Finanz-Coachin und ehemalige Börsenmaklerin - im profil-Interview feststellt. In ihrem Berufsalltag kristallisierte sich heraus, dass hinter der Zwangsstörung exzessiven Geldausgebens oft "Fluchtbiografien stehen, in denen die Familien alles verloren haben“: "Deswegen geben solche Menschen das Geld lieber her, damit es ihnen nicht weggenommen werden kann. Andere fliehen mit diesem Ventil vor der Verantwortung.“ Oder aus der Trostlosigkeit einer demütigenden Ehe, wie Amerikas "First Lady“ Jackie Kennedy, die sich für die Seitensprünge ihres Präsidenten mit exzessiven Shoppingtouren rächte und von der Presse angesichts der Lastwagenladungen von Garderobe süffisant "als größte Förderin des Einzelhandels“ belobigt wurde.

Auch solche "compulsive shopper“-Schicksale kennt die Finanz-Coachin Ulrike Müller sattsam: "Eine Klientin litt an einer solchen Störung. Sie versprach mir, eine ganze Woche kein Geld auszugeben. Dann wurde sie krank und musste sich ein Medikament kaufen und damit den Deal brechen. In diesem Moment kippte das ganze Kartenhaus ihrer Bemühungen zusammen und sie legte wieder wie wild mit Ausgaben los. Wie bei einem Binge-Eater, der durch den Konsum eines Kekses wieder in die Fresssucht kippt.“

Die psychische Erkrankung, die die besten Voraussetzungen für ein Schicksal in der Pleite erfüllt, ist die bipolare Störung. In ihren manischen Phasen stürzen sich die Patienten in pseudoeuphorische Kaufräusche, in den depressiven ziehen sie die Decke über den Kopf und stapeln ihre Rechnungen ungeöffnet.

Doch auch jenseits von Persönlichkeitspathologien und Suchtverhalten erzählen unsere finanzielle Biografie und unser Stil im Umgang mit Geld viel über den Zustand unserer Seele und geben Einblick in Lebensgeschichte und Kindheit.

"Psyche und Geld bedingen einander“, sagt der Ökonom und Geldforscher Raimund Dietz in einem Vortrag an der Sigmund-Freud-Universität, "und wachsen aneinander. Die Psyche des modernen Menschen ist ein Produkt des Geldes, und Geld ein Produkt der Psyche.“

Geld und die Liebe

Die Art, wie wir Geld ausgeben, ist so eng mit unserer Seele verbunden wie sonst nur der Sex. Dietz, der auch Geldtraining-Seminare veranstaltete, beobachtete bei seinen Klienten, dass es "immer sehr schnell auch um Sex ging“: "Geld ist ein Mittel, um seine Lebensziele zu erreichen. Es nicht ausgeben zu können, steht im direkten Verhältnis zur Hingabefähigkeit im Leben und eben auch im Bett. Es sagt viel über Paardynamiken aus, wenn es einen Hauptverdiener gibt, der den Partner mit Geld kurzhält. Andere meiner Kunden haben sich verschuldet, um von ihren Lebensgefährten geliebt zu werden.“

Menschen, die in ihrem ersten Lebensjahr eine "sichere Bindung“ erfahren haben und somit ein gesundes Urvertrauen bilden konnten, sind am wenigsten gefährdet, mit Geld selbstzerstörerisch umzugehen. Denn dieses Urvertrauen prägt auch den Glauben daran, dass sich das Kapital vermehrt und im Fluss sein muss, um es mit emotionaler Befriedigung aufladen zu können. Die von Sigmund Freud geprägte "Liebes- und Arbeitsfähigkeit“, die die Grundvoraussetzung für eine gesunde Psyche darstellt, könnte man auch mit dem Vermögen, sein Geld auch in Maßen ausgeben zu können, erweitern. Ähnliche Geschichten wie die der Millionärin, die sich im Restaurant zwanghaft immer das billigste Gericht bestellt, wie sie die Finanzberaterin Ulrike Müller erzählt, gibt es in den Biografien der Superreichen unzählige. In dem Fall dieser knausrigen Reichen handelte es sich "um eine Frau, die nie gelernt hatte, ihren eigenen Bedürfnissen Raum zu geben.“

Einer der ersten amerikanischen Milliardäre, Howard Hughes, der sein Geld mit Öl, Flugzeugen und Filmen machte, ist der Prototyp des kaputten Reichen. Er litt an einem Waschzwang, Essstörungen, Bakterienphobie, bestellte sich im Luxushotel immer nur das kleinste Zimmer und war der Überzeugung, dass ihn jede Frau "nur deswegen liebt, weil ich ein verdammter Millionär bin“.

