Zum Tod von Hilde Sochor

Hilde Sochor: "Ohne Fernsehen wäre ich aufgeschmissen"

Interview. Hilde Sochor über die Marotten ihres Sohns Paulus Manker

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Interview: Karin Cerny, Wolfgang Paterno

profil: Sie werden in wenigen Tagen 90 Jahre alt. Sind große Feiern geplant?
Hilde Sochor: Im Volkstheater gibt es eine Matinee, und privat lade ich rund 30 Gäste in ein Restaurant ein. Eine begeisterte Köchin war ich ohnehin nie.

profil: Sind Sie als Teenager lieber tanzen gegangen?
Sochor: Damals war ja Krieg, wir hatten doch gar nichts anzuziehen. Und nach dem Krieg war ich glücklich, dass ich endlich studieren durfte. Aber ich bin schon gern tanzen gegangen, das hat sich aber eingeschränkt, als ich meinen späteren Mann Gustav Manker kennenlernte. Der hat nicht gern und vor allem auch nicht gut getanzt.

profil: Herrschte nach dem Krieg Aufbruchsstimmung?
Sochor: Fragen Sie mich etwas Leichteres, das ist schon so lange her. Es war eher zwiespältig, denn es ging uns die ersten beiden Jahre nach 1945 schlechter als während des Krieges. Die Verpflegung war schlecht, alles von Bomben beschädigt. Aber natürlich waren wir froh, dass die Nazis weg waren.

profil: Sie traten damals zur Aufnahmeprüfung am Max Reinhardt Seminar an.
Sochor: Aber die haben mich nicht genommen. Also studierte ich Zeitungswissenschaft. Das war mir aber sehr fad, so wechselte ich zu Theaterwissenschaft und Germanistik.

profil: Wollten Sie ursprünglich Kritikerin werden?
Sochor: Ja, weil ich dachte, mit dem Schauspiel wird es nicht klappen. Das traute ich mir nicht zu. Damals hatte man ja ein anderes Schönheitsideal. Ich war als Mädchen eher rundlich. Nach dem Krieg sah ich schon besser aus. Aber eine Marlene Dietrich oder Paula Wessely war ich nie.

profil: Die Wessely war aber nicht klassisch sexy.
Sochor: Eh nicht, aber eine großartige Schauspielerin. Als ich sie in dem Film „Maskerade“ sah, wurde sie mein Vorbild.

profil: Erni Mangold meinte einmal, sie sei in jungen Jahren oft von Kollegen sexuell belästigt worden. Wie war das bei Ihnen?
Sochor: Die Erni soll nicht so tun! Ich habe mich ja nie nackt fotografieren lassen, sie war viel freizügiger als ich. Ich flirtete viel mit den Augen und meinem Witz, war aber immer sehr zurückhaltend. Belästigt wurde ich nie.

profil: Sie waren stets von Männern mit starken Egos umgeben – von Gustav Manker, der lange das Wiener Volkstheater leitete, bis zu Helmut Qualtinger. War das nicht schwierig?
Sochor: Den Quasi kannte ich schon seit 1946, aus dem Schauspielstudio der Hochschulen, er war eine tolle Persönlichkeit. Wir spielten 1969 in der Regie meines Mannes gemeinsam in „Der Talisman“. Aber die Leute verstanden die Inszenierung nicht. Sie wollten diesen zuckersüßen Nestroy. Wir aber hatten abgerissene, durchlöcherte Kostüme, Titus und Salome waren zwei Wiener Proleten außerhalb der Gesellschaft. Da wurde mir klar, was für ein radikaler Dichter dieser Nestroy ist.

profil: Haben Sie Qualtingers Genie gleich erkannt?
Sochor: Freilich! Wir waren nach der Vorstellung oft im Café „Falstaff“ bei der Volksoper – immer ein totales Besäufnis. Am nächsten Tag hingen wir müde auf der Probe herum. Nur der Qualtinger war fit und konnte seinen Text perfekt. Er hat halt viel vertragen.

