Manifestspiele

Ja, Panik: Österreichische Band macht mit neuem Album Furore

Pop. Die österreichische Band Ja, Panik macht mit neuem Album Furore

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Wenn es Tag wird über Berlin, genauer: Sonntag, beginnen die Schlangen wieder zu wachsen. Vor den Technoclubs von Friedrichshain und Kreuzberg formiert sich dann der bunte, fieberhafte Stau in Richtung Durchmachen, Strahlen, Weiterfeiern und Immerweiterfeiern. Man kennt das Gefühl aus der Berlintourismusbroschüre, diese zeitgemäße Utopie des Unalltäglichen: Montag, was soll das?

Hin und wieder aber tut sich in der Utopie eine Lücke auf. Dann mischt sich unter die Raver ein dürrer Endzwanziger mit Trenchcoat und traurigem Blick, dem jeder ansieht, dass er hier nicht recht dazugehört. Sein Name ist Andreas Spechtl, und am Strahlen, Weiterfeiern, Montagvergessen liegt ihm nichts. Trotzdem will er da jetzt rein, in den Berliner Club Ritter Butzke, und er muss wieder einmal mit dem Türsteher diskutieren, weil der auch nach Monaten noch nicht wahrhaben will, dass dieser seltsame Typ nicht zum Feiern kommt, sondern zum Arbeiten, im Proberaum gleich hinter dem Club. Mit Stefan Pabst und Sebastian Janata bildet Spechtl die Gruppe Ja, Panik, und gemeinsam hat man hier, in einem alten Kreuzberger Industriebau, eine neue Platte aufgenommen. Sie nennt sich "Libertatia“ und wird nach menschlichem Ermessen auch die längste Afterhour-Schlange überdauern. Nicht ausgeschlossen, dass sie dereinst als Indie-Klassiker der mittleren Zehnerjahre kanonisiert werden wird, als eines dieser Alben, die das Gefühl dafür verschoben haben, was Pop sein und bedeuten kann, als ein Werk, das anno 2014 vielleicht nicht zeitgemäß, aber zukunftsgemäß war.

Experimentierfeld
Die Raver haben sich verzogen, es ist Dienstagnachmittag, als Andreas Spechtl zum Telefonhörer greift, um profil von "Libertatia“ zu erzählen, von der mythischen, sozialistischen Piratenrepublik des späten 17. Jahrhunderts, nach der die Platte benannt ist, und von dem, was Utopie und Alltag seiner Ansicht nach miteinander zu tun haben können. "Pop ist, wie alle Kunst, für uns ganz altmodisch ein Experimentierfeld, das idealerweise etwas Avantgardistisches beinhaltet, etwas, das im Alltag noch nicht funktionieren kann, dennoch einen Kommentar dazu abgibt. Aber man darf sich auch nichts vormachen. Mir ist schon klar, dass Popmusik zu den verlogensten Waren gehört. Unsere Platten gibt es halt auch auf Amazon. Aber wir versuchen zumindest, darüber zu reden.“

Nichteinverstandensein mit dem Zustand
Mit ihren bisherigen Alben, vor allem mit dem Vorgänger zu "Libertatia“, dem gründlich verzweifelten "DMD KIU LIDT“, hatte die Band, die vor bald zehn Jahren im Burgenland gegründet wurde und nach einem Wiener Zwischenspiel nun schon seit vier Jahren in Berlin lebt, ihr Nichteinverstandensein mit dem Zustand der Welt in wütenden, sperrigen Gitarrenrock gegossen, zu dem Spechtl seine anspielungsreichen Texte mal dylanesk rezitierte, mal schrie. "Libertatia“ ist anders, ist Zärtlichkeit, Optimismus, Gospel und Synthesizer. Das Nichteinverstandensein ist geblieben, nur der Umgang damit hat sich verändert.

Manifestspiele
Dazu liefert die Band auch ein künstlerisches Programm, ein Manifest. "Libertatia ist das Bewusstsein davon, dass eine andere Welt eben nicht möglich ist. Das Wiederzusichkommen nach der großen Independenthalluzination“ heißt es da. Und: "Libertatia ist übers Geld reden.“ Sowie: "Libertatia ist Klassenbewusstsein.“ Spechtl ergänzt telefonisch: "Das letzte Stück der letzten Platte hat ganz konkret nahegelegt, die Musik sein zu lassen und sich umzubringen, weil ja doch alles keinen Sinn hat. Aber irgendwann merkt man: Ich habe mich nicht umgebracht, die Band nicht aufgelöst und bin immer noch da. Anscheinend mag ich etwas an meinem Leben, am Musikmachen, an meinen Freunden. Die Gratwanderung, die uns diesmal interessiert hat, bestand darin, diesen Optimismus zuzulassen, dabei aber nicht zu suggerieren, dass wir uns mit gewissen Dingen abgefunden haben.“ Nachsatz: "Das war schon schwierig.“

Aber es ist gelungen. Wenn Ja, Panik auf dem gleichnamigen Lied "ACAB“ hauchen und den alten Hooligan-Schlachtruf "All cops are bastards“ in ein "All cats are beautiful“ hinüberretten, dann klingt die Kritik an der Staatsgewalt nur um so bitterer; und wenn sie "One world, one love“ texten, denkt man nur mit halbem Ohr an Hippies oder Bob Marley, und mit den anderen eineinhalb an eine Gemeinschaft namens Europa, die weniger Gemeinschaft als Festung ist. Man muss nicht Lampedusa sagen, um Lampedusa zu meinen. "Libertatia ist keine Enklave, keine Probebühne für die Starlets von morgen, keine schlauere Idee von den schlaueren Typen“, heißt es im Manifest zum Album, "wo wir sind, könnte immer alles sein“ im Titellied. Das bedeutet so viel wie: mit der eigenen Ratlosigkeit zurechtkommen, Grenzen sprengen und nicht immer nur im Biosupermarkt einkaufen, wenn man wieder mal Lust hat, die Welt zu verbessern. Ja, Panik sind in ihrer Post-Ja, Panik-Phase angekommen, so wie The Clash einst bei "Sandinista“ ankamen oder Paul Weller bei The Style Council. Pop, auch das ist eine Botschaft dieser Band, kann klug sein und kritisch und muss sich trotzdem nicht hinter Sperrigkeit verschanzen. Und schon gar nicht hinter den künstlichen Paradiesen des Nachtlebens à la Berlin, Sonntagvormittag. Man kann nüchtern sein und die Welt sehen, wie sie ist, ohne deshalb zu verzweifeln. Man kann falsche Hoffnungen fahren lassen und dennoch nicht hoffnungslos sein. Man kann Musik hören, die einen streichelt, und schnurren, wenn sie einem gegen den Strich geht. All cats are beautiful.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.