"Geld verdirbt den Charakter nicht, sondern legt ihn nur offen“, heißt ein weiser Spruch, dessen Urheber anonym ist. Eine ausbalancierte Psyche kann sowohl mit unermesslichem Reichtum als auch mit dem Absturz in die Pleite umgehen.

Ich kann mir jetzt diese typischen Spielsachen der sogenannten Reichen leisten. Aber ich habe mich nicht daran gewöhnt. Ich bin noch immer verwundert, dass ich so leben kann. (Martin Schlaff, Milliardär)

Der österreichische Investor und Milliardär Martin Schlaff erzählte im profil-Interview über sein Verhältnis zu seinem Vermögen: "Ich kann mir jetzt diese typischen Spielsachen der sogenannten Reichen leisten. Aber ich habe mich nicht daran gewöhnt. Ich bin noch immer verwundert, dass ich so leben kann.“ Mit solchen Feinsinnigkeiten halten sich vor allem die Proponenten des "Neuen Gelds“ nicht auf. Der Wiener Kohlmarkt wäre ohne die volkswirtschaftliche Beatmung der russischen und inzwischen auch chinesischen Reichen mit Sicherheit eine wesentlich tristere Angelegenheit. "Der Kampfschrei unserer russischen Kundinnen lautet: "I take it - what is it?“, erzählt die Betreiberin einer Nobelboutique auf der Wiener Luxusmeile. "Sie kaufen säckeweise ein und machen sich nicht einmal die Mühe, die Sachen zu probieren.“

Im entsprechenden Finanzsegment werden nach diesem Stilprinzip natürlich auch Schmuck, Immobilien und Gemälde eingekauft. Das Protzen mit Geld hat - aus psychologischer Sicht - viel mit Macht und Kontrolle zu tun, aber auch mit der Überwindung eines Minderwertigkeitskomplexes, der zu Wohlstand gekommenen Nationalitäten mit einem Lifestyle-Aufholbedarf gegenüber dem Westen. Der Popstar Falco, in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen - seine Mutter besaß ein Milchgeschäft - war zu Lebzeiten dem "Versace-Fieber“ erlegen. Er kommentierte seine Lust am Geld mit dem schönen Satz "Besser neureich als nie reich.“

Charakter zeigt sich vor allem in Krisensituationen.

"Ich habe mich nie aufgegeben"

Der heute 74-jährige Architekt Heidulf Gerngross war in den 1980er-Jahren ein Star seines Gewerbes. Als sein Partner, Robert Schwan, 1995 bei einem Tauchunfall starb, schlitterte Gerngross in die Abwärtsspirale. Unter dem Schock des Verlustes öffnete er keine Briefe und bezahlte keine Rechnungen mehr. 1996 musste die Firma Insolvenz anmelden, etwas später Gerngross den Privatkonkurs. Sein Haus wurde zwangsversteigert. Gerngross, Vater von fünf Kindern, arbeitete bei einem Freund weiter: "Ich bin zwar kein ökonomischer Typ, aber ein natural born architect. Ich liebe die Architektur.“ Immer wieder wurden ihm in dieser Phase Wasser oder Strom abgedreht. 2002 wurde er im österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig ausgestellt. 2008 kam die endgültige Rettung: Einer seiner Söhne, in den USA ein renommierter Biochemiker, wurde durch den Verkauf seiner Patente über Nacht reich und tilgte die Restschulden des Vaters. Gerngross legte erneut den Eid zum Ziviltechniker ab und arbeitet nun als freier Architekt und Herausgeber der Zeitschrift "S/T/A/R“. Rückblickend verdankt er seine Fähigkeit, aus den Trümmern seiner Existenz wieder "aufzustehen“, "meiner Persönlichkeit“: "Ich bin ein positiver Typ und strahle eben auch Vertrauen aus. Ich habe mich nie aufgegeben. Das spüren die Menschen, und dann helfen sie einem auch. Ich habe meine Energie nie verloren. Andere Menschen, die nicht diese psychische Grundkonstitution besitzen, zerbrechen an einer solchen Situation.“

