Nina Proll

Nina Proll: "Das nennt man Prostitution"

Die Schauspielerin Nina Proll entfachte mit ihren Aussagen über die #MeToo-Welle einen Empörungssturm auf Facebook. Ein Gespräch über die Krise der Männer und das Recht der Frauen, sexistisch zu leben.

Drucken

Schriftgröße

INTERVIEW: ANGELIKA HAGER

profil: Wie fühlt sich das Leben nach der Meinungsjustiz in den sozialen Medien an? Proll: Gut, ich lebe ja in Tirol. Da bist du sowieso in einer Art Leo. Gestern Abend haben mein Mann und ich dann doch noch den Computer aufgedreht. Und wir haben einmütig festgestellt, dass wir uns schon lange nicht mehr so amüsiert haben. Abgesehen davon ist es mir wirklich egal, was Menschen, die ich nicht kenne, über mich denken und sagen.

profil: Tut einem der Hass, der einem da entgegenschlägt, nichts? Proll: Es ist ja nicht nur Hass, der Großteil der Meldungen ist ja positiv.

profil: Da haben wir eine unterschiedliche Wahrnehmung. Was hat Sie so an den Reaktionen amüsiert? Proll: Dieser leichtfertige, nahezu inflationäre Umgang mit dem #MeToo, was jetzt ja fast schon ins Kabarettistische kippt. Da ist viel Scheinheiligkeit und Verlogenheit im Spiel. Viele von denen schwimmen da mit und machen sich wichtig, ohne je tatsächlich eine Belästigung erfahren zu haben. Und das ist respektlos und verhöhnt eigentlich jene Frauen, die tatsächlich etwas Schwerwiegendes erlitten haben und es vielleicht gar nicht auf Facebook posten.

profil: Mit schwerwiegend meinen Sie eine Vergewaltigung? Proll: Ja, oder eben Nötigung. Wenn eine Berliner Staatssekretärin (Anm. Sawsan Chebli) angibt, dass sie unter Sexismus- Schock stehe, weil sie bei einer Konferenz von einem Mann sinngemäß mit den Worten "Ich wusste gar nicht, dass eine Staatssekretärin so jung und hübsch sein kann" angekündigt wurde, dann kann ich mir nur an den Kopf greifen. Ich würde mich prinzipiell schämen, eine verbale Entgleisung mit einem strafrechtlichen Delikt gleichzusetzen. Und bei #MeToo läuft alles in derselben Kategorie. Ein Griff aufs Knie vor 20 Jahren wird gleichgesetzt mit schweren, langfristigen Übergriffen. Damit tun Frauen sich keinen Gefallen, denn irgendwann kommt der Punkt, wo das inflationär wird und es eben niemand mehr ernst nimmt.

profil: Dieser Kommentar über die Staatssekretärin wäre in den 1950er-Jahren niemandem aufgefallen, aber mit heutigem Bewusstseinsstand ist er wirklich voll daneben. Proll: Finde ich nicht, er spiegelt lediglich die Meinung dieses Mannes wider. Dass die rückschrittlich und blöd ist, mag sein. Aber warum kann diese Staatssekretärin den Typen nicht vor Ort in die Schranken weisen, sondern muss mit der Unterzeile "Unter Schock" das später auf Facebook posten? Wenn wir Frauen von den Männern auf Augenhöhe behandelt werden wollen, müssen wir auch aufhören, uns wie schüchterne, verängstigte Wesen zu benehmen, die sich nicht oder nur sehr verzögert in der Herde wehren können.

Wir müssen uns auch von diesem Mythos des mächtigen Mannes verabschieden. Kein Mann ist so mächtig, dass er über Leben und Tod einer Karriere oder Existenz entscheiden kann.

profil: Im Fall Harvey Weinstein erklärten viele seiner Opfer ihr jahrelanges Schweigen mit der Angst, in Hollywood sonst keinen Fuß mehr in die Tür zu kriegen. Proll: Ist oder war Herr Weinstein der einzige Produzent in Hollywood? Da gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende. Da ein Abhängigkeitsverhältnis als Argument zu bringen, ist verlogen. Und wenn diese Frauen behaupten, sie wären von ihm anfangs zu Oralsex gezwungen worden, aber hätten danach regelmäßig und oft über Jahre einvernehmlichen Sex gehabt, damit ihnen keine Karrierenachteile entstehen, dann kann ich nur sagen: Dafür gibt es einen Namen, das nennt man nämlich Prostitution. Das ist ein Deal zwischen beiden Beteiligten. Dagegen ist auch nichts zu sagen, nur darf man sich nachher nicht darüber beschweren, dass man traumatisiert ist. Außerdem: Es muss ja nicht jede Frau Schauspielerin werden, es gibt da tatsächlich auch noch eine Menge andere Berufe.