profil: Sie werden gern als Volksschauspielerin bezeichnet. Geht Ihnen das manchmal auf die Nerven?
Sochor: Ich fand das früher schrecklich, ich habe doch auch in Brecht-Stücken gespielt, und natürlich Wedekind, Hauptmann, Goethe und Shakespeare. Aber mir war auch klar, dass ich vom Typ her keine Maria
Stuart bin. Heute weiß ich, dass „Volksschauspielerin“ ein Ehrentitel ist.

profil: Was macht gutes Schauspiel aus?
Sochor: Persönlichkeit und Charisma. Man muss ein Fluidum haben, das die Leute im Zuschauerraum erreicht. Im Film braucht man ein anderes Talent, da wirkt die Persönlichkeit noch viel direkter.

profil: In Ihrem Buch „Kinder, Küche, Bühne“ kritisieren Sie das „Finger im Popo“-Theater. Was ist das?
Sochor: Das hat mein Mann immer gesagt, wenn jemand auf naiv und lieb gespielt hat. Ich habe das nie gemacht, aber zur Inge Konradi meinte er einmal: „Inge, gib den Finger aus dem Popo.“ Wenn erwachsene Menschen wie kleine Kinder tun, das mochte er nicht.

profil: Gustav Manker war als Regisseur mitunter sehr zynisch. War das kein Problem für Sie?
Sochor: Gerade das hat mir an ihm gefallen. Ich bin ja auch so.

profil: Sie haben 73 Inszenierungen gemeinsam gemacht. Das muss nervenaufreibend gewesen sein.
Sochor: Es ist ja auch schön, wenn man miteinander arbeiten kann, man darf seine Streits halt nicht ins Private ziehen. Ich habe ihn oft gefragt: „Warum behandelst du mich so schlecht auf der Probe? Mit den anderen bist du viel konzilianter.“ Die Kollegen freuten sich immer, wenn ich besetzt wurde. Dann wussten sie, auf wem der Regisseur herumhacken würde. Mein Mann vertrat die Meinung: Ein begabter Regisseur holt aus den Schauspielern heraus, was er für seine Inszenierung braucht – und deckt zu, was ihm nicht gefällt.

profil: Haben die Wiener ein besonderes Talent zur Bösartigkeit, zum Abgründigen?
Sochor: Ich bin hier geboren, für mich ist der Wiener Schmäh ganz normal. Aber ein gewisser Zynismus ist natürlich wichtig. Auch ein inniges Verhältnis zum Tod.

profil: Fällt den Menschen in Wien dadurch das Sterben leichter als anderswo?
Sochor: Mich dürfen Sie das nicht fragen, ich bin ja noch nicht gestorben.

profil: Sie haben die Gründung des ORF miterlebt. Sehen Sie oft fern?
Sochor: Jeden Abend. Ohne Fernsehen wäre ich aufgeschmissen, da ich nicht mehr spiele und nur noch schwer ausgehen kann. Aber Formate wie das „Dschungelcamp“ brauche ich nicht. Das ist doch ein Dreck. Ich mag Quizsendungen. Günther Jauch hab ich gern. Nichts gegen den Assinger, aber der Jauch ist mir lieber.

profil: Werden Sie beim Bäcker noch erkannt?
Sochor: Ich geh nicht mehr einkaufen, seit ich ein kaputtes Knie habe. Vor Jahren meinte eine Verkäuferin zu mir: „Frau Sochor, was Sie einmal für eine schöne Frau waren. Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich jetzt im Fernsehen sehen?“ Vielleicht ist das ja der berühmte Wiener Humor.

profil: Würden Sie Ihre Wohnung gern öfter verlassen können?
Sochor: Komischerweise nein. Ich genieße das Pensio-nistendasein. Ich weiß mir immer etwas zu tun.

profil: Ihnen ist nie langweilig?
Sochor: Manchmal schon, wenn ich Gesellschaft habe, wenn fades Zeug geredet wird. Im Fernsehen ist das einfacher, da zappe ich einfach weiter.

profil: Sie haben drei Kinder, welche Noten geben Sie sich als Mutter retrospektiv?
Sochor: Da müssen Sie die Kinder fragen. Ich war vielleicht keine Vorzeigemutter, weil ich einen Job hatte, der mir wichtig war. Aber ich finde, ich war in beidem nicht schlecht.

