Gesellschaft

ÖSV: Intrigen und Machtkämpfe vor der Ski-WM in Frankreich

Vor der alpinen Ski-WM in Frankreich knirscht es im heimischen Skiverband. Es mangelt an zählbarem Erfolg, dafür stehen interne Intrigen und öffentlich ausgetragene Machtkämpfe auf der Tagesordnung. Auf dem Spiel steht das Geschäftsmodell der Ski-Nation Österreich.

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Eine Hundertschaft an ORF-Mitarbeitern und ein etwas überschaubareres Grüppchen von Tageszeitungs-Reportern sind für die nächsten zwei Wochen in den französischen Alpen stationiert. Mit dem dringenden Auftrag, aus den WM-Orten Courchevel und Méribel jene Ski-Euphorie zu verschicken, die dieses vertraute Gefühl von „ein Winter wie damals“ auslöst. 70 Stunden Live-Übertragung von 13 Medaillenentscheidungen, Fernsehabende im WM-Studio, epische Sportteile zum Durchblättern; das Ganze auch als digitale Endlosschleife auf jedem internetfähigen Endgerät: Das sollte reichen, damit der Skizirkus nicht nur im entfernten Savoyen stattfindet, sondern auch in unseren Köpfen. Denn darum geht es schließlich bei dieser Ski-WM (neben den Medaillen): Auf der Ökonomie der Aufmerksamkeit basiert das österreichische Massenphänomen Skirennsport, aber auch das Millionen-Geschäftsmodell des Österreichischen Skiverbands. Voraussetzung dafür ist freilich, dass der ÖSV seinen Medien, Fans und Geldgebern strahlende Siegerinnen und Sieger liefert. Just daran hakt es aber in diesem Winter, der viel zu lange viel zu grün war. Ein Lieferkettenproblem mit komplexen Kausalitäten.

ÖSV-Präsidentin Roswitha Stadlober

steht im Hahnenkampf der Ski-Egos Ortlieb und Schröcksnadel auf verlorenem Posten. 

Die harten Fakten: Nach 27 Herren-Weltcupbewerben standen exakt drei Speed-Siege von Vincent Kriechmayr zu Buche. Dazu ein paar Podiumsplätze von Daniel Hemetsberger, Manuel Feller und Marco Schwarz. Die des dreifachen Olympiasiegers Matthias Mayer sind für das große WM-Hoffen obsolet, nachdem er Ende des Jahres in der 9-Uhr-„ZIB“ zur Verblüffung aller einfach live zurückgetreten ist. Die wilden Gerüchte um das wahre Motiv seines abrupten Abschnallens bestätigte Mayer in seinen ersten Interviews seither nicht. Es getraute sich aber auch niemand, so direkt danach zu fragen. Vielleicht fährt er ja sogar wieder. Bei den Damen schafften es in dieser Saison bislang Cornelia Hütter, Katharina Truppe und Nina Ortlieb unter die besten drei. Eh nicht schlecht, aber, mit Verlaub, für die erfolgshungrige Ski-Seele der selbst ernannten Wedel-Weltmacht doch zu mager. 

Drei Norweger, Aleksander Aamodt Kilde, Lucas Braathen und Henrik Kristoffersen, haben – immerhin auf österreichischen Skiern – insgesamt ein Dutzend Rennen gewonnen. Drei Schweizer, Marco Odermatt, Daniel Yule und Loïc Meillard, zusammen elf. Bei den Damen jagt Mikaela Shiffrin dem legendären Schweden Ingemar Stenmark wohl bald seinen Weltrekord an Weltcupsiegen ab. Sie hat in der Saison schon elf Rennen gewonnen und klassierte sich insgesamt 22 Mal in den Top 10 – zum Vergleich: unser komplettes Damen-Team bis dato 33 Mal. Vor der bestplatzierten Österreicherin im Gesamtweltcup, Cornelia Hütter (19. Rang), liegen Läuferinnen aus acht Ländern. 

Wie war das noch mal mit der Skination Nr. 1?

