Mario Testino im Interview über Männlichkeit, Instagram und Partys

Mario Testino im Interview über Männlichkeit, Instagram und Partys

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Kate Moss, die mit verschmiertem Make-up auf dem Boden eines Hotelgangs kriecht. Oder mit heruntergelassenen Hosen auf einer Toilette sitzt. Lady Di, die ohne Juwelen und vom Pomp befreit in ihr neues Leben und die Kamera lächelt. Die Session mit Mario Testino sollte die letzte vor ihrem Tod 1997 sein. Madonna, die als esoterische Lorelei auf dem Cover ihres Albums „Ray of Light“ posiert. Viele der Fotos des in London lebenden Peruaners Mario Testino haben ikonografische Wirkung.

Testino mutierte seit der Jahrtausendwende zum Auge des Glamours

Es sind vor allem Testinos Frauenbilder, die im Gedächtnis der Popkultur haften blieben. In seinem neuen Bildband „SIR“ zeigt er jedoch ausschließlich Fotos von Männern. Er nennt den Bildband sein „persönlichstes Buch“. In seinen Modeinszenierungen inszeniert er seine Models im grenzenlosen Pornochic, als Party-Ekstatiker, aber auch als melancholische Straßengeschöpfe. Er sprengt die gängigen Klischees von Männlichkeit und lässt seine Knaben als narzisstische Zwitterwesen auftreten, die High Heels tragen, dick Lippenstift auftragen und ihre langen Mähnen vor der Kamera schwingen. Stars wie Brad Pitt, Orlando Bloom und David Bowie wiederum zeigt er pur und ohne Inszenierungsbrimborium in jenem Moment, „den man nie planen kann“: abgeschminkt und abseits ihrer Posen der Unnahbarkeit. Wie sonst nur Helmut Newton, Herb Ritts und Annie Leibovitz beeinflusste der Sohn, dessen peruanische Mutter „nur zwei Dinge im Kopf hatte – Mode und Partys“, die Ästhetik der Mode- und Werbefotografie der vergangenen Jahrzehnte. Testino, in Lima in mittelständischen Verhältnissen geboren, wanderte im Alter von 25 Jahren nach London aus und erlebte die Stadt im vollen Swinging-Modus. Die Nachtclubkultur, ihre Party-Exzesse, Drogen und Grenzgänge beeinflussten die Ästhetik des zeitweilig als Kellner arbeitenden Foto-Studenten, der in seinen härtesten Zeiten ein Zimmer im Keller eines Spitals bewohnte. Eine Versace-Kampagne mit Madonna Mitte der 1990er-Jahre brachte den Durchbruch: Seither fotografiert Testino für Burberry, Versace, Calvin Klein Kampagnen und die weltbesten Modemagazine. Testino mutierte seit der Jahrtausendwende zum Auge des Glamours. Wie „SIR“ zeigt, ist er aber auch fasziniert von den Schattenseiten des Scheinwerferlichts. Und ein Meister im Einfangen jener Momente, in denen die Melancholie des „Morgens danach“ mitschwingt. Im profil-Interview spricht er über den Wandel der Männlichkeit, Instagram und die richtige Gestaltung von Partys.

profil: Sie haben erklärt, dass SIR Ihr persönlichstes Buch bis dato sei. Mario Testino: Ich arbeite nun schon eine ganz schöne Zeit an diesem Buch. Ich wollte schon lange ein Buch über meine Männer-Fotos machen, jetzt fühlte sich der Zeitpunkt richtig an. Weil ich eben schon so viel Zeit mit diesem Buch verbracht habe, spüre ich eine besondere Beziehung dazu. Außerdem bin ich ein Mann und alle Models in dem Buch sind Männer.

profil: Sie haben die Arbeiten in SIR als „eine Art Dialog mit meiner Kamera über Neugier und Freiheit“ beschrieben. Geht es etwas konkreter? Testino: Das Buch zeigt ein breites Spektrum von Männerbildern – ein Thema, das ich meine ganze Karriere lang, in vielen verschiedenen Ländern der Welt, untersucht und dokumentiert habe. Man könnte ja recht eindeutige Ansichten darüber haben, was Männlichkeit bedeutet oder wie sie aussieht. Aber wenn ich einen Schritt zurücktrete und diese Bilder ansehe, merke ich, dass die Grenzen fließend sind. Unsere vorgefertigten Ansichten von Männlichkeit sind sehr eindeutig. Mich interessiert die Befreiung von solchen vorgefassten Bildern.

profil: Hat es, nachdem Sie viele Jahre lang Superstars und Topmodels fotografiert haben, auch etwas Befreiendes, Menschen mit weniger Wiedererkennungswert abzulichten? Vergrößert das die künstlerische Freiheit? Testino: Ich fotografiere nicht nur berühmte Menschen. Ich fotografiere alles, was mich interessiert. Das kann ein Passant auf der Straße sein, ein Künstler im Atelier, ein unbekanntes Model oder die Tänzer beim Karneval von Rio.

