Mr. Farblos

Haruki Murakami: „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki”

Literatur. Zum Hype um Haruki Murakamis neuen Roman

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Klotzen gehört zum Kerngeschäft jedes Verlags. Es scheint da nicht weiter verwunderlich, dass der Kölner Buchvertrieb Dumont den jüngsten Streich seines Stammautors in bester PR-Manier verkündet: Ein „monumentaler Roman“, der einen „Weltautor auf der Höhe seines Könnens“ zeige, so tönt es aus der Stadt am Rhein. Eine Aberhunderttausende zählende Leserschaft ist offenbar ähnlicher Auffassung.

Die japanische Originalausgabe von „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“, des neuen, nun auch auf Deutsch publizierten Romans von Haruki Murakami, ist im April 2013 erschienen. Auf dem Inselstaat verkaufte sich das Opus in nur einer Woche fast eine Million Mal – in den Buchhandlungen, die bereits um Mitternacht geöffnet hatten, herrschten harrypotterische Verhältnisse. Der Rummel um den Roman erinnert an die tumultartigen Zustände von 1987, als Murakami nach Erscheinen seines boy-meets-girl-Klassikers „Naokos Lächeln“ über Nacht zum Literatursuperstar avancierte, dessen Leben und Werk sich in das popkulturelle Kollektivgedächtnis längst eingebrannt haben.

Obwohl Murakami seit Jahren ein Leben fernab der Öffentlichkeit führt, ist über ihn erstaunlich viel bekannt: Er liebt Musik, ihm gehörte eine Jazz-Bar namens „Peter Cat“, er besitzt eine umfangreiche Plattensammlung. 1979 veröffentlichte er sein Debüt, den noch nicht ins Deutsch übertragenen Roman „Hear the Wind Sing“. Schreiben betreibt er mit derselben Disziplin wie den Dauerlauf, lang ist die Liste seiner Marathon-Teilnahmen. Murakami reiste früher gern, im Juli 1989 war er für kurze Zeit auch in Österreich zu Gast. Die anhaltende Euphorie von Publikum und Kritik um den neben Philip Roth und Bob Dylan populärsten aller Dauerkandidaten für den Literaturnobelpreis erstaunt – eben weil es sich bei seinem jüngsten Werk um einen exemplarisch misslungenen Roman handelt.

„Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ ist Komponentenliteratur, die Murakamis alte Grundthemen mischt: Erinnerung, Vergangenheit, Älterwerden, Sterben, Sein und Nicht-Sein. Mit Hilfe des Romans ließe sich nicht nur ein umfassender Index bedeutungsschwer gesetzter Worte erstellen – „Wahrheit“ und „Wunden“, „Traum“ und „Traurigkeit“, „Umbrüche“ und „Wendepunkte“ –, sondern auch der endgültige Beweis für die Erschöpfung der literarischen Meeres-Metapher für das bodenlos Innere des Menschen erbringen: Angst taucht in diesem Buch wie ein „düsterer, unheilvoller Felsen bei Ebbe“ auf, Wellen schlagen über Liebenden zusammen, der vereinsamte Protagonist des Titels lernt, „nachts allein auf dem Meer zu treiben, ohne unterzugehen“. Merke: „Sein Schmerz hatte Gezeiten.“

Auf dunklen Pfaden wandelt Tazaki, ein 36-jähriger Ingenieur, ein Mann der Professionalität, Präzision und Effizienz, durch den Tokioter Metropolenalltag – bedrückt von einem Vorfall, der vor mehr als 15 Jahren geschah. Damals wurde Tazaki von vier Studienfreunden, die „Farbenfrohen“ genannt, unerklärlicherweise verstoßen. Murakami schreibt, Tazaki sei zu jener Zeit „in den Magen des Todes gestürzt und hatte Tag für Tag in dessen dunkler, dumpfer Höhle verbracht“. Als eine Art Mr. Farblos, der Großbahnhöfe – Achtung: Symbol für die Anonymität modernen Lebens! – baut, irrlichtert Tazaki durch seine kleine Welt, flankiert von der klebrigen Erbauungsprosa des Autors: „Ein festes Ziel erleichtert das Leben.“ – „Die wichtigsten Dinge im Leben haben immer zwei Seiten.“ – „Sein Herz zu öffnen ist immer das Beste.“ Literatur als Kalenderspruch-Reservoir, von ausgesuchter Harmlosigkeit und narrativer Null-Ambition imprägniert, in pastellfarben-bukolischem Stil erzählt. Bald macht sich Tazaki auf die Suche nach den „Farbenfrohen“.

Das Resümee im Finale des Romans, der kein echtes Ende findet, lautet: „Manche Dinge wurden einem gegeben, andere wurden einem genommen.“ Dem entspricht Tazakis eigene Gefühlslage, die zwischen klirrendem Nihilismus und hohem Pathos schwankt, in einer Geschichte, in der so gut wie jeder Handlungsstrang vage verkünstelt und albern verrätselt scheint. Sein Leiden, das ihn beinah ins Grab gebracht hätte, deutet Tazaki im Rückblick so: „Es wäre kein Wunder gewesen, wenn ich damals tatsächlich gestorben wäre. Im Nachhinein weiß ich, dass ich nicht ganz richtig im Kopf war. Vielleicht hatte ich eine Neurose oder Depression. Oder eine ähnliche Erkrankung. Jedenfalls war ich damals nicht normal.“ Viel Lärm um nichts.

Haruki Murakami: Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki.Übersetzt von Ursula Gräfe. Dumont, 318 S., EUR 23,70