Hat die Beat-Lyrik überlebt?

Hat die Beat-Lyrik überlebt, Mr. Ball?

Literatur. Gordon Ball, Schriftsteller und einer der wesentlichen Zeitzeugen der Beat Generation, im Interview

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Interview: Stefan Grissemann

profil: Sie unterrichten seit 25 Jahren Literatur an einer Militärschule.
Gordon Ball: Ja, am Virginia Military Institute. Ich brauchte 1989 dringend einen halbwegs gut bezahlten Job, bewarb mich und wurde angestellt – als Colonel.

profil: Kam Ihnen das nicht seltsam vor, als Ex-Beatnik plötzlich Oberst zu sein?
Ball: Klar. Ich machte mir die Entscheidung nicht leicht. Aber ich hatte eine Familie zu versorgen – und ich war im besetzten Japan aufgewachsen, hatte mit der US-Armee also Erfahrung.
profil: Wie kamen Sie denn in Kontakt mit der Beat-Bewegung?
Ball: Als ich 15 war, begann ich mich für sie zu interessieren. Man hatte mir erzählt, dass es in Kalifornien eine Gruppe gab, die ihre Zeit damit verbrachte, Lyrik zu verfassen, Lesungen zu veranstalten, zu malen. 1960 suchte ich die Beatniks in den Straßen von San Francisco. Ich hoffte, sie in den schäbigeren Bezirken zu finden. Erfolglos.

profil: Wie trafen Sie Allen Ginsberg?
Ball: Ich lernte ihn 1966 auf einer Party in New York kennen. Der Filmemacher Jonas Mekas, für den ich arbeitete, stellte mir seine junge Kollegin Barbara Rubin vor, die bald eine meiner besten Freundinnen wurde. Sie hatte 1965 Lou Reed mit Andy Warhol vernetzt – und später mich mit Ginsberg. Sie war sehr dynamisch und traf gern kühne Entscheidungen, distanzierte sich etwa von ihrem berühmtesten Film „Christmas on Earth“ und trat zum Chassidismus über. Leider starb sie früh, mit 35, bei der Geburt ihres fünften Kindes in einer orthodoxen Kommune in Frankreich.

profil: 1968 kam in Ginsbergs Zirkel die Idee auf, man könnte aufs Land ziehen?
Ball: Ja, Ginsberg wollte mit Sympathisanten ein Haus in Upstate New York beziehen: die Cherry Valley Farm. Ich sollte dort als Verwalter arbeiten. Ich blieb drei Jahre, bis 1971.

profil: Das war eine Art Kommune?
Ball: Ja, mit dem kleinen Unterschied, dass Ginsberg alles bezahlte.

profil: Verdiente er so gut?
Ball: Ja, für einen Dichter sogar hervorragend – wenn auch die akademische Welt und der Literaturbetrieb ihm lange nicht den Respekt zollten, den er verdiente. Die alte Farm, die er gekauft hatte, lag 200 Meilen von New York City entfernt, ohne Strom und Kanalisation. Im Winter hatte es dort durchschnittlich minus 18 Grad Celsius. Kein besonders gemütlicher Ort.

profil: Sollte in der Einöde Kunst gemacht werden?
Ball: Nicht unbedingt. Die Farm war eher ein Refugium. Allen hatte eine Stiftung, die mittellosen Dichtern finanziell half. Er fand aber heraus, dass sein Geld oft nur in Alkohol und Drogen floss. Die Farm sollte daher ein Ort sein, an dem Leute wie Peter Orlovsky, Gregory Corso und Jack Kerouac eine Art Entzug machen konnten. Allen gab die Parole „no needle drugs“ aus. Peter war das eigentliche Zentrum der Farm, aber er hatte große Probleme, weil er sich ständig Amphetamine injizierte und dabei fast verrückt wurde. Aber er schaffte es dann doch, von den Drogen wegzukommen.

profil: Hat sich die Beat-Literatur als bleibend erwiesen?
Ball: Sehen Sie sich die gegenwärtige Lyrik an: überall offene Formen, Poetry-Slams, Jazz-Lesungen. In diesem Sinn haben die Beats eindeutig gewonnen.

Zur Person
Gordon Ball, geboren im Dezember 1944, ist Filmemacher, Schriftsteller, Literaturprofessor, Fotograf und einer der wesentlichen Zeitzeugen der Beat Generation, der US-Gegenkultur der 1960er- und 1970er-Jahre. 2011 veröffentlichte er „East Hill Farm“ über seine Jahre mit Allen Ginsberg. Er war diese Woche in der Wiener Schule für Dichtung zu Gast.

Foto: Peter M. Mayr