Noch dazu in einem seriösen Nachrichtenmagazin? Danke, es geht. Der US-Psychologe und Gossip-Forscher Frank T. McAndrew erklärt das manchmal manische, aber menschliche Interesse an Stars und Starlets mit der in evolutionären Maßstäben sehr jungen Erscheinung des Celebrity-Tratsches. Weil wir in den sozialen Tratschmedien ständig mit Nachrichten über Berühmtheiten wie die Kardashians, den Hadid-Clan oder Harry und Meghan torpediert werden, lösen diese unweigerlich ganz ähnliche psychologische Mechanismen aus wie nahe Bekannte oder Verwandte.
„Wir klatschen nicht nur, weil wir können, sondern es ist überlebenswichtig“, hängt die Journalistin, Podcasterin („Normal Gossip“ ) und Autorin Kelsey McKinney, die eben eine Essaysammlung zum Thema Gossip publiziert hat („You Did Not Hear This From Me“), die psychohygienische Bedeutung des Tratschens noch höher. Der Mensch sei die einzige Spezies, „die in ihrer Kommunikation fähig ist, Geschichten zu erzählen“, anstatt nur Befindlichkeiten oder Warnungen auszutauschen. McKinney sieht im Klatschen und Tratschen den Grundstein für „ein gesundes Selbstbewusstsein“. Sie schreibt weiter: „Ohne Gossip zu verbreiten und aufzunehmen, bleiben wir nichts als Hüllen, uninteressiert an den Vorgängen dieser Welt und in Folge isoliert.“
McKinney gewinnt der Funktion des Tratschens auch eine feministische Perspektive ab: „Ohne die Fertigkeit vieler Frauen, andere durch Beobachtungen, Vermutungen und Aufgeschnapptes zu warnen, wäre die #MeToo-Bewegung 2017 wahrscheinlich nicht so in Fahrt gekommen.“ Gemeinschaftliches Tratschen dient Gruppen, die einen gemeinsamen Wertekonsens haben, eben auch zur sozialen Kontrolle. Empörung, Entsetzen und Schock über die Verhaltensweisen anderer Leute wirken wie soziales Pattex. Beim Tratschen wird Intimität hergestellt, die zudem mit moralischen Werturteilen aufgeladen wird.
Feministische Perspektive
Ohne die Energie des Klatsches wüssten wir auch nicht annähernd, wie viel „Hush Money“ (Schweigegeld) Donald Trump schon an Frauen bezahlt hat, um Prozesse wegen sexueller Übergriffe abzuwenden. Ohne die Weitergabe von Gerüchten, die sich später als monströse Wahrheiten entpuppten, säße der Filmproduzent Harvey Weinstein nicht auf der Gefängnisinsel Rikers Island ein. Ohne die stille Post zwischen vielen Frauen auf französischen Filmsets wäre der Filmstar Gérard Depardieu nicht Ende März vor Gericht gestanden (wo er jedoch mit einer äußerst milden Strafforderung seitens der Staatsanwaltschaft konfrontiert war).
Dass Frauen gerne der Nimbus des nach Dramen und Tragödien geifernden Waschweibs verpasst wird, ist eine der vielen historischen Genderungerechtigkeiten. In einer Begriffsbestimmung aus dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm wird die „Tratsche“ als „faule, plumpe, plauderhafte Person“, „plauderhaftes Weibsbild“ und „groszes, plumpes Frauenzimmer“ definiert. Dieser Wörterbucheintrag entspricht einem Muster: Tratsch und Klatsch wurden jahrhundertelang abwertend als weibliche Tätigkeit gering geschätzt und mit einem negativen moralischen Urteil versehen.
Auch der verstorbene Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz differenzierte beim Klatschen zwischen den Geschlechtern. Frauen verstehen es seiner Ansicht nach, den Klatsch intelligenter zu nutzen als Männer: „Den Frauen war schon in Nomadenzeiten die Verantwortung für die Beobachtung und Meldung alles Fremden übertragen worden.“ Diese als Tratschsucht in Misskredit geratene Fähigkeit hatte vor allem den Zweck „des Brutschutzes“: „Im Zweifelsfall waren immer die Frauen ein Schutz der Kinder.“
Der Mensch ist das tratschende Tier. Tatsächlich handle es sich um eine grundlegende menschliche, in der Frühgeschichte des Homo sapiens evolutionär eingeprägte Fähigkeit, mit der sich das Sozialverhalten des Menschen ausgesprochen günstig entwickelt hat. Maßgebliche Forschungen auf diesem Gebiet hat der britische Evolutionspsychologe Robin Dunbar vorgelegt: Tratsch und Klatsch verbanden prähistorische Menschengruppen miteinander und halfen diesen, sich intern zu sortieren. Im Gespräch über andere Gruppenmitglieder wurden die sozialen Verhältnisse bestimmt, Allianzen und Beziehungen geschmiedet und zudem auch Werte und Normen reguliert. Die soziale Intelligenz, die sich beim Tratschen entwickelte, wurde zum evolutionären Vorteil und sei – so Dunbar – deshalb auch dem modernen Menschen eingeprägt.
