Mark Forster auf seinem Konzert in Wien.
Musik

Marketing Forster

Auf Mark-Forster-Konzerten findet die Gesellschaft wieder zueinander und die Ehrlichkeit zur Ironie. Eine Lobrede.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Treffen sich ein Deutschpop-Sänger aus Kaiserslautern, ein grünes Dinosaurier-Maskottchen und ein Querschnitt der österreichischen Zivilgesellschaft in der Wiener Stadthalle. Keine Pointe. Wobei – doch, vielleicht liegt sie genau darin, dass es eben ausnahmsweise einmal keine gibt. Die würde man sich hier nämlich ganz besonders erwarten. Einen ironischen Verriss, eine bitterböse Feuilleton-Analyse, die sich über alle lustig macht, die ihren Samstagabend nicht in einem schimmelnden Wiener Altbaukeller verbringen wollen, in dem sich Kunststudierende unterm Deckmantel der Performance Art Regelblut ins Gesicht schmieren. Und Achtung, wahrscheinlich verliert dieser Text genau hier seine ersten Leser:innen, er hat nämlich eine Prämisse: Manchmal sehnen wir uns nach guter Laune, nach Unterhaltung, die einem die ohnehin schon schwindende Hoffnung an die Menschheit nicht noch weiter aus dem Körper saugt. Manchmal dürfen wir uns selbst nicht so wichtig nehmen, sonst bekommt diese grundlegende Abwehrhaltung gegenüber allem, was auf Ö3 läuft, so eine spießbürgerliche Note, obwohl wir uns ursprünglich ja genau davon abgrenzen wollten.

Zurück zum Deutschpop-Sänger aus Kaiserslautern, dem grünen Dinosaurier-Maskottchen und zu der österreichischen Zivilgesellschaft. Vergangenen Samstag hat in der Wiener Stadthalle das besagte Aufeinandertreffen stattgefunden, dort haben Ironie und ehrliche Begeisterung miteinander koaliert – und herausgekommen ist eigenartigerweise ein Abend geballter Lebensbejahung. Auftritt Mark Forster – „Und die Chöre sing’n für dich (Oh-oh-oh-oh-oh-oh-oh-oh)“ – am letzten Stop seiner „Unglaublichen Mark Forster Arena Tour Show“. Es gibt Konfettikanonen, Flammenwerfer, eine volle Halle und die großen Banger der letzten zehn Jahre: „194 Länder“, „Au Revoir“, „Flash mich“.

Mark Forster auf seinem Konzert in Wien.

Mark Forster, bürgerlich Mark Ćwiertnia, steht mit Baseballmütze (Shout-out an alle Männer mit Haarausfall), schwarzer Vollrandbrille (Shout-out an alle mit Sehschwäche) und einem T-Shirt mit dem Logo des „Allgäuer Latschenkiefer Mobil Gels“ (Shout-out an das Allgäu) auf der Bühne. Er hat gute Laune, das Publikum hat gute Laune, seine Kollegen um ihn herum haben gute Laune. Alles ist herrlich harmlos und gleichzeitig herrlich ironisch. Das sieht man auch im Publikum. Da stehen Kinder mit Lärmschutzkopfhörern und Senior:innen mit Bauchtaschen in Funktionskleidung neben chronisch beschämten Teenies und coolen jungen Frauen und Männern mit „Wolf Cut“ (Hipster-Version des Vokuhilas), die ganz sicher in einer Social-Media Agentur arbeiten. Alle sind da, die ganze Gesellschaft, nur halt in klein.

Marki Forsti gegen Depressionen

Woran das liegt? Eigentlich kommt Mark Forster, Sohn einer polnischen Mutter und eines deutschen Vaters, aus dem redlichen Genre der „deutschen Popmusik“. Seine Lieder kennt man, sie werden in den deutschsprachigen Radios rauf und runter gespielt. Dementsprechend brav war sein Renommee in der Vergangenheit; Juror bei der Castingshow „The Voice Kids“, Geburtstagssong für die „Sendung mit der Maus“, Vollbart, freundliches Grinsen, ein Herz für Boomer, Mamas Schwiegersohn der Träume. Aufregend ist es um ihn erst geworden, als er um die vergangene Jahreswende herum TikTok für sich entdeckt und damit einen radikalen Imagewechsel eingeleitet hat. Die Generation Z anzusprechen, ohne dabei in die Cringe-Falle zu tappen, galt bis dahin als nahezu unmöglich, vor allem für einen vermeintlich aalglatten „Schnulzensänger“ aus dem Hauptabendprogramm.

Mark Forster hat es trotzdem geschafft. 1,5 Millionen Follower hat er mittlerweile auf der App, seine Videos verzeichnen immer mehrere Hunderttausend Aufrufe. Die Kommentare: „Mark Forster ist fr [for real] der aller coolste deutschlands“, „Ich wusste garnicht dass ich Mark Forster mag“, „mark forster wurde vom boomer zum gen z idol über Nacht gefühlt“, „Auf ein Marki Forsti Konzert zu gehen würde alle meine Depressionen heilen“, „Er ist einfach Marketing Forster“. Sein Benutzername: „markiforsti“. Wie geht das? Nun, einerseits hat Mark Forster die vorherrschende Humorfarbe auf der Plattform recht schnell verstanden. Selbstironisch, spontan, absurd. Die Generation Z kann unerbittlich werden, wenn sie eine inszenierte Online-Authentizität wittert. Da kippt der ironische Cringe, den alle abkulten, schnell in den echten. Mark Forster hat das genial austariert. Wenn er seinen Werbeclip für die „Unglaubliche Mark Forster Arena Tour Show“ über ein Video vom Handyspiel „Subway Surfers“ legt, dann mag das vielleicht wahnsinnig klingen, hat ihn aber direkt in die Herzen der unter 25-Jährigen bugsiert. Voilà: „vom boomer zum gen z idol über Nacht gefühlt“.

Auf seinen Shows merkt man das. Neben den herkömmlichen Mark-Forster-Fans steht dort jetzt eine TikTok-Ultra-Fraktion, die, um einen Kommentar zu zitieren, für den „moshpit und vibe“ kommt. Mark Forster weiß das. Durch seine ganze Show zieht sich deshalb ein ironischer Doppelboden. Da gibt es die Hits, die alle mitsingen können, quasi für die Fans der ersten Stunde – und auf einem Screen an der Seite läuft ein Video einer Hydraulikpresse, die Gummibärchen für alle Neuzugänge zerdrückt. Da gibt es die klassische „Es gibt 194 Länder, ich will jedes davon seh’n“-Lyrik, aber eben von einem schlecht angezogenen Mark-Forster-Double. Hier freut sich die Seniorin in Funktionskleidung gleichermaßen über „Chöre“ wie die Social-Media-Managerin mit Gen-Z-Vokuhila, Letztere aber vor allem, weil da gerade derart viel auf der Bühne passiert, dass man das Gefühl hat, jemand würde einem unter die Schädeldecke fahren und das TikTok-geplagte Gehirn kratzen.

Die „Unglaubliche Mark Forster Arena Tour Show“ ist in ihrer Absurdität derart genial, dass sie es schafft, zu verbinden, was bisher komplett verbindungsresistent war: Ehrlichkeit und Ironie. Das ist zum einen wirklich unglaublich und zum anderen genau das, was Unterhaltung leisten muss.

Treffen sich also ein Deutschpop-Sänger aus Kaiserslautern, ein grünes Dinosaurier-Maskottchen und ein Querschnitt der österreichischen Zivilgesellschaft in der Wiener Stadthalle. Keine Pointe.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.