Google-Forschungschef Norvig: "Computer funktionieren wie Hunde"

Peter Norvig, Forschungsdirektor von Google, ist möglicherweise der einflussreichste unbekannte Mann der Welt. Seine Ideen werden morgen unser Leben prägen. Im profil-Gespräch erklärt er, warum man keine Angst vor intelligenten Maschinen haben sollte und warum der Mensch auch nur ein Tier ist.

Drucken

Schriftgröße

profil: Steven Hawking erklärte kürzlich, dass Maschinen zu einer Gefahr für die Menschheit werden könnten - weil sie sich schneller weiterentwickeln als wir. Teilen Sie diese Befürchtung? Peter Norvig: Für mich ist "Kultur“ rein definitionsgemäß etwas, was sich schneller entwickelt als der Mensch. Unsere Technologie ist Bestandteil unserer Kultur. Angst vor neuen Technologien gab es schon immer. Ein klassisches Beispiel ist die Erfindung der Eisenbahn. Man hatte Angst, dass die Passagiere ersticken, weil die Atemluft nicht mit der Geschwindigkeit des Zuges mithalten könne.

profil: Und wann werden Maschinen nun intelligenter als ihre Schöpfer? Norvig: Intelligente Maschinen sind Werkzeuge, die wir herstellen, um eine Aufgabe besser zu meistern. Planierraupen sind beim Beseitigen von Schmutz besser als ihre Erfinder, Rechner sind beim Multiplizieren besser als ihre Schöpfer, Schachprogramme schlagen routinemäßig ihre Entwickler. Was wir derzeit noch nicht haben, sind Maschinen, die eine unbegrenzte Anzahl von Aufgaben besser als ihre Schöpfer ausführen.

profil: Heutzutage kann kaum noch jemand kopfrechnen. Besteht nicht die Gefahr, dass wir vollständig von künstlicher Intelligenz abhängig werden? Norvig: Wer kann heutzutage noch einen Motor mit der Kurbel starten? Besteht nicht die Gefahr, dass wir vollständig vom elektrischen Starter abhängig werden? Jede Generation hat eine Fülle von Möglichkeiten, gewisse Sachen technisch zu erledigen. Dieses Gleichgewicht kann sich von Generation zu Generation ändern. Ich sehe darin nichts Besorgnis-erregendes. Schon Sokrates beschwerte sich über die Technologie des Schreibens: "Denn diese Erfindung wird der Lernenden Seele vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung des Gedächtnisses, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden.“

profil: Was macht künstliche Intelligenz konkret aus? Norvig: Die klassische Informatik weist einen Rechner an, etwas zu tun, von dem man weiß, wie es geht. Bei der künstlichen Intelligenz wird hingegen der Computer dazu instruiert, etwas zu tun, von dem man keine Ahnung hat, wie es funktioniert.

Die Liste der Aufgaben, die Computer besser erledigen können als Menschen, wird von Jahr zu Jahr länger.

profil: Zum Beispiel? Norvig: Künstliche Intelligenz kommt schon heute in vielen alltäglichen Bereichen zum Einsatz, etwa beim Herausfiltern von Spam-E-Mails, bei der Überprüfung von Kreditkartentransaktionen oder bei der Gesichtserkennung. Die Liste der Aufgaben, die Computer besser erledigen können als Menschen, wird von Jahr zu Jahr länger. Aber natürlich gibt es noch viele Gebiete, auf denen Computer noch nicht mithalten können.

profil: Ist es möglich, "menschliche“ Intelligenz mit all ihren Aspekten nachzubilden? Ist künstliche Intelligenz mehr als ein paar Programmzeilen? Norvig: Ja, sie ist mehr! Der Code selbst ist nicht intelligent, er ist statisch. Sie benötigen auch einen Computer, um das Programm laufen zu lassen; sonst passiert nichts, schon gar nichts Intelligentes. In Terry Bissons Sci-Fi-Kurzgeschichte "They’re Made Out Of Meat“ erforschen außerirdische Roboter die Erde und können nicht glauben, dass ein Brocken Fleisch intelligent sein kann. Wo ist hier das elektronische Gehirn?

Menschen sind Tiere.

profil: Wie lernen elektronische Gehirne? Norvig: Von Beispielen. Wir unterscheiden drei Hauptrichtungen: erstens das betreute Lernen, bei dem der Lehrer dem Computer eine Situation und die korrekte Antwort präsentiert; aus diesen Beispielen verallgemeinert der Computer auf ähnliche Beispiele. Zweitens das bestärkende Lernen, bei dem ein Feed-back-Signal verrät, ob etwas gut oder schlecht läuft. Mit dieser Methode bringen wir etwa auch unseren Hunden Kunststücke bei; für richtiges Verhalten belohnen wir sie mit einem Leckerbissen. Computer funktionieren wie Hunde. Bei der dritten Methode, dem unbeaufsichtigten Lernen, fasst der Computer einfach ähnliche Dinge zusammen und erkennt Muster. So haben Computer, denen Millionen von You-Tube-Videos gezeigt wurde, von ganz alleine das Muster "Katze“ erkannt, ohne dass sie je von diesem Tier gehört hätten.

