„Kühe attackieren nie ohne Grund“

Martin Ott: „Kühe attackieren nie ohne Grund“

Interview. Der Schweizer Landwirt und „Kuhversteher“ Martin Ott über die Gründe für den Zorn von Kühen

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profil: Gibt es eine Erklärung für die Häufung der Kuhattacken?
Martin Ott: Die Zahl der Angriffe im Sommer war Zufall. Ein Grund ist ganz bestimmt, dass die Menschen nur mehr wenig Kontakt zu den Kühen haben. Kühe sind zwar seit 7000 Jahren domestiziert, aber haben immer noch die Verhaltensmuster von Wildtieren.

profil: Welche Verhaltensregeln sind zu beachten?
Ott: Man sollte immer frontal auf Kühe zugehen. Wer Angst hat, muss demütig auf die Kuh zugehen. Das heißt: Hände in die Hosentaschen, Kopf geneigt, Gewicht immer mehr auf ein Bein verlagern und ihnen niemals direkt ins Gesicht sehen. Falls die Kuh Angriffsanstalten macht, ist Hinaufschauen und Hände in die Höhe angesagt.

profil: Den meisten Kühen werden heute die Hörner unter Betäubung entfernt. Was hat das für Konsequenzen?
Ott: Hörner spielen eine wichtige Rolle dabei, sich selber und andere Kühe zu erkennen. Deswegen haben alte Kühe auch so einen hohen Status: Mit ihren großen Hörnern können sie sich so leicht Gehör verschaffen – wie ein Mensch mit lauter Stimme. So können Kühe aus großer Entfernung würdevoll miteinander kommunizieren und einander erkennen. Dass den Kühen die Hörner entfernt werden, stört diese Kommunikation.

profil: Wie intensiv ist die Beziehung zu einer Bezugsperson?
Ott: Bei guter Beziehung adoptieren Milchkühe den Menschen als ihr Kalb. Je näher die Beziehung, desto mehr Milch gibt sie. Wenn die Beziehung aber distanziert ist, wie in den immer größer werdenden Betrieben, sehen Kühe den Mensch nur dann, wenn er ihnen das Kalb wegnimmt. Wenn dann ein Wanderer durch die Alm geht, glauben Kühe, dass er hinter ihrem Kalb her ist und gehen auf ihn los. Kühe attackieren nie ohne Grund.

profil: Wirkt sich die künstliche Besamung auf die Psyche der Kühe aus?
Ott: Der Stier ist ein wichtiges Sozialisierungswerkzeug. Im Moment ist es so, dass, wenn die Kuh brünftig ist, sie vom Stier weggenommen und künstlich besamt wird. Daher nimmt der Stier den Menschen als Gegner wahr, der ihm die Frau ausspannt. Ich halte Stiere und Kühe immer zusammen. Die zwei Tage lang, in denen die Kuh heiß begehrt ist und der Stier sie nicht aus den Augen lässt, nehme ich den Stier auch mit zum Melken. So sieht er, dass sie nicht begattet wird und ist zufrieden. Stiere sind keine Kampfmaschinen. Sie sind sehr effizient, mit einer zugrunde liegenden Faulheit. Das gleiche Prinzip kann man bei Männern beobachten.

profil: Was können Menschen von Kühen lernen?
Ott: Kühe sind harmonisch, ausgeglichen und im Takt. Menschen, die mit Kühen leben, haben einen soliden Rhythmus. Und das ist etwas, das immer mehr Menschen fehlt und zu Verlorenheit führt. Ich mache Therapien mit Kühen und merke, wie sehr sie Menschen helfen, einen Rhythmus zu finden. Die Kuh stellt die absolute Balance dar: acht Stunden frisst sie, acht Stunden kaut sie wieder. Sie ist im ständigen Gleichgewicht zwischen Explosion und Leistung.