Hochmut kommt vor dem Ball

Cristiano Ronaldo: Hochmut kommt vor dem Ball

Tore, Tore, Tore – und eine hässliche Steueraffäre. Sven Gächter über den Ausnahmesportler Cristiano Ronaldo, der von seiner Einzigartigkeit nicht genug bekommen kann.

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Eine populäre Science-Fiction-Fantasie ­handelt vom perfekten Menschen: ebenmäßig in seiner Schönheit, eisern in seiner Spannkraft, unbeugsam in seiner Willensstärke, schonungslos in seiner Leidens- und Leistungsbereitschaft. Er scheut keine Herausforderung, meistert jede noch so herkulische Aufgabe mit Bravour und lässt sich von einem zwischen Andacht und Verzückung hin- und hergerissenen Publikum gebührend dafür feiern. Wäre die Welt nicht ein furchteinflößend vollkommener Ort, würde sie ausschließlich von high-end-optimierten Humanoiden bevölkert?

Cristiano Ronaldo kommt diesem Sci-Fi-Ideal jetzt schon gespenstisch nahe. Er hätte deshalb auch massive Vorbehalte gegen dessen konsequente Verbreitung. Eine unübersehbare Menge von Mutanten würde ihm nämlich die zentrale Geschäftsgrundlage entziehen – seine Einzigartigkeit. An diesem Projekt arbeitet er wie ein Besessener, seit er mit zwölf Jahren seine Heimat Madeira verließ und über die Stationen Sporting Lissabon, Manchester ­United und Real Madrid eine beispiellose Weltkarriere hinlegte. Aus dem Schmächtling wurde ein Paradeathlet, der jeden einzelnen Muskel seines Astralkörpers hingebungsvoller modelliert als seinerzeit Michelangelo die Oberflächen der ­David-Skulptur. Ronaldo hat sich mit unstill­barem Ehrgeiz und eiserner Disziplin zu einem Monument geformt, das in ­allen Lebenslagen gleichermaßen hell strahlt: auf dem Spielfeld, in den sozialen Medien, auf den Hochglanz-­Altären des Werbemarktes. CR7 erfüllt sämtliche Voraussetzungen ­einer Premium-Marke. Nachdem die traditionellen Pop­kulturträger Musik und Kino schon seit geraumer Zeit keine massentauglichen Identifikationsfiguren mehr hervorbringen und Fußball zum Leitmedium der globalen Entertainmentindustrie aufgerückt ist, amtiert nunmehr Cristiano Ronaldo unangefochten in der Rolle des weltweit umjubelten Megastars.

Überwältigende Erfoglsbilanz

Seine Erfolgsbilanz ist durchaus überwältigend. Mit Manchester United und Real Madrid gewann er viermal die Champions League, zuletzt zweimal en suite; er schoss in diesem Wettbewerb bisher 105 Tore, mehr als jeder andere Spieler vor ihm. Mit der portugiesischen Nationalmannschaft holte er im Vorjahr den Europameistertitel. Viermal wurde er zum FIFA-Weltfußballer gewählt. In seiner ­Profi- Karriere erzielte er bisher insgesamt mehr als 600 Treffer. Er verfügt über fabelhafte Fitnesswerte, selbst noch im fortgeschrittenen Fußballeralter von 32 Jahren. Seine Technik ist erstklassig, sei es im Dribbling, im Passspiel oder in Standardsituationen. Blenderallüren wie seine sinnlosen Übersteiger hat er auf ein überschaubares Ausmaß reduziert – ebenso aber auch den mannschaftsdienlichen Einsatz: Sorgte er früher auf dem linken Flügel regelmäßig für Tempo und vorauseilende Panik beim Gegner, um irgendwann pfeilschnell in die Mitte zu ziehen, lümmelt er heute vorzugsweise in Strafraumnähe und wartet scheinbar teilnahmslos auf Torchancen, die er dann allerdings mit stupendem Killerinstinkt nutzt. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei martialischen Jubelposen, in denen des Stürmers Großartigkeit gleichsam für die Nachwelt eingefroren werden soll.

Für die ganz persönliche Nachwelt wurde ebenfalls schon gesorgt: CR7 ist inzwischen dreifacher Vater. Zu Cristiano Ronaldo Jr., 6, gesellten sich Anfang Juni die Zwillinge Eva und Mateo. Sie wurden von einer Leihmutter ausgetragen – im Ronaldo-Kosmos sozusagen die radikal-narzisstische Variante des Prinzips Elternschaft.