Tratsch fördert Kooperationen
In einem Paper in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) konnten Forscher der Universitäten Stanford und Maryland in einer spieltheoretischen Simulation nachweisen, dass Tratsch selbst einen evolutionären Vorteil gegenüber Nichttratsch hat: Menschen, die tratschen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, miteinander zu kooperieren. Tratsch ist also auch eine Brandmauer gegen asoziales Verhalten. Und wirkt überdies körperlich meditativ. In einer kanadischen Studie, publiziert im „Journal of Personality and Social Psychology“, stieg die Herzfrequenz der Teilnehmer, sobald sie vom antisozialen Verhalten anderer Personen hörten, deutlich an. Sobald sie die Gelegenheit hatten, über dieses Verhalten selbst zu sprechen, ging der Puls signifikant zurück. Tratsch, so Studienautor Matthew Feinberg, „hilft dabei, den Körper zu beruhigen“.
Warum bewegt uns aber die Krankheitsdiagnose, der Rosenkrieg oder der Seitensprung eines Promis mehr als der der Nachbarn? Prominenz sei nun einmal „die heißeste Form der Unterhaltung, die die Gegenwart zu bieten hat“, schreibt der amerikanische Autor Neal Gabler in seinem Buch „Das Leben, ein Film“. Und die heißesten Stars seien diejenigen, die glaubhaft die Illusion vermittelten, „als würden sie für uns leben, uns ihr Leben offenbaren, für uns leiden und ihr Leiden für uns überwinden“.
Wer diesen Mechanismus so virtuos zu instrumentalisieren versteht wie etwa die Prinzessin von Wales, Lady Diana, oder die „Diva assoluta“ Maria Callas, braucht nur noch einen möglichst spektakulären und allzu frühen Tod zu sterben, um schlagartig Unsterblichkeit zu erlangen.
Ein quicklebendiges, aber dennoch furioses Beispiel, wie ein Hollywood-Star das Waffenarsenal der sozialen Medien virtuos zu den eigenen Gunsten einsetzen kann, lieferte Blake Lively, die von ihren Promotion-Fehltritten zum Film „Nur noch ein einziges Mal“ ablenken musste. War sie doch ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, weil sie die PR zu einem Film über häusliche Gewalt genutzt hatte, um ihre Pflegeproduktlinie und die Getränkemarke ihres Mannes zu propagieren. In weiterer Folge setzte Lively zu einem medialen Feldzug gegen den Regisseur und Co-Star Justin Baldoni an und bezichtigte diesen sexueller Belästigung und eines toxischen Arbeitsklimas.
Die heißeste Form der Unterhaltung
Baldoni klagt jetzt wiederum die „New York Times“, die die Anschuldigungen veröffentlichte, auf 250 Millionen Dollar. Für weitere heiße Unterhaltung (mit dem schönen Nebeneffekt für alle Beteiligten, weiter im Gespräch zu bleiben) ist also gesorgt. Eine völlig andere Attitüde pflegt dagegen Kate Moss, Supermodel mit schwerem Hang zum Rock’n’Roll-Leben. „Ich hielt mich immer an die Methode des Buckingham Palace“, erzählte sie kürzlich in einem Interview: „Beschwer dich nie und rechtfertige dich auch nie. Augen zu und einfach weiter.“
Vor der Lust nach Klatsch und dem Vergnügen daran, „anderer Leute Sünden zu beichten“, wie es der Zeichner und Dichter Wilhelm Busch nannte, schützt einen kein noch so hoher Bildungsgrad. Die ansonsten so misanthropische Virginia Woolf notierte in ihrem Tagebuch nach dem Eintreffen von Hausgästen einmal enthusiastisch: „Ich habe ein Bad im Blitzlicht genommen, kein Fleck blieb unbesprochen, fünf Stunden herrlicher Gossip.“ Auch Burgstar und Bestsellerautor Joachim Meyerhoff bekennt sich in seinem vorletzten Memoiren-Band zum Tratsch: „Über Schriftsteller wollte ich alles wissen. Da liebte ich auch Tratsch und konnte vor Freude in die Hände klatschen, wenn ich mir beispielsweise (Michel) Houellebecq auf einem Hochzeitsfoto ansah oder (Benjamin) Stuckrad-Barre wieder einmal auf einem Tisch stand.“
Ein dringendes Warnsignal gegen die vergiftende Wirkung von Tratsch deponierte jedoch Papst Franziskus bei seiner letzten Weihnachtspredigt, als er mahnte: „Tratsch ist das Böse, das soziales Leben zerstört, die Herzen krank macht und nirgends hinführt.“ Da der Vatikan ein Intrigantenbecken der übelsten Sorte sein soll, ist diese Aversion nachzuvollziehen. Aber von uns haben Sie das nicht …
Bevor die legendäre Toilettenfrau des Burgtheaters Veronika Fileccia 2023 in Pension ging, brachte sie in der verfliesten Stätte ihres Wirkens eine Art Abschiedsschreiben an. Dort stand in dicken Lettern zu lesen: „WAS AN SCHMUTZ IN LEIB UND SEELE / GAR MANCHEN MENSCHEN QUÄLE / IN DER TOILETTE SPÜLT MAN’S FORT / BEI NETTEM TRATSCH AUCH AN DEM ORT.“ Frau Fileccia hat damit den neuesten Forschungsstand über die psychohygienische Wirkung des Tratschens auf einen einleuchtenden Punkt gebracht.