profil: Über Ihren Sohn Paulus Manker schreiben Sie, er sei als Kind „eine Krätzn“ gewesen.
Sochor: Er ist aus jeder Schule geflogen. Er hat es halt nicht vertragen, erzogen zu werden. Wir wollten für unsere Kinder nur das Beste und haben sie ins Akademische Gymnasium gegeben. Der Paul ging dann lieber in die Maturaschule Roland.

profil: Waren Sie als Mutter streng?
Sochor: Einmal habe ich ihn am Küchentischbein angebunden, um ihn zum Aufessen zu bringen. Und dann habe ich vergessen auf ihn. Er hat sich mitsamt dem Tisch zur Couch geschleppt und ist dort eingeschlafen. Ich weiß nicht, ob ich das heute noch so machen würde. Aber manchmal kann man sich halt nicht anders helfen.

profil: Im Buch schreiben Sie, Paulus sei heute noch sehr kompliziert.
Sochor: Zu mir weniger, muss ich sagen, das hat sich im Lauf der Jahre gewandelt. Er ist sehr liebevoll, aber es gab auch eine Zeit, da habe ich monatelang nichts von ihm gehört. Wenn er mich heute besucht, bringt er immer Beinschinken mit, weil er keine Blumen mag.

profil: Wie finden Sie die neuen Väter, die in Karenz gehen und sich vermehrt um Kindererziehung kümmern?
Sochor: Da war mein Mann noch ein anderer Jahrgang. Der hätte keinen Kinderwagen geschoben. Als Paul einmal in der Küche stand und lernen wollte, wie man ein Schnitzel macht, da schrie mein Mann: „Wirst du sofort aus der Küche kommen. Willst du ein Simandl werden?“ Mein Mann hätte kein Kind gewickelt; wenn das Kindermädchen frei hatte und ich zur Nachmittagsvorstellung musste, fand ich die schmutzigen Stoffwindeln vor der Klotür. Aber er war ein sehr liebevoller Vater.

profil: Gibt es in Ihren Erinnerungen „die guten alten Zeiten“?
Sochor: Es ist ein Unsinn, wenn die Leute immer glauben, früher sei alles besser gewesen. Ich kann doch nicht von der guten alten Zeit reden und an den Zweiten Weltkrieg denken.

profil: Gibt es etwas, worüber Sie sich heute aufregen können?
Sochor: Über Heinz-Christian Strache und seine Partei. Ich mag aber auch diese Demonstrationen gegen den Akademikerball nicht. Die sollen diesen depperten Ball halt machen, so sind Demokratien eben.

profil: Aber es muss doch auch möglich sein, gegen rechtes Gedankengut demonstrieren zu dürfen.
Sochor: Natürlich, beides soll Platz haben. Ich habe eine Diktatur erlebt, und ich bin froh, dass wir jetzt eine Demokratie haben. Ob uns der Kanzler gefällt oder nicht, wir haben immerhin das Recht, alles zu sagen. Es geht uns großartig.

profil: Fällt Ihnen das Älterwerden schwer?
Sochor: Was soll mir denn daran schwerfallen, es kommt ja ohnehin von selber. Aber lustig ist es nicht. Ich habe mir immer gewünscht, dass ich lange lebe. Aber 90 konnte ich mir wirklich nicht vorstellen.

profil: Glauben Sie an ein Jenseits?
Sochor: Ich kann mir nicht vorstellen, dass alles aus sein wird. Ich wünsche mir, dass ich meinen Mann wiedersehe. Wir sind doch extrem beschränkt in unserem Denken. Ich habe in der Schule nichts von Atomspaltung gelernt. Damals hat das unsere Vorstellung überstiegen.

profil: Sind Sie gläubig?
Sochor: Ich bin katholisch, aber es geht mir um das Christentum. Der Katholizismus ist mir zu eng gefasst. Man kann an der Kirche vieles kritisieren, etwa dass Geschiedene nicht wieder heiraten dürfen. Aber niemand macht alles richtig, warum sollte das die Kirche schaffen?

Foto: Philipp Horak für profil