„Angst habe ich immer“

Pädophilie-Outing: „Angst habe ich immer“

Pädophilie. Sven ist Anfang 30, Archäologe und pädophil. Im Interview spricht er über seine Neigung

Drucken

Schriftgröße

Interview: Sebastian Hofer

profil: In Deutschland wird gerade heftig über den Fall Sebastian Edathy gestritten. Verstehen Sie die Aufregung?
Sven: Nachvollziehen kann ich die Empörung schon, allerdings kommt mir dabei das Thema des tatsächlichen Missbrauchs von Kindern zu kurz. Aktuell werden Gesetzesverschärfungen gefordert. Diese verhindern aber sicher nicht den Missbrauch von Kindern, denn der passiert meist innerhalb von Familien oder im engeren Bekanntenkreis .

profil: Wann haben Sie erkannt, dass Sie von Kindern sexuell erregt werden?
Sven: Das fing ziemlich genau mit 15 Jahren an. Damals verliebte ich mich in ein etwa zehnjähriges Mädchen, das ich nur vom Sehen auf dem Schulhof kannte. Zuerst dachte ich kaum darüber nach, doch im Laufe der Monate fühlte ich mich dabei immer seltsamer, da meine Klassenkameraden dann ihre ersten Freundinnen hatten, die natürlich ungefähr gleich alt waren.

profil: Haben Sie versucht, dagegen anzukämpfen?
Sven: Als ich erkannt hatte, dass sich meine Sexualität anders entwickelt, machte ich mir massive Selbstvorwürfe. Aber auch wenn ich mich schlecht fühlte, manifestierte sich die Neigung im Laufe der Zeit. Allerdings ist das Altersspektrum, für das ich mich interessiere, etwas größer geworden. Als ich meine Neigung bemerkte, stand ich nur auf Kinder bis zur frühen Pubertät, inzwischen auch auf sehr junge Männer.

profil: Mit wem können Sie offen über Ihre Neigung reden?
Sven: Wirklich verstehen können das, glaube ich, nur Gleichgesinnte, also andere Pädophile. In erster Linie ist das mein Freund S., er ist seit fast zehn Jahren eine Art Mentor für mich, da er etwa 25 Jahre älter ist und entsprechend über mehr Lebenserfahrung verfügt. Zeitweise habe ich mich auch mal in Online-Foren umgeschaut, jedoch habe ich irgendwann erkannt, dass mir das nicht allzu gut tut. Zum einen habe ich mich dadurch viel zu sehr mit dem Thema Pädophilie beschäftigt, zum anderen habe ich festgestellt, dass ich mich in meinen eigentlich recht eindeutigen Prinzipien und Moralvorstellungen – keinerlei sexuelle Annäherung an Kinder, kein Herunterladen von Kinderpornografie aus dem Netz – zunehmend habe beeinflussen lassen. Inzwischen habe ich nur noch mit zwei, drei anderen Pädophilen regelmäßig Kontakt, und das reicht mir auch.

profil: Haben Sie Ansprechpartner in der Familie?
Sven: Ich bin zwar auch bei meinen Eltern und bei zwei meiner Tanten geoutet, doch ist es natürlich für jemanden, der nicht pädophil ist, sehr schwer nachzuvollziehen. Gerade bei meinen Eltern habe ich schnell gemerkt, dass ihnen das Thema unangenehm ist. Obwohl es natürlich eine große Erleichterung war, mich bei meinen Eltern zu outen.

profil: Haben Sie Angst vor dem Kontrollverlust?
Sven: Die habe ich immer. Da ich aber in meinem Umfeld keine Kontakte zu Kindern habe, sehe ich aktuell keine Gefahr. Allerdings hatte mein Bruder vor drei Jahren eine Beziehung zu einer Frau, die einen sechsjährigen Sohn hatte. In den hatte ich mich ziemlich verliebt, und er hing auch sehr an mir. Beim Kontakt mit dem Jungen musste ich schon etwas auf mich aufpassen, obwohl die Sorge vor einem Kontrollverlust doch deutlich größer war als berechtigt. Bei fremden Kindern, denen ich auf der Straße begegne, habe ich überhaupt keine Sorgen, übergriffig zu werden .