Diese verflixte Beschwörungsformel! Hätte sie Peter Schröcksnadel in den 31 Jahren seiner Präsidentschaft nicht so unermüdlich hinausgeplärrt, würden seine Nachlassverwalter jetzt vielleicht nicht daran gemessen. Werden sie aber, und wie zu hören ist, am allermeisten vom Altpräsidenten selbst. Das kann für seine Erben ungemütlich werden. Wie wir am Beispiel des gefallenen Fußballpräsidenten Gerhard Milletich gerade gesehen haben, sind 15 Monate wohl ein neuralgischer Knackpunkt für mächtige Sportfunktionäre. Eine Woche nach Ende der Ski-WM werden Roswitha Stadlober und Patrick Ortlieb genau 500 Tage im Amt sein.

An dieser Stelle müssen wir, um die Dynamik im ÖSV besser zu verstehen, etwas weiter ausholen. 

zurückgetretener Abfahrtschampion Matthias Mayer

Die Motive für seinen Abschied sind immer noch unklar. Aber vielleicht fährt er ja sogar wieder.

Der Wahl der ehemaligen Slalom-Weltklasseläuferin zur ersten Ski-Präsidentin der Geschichte und des Abfahrts-Olympiasiegers von Albertville 1992 zum Finanz- und Alpin-Allmächtigen war eine jener Ehrenamts-Erbärmlichkeiten vorausgegangen, wie sie im Spitzensport leider öfter stattfinden. Eigentlich hätte der einstige Abfahrts-Weltmeister Michael Walchhofer das Präsidentenamt übernehmen sollen. Doch dem abgehenden Alpen-Kaiser Schröcksnadel erschien dieser als Thronfolger nicht dankbar genug. Weshalb er ihn kurzerhand aushebelte, nämlich über das Narrativ, mit Walchhofer wolle Sebastian Kurz, damals noch Bundeskanzler, einen der Seinen in das höchste Ski-Amt heben. Nach öffentlichen Schlammschlachten und lustigem Figurenreißen in der Nachfolgediskussion einigte man sich auf einen Kompromisskandidaten: Karl Schmidhofer, ÖVP-Nationalrat, der sich bei seinem ersten Liveeinstieg in der „ZIB 2“ gleich einmal mit „Ski Heil, Herr Wolf!“ verabschiedete. Leider musste Schmidhofer schon nach 100 Tagen wegen eines privaten Schicksalsschlages abdanken. So kam Stadlober „als Ersatzkandidatin für den Kompromisskandidaten“, wie es Ski-Insider Michael Smejkal von den „Salzburger Nachrichten“ elegant formuliert, zum Zug. Ortlieb, der Hotelier aus Lech, den sie als Skistar intern „Faxe“ oder „Schweinerner“ nannten, wurde als Schröcksnadel-Protegé der Mann fürs Geld. Wie viel der ÖSV davon hat, ist nicht leicht zu eruieren: Wer, wie nach der Ski-WM in Schladming 2013, sogar den Rechnungshof abblitzen lässt, stellt keine Budget-PDFs online. 13 oder 18 Millionen Gewinn damals in Schladming? 40 oder 42 Millionen Euro Jahresbudget? So circa. Gesichert sind die zehn Millionen Euro an öffentlichem Geld, das jährlich auf die ÖSV-Konten fließt: 3,72 Millionen „Besondere Bundessportförderung“, rund 
1,4 Millionen „Athletenspezifische Spitzensportförderung“, drei Millionen für das Technologiezentrum, zwei Millionen für temporäre Trainingsstrecken. Außerdem gehen noch 2,75 Millionen an die Leistungssportmodelle von der Südstadt bis Stams. Und die Ski-Akademie St. Christoph kriegt auch 200.000 Euro. 

„Eine Gehirnamputation am System.“

 

Ein Trainer über den Abschied von ÖSV-Sportdirektor Toni Giger

Nicht alle waren recht glücklich mit der Kür von Schröcksnadels Prinzregenten-Paar: Stadlober hatte ihre Führungserfahrung aus einem Verein zur Berufsberatung von Ex-Sportlern, Ortlieb wiederum haftete eine Vergangenheit als FPÖ-Nationalrat unter Jörg Haider an. Dazu eine mysteriöse Geschichte aus dem März 2001: Damals war eine junge Frau eines Morgengrauens in der Tiefgarage des Innsbrucker Flughafens aus dem Auto des Ski-Promis gestiegen – und bald darauf halb nackt und verwirrt aufgegriffen worden. Die fragwürdige Koinzidenz schlug hohe Wellen. Doch es blieb bei der Unschuldsvermutung. Manche meinen: In einem Verband, der so inferior durch mehrere #MeToo-Skandale gestolpert ist, gäbe es für den ranghöchsten Funktionär auch vorteilhaftere Wikipedia-Einträge. 