profil: Ob die alleinerziehende Verkäuferin, deren Existenz am Spiel steht, sich auch traut, sich gegen die Grapschereien ihres Vorgesetzten zur Wehr zu setzen? Proll: Wir müssen uns auch von diesem Mythos des mächtigen Mannes verabschieden. Kein Mann ist so mächtig, dass er über Leben und Tod einer Karriere oder Existenz entscheiden kann. Es gibt - Gott sei Dank - Gesetze, strafrechtliche Verfolgung bei Belästigung. Keine Frau muss bei uns irgendeine Form von Grapscherei oder sexueller Belästigung ertragen. Und wer das dennoch behauptet, lügt. Wir leben in Europa. Im Gegensatz zu afghanischen oder afrikanischen Frauen, die natürlich geschützt werden müssen, haben wir alle Freiheiten und Möglichkeiten, uns zur Wehr zu setzen und Männer in die Schranken zu weisen.

profil: Möglicherweise leben Sie in einer etwas abgehobenen Blase, in der man wenig von den gesellschaftlichen Problemen der Durchschnittsbevölkerung weiß. Proll: Nein, ich bin nicht nur mit Künstlern befreundet, sondern auch mit vielen Frauen, unter denen Supermarktkassiererinnen, Krankenschwestern oder Musiklehrerinnen sind. Und keine von denen musste sich je am Arbeitsplatz betatschen lassen.

profil: Sie haben für Ihre Aussagen Applaus von Männern bekommen wie Felix Baumgartner, einer Art Gabalier des Extremsports, aber auch die Facebookgruppe "Stolze FPÖ-Wähler" bedankte sich bei Ihnen für Ihren Mut. Proll: Auch das ist mir völlig egal. Nichts, was die oder Armin Wolf, der sich über mein Posting per Twitter echauffiert hat, über mich schreiben, sagt etwas über mich aus. Mein Selbstbewusstsein und mein Selbstwert bestimmen sich nicht über Aussagen, die irgendwelche Männer über mich tätigen. Das ist ja auch oft das Problem von Frauen: Dass sie ihren Selbstwert oft nur aus der männlichen Wahrnehmung ableiten.

Kein Mann fühlt sich wegen der sexuellen Annäherung einer Frau in seiner Würde verletzt.

profil: Verlagern wir das Problem einmal weg von den Frauen: Sollte ein Mann im fortgeschrittenen 21. Jahrhundert nicht fähig sein, einen Übergriff von einem Kompliment unterscheiden zu können? Proll: Ich glaube nicht, dass Männer tatsächlich dazu in der Lage sind. Weil Sex für sie nicht so emotional aufgeladen ist wie für Frauen. Kein Mann fühlt sich wegen der sexuellen Annäherung einer Frau in seiner Würde verletzt. Wenn ich einem jüngeren Kollegen, nur mit einem Bademantel bekleidet, die Tür meines Hotelzimmers öffne und ihn zum oralen Sex zwinge, fühlt er sich mit Sicherheit nicht entwürdigt oder traumatisiert, sondern wird diese Episode bestenfalls als amüsanten Fauxpas in Erinnerung behalten. Männer empfinden nun einmal anders als wir. Somit merken sie auch nicht, wenn sie über das Ziel hinausgeschossen sind.

profil: Es gibt aber sehr wohl Männer, die sich von Frauen auch tatsächlich sexuell missbraucht fühlen. Missbrauch kommt ja nicht nur zwischen Arbeitnehmern und Chefinnen, sondern auch zwischen Söhnen und Müttern vor. Proll: Das weiß ich, aber das ist krank und fällt deswegen für mich in eine andere Kategorie. Abgesehen von diesen Extremfällen: Für mich gilt immer: Wenn du etwas verändern willst, musst du bei dir selbst beginnen. Dein Verhalten ändern. Und dich sofort zur Wehr setzen, nicht Jahre später.