Die Auslöser für Privatkonkurse sind so unterschiedlich wie die Schicksale der Betroffenen. "Wir führen keine Statistiken“, so Maribel Königer von der Erste Bank, "es kann jeden treffen. Da gibt es den privaten Unternehmer, dessen Tischlerei bankrott geht, weil ein Hauptabnehmer wegbricht und er privat mit seinem Vermögen haftet. Oder die Ehefrau, die die Bürgschaft für ihren Mann unterschreibt. Oder Geschiedene, die arbeitslos werden, weil sie sich noch um die Kinder kümmern müssen. Oder eben Suchtkranke.“ Für solche Menschen, denen ihre Finanz-identität gekappt wurde und die kein eigenes Konto mehr besitzen dürfen, hat die Erste Bank das Projekt "Zweite Sparkasse“ entwickelt. "Wir nennen sie die Bank für Menschen ohne Bank“, so Alexandra Rosetti-Dobslaw, von der Erste-Bank-Stiftungsabteilung. "Das Konto darf nicht überzogen werden. Wir schätzen, dass in Österreich 40.000 Menschen ohne Konto sind. Wir haben 8000 Kunden - und freuen uns natürlich in jedem Fall über jeden, den wir verlieren.“ Im Schnitt bleibt ein Klient über zwei bis drei Jahre Kunde dieses ehrenamtlich betriebenen Modells. Der Kontakt wird über die Schuldnerberatung hergestellt.

Lokalaugenschein bei der Schuldnerberatung des Fonds Soziales Wien in St. Marx. Helle, schlichte Gänge, kleine Büros, in die die meisten Besucher direkt hineinhuschen, um rechtzeitig zu ihren festgesetzten Terminen zu kommen. Die meisten halten ihren Kopf gesenkt, so richtig in Kontakt kommen, will niemand. Manche kommen zu früh und nehmen Platz. Das einzige Leseangebot im Wartebereich: ein türkischsprachiges Magazin. Der einzige Schmuck an den Wänden: mehrsprachige Hinweistafeln, dass die Beratung kostenlos ist - schon oft sind nicht deutschsprachige Schuldner von Mittelmännern begleitet worden, die behaupteten, die Bezahlung der Berater für sie abzuwickeln und das Geld selber einsteckten.

Als Jugendlicher hab ich 50 Euro am Tag ausgegeben. Wenn ich mir das jetzt vorstelle, ist das irre. (Clemens, Betroffener)

Clemens kommt akkurat an seinem 40. Geburtstag das erste Mal zur Schuldnerberatung. Hinter ihm liegen eine lange Alkohol- und Drogenkarriere, vor ihm ein Schuldenberg, den er seinem ausufernden Hedonismus zu verdanken hat. "Ich war im Tourismusbereich tätig und ständig mit so Schickimicki-Leuten unterwegs. Am Anfang laden sie dich auf die Drogen ein, aber dann musst du selbst zahlen. Die meisten haben wie ich über den eigenen Verhältnissen gelebt und nicht an morgen gedacht.“ Seine Frau, eine Psychotherapeutin, beschwor ihn, sich zu ändern. Als er nicht hören wollte, reichte sie die Scheidung ein. "Das war der Wendepunkt. Ich bin mit 4,7 Promille ins Spital gekommen, danach wurde ich zum Entzug nach Kalksburg verdonnert. Jetzt bin ich trocken, mache eine Therapie und versuche, mein Leben auf die Reihe zu bringen.“ Der Ursprung seines verschwenderischen Umgangs mit Geld läge in seiner Kindheit: "Meine Eltern waren geschieden, und da wurde mit Geld kompensiert. Ich hab es von beiden Seiten zugesteckt bekommen. Als Jugendlicher hab ich 50 Euro am Tag ausgegeben. Wenn ich mir das jetzt vorstelle, ist das irre.“

