Ein schwarz-weißes Foto von einer Brickerl-Verpackung.

Der Tiefkühl-Kompromiss

Das Brickerl war eine beständige Säule innerfamiliärer Neutralitätspolitik. Jetzt nimmt es Eskimo aus dem Sortiment. Würdigung eines Eises, auf das sich am Ende alle einigen konnten.
Eva Sager

Von Eva Sager

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Man sagt, schlechte Nachrufe beginnen mit einem „Ich“. Also anders: Mein kleiner Bruder war drei Jahre alt und Wassereis gegenüber skeptisch. Da konnten weder Jolly noch Twinni langfristig etwas ausrichten und überhaupt war die Diskussionsgrundlage in der Schlange zum kleinen Kiosk im Freibad immer eher angespannt. Eine derartige Situation birgt, das weiß man als älterer Geschwisterteil, eine diplomatische Herausforderung: Das Budget ist knapp, zwei Euro, die Eigeninteressen der damit betrauten Parteien divergieren massiv und der kleine Bruder hat keine Intention, eine gemeinsame Strategie zu verfolgen, um so viele Süßigkeiten wie möglich zu erwirtschaften. Es braucht also einen Kompromiss und die Bedingungen dafür sind alles andere als gut. Zum einen brennen einem die aufgeheizten Waschbetonplatten gerade die erste Hautschicht von den Fersen, zum anderen schreien alle herum, Kinder gleichermaßen wie freizeittraumatisierte Eltern und arbeitstraumatisierte Kioskverkäuferinnen, irgendwann auch der kleine Bruder, weil er das Konzept einer Warteschlange noch nicht verstanden hat. Es gilt dennoch: Ruhe bewahren. Am Ende kauft man ihm dann einfach ein Brickerl. Schokolade gehüllt in Schokolade ist schließlich ein kulinarischer Klassiker, funktioniert bei der Sachertorte ja genauso gut, außerdem ist das Eis kostenschonend, das heißt, es bleibt einem noch genug Geld für eine Gummischnur.

Jetzt ist damit Schluss. Der Hersteller Eskimo hat verkündet, das Brickerl aus dem Sortiment zu nehmen. Gründe seien die geänderte Nachfrage seitens der Kund:innen und der begrenzte Platz in den Kühltruhen. In einem Statement gegenüber der APA heißt es: „Das Brickerl, wie wir es heute kennen, gibt es seit 1973. Nach dieser langen Zeit fällt ein solcher Schritt natürlich nicht leicht.“

Damit verlässt eine beständige Konstante die österreichischen Tiefkühltruhen. Das Brickerl war nämlich nicht nur für den kleinen Bruder im Freibad da; auch später, als einem gentrifizierte Eissalons Bärlauch-Rhabarber-Sorten um jeweils sieben Euro die Kugel schmackhaft machen wollten, konnte man sich getrost auf das Brickerl verlassen. Es war ein loyaler Begleiter, unaufgeregt, sich seiner selbst bewusst und ehrlich. Ein Brickerl hat immer gehalten, was es versprochen hat. Es hat sich nie angepasst, wollte nie mehr sein, als es war und war damit genau das, was Österreich gebraucht hat.

Ich glaube, ich kann mich an meinen kleinen Bruder ohne verschmierten Brickerl-Mund gar nicht mehr erinnern. Mittlerweile ist er 20 Jahre alt. Ich weiß trotzdem nicht, was ich ihm beim nächsten Freibadbesuch kaufen soll.

Eva Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Gegenwart.