Doch Stadlober/Ortlieb hatten eine gute Startzeit. „Endlich eine Frau!“, jubelten viele zu Recht. Von neuem Teamgeist und einer offeneren, angstfreieren Organisationskultur im ÖSV war die Rede. Das Personal in der Zentrale und die Werbepartner freuten sich. Der umtriebige „Alpen-Ecclestone“ Schröcksnadel hatte derweil dafür gesorgt, dass der britisch-schwedische Milliardär Johan Eliasch, Eigentümer der Ski-Firma Head, Präsident des Weltverbandes FIS wurde; er selbst avancierte zum Vizepräsidenten und Direktor der Marketinggesellschaft. Die Freundschaft hielt nicht lange. Eliasch will die TV-Vermarktung zentralisieren und damit die finanzielle Hauptschlagader der großen Verbände kappen. Nicht überraschend, dass er im ÖSV keine Freunde hat. Der ÖSV und andere Verbände beeinspruchten Eliaschs Wiederwahl im Mai beim internationalen Sportgerichtshof CAS. Ganz aktuell steht er wegen einer größeren Anorak-Lieferung seiner eigenen Firma an den Weltverband in der Kritik. Wobei: „Keine Freunde“ trifft es nicht ganz – einen hat er doch: Patrick Ortlieb, erstaunlicherweise. Dessen Tochter arbeitet für die FIS, und Ortlieb, sagen die, die sich für derlei Ränkespiele interessieren, könnte als Welt-Ski-Chef für Eliasch einspringen, falls es sich ergibt. 

Michael Holzer, 55

ist Autor, Berater, Coach und Experte für Organisationskultur. Er hat 20 Jahre lang im Umfeld des ÖSV gearbeitet und ein Dutzend Skistars, darunter auch Marcel Hirscher, begleitet. 

Damals jedenfalls, im Herbst 2021, als Stadlober/Ortlieb noch frisch im Amt waren, schien in der rot-weiß-roten Skiwelt für kurze Zeit alles in Ordnung und die Klimawende in der magischen Schneekugel ÖSV zu gelingen. Die zwei konnten sich in aller Ruhe einarbeiten, mit Generalsekretär Christian Scherer und Sportdirektor Toni Giger konnten die Neuen auf zwei Profis im Tagesgeschäft bauen. 

Der Mathematiker Giger hatte als Trainer um die Jahrtausendwende die goldenste aller Ären im österreichischen Skisport geprägt: jene Dekade, in der Hermann Maier, Stephan Eberharter, Hans Knauß, Benni Raich, Mario Matt und Kollegen die Konkurrenz buchstäblich in Grund und Boden fuhren. Danach baute er die Abteilung Forschung und Entwicklung auf, die wesentlich dazu beitrug, dass der Strom an immer neuen Siegerinnen und Siegern nie abriss. Als er dann oberster ÖSV-Sportverantwortlicher wurde, gelang bei der bislang letzten Ski-WM 2021 in Cortina D’Ampezzo ein Meisterstück: Vincent Kriechmayr wurde Doppel-Weltmeister in Abfahrt und Super G, Marco Schwarz siegte in der Kombination und wurde Dritter im WM-Riesentorlauf. Katharina Liensberger wurde mit zwei Gold- und einer Bronzemedaille zum Star der WM, und Adrian Pertl setzte mit Slalom-Silber noch eines drauf. Acht Medaillen. Nr. 1 im Medaillenspiegel. Die zweiterfolgreichste Ski-WM aller Zeiten. 

Ex-Präsident Peter Schröcksnadel

ÖSV-Finanzchef Patrick Ortlieb 

Ein symbolischer Vatermord im Skiverband: „Brauchst nicht kommen, Peter. Das mach in Zukunft ich.“

Auch die Olympischen Spiele 2022 in Peking verliefen hocherfreulich: dreimal Gold, dreimal Silber und einmal Bronze für die Alpinen. Und dann, im Frühjahr, kippte alles: die neue Ära, das gute Klima, die sportliche Perspektive. 

