Viktor Hauser, Monika Eva, Carolina Hettegger und Monika Antl-Bartl

Generationen-WG: Alle unter einem Dach

In einer Wohngemeinschaft in Meidling leben Senioren gemeinsam mit Studenten, Berufstätigen und Flüchtlingen unter einem Dach. profil hat die WG besucht und sich mit den Bewohnern über das Zusammenleben unterhalten.

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Es riecht nach Reisfleisch. Herr Hauser steht schon wieder am Herd. Wieder einmal hat er so viel gekocht, dass die ganze WG davon essen kann. Sylvia und Monika sitzen am Tisch. "Wir müssen aufpassen, Herr Hauser kocht so gut und wir sollten ja auf unsere Linie achten." Sylvia kann heute leider nicht mitessen, sie muss ihren Enkel vom Hort abholen.

Sylvia, Monika und Viktor (die Bewohner nennen ihn aber alle Herr Hauser) sind alle drei Senioren. Gemeinsam mit zehn weiteren Personen - Studenten, Berufstätigen, Senioren und Flüchtlingen - einer Katze und einem Hund wohnen sie in einer Generationen-WG (GWG) in Wien-Meidling.

Die 2013 gegründete GWG gehört zur Österreichischen Jungarbeiterbewegung (ÖJAB) und befindet sich im 6. Stock des Pflegewohnheim ÖJAB-Haus in Neumargareten. Nicht weit weg gibt es eine weitere GWG der ÖJAB - in der Hanauskagasse, diese wurde bereits 2009 eröffnet.

„Es ist immer Leben da, selbst wenn ich mal grantig bin und keine Lust habe. Meine Tür ist immer einen Spalt offen. Es geht immer jemand vorbei, man hört jemanden, es wird getratscht. Das hat etwas Familiäres, das ist einfach etwas Tolles“, sagt die Bewohnerin Sylvia Falter im Gespräch mit profil. Ständig umkreisen sie ihr Hund und ihre Katze. Die beiden gehören schon zur GWG dazu.

Haus und Garten wurden der 67-Jährigen vor ein paar Jahren zu viel. Sie verkaufte das Grundstück und zog zurück nach Wien, da ihre Kinder hier wohnen. Zuerst zog sie in eine 45m² große Garconniere im 19. Bezirk, aber da fühlte sie sich nicht wohl. „In diesen großen Anlagen ist man aber derartig anonym, dass man oft tagelang mit niemandem in Kontakt kommt und die Leute nicht kennenlernt“, sagt die ehemalige Chirurgin.

Sylvia sei beim Recherchieren zuerst auf Senioren-WGs gestoßen, habe aber schnell gemerkt, dass das nichts für sie sei. Sie wolle nicht nur unter alten Menschen sein, meint die Pensionistin. „Das endet dann ganz schnell damit, dass man nur darüber redet, welche Pulver man nimmt.“

Studentin Carolina wohnt erst seit zwei Wochen in der GWG, bessergesagt sie kam erst vor zwei Wochen nach Österreich. Die 23-Jährige fühlt sich jetzt schon wohl: „Ich habe so eine WG noch nicht gekannt. Es ist hier etwas ganz anderes. Im Studentenheim sind Kleinigkeiten immer sehr groß geworden. Hier lebt man einfacher“, erzählt Carolina. Sie finde toll, dass so viele verschieden altrige Menschen zusammen leben. Sie kann sich vorstellen, einige Monate oder vielleicht Jahre in der GWG zu wohnen.

Die Idee der Generationen-WG war, einen Lebensraum zu schaffen in dem „jüngere und ältere Menschen gemeinsam leben, sich gegenseitig ergänzen, gemeinsam unterstützen, und ältere Menschen Einsamkeit vermeiden können“, erzählt die ehemalige Leiterin der GWG, Monika Antl-Bartl. Der Austausch zwischen den jüngeren und älteren Bewohnern passiere auf verschiedenen Ebenen. Herr Hauser hat gerade Hilfe beim Kochen gebraucht. Zwei Studentinnen haben Flüchtlingen Deutsch-Unterricht gegeben. Ein älterer Herr kann noch nicht mit der Waschmaschine umgehen. Frau Falter braucht ab und zu Hilfe mit ihren Haustieren.

Sylvia hat vor einiger Zeit mit drei iranischen Studenten Deutsch geübt. Milan, ein Student der TU Wien half ihr im Gegenzug mit dem Laptop. Sylvia revanchiert sich dafür wiederum, damit, dass sie ihnen etwas bügelt, näht oder kürzt.

Weg ins Pflegeheim nicht weit

„Hier im Haus haben wir den großen Vorteil, dass sich die Bewohner nicht nur innerhalb der WG mischen, sondern es mischt sich auch im Haus nach unten. Ältere Bewohner die in der WG wohnen engagieren sich auch ehrenamtlich im Pflegeheim“, sagt Antl-Bartl.