profil: Der Sturm der Entrüstung, den Ihr Posting nach sich zog, hat auch mit der Passage zu tun, dass Sie noch nie sexuell belästigt worden sind, was besonders in der Film-und Theaterbranche schwer vorstellbar ist. Proll: Ja, auch wenn mir das anscheinend niemand glaubt: Es ist mir tatsächlich noch nie passiert. Klar gab es das eine oder andere Mal einen Regisseur, der offensichtlich auf mich gestanden ist und es versucht hat. Aber wenn ich nein gesagt oder signalisiert habe, war es dann auch schon wieder vorbei. Und Belästigung ist es für mich nur dann, wenn ein Nein nicht akzeptiert wurde. Man muss auch in dieser Branche weder einen Produzenten massieren, noch den Penis irgendeines Regisseurs in den Mund nehmen. An dieser Stelle muss ich auch all die Regisseure und Produzenten in Schutz nehmen, mit denen ich je gearbeitet habe. Nie fühlte ich mich bedrängt oder belästigt. Und trotzdem kann ich von meinem Beruf sehr gut leben. Ich hatte aber auch in meinen Anfängen durchaus harte Zeiten und war ein "No Name". Ich würde sagen, zwei Drittel der Rollen, für die ich vorgesprochen habe, habe ich letztlich nicht bekommen. Und außerdem: Auch Männer sind abhängig von Machtverhältnissen: Auch mein Mann (Anm.: Gregor Bloéb) ist abhängig davon, ob sein Gesicht dem Regisseur oder der Regisseurin passt oder die Sendungsverantwortlichen ihn gut finden. Wenn die Konsequenz von all dem ist, dass Erotik und Sex am Arbeitsplatz nichts mehr verloren haben, wird bald gar nichts mehr möglich sein.

profil: Wie meinen Sie das? Proll: In kreativen Prozessen schwingt ja auch immer das Spiel zwischen Mann und Frau mit. Daraus entsteht ja auch was. Und wenn das alles unter Sexismus fällt und nicht mehr möglich ist, wird es die Fernsehsendung "Willkommen Österreich" mit all ihren sexistischen Witzchen nicht mehr geben dürfen, oder Komödien wie "Fack ju Göhte".

profil: Oder "Anna Fucking Molnar", Ihren neuen Film, in dem Sie nicht nur die Hauptrolle spielen, sondern für den Sie auch das Drehbuch geschrieben haben. Die Titelheldin ist ja durchaus sexistisch gepolt. Proll: Ganz genau und sehr bewusst. Anna Molnar erlaubt sich, genauso sexistisch zu leben, wie Männer das auch tun. Sie gestattet sich, den Mann auf das Geschlechtliche zu reduzieren.

Wenn junge Frauen nur so tun, als wollen sie Sex, aber in Wahrheit einen Mann suchen, mit dem sie Kinder kriegen können, dann ist das sicherlich die falsche Strategie.

profil: Sehr ähnlich wie Samantha, die Männerfresserin aus "Sex and the City", die ja auch einen sexuellen Appetit auf Feuerwehrmänner entwickelte. Proll: Ich wollte mit der Geschichte den Spieß umdrehen und eine Frau zeigen, die sexuell selbstbestimmt durchs Leben geht und kein Opfer ist. Die nimmt sich eben, wonach ihr ist, und sagt: "Ich will jetzt einfach vögeln." Und denkt sich dabei: "Es ist mir wirklich egal, ob du mich morgen dann auch noch einmal anrufst."

profil: Sie sind Mutter von zwei Buben, aber ist das Frauenbild, das hier transportiert wird, nicht problematisch für die nächste weibliche Generation? Proll: Es ist eine Möglichkeit von vielen. Wenn junge Frauen nur so tun, als wollen sie Sex, aber in Wahrheit einen Mann suchen, mit dem sie Kinder kriegen können, dann ist das sicherlich die falsche Strategie. Wenn ich aber das volle Programm von Ehe, Kinder und Scheidung hinter mir habe, kann das durchaus ein reizvoller Lebensentwurf sein.

profil: Das Objekt Ihrer Filmbegierde reagiert angesichs der Sexualoffensive Ihrer Figur mit Erektionsstörungen. Proll: Auch das ist ganz bewusst so erzählt und nicht nur ein Gag. Natürlich müssen Frauen, die so wie Anna Molnar leben, auch für ihre sexuelle Freiheit einen Preis zahlen. Denn viele Männer fühlen sich von solchen Frauen logischerweise überfordert oder haben Angst. Und eine Konsequenz davon ist Impotenz. Oder eben, dass diese selbstbestimmten Frauen nicht den Partner finden, der ihnen auf Augenhöhe begegnen möchte, und sie Single bleiben.