profil: Wie definiert man als Pädophiler den Graubereich zwischen den eigenen Wünschen und dem, was juristisch und gesellschaftlich toleriert ist?
Sven: Das ist schwierig, zumal es neben der juristischen und der gesellschaftlichen Perspektive ja auch noch meine eigene Moral gibt. Dass der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie illegal sind, finde ich wichtig, ebenso die Schutzaltersgrenze von derzeit 14 beziehungsweise 16 Jahren in Deutschland. Aufgrund meiner sehr strengen Moralvorstellungen habe ich mich jahrelang von Kindern ferngehalten, um gar nicht in solche Grauzonen vorstoßen zu können.

profil: Wie halten Sie es mit pornografischem Material?
Sven: Von Kinderpornos oder FKK-Bildern halte ich mich grundsätzlich fern, komplizierter ist es bei sogenannten „Modelbildern“, bei denen ein Junge meist in Unterwäsche posiert. Diese Bilder dienen sicherlich dazu, um die Bedürfnisse von Pädophilen zu befriedigen, sind aber so gestaltet, dass sie noch legal sind. Dennoch halte ich mich auch davon fern. Und im Internet gibt es ja reichlich legale Bilder von Jungen, zum Beispiel von Versandhäusern oder von Fußballvereinen. Sicher wären auch die Eltern dieser Jungen nicht begeistert, wenn sie wüssten, dass deren Fotos zur Selbstbefriedigung genutzt werden, doch schadet das den Jungen ja nicht, da sie es nie erfahren werden.

profil: Was spricht aus Ihrer Sicht gegen computeranimierte Kinderpornos?
Sven: Meiner Meinung nach sollte alles verboten sein, was Kindern direkt oder indirekt schadet: Also auch FKK-Bilder, bei denen Kinder heimlich am Strand fotografiert wurden, oder auch Unterwäschefotos mit klarem Fokus auf den Genitalbereich. Dass virtuelle Kinderpornografie verboten ist, kann ich allerdings nicht nachvollziehen.

profil: Können Sie sich heute als anerkanntes Mitglied der Gesellschaft fühlen?
Sven: Nicht wirklich. Gerade jetzt, mit Anfang 30, sehe ich, wie um mich herum meine ehemaligen Klassenkameraden heiraten und Kinder bekommen. Und jedes Mal, wenn ich davon erfahre, wird mir schmerzlich bewusst, dass ich sehr wahrscheinlich nie eigene Kinder haben werde und auch längerfristige Beziehungen nahezu unmöglich sind. Denn selbst wenn ich jetzt eine Beziehung mit einem 18-Jährigen anfinge, würde der allerspätestens mit Mitte 20 für mich wohl nicht mehr attraktiv sein.

Svens „Outing“
Vier Jahre lang haben die österreichischen Regisseure Sebastian Meise und Thomas Reider für ihren Dokumentarfilm „Outing“ (2012,) den Archäologen Sven begleitet, der seinen vollen Namen nicht nennt, aber ansonsten sehr offen spricht. Das ist bemerkenswert, weil Sven zwar nichts Verbotenes tut, aber pädophil ist. Darüber spricht man in der Regel nicht. Man schämt sich, man kämpft dagegen an, man verzweifelt, man bewegt sich vielleicht auf illegalen Internetseiten, aber man spricht nicht. Sven hat sich dagegen entschieden, weiter zu schweigen. Regisseur Meise über seinen Interviewpartner: „Sven ist sicher ein Sonderfall, weil er sehr ehrlich mit seiner sexuellen Neigung umgeht und einen Weg gefunden hat, mit und trotz ihr ein gesellschaftskonformes Leben zu leben. Dazu hat er sich ein Umfeld gebaut, hat mit Eltern, Freunden und schließlich auch mit uns über seine Situation gesprochen und erzählt, was er fühlt und denkt – auch um einen Spiegel zu haben und zu sehen, wie seine Sexualität von außen wahrgenommen wird. Das Outing, das in den gleichnamigen Film mündete, ist für ihn auch ein Mittel, um eine Kontrolle von außen zu bekommen, ein Feedback.“