Eine ältere Frau im Wartebereich hält sich knapp mit ihrer Geschichte: "Eigentlich ist es nicht direkt meine Schuld, dass ich da bin. Mein Sohn hat viele Kredite aufgenommen, und ich habe mich mit meinem fixen Einkommen als sein Bürge zur Verfügung gestellt. Jetzt hat sich seine Frau von ihm geschieden, er hat den Job verloren, und ich werde zur Kasse gebeten.“

Statistisch erwiesen stehen in Österreich Überschuldung und Bildung in einem direkten Zusammenhang, wie aus dem Report des österreichischen Schuldenberatungsverbands "asb” hervorgeht. In den Einkommensverhältnissen erweist sich die Volksweisheit "Wo Tauben sind, fliegen Tauben hin“ als brutale Realität: 79,6 Prozent der Verschuldeten verdienen monatlich weniger als 1500 Euro.

Jugendliche unter 18 Jahren suchen fast nie (0,1 Prozent) Schuldenberatungen auf, auch bei den 18- bis 20-Jährigen ist der Anteil marginal (1,8 Prozent). Danach steigt die Rate bis zu den 45-Jährigen, ehe die Kurve wieder abnimmt. Das bedeutet jedoch nicht, dass junge Menschen keine Probleme mit Geld haben.

Nur verschleppen viele ihre Fehlentscheidungen in Form von Umschuldungen oft über Jahre und suchen erst im Zustand der Ausweglosigkeit eine Schuldnerberatung auf.

Die Krux liegt in der Kindheit

"Die meisten dieser finanziellen Fehlentscheidungen sind massiv von unserer Kindheit geprägt“, erzählt der Wiener Schuldnerberater Alexander Maly, "oft kopieren solche Kinder das leichtsinnige Verhalten ihrer Eltern und kaufen schon das erste Auto auf Kredit.“ Hier wachse eine überschuldungsgefährdete "Generation Pump“ heran, ist der Geschäftsführer der Schuldnerberatung des Fonds Soziales Wien sicher: "Bei einem Vortrag von Schülern habe ich gefragt, wer sein Konto überzogen hat. Rund zehn Prozent haben aufgezeigt. Das sollte eigentlich nicht sein.“ Befeuert werde dieses Risikoverhalten von den Banken, die in Österreich besonders "verantwortungslos“ agieren.

Während die von einer Mangelwirtschaft traumatisierte Kriegs- und Nachkriegsgeneration noch das Horten und Sparen hochhielt, ist die Generation Y, so das soziologische Kürzel für die 18- bis 25-Jährigen, der Illusion erlegen, dass Statussymbole des Lifestyles am besten auf Raten gekauft werden und man alles erwerben kann, ohne es verdienen zu müssen.

Genauso krankhaft wie Verschwendungssucht ist das andere Extrem, der Geiz. Warum ordnet die Königin von England ihrem Personal an, das Geschenkpapier zu Weihnachten zwecks Wiederverwertung zu glätten? Wieso geben millionenschwere Stars wie Jennifer Lopez und Britney Spears nie Trinkgeld?

Für Sigmund Freud, durch den Bankrott seines Vaters zeitlebens schwer traumatisiert und in fortwährender Verarmungsangst lebend, waren Geiz und Geldgier Spätfolgen einer schiefgelaufenen Reinlichkeitserziehung. Würden dem Kind die Windeln zu früh abgenommen und müsse es "sein Geschäft“ abliefern, entwickele es sich möglicherweise zu einem Analcharakter - im schlimmsten Fall zu einem pedantischen, ordnungsbesessenen und habsüchtigen Menschen, der es weder auf die Reihe kriegt, sich selbst, noch andere glücklich zu machen.

Bleibt die Gretchenfrage: Wie glücklich macht Geld wirklich? Die schlechte Nachricht für Schlechter-Verdiener: Existenzängste nehmen, so das Magazin "Science“, unser Denkvermögen derart in Anspruch, dass man sich auf keine anderen mentalen Aufgaben konzentrieren kann. Zwei Forschergruppen von den Universitäten Harvard und British Columbia belegten kürzlich, dass Menschen mit Geldsorgen wesentlich mehr gefährdet sind, Fehlentscheidungen zu treffen. 2013 hatten Psychologen und Ökonomen von Harvard und Princeton der Armut schon einen Schlag ins Gesicht versetzt, als sie nach Experimenten mit 400 Probanden einhellig feststellten: Geldnöte lassen den IQ der Betroffenen um durchschnittlich 13 Punkte sinken. "Die kognitiven Fähigkeiten solcher Menschen sind stark eingeschränkt“, so der Ökonomieprofessor und Leiter der Studie Sendhil Mullainathan.

