Wenn er einem Ball nachläuft, dann erwischt er ihn auch. Einfach, weil er es will.
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Novak Djokovic: Der Unmögliche

Novak Djokovic ist der erfolgreichste Tennisspieler aller Zeiten – und abseits des Sports oft total daneben. Er glaubt nicht an die Schulmedizin, dafür an die Überlegenheit des serbischen Wesens, und feiert nationalistische Attentäter. Wird der Tennis-Trump untragbar?

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Der serbische Tennisspieler Novak Djokovic ist 188 Zentimeter groß und 77 Kilogramm schwer. Seine Beine sind schneller als sein Schatten, seine Hände arbeiten mit Lichtgeschwindigkeit. Er spielt Tennis wie kaum jemand vor ihm und erfolgreicher als alle anderen, jemals. Mit seinen 36 Jahren ist er am Platz beweglicher als die meisten 23-Jährigen. Wenn Novak Djokovic einem Ball nachläuft, dann erwischt er ihn auch. Weil er es will. Er hält alle Rekorde, die im Profi-Tennis zu vergeben sind. Im Lauf seiner Profikarriere, die vor 20 Jahren begann, hat er über 175 Millionen US-Dollar an Preisgeldern eingenommen. Von 1288 Profimatches hat er 1077 gewonnen. Er ist ein gläubiger serbisch-orthodoxer Christ, verheiratet und Vater zweier Kinder. Er mag Hunde. Auf sein Brustbein klebt er bei wichtigen Spielen einen sogenannten „TaoPatch“, der laut Hersteller „Nanokristalle“ enthält, die die Körperwärme in „Lichtwellen“ verwandelt, die wiederum „helfen, das Zentralnervensystem in Balance zu bringen“. Sein autobiografisches Buch „Siegernahrung“ trägt den Untertitel: „Glutenfreie Ernährung für Höchstleistung“.

Von 1288 Profimatches hat er 1077 gewonnen. Er ist ein gläubiger serbisch-orthodoxer Christ, verheiratet und Vater zweier Kinder. Er mag Hunde. Auf sein Brustbein klebt er bei wichtigen Spielen einen sogenannten „TaoPatch“, der laut Hersteller „Nanokristalle“ enthält, die die Körperwärme in „Lichtwellen“ verwandelt, die wiederum „helfen, das Zentralnervensystem in Balance zu bringen“.

Und manchmal postet er in den sozialen Medien Dinge, die man als gewöhnlicher Tennisfan lieber nicht gesehen hätte. Gerade war es wieder einmal so weit. In einer Instagram-Story zeigte Djokovic (alias: „Djokernole“) am 28. September ein Bild von einer Gedenkfeier in einer Belgrader Kirche. Dort wurden jene drei serbischen Attentäter geehrt, die bei dem Angriff auf kosovarische Polizeikräfte am 24. September starben. Djokovic kommentierte das Bild mit drei Emojis, die je nach Deutung Dankbarkeit oder betende Hände darstellen können; der kosovarische Fußballverband reagierte seinerseits mit Kotz-Emojis.

„Kosovo ist das Herz Serbiens“

Es war nicht der erste Ausfall Djokovics in diese Richtung. Nach seinem Erstrundensieg beim diesjährigen French Open gegen den US-Amerikaner (mit serbischen Wurzeln) Aleksandar Kovacevic schrieb er beim traditionellen Kamera-Signing „Kosovo ist das Herz Serbiens. Stoppt die Gewalt!“ auf den Screen. Das kann man als Aufforderung zur Völkerverständigung lesen oder als nationalistische Provokation, in einer Pressekonferenz mit serbischen Medien betonte Djokovic anschließend einfach beides: „Ich bin gegen Kriege, Gewalt jeder Art, (aber) Kosovo ist unser Herz, unser Bollwerk, unsere wichtigsten Klöster sind dort.“

Djokovics typische Formation ist der Angriff aus der Defensive heraus; in höchster Bedrängnis gelingen ihm Winner, die niemand für möglich gehalten hätte, am wenigsten seine Gegner. Es gibt wohl wenig Dinge auf dieser Welt, die für das Selbstbewusstsein schädlicher sind als ein Tennismatch gegen Novak Djokovic.

Tennis ist, einem verbreiteten Selbstverständnis nach, ein Sport der Könige. Hält er auch serbische Nationalisten aus? Schon nach seinem ersten Grand-Slam-Triumph in Australien im Jänner 2008 gab der damals 20-jährige Djokovic eine Solidaritätsadresse an alle Serben ab, die damals gegen die Unabhängigkeit des Kosovo protestierten (die im Februar jenes Jahres trotzdem fixiert wurde).

