"Man ist grantig"

Gerhard Klösch, Schlaf-und Traumforscher an der Uniklinik für Neurologie am AKH, über die Geheimnisse des Träumens und das schlechte Image des Schlafens.

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profil: Warum träumt der Mensch? Klösch: Das bleibt ein Rätsel. Das generelle Problem der Traumforschung ist, dass wir uns an unsere Träume in der Regel nicht erinnern können. Manche Traumforscher sind sogar der Meinung, dass es einem Betriebsunfall gleichkommt, wenn wir uns an Träume erinnern. Wir berichten immer erst im Wachzustand über unsere Träume, es ist also nicht ausgeschlossen, dass das Bewusstsein die Traumerinnerung diktiert. Das Gehirn steht unter Deutungszwang.

Wir wissen, dass Personen, die mittelfristig weniger als fünf Stunden täglich schlafen, ein deutlich erhöhtes Depressionsrisiko haben

profil: Dann wären Träume nur zufällige Gehirnaktivität? Klösch: Wir wissen, dass Personen, die mittelfristig weniger als fünf Stunden täglich schlafen, ein deutlich erhöhtes Depressionsrisiko haben. Das fängt mit dysphorischen Zuständen an: Man ist grantig. In weiterer Folge leidet die emotionale Verarbeitung. Das sieht man auch bei Jugendlichen, die besonders zur Aggression neigen, wenn sie einen Schlafmangel haben. Daraus kann man die Konsequenz ziehen: Schlafmangel bedeutet Traummangel bedeutet weniger emotionale Verdauung.

profil: Es ist also doch nicht alles sinnlos? Klösch: Wir glauben, dass alle Lebewesen, die in Sozietäten leben, so etwas wie Träume brauchen, um Konfliktsituationen oder Spannungen, wie sie sich im Sozialleben zwangsläufig ergeben, verarbeiten zu können. Beweise gibt es dafür noch nicht.

profil: Ist REM-Schlaf mit Traum-Schlaf gleichzusetzen? Klösch: Als 1953 der REM-Schlaf entdeckt wurde, war das eine Sensation: Endlich war das physiologische Korrelat des Träumens gefunden! Leider war das ein Artefakt der Forschung. Man hatte einfach falsch gefragt. Wenn man Personen aufweckt und nach ihren Träumen fragt, berichten sie nach REM-Phasen von bizarren Dingen, in anderen Schlafphasen nicht. Wenn man wörtlich nach "Träumen" fragt, folgt die Antwort dem allgemeinen Verständnis von Traum: verrückt, bizarr, bunt, surreal. Solche Träume sind tatsächlich im REM-Schlaf dominant. Die Träume in anderen Schlafphasen sind dagegen eher strukturiert und rational.

profil: Schlaf gilt immer noch als notwendiges Übel, das einem die Zeit für Wichtigeres raubt. Träume sind Schäume. Woher kommt dieses Image? Früher waren Träume Gespräche mit Gott. Klösch: Im alten Ägypten war das Träumen eine nächtliche Reise, im weitesten Sinne eine Seelenwanderung, bei der auch Prophezeiungen getätigt wurden. Die antiken Griechen ließen Oneironautiker, wörtlich: Traumfahrer, göttliche Träume und deren Botschaften entschlüsseln. Traumdeuter hatten festzustellen, was einem die Götter mitteilen – über die Gegenwart und die Zukunft. Mit Freud wurde das um 180 Grad gedreht: Träume erzeugt der Mensch selbst. Soziologisch hat der Traum damit keine Bedeutung mehr, er wird Privatsache.

Heute ist öffentliches Schlafen eigentlich nur noch Randgruppen vorbehalten

profil: Und potenziell peinlich. Klösch: Genau. Dem Schlaf ist etwas Ähnliches passiert. Schlaf hat im 16. und 17. Jahrhundert noch durchaus im öffentlichen Bereich stattgefunden. Man hat auch im Kollektiv geschlafen. Erst mit dem Aufkommen des Bürgertums wurde der Schlafraum in den privaten Bereich hineingeholt. Heute ist öffentliches Schlafen eigentlich nur noch Randgruppen vorbehalten. Sandler schlafen im öffentlichen Raum.

profil: Wenn sie eine Parkbank ohne Obdachlosen-Blockade finden. Klösch: Für Manager wiederum kam Schlaf lange einer Bankrotterklärung gleich. Das hat sich verändert, es ist schick geworden, "Power-Naps" zu halten. Der Schlaf wird wieder mehr in den öffentlichen Diskurs gerückt, weil die Schlafstörungen und Schlafdefizite dermaßen zunehmen, dass man sie nicht mehr ignorieren kann. Man weiß: Schlaf ist wichtig. Ich kann ohne Schlaf nicht leistungsfähig sein, ich bin emotional nicht stabil, ich bin nicht stresstolerant. Ich habe einen Wettbewerbsnachteil. Das nimmt die Öffentlichkeit immer stärker zur Kenntnis. Der Schlaf wird neu bewertet, und damit wird auch der Traum neu bewertet werden.

profil: Wie lange soll der Mensch nun idealerweise schlafen? Klösch: Man muss das individuell abklären. Schlaf ist adaptiv. Je nach Beschäftigung sollte ich anders schlafen. So wie ich meine Ernährung je nach Beschäftigung optimiere. Ich kann mich als Buchhalter nicht wie ein Holzarbeiter ernähren. So ähnlich ist es auch mit dem Schlaf.

Wenn jemand tagsüber ein bis zwei Stunden schläft, sollte man das besser abklären.

profil: Dürfen wir Ihnen wenigstens einen Appell zum Mittagsschläfchen abringen? Klösch: Das dürfen Sie. Wir sind absolut für Schlafpausen. Aber es kommt darauf an, wie lange so ein Mittagsschläfchen dauert. Ein Kraftschlaf von 20,30 Minuten ist durchaus eine sinnvolle Sache. Aber es sollte kein Ersatz für den Nachtschlaf sein. Wenn jemand tagsüber ein bis zwei Stunden schläft, sollte man das besser abklären.

profil: Was sagt der Schlafforscher zu Arbeitszeitflexibilisierung und frühem Schulbeginn? Klösch: Ungefähr 40 Prozent der Bevölkerung sind mehr oder weniger ausgeprägte Morgen oder Abendtypen. 60 Prozent sind indifferent und können sich relativ gut anpassen. Wenn die Bedürfnisse der ausgeprägten Chronotypen im Arbeitsalltag berücksichtigt werden, steigt ihre Arbeitsleistung und persönliche Zufriedenheit. Für viele Unternehmen ist das schon jetzt ein wichtiger Faktor. Was den morgendlichen Schulbeginn betrifft, ist die Diskussion vor allem für die Oberstufe sinnvoll. Jugendliche haben einen biologischen Trend zu späteren Einschlafzeiten. Man müsste nach hinten hin flexibler sein. Davon würden 40 Prozent der Schüler profitieren.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.