profil: Wie lässt sich die Intelligenz von Mensch und Tier unterscheiden? Norvig: Menschen sind Tiere. Einige Sachen, die Menschen machen, etwa der Einsatz von Sprache oder die Verwendung von Werkzeugen, sind sicherlich weit fortgeschritten gegenüber anderen Tieren; aber in vielen Dingen sind sie sich wieder sehr ähnlich.

profil: Gerade die menschliche Sprache scheint eine besondere Herausforderung für Computer darzustellen. Maschinenübersetzungen liefern oft sehr verwegene Ergebnisse. Was ist so schwierig daran, einen Text zu übersetzen? Norvig: Die Maschinenübersetzung hat mittlerweile den Punkt erreicht, an dem sie durchaus zur Konversation in einer anderen Sprache genutzt werden kann. Das gilt schon für über 100 Sprachen und 10.000 Sprachkombinationen. Allerdings darf man sich keine fließenden Übersetzungen erwarten. Es wird in jedem Satz irgendeine Art von Fehler geben. Glücklicherweise ist die Sprache so redundant, dass der Inhalt in den meisten Fällen verständlich bleibt.

profil: Nirgendwo wurden menschliche und maschinelle Intelligenz zuletzt so überschätzt wie im Finanzsektor. Weder Experten noch Rechenmodelle sahen die Krise kommen. Wo liegen die Grenzen der Intelligenz? Norvig: Ich würde sagen, dass die finanzanalytischen Computersysteme den Job, den man von ihnen erwartet hat, sehr zufriedenstellend erledigt haben - nämlich für jene Leute Geld zu scheffeln, die sie genutzt haben. Das Problem war, dass wir ein System zugelassen haben, bei dem es nur Belohnungen für das Geldmachen gab, aber keine Strafen für das Verkennen von Krisen. Mit anderen Anreizen hätte die Krise wahrscheinlich vorhergesagt oder gar verhindert werden können.

profil: Sie arbeiten seit dem Jahr 2001 für Google, seit 2005 als Forschungsdirektor. Welches sind aktuell Ihre größten Forschungsprojekte? Norvig: Die größten Projekte behandeln die Sprache und ihr Verständnis, mobile Computerschnittstellen und die Verbesserung des Benutzererlebnisses. Es gibt aber noch viele andere Forschungsbereiche: selbstfahrende Autos, Biologie und Lebensverlängerung, Computer für das vernetzte Heim, Internetzugang für Entwicklungsländer und vieles mehr.

profil: Zu Ihren Leidenschaften sollen palindromische Sätze zählen: Sätze, die sich von vorne wie von hinten lesen lassen. Mit einem 17.259-Wörter-Palindrom stellten Sie vor Jahren einen legendären Weltrekord auf. Wo liegt die Faszination am Palindrom? Norvig: Vor 30 Jahren hat ein Kollege ein Computerprogramm zur Erzeugung von Palindromen entwickelt. Es war alles sehr kompliziert, weil die Computer damals noch wenig Rechenkraft hatten. Man konnte nicht einmal ein ganzes Wörterbuch auf einmal in den Speicher laden. Im 21. Jahrhundert schrieb ich schließlich ein Programm, das ein 30 Mal längeres Palindrom als den damaligen Rekordhalter generieren konnte - aber nicht, weil ich so klug war, sondern einfach, weil mein Computer tausendmal leistungsstärker war.

profil: In wenigen Tagen werden Sie die Gödel Lecture an der Technischen Universität Wien halten. Haben Sie eine besondere Beziehung zu Gödel und zu Wien? Norvig: Ich war noch nie zuvor in Wien und freue mich schon auf diesen Besuch. Aber ich kenne die Schriften von Kurt Gödel sehr gut. Er war gut mit Albert Einstein befreundet. Eine seiner wichtigsten Leistungen war, die Grenzen von Logik und Berechnung aufzuzeigen. Damit ist seine Arbeit auch heute noch von großer Bedeutung.

Zur Person:

Peter Norvig, 59

Auf der dritten Vienna Gödel Lecture der TU Wien referiert Peter Norvig am 26. März über die Lernfähigkeit von Computern. Der Informatiker und Computerwissenschafter hat schon einige hochkomplexe Programmiersprachen und Systeme entwickelt und gilt als Experte für Suchtechnologien und künstliche Intelligenz. Vor seiner Google-Karriere lehrte Norvig an der University of Southern California und der University of California in Berkeley und schrieb über 50 Publikationen über künstliche Intelligenz, Suchmaschinen und Programmiersprachen. Danach leitete er bei der NASA die Abteilung für Computerwissenschaften, um sich schließlich ab 2001 bei Google vor allem mit Suchalgorithmen zu beschäftigten. Seit 2005 ist Norvig Forschungsdirektor von Google.

Vienna Gödel Lecture 2015. 26. März 2015, 17.30 Uhr

TU Wien, Hörsaal EI 7, 1040 Wien, Gußhausstraße 27-29, EG