Sport und Nationalismus neigen in aller Welt zu Symbiose. Allerdings ist diese Verbindung gerade im postjugoslawischen Serbien besonders stark ausgeprägt – und gerade im Tennis total verpönt. Es besteht ein stark gefühlter (und meistens auch brav eingehaltener) Klassenunterschied zwischen Fußball- und Tennisstadien. Novak Djokovic und Anhang haben diese Grenze immer wieder eingerissen. Nach seinem Wimbledonsieg 2011 wurde Djokovic in Belgrad von 100.000 Menschen gefeiert wie ein Fußballweltmeister.

Novak Djokovic wurde am 22. Mai 1987 in Belgrad geboren, sein Vater Sdrjan stammt aus dem Kosovo, seine Mutter Dijana hat kroatische Eltern; kennengelernt haben sich die beiden als Skilehrer im serbischen Wintersport-Ort Kopaonik, wo sie später eine Pizzeria betrieben und wo der kleine Novak durch Zufall zum Tennis fand. Während der NATO-Bombardierung Belgrads im Frühjahr 1999 verbrachte er 78 Nächte im Schutzkeller und ging tagsüber Tennis spielen. Seine Familie überlegte kurz, nach Deutschland oder England auszuwandern, beschloss dann aber, „bei unseren Leuten zu bleiben“, verschuldete sich für die sportliche Ambition des hochtalentierten Sohnes und schickte ihn auf eine Tennisakademie in München.

Winner aus dem Nichts

Djokovics typische Formation ist der Angriff aus der Defensive heraus; in höchster Bedrängnis gelingen ihm Winner, die niemand für möglich gehalten hätte, am wenigsten seine Gegner. Es gibt wohl wenig Dinge auf dieser Welt, die für das Selbstbewusstsein schädlicher sind als ein Tennismatch gegen Novak Djokovic. Kein Wunder, dass er auf der ATP-Tour nicht zu den allerbeliebtesten Gegnern zählt, man kann gegen ihn eigentlich nur verlieren. Es ist trotzdem erstaunlich, dass jemand, der seit gut 20 Jahren derart phänomenales Tennis spielt, beim Publikum immer noch und immer wieder um Zuneigung kämpfen muss – und sie beileibe nicht immer findet.

Im Gegensatz zum eleganten Gentleman-Player Roger Federer und zum liebenswerten Fighter Rafael Nadal, den dominierenden Spielern der goldenen Ära des modernen Tennis, ist Djokovic, als dritter Mann, stets der Verbissene, der mit sich selbst und den Umständen kämpft und durch reine Sturheit und Willensstärke über sich hinauswächst.

Sport und Nationalismus neigen in aller Welt zu Symbiose. Allerdings ist diese Verbindung gerade im postjugoslawischen Serbien besonders stark ausgeprägt – und gerade im Tennis total verpönt.

Bei den US-Open im vergangenen September gewann Djokovic sein 24. Grand-Slam-Turnier, natürlich ein Allzeit-Rekord. Nach dem Matchball gegen Daniil Medvedev übermannten ihn die Tränen, es gibt rührende Bilder von dem weinenden Champion gemeinsam mit seiner kleinen Tochter Tara. Vor dem Turnier hatte Djokovic in einem Interview erklärt, wie schwer ihm sein Job fällt: „Du versuchst, deinen Gegner auszuspielen oder taktisch auszutricksen, aber gleichzeitig musst du mit deinen eigenen Dämonen kämpfen, dem Selbstzweifel, der Anspannung, all den Dingen, die in so einem Kampf vorkommen.“

Kampf der Kulturen

Novak Djokovic spielt an guten Tagen – und die guten Tage sind bei ihm in der deutlichen Überzahl – fast wie ein Marvel-Superheld („The Amazing Tennis-Man!“), und redet sich oft gleich danach um Kopf und Kragen. Möglicherweise provoziert er auch gerne, weil er längst weiß, dass er im Tenniszirkus too big to fail ist, die Narrenfreiheit des Besten aller Zeiten genießt („Der Djoker schlägt zurück!“). Die Turnierverantwortlichen in Paris äußerten sich nach seinem Kosovo-Graffiti abwiegelnd, der Internationale Tennisverband ITF erklärte bloß, dass politische Äußerungen nicht verboten seien. Auch sein Sponsoren halten sich mit Kommentaren zurück, die Veranstalter brauchen ihn, also lassen sie ihn.

