Das Migranten-Magazin "Biber" feiert Geburtstag

Im Herbst 2006 erfand Simon Kravagna ein neues Leitmedium für Migranten-Communities. Zehn Jahre später hat der "Biber“-Chef einiges zu feiern - und ein paar Worte für den Integrationsminister.

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Im ersten Prototypen war schon alles drin, was ein gutes "Biber“ bis heute ausmacht: eine heiße Serbin auf dem Cover, Reportagen über die Raserszene am Gürtel und Wiener Galatasaray-Fans sowie der Leitfaden "Balkan, aber richtig“ - erklärt von Menschen, die es wissen müssen, weil sie auf der Ottakringer Straße niemals in Richtung Biobauernmarkt gehen würden, sondern fix in die Jugodisco. Und sich eben genau als Jugos sehen und ernst nehmen. Aber andererseits auch nicht, zumindest nicht immer.

Als der damalige "Kurier“-Journalist Simon Kravagna 2006 das Magazin "Biber“ entwickelte (dessen Titel keineswegs tierisch gemeint ist, sondern auf Serbokroatisch "Pfeffer“ bedeutet und auf Türkisch "scharfe Paprika“ meint), stieß er nicht nur in eine Marktlücke vor. Er beackerte vielmehr ein völlig neues Feld, machte als Erster in Österreich echten, also lebensnahen Lifestyle-Journalismus für "neue Österreicher“. So nennt es "Biber“ selbst. Integration ist hier natürlich ein Thema, aber eines, das man auch mal locker nehmen kann, vielleicht sogar ironisch.

Szenekundig, lustig, provokant

Was der "Wiener“ den Kindern der 1980er-Jahre war, ist "Biber“ den Brunnengassen-Kids: Leitmedium, Lebensstilbibel, Szeneblatt. Mit seinem Team aus serbischen, türkischen, bosnischen Jungjournalistinnen und -journalisten (vor allem aber Ersteren; Frauen prägen "Biber“ seit seinen Anfängen) entwickelte Kravagna eine bestechende Mischung: goschert, szenekundig, lustig, ziemlich sexy und gern auch mal provokant, wie etwa in der legendären, politisch definitiv unkorrekten Coverstory über "Mischlinge“ oder einer nicht minder umstrittenen Geschichte über "Sex im Islam“. Man kann das als modernen Gonzo-Journalismus feiern oder als Spiel mit Klischees abtun, muss aber jedenfalls anerkennen, dass "Biber“ in sich sehr schlüssig funktioniert. Auch für Schwabos übrigens, wobei es zu den zentralen Errungenschaften von "Biber“ gehört, dass inzwischen sogar diese wissen, dass sie überhaupt so heißen. (Wissen Sie nicht? Schwabos sind, derb gesagt, die Wiener "Einheimischen“; abgeleitet wird der Begriff von den deutschsprachigen Donauschwaben am Balkan).

Natürlich kam "Biber“ auch genau zur richtigen Zeit und war dieser dabei auch noch regelmäßig voraus. Weil man eben in den türkischen, serbischen, afghanischen Communities verwurzelt ist, hatte man den Vorteil, Themen, die irgendwann das ganze Land bewegen sollten (Radikalisierung, Burkinis, islamische Kindergärten) schon sehr viel früher und zugleich auch noch wesentlich authentischer, nämlich sozusagen von innen heraus zu behandeln.

Sprachrohr in zwei Richtungen

Zehn Jahre "Biber“ lassen sich denn auch als ökonomische Erfolgsgeschichte erzählen. "Biber“, dessen Auflage von derzeit knapp 70.000 Stück vollständig gratis vertrieben wird, funktioniert nämlich als Sprachrohr in zwei Richtungen, also auch für Politik und Privatwirtschaft, falls diese mal mit "neuen Österreichern“ in Kontakt treten wollen. Kravagna hat das "Community-Marketing“ zwar nicht erfunden, aber auf dem österreichischen Markt recht effektiv etabliert (und bisweilen auch etwas offensiv betrieben, wie etliche sehr gefällige Interviews mit amtsführenden Stadträtinnen oder Anzeigenkundenvertretern zeigen). Wenn der Wiener Bürgermeister seine Street Credibility in Ottakring oder Favoriten erhöhen will, geht er mit "Biber“ auf ein Börek ins "Ghetto“ oder bringt via Inseratenkampagne die städtische Lehrlingsoffensive an die Zielgruppe. Auch das Integrationsministerium vertraut gern auf die Glaubwürdigkeit des "Biber“, Bundesheer und Wirtschaftskammer sowieso. Aber Integration ist halt keine Einbahnstraße. Man wächst aneinander - beziehungsweise: zusammen.

In diesem Sinne eine Erkenntnis für Schwabos, entnommen dem aktuellen Jubiläums-"Biber“: Was ist das Gegenteil von "mit scharf“? Mit ohne scharf.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.