Dies habe für die Bewohnern den Vorteil, „sollten die Bewohner einmal pflegebedürftig werden und nicht mehr in der GWG wohnen können, brauchen sie nur einen Stock nach unten ziehen und kennen bereits die Bewohner und Mitarbeiter des Hauses.“

Silvia erkundigte sich bereist bei der Anmeldung, ob sie – falls sie später eine Pflegekraft benötigt – ins Heim ziehen kann. „Das ist für mich das allerwichtigste, dass man hier auch gleich in die Pflege umsteigen kann“, sagt Silvia. „Ich kenne alle Leute, mich kennt vom Pflegepersonal auch fast jeder.“

Hilfeleistung statt Miete

In der Generationen-WG bleibt es jedem selbst überlassen, ob er mit älteren Bewohnern Zeit verbringt oder ihnen bei etwas hilft. Das ist bei dem Konzept der ÖH Graz und der Diakonie Tirol „Wohnen für Hilfe“ anders.

Hier werden Studenten an Personen, die Wohnraum zur Verfügung haben, vermittelt. Es gilt in etwa das Prinzip: Ein Quadratmeter Wohnraum ist eine Stunde Arbeit pro Monat. Beispielsweise für ein 20m² großes Zimmer müsste der Untermieter des Zimmers 20 Stunden im Monat Gartenarbeit, Hilfe im Haushalt oder bei Behördengängen verrichten.

Hemmschwelle bei älteren Menschen

Die Studenten zahlen dabei meistens keine Miete für das Zimmer, außer jemand bietet mehr Wohnraum an. Das Problem beim Konzept: Es melden sich viel mehr Studierende, als ältere Menschen die ein Zimmer zur Verfügung haben an. Das vermeldet sowohl die ÖH in Graz als auch die Diakonie in Tirol.

Bei der ÖH Graz melde sich beispielsweise jede Woche ein Studierender, jedoch nur zehn bis 20 ältere Menschen melden sich pro Jahr. Zudem seien manche davon sehr kompliziert, berichtet die Leiterin Claudia Kastner. „Das letzte Jahr war wirklich schlecht. Man fragt sich dann schon oft, wofür macht man das eigentlich?“, sag Kastner im Gespräch mit profil.

Die Diakonie Tirol konnte in den letzten Jahren etwa zehn bis 15 Personen vermitteln. „Grundsätzlich sollte es eine Bereicherung sein, ein Familienmitglied auf Zeit. Ein Abhängigkeitsverhältnis von einander ist auf beiden Seiten nicht gut“, sagt Kastner.

Beide Organisationen berichten, dass die Hemmschwelle bei den älteren Menschen noch sehr groß sei, einen Fremden in die eigene Wohnung zu lassen. Kastner sagt, es gäbe immer wieder Studierende, die aus dem Sozialbereich kommen oder die Medizin studieren und durchaus eine Sensibilität mitbringen würden.

Studentenleben im Seniorenheim

Ähnlich funktioniert das Konzept „WGE! Gemeinsam wohnen“: Hier werden ebenfalls Wohngemeinschaften zwischen jüngeren und älteren Menschen vermittelt. Jedoch zu einem geringen Preis: Im Durchschnitt 200 bis 270 Euro/Monat. In Einzelfällen leben die Studierenden auch kostenlos bei den älteren Menschen und unterstützen sie dafür mehr im Alltag.

Das Sozialunternehmen vermittelt Studierende an zwei Stellen: Zum einen an Privatpersonen, ältere Menschen, die ein Zimmer zur Verfügung haben. Zum anderen werden Studenten an Seniorenwohnhäuser vermittelt.

Bei Privatvermittlungen legen die Mitbewohner meist in einer Hausordnung fest, welche „Gegenleistungen“ im Haushalt für den günstigen Wohnraum erwartet werden. „Man braucht eine gewisse Offenheit dafür. Es ist wichtig, dass der ökonomische Grund nicht der Hauptfaktor ist – für beide Seiten. Das ist kein Dienstbote, der bei dir wohnt,“ sagt Marlene Welzl von „WGE! Gemeinsam wohnen“ im Gespräch mit profil. Im Seniorenwohnhaus zahlen die Studenten knapp 250 Euro für ein Zimmer und verbringen im Gegenzug etwa 20 Stunden pro Monat mit den Bewohnern, dies wird in einer schriftlichen Vereinbarung festgelegt.

Auch bei diesem Konzept gibt es weit mehr Wohnraumsuchende als Zimmerangebote. In den letzten zwei Jahren hat das Sozialunternehmen 230 Menschen vermittelt, berichtet Welzl. Bei keinem der Konzepte werden pflegebedürftige Personen vermittelt. Und wenn irgendwann doch Pflege benötigt wird, kann man in der Generationen-WG in Meidling direkt ins Pflegeheim umsiedeln. So wie es sich Sylvia wünscht. Seit drei Jahren wohnt sie nun in der WG. Umziehen will sie sobald nicht. „Ich bin hier daheim. Es ist meine Heimat“, sagt die Pensionistin aus dem 6. Stock."