profil: Sie sind seit neun Jahren mit Gregor Bloéb verheiratet. Wie gestaltet sich Ihr Familienalltag, die Organisation von Beruf und Kindern? Proll: Das ist ein ständiges Verhandeln. Manchmal bleibe ich dabei auch auf der Strecke. Aber ich habe in meiner Ehe eines gelernt: Man fährt am besten, wenn man Männer genauso behandelt, wie sie einen selbst behandeln. Wenn mein Mann ankündigt, dass er morgen auf die Jagd geht, fange ich nicht an, mich zu beschweren, dass das jetzt so kurzfristig ist etc., sondern stehe ein paar Tage später auch da und erkläre: "Morgen fahre ich nach Wien." Und wenn meine Kinder dann mit einem schmutzigen Gewand oder ohne Jausenbrot in die Schule gehen, dann muss mir das auch egal sein. Aber wir haben natürlich auch ein Au-pair-Mädchen, anders wäre das mit unseren Terminplänen nicht zu bewältigen.

Das männliche Geschlecht ist geschwächt. Es gibt keine Kerle mehr.

profil: In der Wissenschaft und in den Medien ist oft von der Krise der Männer die Rede. Sehen Sie die auch? Proll: Absolut. Das beobachte ich auch in meinem nächsten Umfeld. Das Gros der Männer weiß gar nicht mehr, wie es sich Frauen gegenüber verhalten soll. Das männliche Geschlecht ist geschwächt. Es gibt keine Kerle mehr. Das hat mit der Emanzipation zu tun, aber auch mit dem Auseinanderbrechen von familiären Strukturen. Nun haben wir den von starken Frauen domestizierten Mann, der Halbe-Halbe macht und uns respektvoll zuhört, aber jetzt will keiner mehr mit ihm spielen.

profil: Ihr Mann und Sie haben Sebastian Kurz unterstützt? Proll: Moralisch. Wir waren nicht Teil eines Komitees, denn als Künstler sollte man sich meiner Meinung nach neutral verhalten. Aber ich finde Kurz extrem beeindruckend und halte ihn für ein ganz großes politisches Talent. Ihn als Populisten zu bezeichnen, wie das viele tun, halte ich für daneben. Die Meinungen, die er geäußert hat, waren oft alles andere als populär. Nur haben sie viele seiner Kritiker später oft auch selbst aufgegriffen.

profil: Wie würden Sie Ihr Weltbild beschreiben? Proll: Ich bin glühende Europäerin.

profil: Aber die ideologische Ausrichtung: konservativ, liberal, Mitte, links? Proll: Wirtschaftsliberal und Mitte. Ich bin Unternehmerin und nicht Beamtin im Staatsdienst.

profil: Führt Ihre Mutter ein emanzipiertes Leben? Proll: Sie ist auch Unternehmerin, zwei Mal geschieden, und ich würde sagen, jetzt führt sie ein sehr selbstbestimmtes Leben.

profil: Gibt es eine Weisheit, die sie Ihnen mitgegeben hat? Proll: Dass keine Frau in einer Ehe oder einer Situation verharren muss, wenn sie darin unglücklich ist.

Nina Proll, 43, erregte Ende Oktober unter #notme die Gemüter mit einem Facebook-Posting, das sie mit dem Satz eröffnete: "Warum bestehen die Feministinnen eigentlich immer darauf, dass sie Opfer sind?" Proll ist neben Maria Köstlinger und Martina Ebm einer der Stars der ORF-Erfolgsserie "Vorstadtweiber", deren dritte Staffel Anfang Jänner ausgestrahlt wird. Proll, die mit ihrem Mann Gregor Bloéb und ihren beiden Söhnen in Tirol lebt, gab jetzt ihr Drehbuch-Debüt mit dem Film "Anna Fucking Molnar" (Kinostart: 24. November), in dem sie auch die Titelrolle spielt. Der Film ist ein Cocktail aus "Notting Hill" und "Sex and the City": Die Schauspielerin Anna Molnar versucht ihre Lebenskrise mit einem Feuerwehr-Proll (Murathan Muslu) zu lindern. Nach diversen Missverständnissen kommt es, wie es in diesem Genre immer kommt. Zwar ziemlich klischeegeladen, aber durchaus amüsant, was auch an der Edelbesetzung legt: Großartig Robert Palfrader als Burnout-Psychiater und Markus Schleinzer als schmieriger Filmregisseur.

Mehr zu diesem Thema

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort