Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Sotschi wertfrei

Sotschi wertfrei

Drucken

Schriftgröße

Mir ist selten besserer Journalismus begegnet als in der Dokumentation über „Putins Spiele“, die vergangene Woche auf arte und in ORF2 ausgestrahlt wurde: Niemand, der sie gesehen hat, kann in Zukunft bestreiten, zu wissen, dass in Russland die Menschenrechte mit Füßen getreten, der Rechtsstaat verhöhnt, die Korruption gefördert und die Umwelt vergewaltigt wird und dass sich Wladimir Putin in seinem Vorgehen nur quantitativ von einstigen KP-Diktatoren unterscheidet. Ich will diesen quantitativen Unterschied nicht geringschätzen: Immerhin sitzen die russischen Bürger, die sich in dieser Dokumentation freimütig über die aktuellen Zustände äußerten, vorerst nur vereinzelt im Gefängnis. Aber ich möchte nicht in ihrer Haut stecken, wenn die Spiele vorüber sind.

Putin hat „Angst“ aufs Neue zu einem entscheidenden Herrschaftsinstrument gemacht: Er vollzieht die größte Annäherung an eine Diktatur, die unter den gegebenen Verhältnissen – noch gibt es Wahlen, auch wenn sie längst nicht mehr fair verlaufen – möglich ist. Aber der Moment, in dem diese Wahlen reine Farce sind, ist nahe.

Nachdenken darüber, wie man sich gegenüber „Sotschi“ verhält, war daher durchaus angebracht. Die russischen Gesetze zur Homosexualität spielten dabei eine wichtige Rolle – sie sind durchaus charakteristisch –, aber sie sind nicht der Kern des Problems, das da lautet: Putin hat jegliche Rechtsstaatlichkeit restlos beseitigt – und „Recht“ ist für ein Staatswesen ungleich wichtiger, als die Möglichkeit, von Zeit zu Zeit abzustimmen. Gerhard Schröders „lupenreiner Demokrat“ ist bestenfalls ein Zar im Nadelstreif.

Helmut Schmidt, den ich im Allgemeinen verehre, hat zu Sotschi im Besonderen die provozierend zugespitzte Ansicht vertreten, dass „jede wertgebundene Außenpolitik grundsätzlich abwegig“ ist. Daran ist das Wort „jede“ schlicht falsch: Die „wertgebundene“ außenpolitische Isolierung des südafrikanischen Apartheid-Regimes oder des Iran unter Mahmoud Ahmadinedschad hat durchaus Positives bewirkt. Gerade der Wahlsieg Hassan Ruhanis über Irans Hardliner zeigt, dass auch ein Boykott der Spiele von Sotschi vielleicht beträchtliche positive Wirkung entfaltet hätte: Schließlich hat Putin schon seine letzte Wiederwahl nur mit großer Mühe geschafft.

Jetzt hat er für die Verschandelung des wohl schönsten Ortes seines Landes mindestens 50 Milliarden Dollar (wahrscheinlich weit mehr) in den Sumpf gesetzt, und die Opposition hat ihn entsprechend kritisiert. Daher gibt es neben einer (vermutlichen) Mehrheit, die sich dennoch patriotisch auf die Spiele freut, schon jetzt eine Menge Russen, die Putins Sotschi höchst kritisch sehen. Ihre Zahl hätte sich mit großer Wahrscheinlichkeit beträchtlich erhöht, wenn die Spiele aufgrund eines Boykotts zum Flop geworden wären – wenn sie, wie seinerzeit nach dem Einmarsch in Afghanistan, trotz ihrer horrenden Kosten ohne Teilnahme der westlichen Welt stattgefunden hätten. Dann nämlich wären ihr finanzielles Fiasko und die damit verbundene Willkür unübersehbar gewesen: Putin muss ja nicht nur die 50 Milliarden irgendwo anders einsparen, sondern die abgrundhässliche Stadtentwicklung Sotschis wird ihm auch noch Folgeverluste und Umweltfolgeschäden bescheren.

In Summe hätte das durchaus eine Stimmung erzeugen können, die Putin kommende Wahlen verlieren ließe und einem wirklichen Demokraten eine Chance gäbe.

Diese Chance – die vor allem eine Chance für Russland gewesen wäre – hat die „wertfreie“ Außenpolitik vorübergehen lassen. Die Gründe waren zweifellos wirtschaftlicher Natur: Allen voran die EU braucht Russland als Absatzmarkt und Erdgaslieferanten. Das lässt François Hollande und Angela Merkel Sotschi die Ehre erweisen, während zumindest Bundespräsident Joachim Gauck „wertgebunden“ zu Hause bleibt.(*1) Die USA brauchen dank Fracking kein russisches Erdgas und sind nicht ganz so exportabhängig – das ermöglicht es Barack Obama, ostentativ daheim zu bleiben.

Dass der russische Markt dank Putin mehr als fragil ist, weil seine Demokratur die Wirtschaftsentwicklung massiv behindert und Russlands totale Abhängigkeit vom ­­Öl- und Erdgasexport konserviert, ist für die „wertfreie“ ­Außenpolitik von EU wie USA ein zu ferner Gedanke.

Österreich ist in Sotschi prominent vertreten: Durch Bundeskanzler Werner Faymann (nach Rücksprache mit Heinz Fischer) und durch Sportminister Gerald Klug (Außenminister Sebastian Kurz bleibt zu Hause). Die prominente Besetzung entspricht dem hohen wirtschaftlichen Nutzen Sotschis für Österreich: Hans Peter Haselsteiners Strabag baute das olympische Dorf und den Flughafen, Doppelmayr baute 35 Skilifte. Österreichische Unternehmen sind erfolgreichste Zulieferer deutscher Automobilkonzerne, die ihre Oberklasse-Limousinen an Russlands erfolgreichste Korruptionäre verkaufen. So bleibt Hermann Maier der einzige international bekannte Österreicher, der durch seine Weigerung, an der Eröffnung der Spiele teilzunehmen, wenigstens eine Geste setzt. Ich möchte ihm dafür meinen persönlichen Respekt aussprechen.

1 Die von der OMV geplante Nabucco-Pipeline hätte die Erdgasabhängigkeit der EU von Russland stark verringert, aber das Projekt wurde von ihr nicht mit der nötigen Geschlossenheit betrieben. Gazprom, mit Gerhard Schröder als ­Lobbyist, blieb Monopolist.

[email protected]