Der "arme" Wittgenstein

Von dieser dunklen Ahnung dürfte auch der weltbekannte Philosoph Ludwig Wittgenstein, Spross einer reichen Industriellendynastie, beseelt gewesen sein. Er verschenkte nach den traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkrieges unter dem Eindruck Leo Tolstois, der im hohen Alter wieder zum Bauer geworden war, sein gesamtes Vermögen - allerdings an seine eigenen Geschwister. Wittgenstein, der reduziert auf das Notwendigste lebte, war davon überzeugt, "dass Arme durch unverhofften Reichtum korrumpierbar werden und damit nicht umgehen können“. Die tragischen Schicksale vieler plötzlicher Lotto-Millionäre aus der Unterschicht, die innerhalb kürzester Zeit ihr Geld wieder verblasen und in der Gosse landen, geben ihm Recht.

Das ständige Gefühl von Unterlegenheit und Minderwertigkeit erzeugt auch psychosozialen Stress. Unter Dauerbeschallung von dieser Art von Stress steigen Depressionen, psychosomatische Beschwerden und das Herz- und Schlaganfallrisiko. Im ständigen Gefühl, nicht zu genügen und nicht wettbewerbsfähig zu sein, schwinden auch die Chancen, je wieder auf die Überholspur zu kommen.

Wie sehr Geldsorgen einen Menschen kaputtmachen können, zeigt der Briefwechsel zwischen dem österreichischen Schriftsteller Joseph Roth und seinem "Gönner“ Stefan Zweig während Roths letzten Lebensjahren in Paris. "So sehr ich glaube, dass die Not meine Muse ist, so sehr sehe ich auch, dass sie mich in den Selbstmord treibt“, schreibt der schwer alkoholkranke Schriftsteller an seinen Kollegen. "Ich kann nicht mehr mit fünf Francs in der Tasche überleben. Es ist unmöglich, dass ich diese Zeit überlebe … Bedenken Sie doch, dass ich 20 Jahre gehungert habe, vier Jahre Krieg erlebt habe … Ich bin doch noch dabei ein privater Mensch, der isst, schläft, beischläft und so weiter … Es ist der Tod … Halb von Sinnen, Ihr Joseph Roth.” Joseph Roth starb mit nur 45 Jahren in einem Armenspital in Paris und sah zum Zeitpunkt seines Todes aus wie ein 70-Jähriger.

Sämtliche Studien zum Thema Geld und Glück lassen sich auf eine einfache Gleichung herunterbrechen: Geld wollen macht krank, Geld haben gesund. Und auch glücklich.

Charakter und Kindheit sind wie in allen Beziehungen auch im Fall von Geld unser Schicksal. In finanziellen Extremsituationen, das postulierte schon Freud, hilft in jedem Fall der Witz. Der legendäre Verleger Fritz Molden sagte, in einem Interview über den Konkurs seines Lebenswerks befragt, in milder Selbstironie: "Wäre ich nicht so hoch hinauf gestiegen, hätte ich nicht so tief fallen können. Ich habe mich jahrelang so benommen, als ob ich reich wäre, ohne es zu sein.“

Der 1979 verstorbene Nelson Rockefeller, Enkel des legendären Öl-Tycoons, aber auch Förderer der Künste und 41. Vizepräsident der USA, war aus einem ähnlichen Holz geschnitzt. Als der junge Nelson mit seinem Spielzeugboot auf einem Teich segelte, brüllte ihm ein anderes Millionärskind zu: "Hey, Rocky, was für ein wirklich mickriger Kahn. Wo ist eigentlich deine Yacht?“ Und der milliardenschwere Rocky kläffte frech zurück: "Wahaas glaubst du eigentlich, wer ich bin - ein Vanderbilt!?“

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der profil-Ausgabe Nr. 32/2014 vom 04.08.2014