Im Dauerduell mit seinem ewigen Antipoden Lionel ­Messi hat der stramme Portugiese inzwischen die Nase vorn. Der schlafwandlerischen Genialität des Argentiniers konnte er zwar immer nur roboterhafte Brillanz entgegensetzen, doch diese schlug sich in den vergangenen drei Jahren deutlich plastischer in Titeln und Rekorden nieder – und nicht zuletzt in monetären Richtwerten: Nach dem „Forbes“-Ranking ist Ronaldo mit einem geschätzten Jahreseinkommen von 83 Millionen Euro der bestverdienende Sportler der ­Gegenwart – vor dem US-Basketballstar LeBron James (77 Millionen), Lionel Messi (71 Millionen) und Roger Federer (57 Millionen).

Das makellose Märchen nimmt eine hässliche Wendung

Und hier nimmt das verstörend makellose Märchen auch eine hässliche Wendung. Die Staatsanwaltschaft von Madrid wirft Ronaldo vor, in den Jahren 2011 bis 2014 Steuern in der Höhe von 14,77 Millionen Euro hinterzogen und Werbeeinnahmen vorsätzlich verschleiert zu haben. Der ­Beschuldigte reagierte ganz im Stil einer Primadonna, als die er ohnehin seit jeher gilt: mit gespielter Empörung und der melodramatischen Drohung, Real Madrid und Spanien den Rücken zu kehren. Seine Bereitschaft, vor dem für Ende Juli anberaumten Anhörungstermin beim Ermittlungsrichter die fragliche Summe zu hinterlegen, will er ausdrücklich nicht als Eingeständnis eines Fehlverhaltens verstanden wissen.

Unterdessen hyperventiliert die Gerüchtebörse auf dem supranationalen Transfermarkt. In Ronaldos Vertrag mit Real Madrid wurde die astronomische Ablösesumme von ­einer Milliarde Euro festgeschrieben. Insidern zufolge ­wären die Klubverantwortlichen aber auch schon bei 200 Millionen handelswillig; zudem sollte ein neuer Verein kein gröberes Problem damit haben, in seiner Jahresbilanz die Kostenstelle CR7 mit 50 Millionen Euro Gehalt zu beziffern. Das Turbobusiness Fußball ist heute zweifellos durchgedreht ­genug, um derart aberwitzige Transaktionen anstandslos ­abzuwickeln. Der verfolgten Unschuld Ronaldo wiederum würde die süße Genugtuung zuteil, nun endgültig der ­teuerste Kicker aller Zeiten zu sein. Man gönnt ihm ja sonst nichts.

Paradoxerweise hat sich dieses Turbobusiness inzwischen so weit von der Lebensrealität der Fans abgekoppelt, dass ihre Idole selbst hochbrisante Steueraffären ohne nennenswerte Imageschäden überstehen. In den schwindligen Sphären der Fußballgötter gelten offenbar eigene Regeln, und solange die Stars dauerhaft die von ihnen erwarteten Höchstleistungen erbringen, genießen sie zumindest aufschiebende Immunität. Bis zum unwiderlegbaren Beweis des Gegenteils dürfen sie sich zu wehrlosen Opfern von Justizkomplotten und Fake-News-Kampagnen stilisieren. Und sollte am Ende der Ernstfall eintreten und Ronaldo zu einer unbedingten Haftstrafe verurteilt werden (was ihm bei ­einem Schuldspruch droht), würde sich die Kultmarke CR7 flugs in ein Märtyrer-Insignium verwandeln – und, ganz nebenbei, durch strategisch kluge Exklusivdeals mit Verlagshäusern oder TV-Stationen in handfestes Schmerzensgeld ummünzen lassen.

Beim laufenden Confederations Cup in Russland zeigt Ronaldo bislang keine akuten Zermürbungserscheinungen. In den ersten zwei Spielen der Gruppenphase schoss er ein Tor, bereitete eines vor und traf einmal die Latte. Vielleicht ist Cristiano Ronaldo, der Weltstar aus Funchal, Madeira, tatsächlich ein Außerirdischer, den es nur zufällig und für kurze Zeit auf unseren kleinen, heldensüchtigen und undankbaren Planeten verschlug. Im Übrigen gilt für die Leistungseliten wahrhaft visionärer Science-Fiction-Universen ganz bestimmt keine Steuerpflicht.

Sven   Gächter

Sven Gächter