Zu den Ursachen haben ÖSV-Funktionäre im innersten Kreis eine ähnliche Wahrnehmung – mit der sie, angesichts der angespannten Stimmung, lieber nicht namentlich zitiert werden möchten. An deren Höhepunkt stand ein symbolischer Vatermord. 

Als der ÖSV-Vorstand im Vorjahr beschloss, statt Schröcksnadel Patrick Ortlieb in den FIS-Vorstand zu entsenden, insistierte einer der Landesverbandspräsidenten, Schröcksnadel der Fairness halber telefonisch in Kenntnis zu setzen. „Ich bin in der Nähe, lasst uns persönlich drüber reden, wie ich den ÖSV in der FIS unterstützen kann“, soll Schröcksnadel angeboten haben. Patrick Ortlieb soll dem leicht kränkbaren ÖSV-Patriarchen erwidert haben: „Brauchst nicht kommen, Peter: Das mach in Zukunft ich.“ So etwas merkt sich „der Schröcksi“.
Nach diesem endgültigen Akt der Emanzipation soll Ortlieb in seiner Durchsetzungskraft kaum mehr zu bremsen gewesen sein. Mit der Konsequenz, dass mit Patrick Riml und Christian Mitter dem Verband zwei der erfolgreichsten Skitrainer der Welt verloren gingen. Zudem habe, so erzählen es die ÖSV-Whistleblower, die Verbandsführung auch noch Giger als Sportdirektor vergrault. Ein Super-GAU, oder, wie ein Herrentrainer sagt, „eine Gehirnamputation am System“. Beim neuen Ski-Start-up von Red Bull und Marcel Hirscher implantierte man Giger mit großer Freude als Boss. 

Nun also: die Ski-WM. Motto: „Hearts Racing Together“, Herzen rasen zusammen. 39 Medaillen sind zu gewinnen, mit „vier bis sechs“ wäre Präsidentin Roswitha Stadlober schon zufrieden. Sicherheitshalber wickelt sie selbst diese bescheidene Zielvorgabe noch in Luftkissenfolie ein: „Wir reisen nicht als Topfavoriten nach Frankreich, zählen aber zum erweiterten Favoritenkreis.“ So nimmt sie etwas Druck vom Team. Im Hahnenkampf zwischen Schröcksnadel und Ortlieb scheint sie auf verlorenem Posten. Kommunikation in Stresssituationen war noch nie die stärkste Disziplin im ÖSV. Neulich gerieten die Ski-Egos medial aneinander. Ortlieb drosch auf „Servus TV“ die unsägliche Phrase vom „Killerinstinkt“, der „das Um und Auf“ sei. Angesichts der Erfolgsmisere des Damenteams erklärte Ortlieb, die Athletinnen müssten hungriger, bissiger und mehr aufeinander losgelassen werden in diesem aufgeblähten Verband, den er übernommen habe. Das kam natürlich bombastisch gut an, vor allem bei Peter Schröcksnadel: Ortlieb solle besser in seinem Hotel in der Küche arbeiten als im ÖSV, knurrte der Altpräsident. 

In „seinem Verband“ gibt es gar nicht wenige, die Schröcksnadel inzwischen schon wieder vermissen. „Der Peter hat sowieso schon einen Plan B, wenn die WM danebengeht“, sagt ein Landespräsident. „Der Präse“ sei besorgt um das Wohl des Sports, für den er nach wie vor so brenne. „Die bringen in zwei Jahren um, was ich 31 Jahre lang aufgebaut habe“, soll er über seine Nachfolger gesagt haben. Und angeblich hat er in einem ziemlich vertraulichen Gespräch sogar einen Fehler eingestanden: „Den Walchi raus- und den Ortlieb reinhebeln, das war ein Blödsinn.“ Und was ist nun der Plan B im Falle eines WM-Flops? „Dann soll der Benni Raich den Präsidenten machen, damit a Ruh ist“, meint der Landes-Skipolitiker, der nicht genannt werden will. 

Ein Winter wie damals? Irgendwie schon. Herzen rasen zusammen.