Und wenn es noch so fragwürdig ist, was er treibt. Djokovic hat eine bekannte Nähe zum serbischen Verschwörungstheoretiker und Alternativ-Geschichtsschreiber Jovan Deretić, demzufolge die europäischen Hochkulturen im Wesentlichen serbischer Abstammung seien. Im September 2021 besuchte er Milan Jolović, den ehemaligen Kommandanten einer paramilitärischen Einheit, die am Massaker in Srebrenica beteiligt war. Er pflegt auch Kontakt zu Milorad Dodik, einem serbischen Nationalisten, der als Präsident der bosnischen Republika Srpska wiederholt den Völkermord von Srebrenica relativierte. Zum serbischen Staatsheiligen wurde Djokovic aber erst im Jänner 2022, als er sich vor seiner Anreise zu den Australian Open partout nicht – wie in dem Land gesetzlich vorgeschrieben – gegen Covid-19 impfen lassen wollte, weshalb er nach drei Nächten in einem Quarantänehotel wieder abgeschoben wurde, und damit volley zum Nationalhelden, zum Jesus im Lacoste-Leiberl avancierte. Der Belgrader Boulevard schlachtete die Affäre nach allen Regeln des „Wenn sie gegen ihn sind, sind sie gegen uns“ aus, auch der serbische Präsident Aleksandar Vučić nahm „Nole“ für sich ein.

„Ich glaube nicht an die Chirurgie. Ich bin eher dafür, der Natur ihren Lauf zu lassen, ich glaube, dass unser Körper genug Ressourcen besitzt, um sich selbst zu regenerieren. Wenn wir künstlich eingreifen, zerstören wir diese Möglichkeit.“

Novak Djokovic,

Medizin-Skeptiker

Weißbrot und Spiele

Seine sture Impfgegnerschaft ist übrigens keine Überraschung, Djokovic ist schon länger nahe am Heilwasser gebaut. Und zwar mindestens seit seinem annus mirabilis 2011: 41 Siege in Serie, drei Grand-Slam-Titel, erstmals Nummer 1 der Weltrangliste, Jahreswertung 10:1 in Spielen gegen Federer und Nadal. Diese sensationelle Saison gelang ihm, der zuvor immer wieder mit gesundheitlichen Problemen und Schwächeanfällen gekämpft hatte, nach einer radikalen Ernährungsumstellung. Diese wiederum hatte ihm der bosnisch-serbische TCM-Praktiker Igor Četojević nach einer Ferndiagnose (via TV) und anschließendem Praxistest verordnete: Četojević bat Djokovic, seinen rechten Arm zu heben, einmal mit, einmal ohne Weißbrot in der linken Hand. Das Ergebnis war offenbar so eindeutig, dass Djokovic seither eine streng glutenfreie Diät hält und auch sein bisher einziges Buch vorwiegend diesem Thema widmete. Er erzählt darin aber auch von der prägenden Erfahrung, als er miterlebte, wie ein „Forscher“ zwei Gläser mit Wasser füllte, das eine beschimpfte, das andere zärtlich beflüsterte – und tatsächlich war nach ein paar Tagen das eine Wasser grünlich gefärbt, das andere immer noch kristallklar. Klarer Fall: Wasser, und Nahrungsmittel insgesamt, können Energien transportieren.

Auch die Schulmedizin ist dem Tennisstar, der von 2016 bis 2018 den spanischen Liebe-und-Frieden-Guru Pepe Imaz als Beistand beschäftigte und gern bei der angeblichen „Sonnenpyramide“ von Visoko (Bosnien) meditiert, nicht ganz geheuer. Nach einer alternativlosen Operation am Ellbogen Anfang 2018 habe er nach eigenen Angaben riesige Schuldgefühle gehabt, denn: „Ich glaube nicht an die Chirurgie. Ich bin eher dafür, der Natur ihren Lauf zu lassen, ich glaube, dass unser Körper genug Ressourcen besitzt, um sich selbst zu regenerieren. Wenn wir künstlich eingreifen, zerstören wir diese Möglichkeit.“ Geholfen hat der Eingriff wohl trotzdem, seither spielt Djokovic jedenfalls noch unschlagbarer. Aber vielleicht liegt es ja auch am TaoPatch. Willkommen im Tenniszirkus-Hokuspokus!

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.