profil: Wann und wie entstehen die Ideen für eine Fotosession? Steckt dahinter monatelange Planung oder gibt es auch Raum für Spontanes? Testino: Jedes Shooting ist anders. Einige bereiten wir lange vor, andere passieren sehr schnell. Manchmal habe ich eine Idee, mit der ich ans Set komme und entwickle sie dort weiter. In meinem Geschäft muss man beweglich bleiben. Mode verändert sich ständig, das muss man selbst auch. In der Fotografie geht es darum, den einen Moment einzufangen, den es vorher nicht gab und nachher nie wieder geben wird.

profil: Woher wissen Sie, wie ein Bild aussehen muss? Testino: Manchmal weiß man es einfach. Manchmal passiert es zufällig, und du merkst: Jetzt hast du’s. Es geht immer nur um diesen einen Moment. Natürlich muss man hart darauf hinarbeiten, damit dieser Moment überhaupt passiert – und dann auch fotografiert werden kann.

profil: Wie viele Leute arbeiten an einem Cover-Shooting für „Vanity Fair“ oder „Vogue“? Testino: Das hängt von vielen Faktoren ab. Natürlich steht ein ganzes Team hinter solchen Bildern: Stylisten, Friseure, Visagisten und so weiter. Aber manchmal sind da nur das Model, die Kamera und ich. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich mich auf meine Teams verlassen kann. Wir arbeiten ja schon viele Jahre zusammen und wissen schon, was wir zu tun haben.

profil: Träumen Sie von der Arbeit? Testino: Manchmal, ja. Wobei ich zwischen Leben und Arbeit glücklicherweise nicht trennen muss. Ich genieße das sehr.

profil: Wie viel von Mario Testino steckt in Mario-Testino-Bildern? Testino: Gefühlsmäßig sehr viel. In vielen meiner Arbeiten geht es um die Beziehung zwischen mir und dem Model. Im Moment der Fotografie wird die Kamera selbst sekundär, das Wesentliche vollzieht sich zwischen mir und dem Model – als wäre die Kamera nur zufällig dabei, um diesen Moment festzuhalten.

profil: Verhalten sich Frauen und Männer vor der Kamera unterschiedlich? Testino: Ich denke nicht. Jeder hat seine Eigenheiten, aufs Geschlecht kommt es dabei nicht an.

profil: Männer haben eigentlich immer Uniformen getragen: Früher in der Armee, später auch zur Arbeit. Heute können es sich aber sogar die strengsten Buchhalter leisten, mit buntem Schal ins Büro zu kommen. Empfinden Sie das als Fortschritt? Testino: In der Männermode gab es schon lange eine gewisse, subtile Widerspenstigkeit. Denken Sie nur an Savile-Row-Schneider, die ihre Anzüge mit einem Schuss Farbe säumen. Ich denke nicht, dass das so neu ist. Aber ich bin überzeugt, dass sich der Spielraum für Männer in modischen Fragen vergrößert. Wir sind da heute wirklich offener.

profil: Was hat sich sonst noch verändert in unserem Männerbild, seit Sie begonnen haben, als Fotograf zu arbeiten? Testino: In manchen Weltgegenden hat sich die Ansicht, was ein Mann sein muss und wie er auszusehen hat, gelockert. Das geht nun schon ein paar Jahre so.

profil: Verändert Instagram die Art, wie wir die Welt sehen? Testino: In mancher Hinsicht bestimmt. Instagram führt uns nicht nur die Geschwindigkeit unserer Welt vor Augen – wie schnell alles passiert –, sondern auch unsere Verbindung untereinander. Und es zeigt uns, wie gern wir uns mit anderen über das Medium der Fotografie verbunden fühlen.

profil: Werden wir von der Bilderflut nicht irgendwann erschlagen? Testino: Natürlich werden wir mit Bildern bombardiert, insbesondere natürlich mit Instagram. Aber mir persönlich fallen dadurch die originellen, interessanten, schönen oder nachdenklich stimmenden Bilder umso mehr auf. Auf eine gewisse Weise schärft die Bilderflut den Blick auf die wirklich guten Bilder da draußen.

profil: Ihre gute Laune ist legendär. Sind Sie jemals in mieser Stimmung auf ein Set gekommen? Testino: Ich bin auch nur ein Mensch, ich habe auch schlechte Tage. Ich kann mich aber nicht gehen lassen. Wenn ich meiner schlechten Laune freien Lauf ließe, kriegte ich keine guten Fotos.

profil: Als Fotograf sind Sie weltberühmt, als Gastgeber aber auch. Bitte um Ihren Rat: Wie schmeißt man eine fantastische Party? Testino: Schau, dass die Mischung unter deinen Gästen toll ist! Verschiedenheit ist eine der größten Freuden im Leben. Aber eine gute Party braucht auch einen guten Gastgeber, der für gute Laune sorgt.

profil: Ist Glamour das Wichtigste auf der Welt? Testino: Nein! Es gibt viele wichtigere Dinge auf der Welt. Aber Glamour hängt eng mit Spaß, Schönheit und Festlichkeit zusammen. Und das ist doch im Grunde DAS, was im Leben Freude macht.

profil: Wer oder was steht noch auf Ihrer Wunschliste? Testino: Ich halte immer nach Menschen Ausschau, die ich noch nicht kenne.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.