Gerhard Hanappi: Der Kicker als Visionär und Architekt

Gerhard Hanappi: Der Kicker als Visionär und Architekt

Der Kicker als Visionär: Ein neues Buch erinnert an den österreichischen Fußballer und Architekten Gerhard Hanappi.

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Zwei Dinge, die es heute nicht mehr gibt: Fußballprofis, die nebenbei als Stadtplaner arbeiten – und Fußballfunktionäre, die Amtsdeutsch sprechen. Am 9. Juni 1959 setzte der damalige Klubsekretär des SK Rapid Wien, Herr Rudolf Schick, einen Brief an den Herrn Amtsführenden Stadtrat Hans Riemer, Neues Rathaus, Wien 1, auf: „Der Sportklub Rapid bittet, seinem Spieler Ing. Gerhard Hanappi für eine Sportreise nach Kanada, U.S.A. und Zentralamerika einen ‚Urlaub ohne Gebühren‘ in der Zeit von Samstag den 27. Juni bis ca. Donnerstag den 20. August 1959 zu gewähren. Wir hoffen, keine Fehlbitte getan zu haben, und ersuchen höflichst, unser Ansuchen gütigst erledigen zu wollen.“ Es wurde gütig erledigt, der Chef des Spielers, Herr Roland Rainer, gab dem wohlformulierten Antrag statt.

Man sollte sich Gerhard Hanappi als einen bedeutenden Menschen vorstellen. In seiner ganzen Bedeutung wird er freilich nur selten erfasst. Eine neue Monografie will diesen Irrtum nun korrigieren. Herausgegeben von dem Architekten Christoph Lechner, der Filmemacherin Katalin Hanappi und den Kulturwissenschaftern Roman Horak und Matthias Marschik, stellt „Gerhard Hanappi. Fußballer. Architekt“ seinen Protagonisten als eine Figur der Zeitgeschichte vor, als Doppeladler und Grenzgänger, der im Dazwischen wirkte: zwischen altem, heroischem Fußball und dem kommerziellen Starbetrieb der Gegenwart, zwischen Kriegselend und Wirtschaftswunder, Arbeiterklasse und Architektenvilla, Umkleidekabine und Universität. Ein kleiner Mann von Welt.

Hanappi auf Reisen 1949

Geboren am 16. Februar 1929 als unehelicher Sohn des Bauspenglers Johann Hanappi und dessen Gefährtin Gisela Seidl, aufgewachsen im proletarischen Meidling, Rosenhügelstraße Nummer 35A, ein Feschak und Fetzenlaberlvirtuose, stand Hanappi fast prototypisch für den österreichischen Weg aus der Katastrophe.

Mitten im Weltkrieg begann der 13-Jährige beim damals bedeutenden Wiener Verein SC Wacker seine Fußballkarriere; noch im selben Jahr schrieb er sich in der Bundesgewerbeschule Mödling ein, Lehrgang Hoch- und Tiefbau, Banknachbar: Gustav Peichl. Mit den Nazis hatte er, soweit bekannt, nichts am Hut, vor der Einberufung zum „Volkssturm“ versteckte er sich bei Verwandten in Niederösterreich. Im Sommer 1945 wurde er Mitglied der Freien Österreichischen Jugend, einer Vorfeldorganisation der KPÖ, zwei Jahre später zum ersten Mal Meister und Cupsieger.

Ein kleiner Mann von Welt: Hanappi auf der späteren Mittelauflage des Weststadions

Karrierebilanz: 333 Spiele für Rapid, sieben Jahre Kapitän, sieben Meistertitel, ein Cupsieg. 93 Einsätze im Nationalteam, zwei in der Fifa-Weltauswahl. Kapitän der Nationalmannschaft, die bei der Fußball-WM 1954 den mehr als achtbaren dritten Platz belegte (und zu Hause dafür von enttäuschten Fans ausgebuht wurde). Ein internationaler Botschafter des guten Österreich, der auf manchen Bildern wie JFK aussieht und daheim am liebsten zum Heurigen ging und Wienerlieder sang. Auf seinen Auslandsreisen machte Hanappi Fotos von Einfamilienhäusern, mit seinem Teamkollegen Schani Skocik betrieb er eine Minigolfanlage in Schwechat; auf einen lukrativen Auslandstransfer ließ er sich nie ein.

Hanappi war ein Aufsteiger, dem sein Arbeiterklassenbewusstsein nie abhanden kam. Beim Bau seines architektonischen Opus magnum, des Weststadions in Hütteldorf (später: Gerhard-Hanappi-Stadion, noch später: St. Hanappi), konfrontierte ihn das Vereinspräsidium mit dem Wunsch nach einer VIP-Area. Der Architekt weigerte sich – unter Fußballfans gab es für ihn keine besonders Wichtigen. Der Konflikt eskalierte so weit, dass Hanappi seinen Sohn Michael bei der Austria anmeldete. Das Stadion wurde trotzdem so gebaut, wie er es für richtig hielt: 145 Meter mal 145 Meter, 20.000 Sitzplätze, je ein markanter Knick in den Längstribünen, dramatische Flutlichtmasten, Weitblick hinter den Cornerfahnen – und keine VIP-Area.

Das Hanappi-Stadion beim Abriss im Jahr 2014

Von außen erinnerten die Tribünen an die brutalistische Bremer Stadthalle seines ehemaligen Chefs Roland Rainer, aber im Grunde war Hanappi kein Mann spektakulärer Effekte. Neben dem Hütteldorfer Weststadion entwarf er soziale Wohnbauten in Wien, eine Fußballer-Siedlung im steirischen Seewiesen, eine Kegelbahn, vermutlich auch Tankstellen. Das Archiv seines Architekturbüros ging nach seinem frühen Tod 1980 verloren, sein Werk ist bis heute nicht vollständig erschlossen.

Im Lauf seiner Profikarriere spielte Gerhard Hanappi auf jeder Position, außer im Tor. Nie hat er eine Rote Karte gesehen. Dinge, die es heute nicht mehr gibt.

Gerhard HanappiFußballer, Architekt. Hg. von Christoph Lechner, Katalin Hanappi u. a., gestaltet von Peter Duniecki. Park Books, 266 Seiten, 39,10 Euro

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.