Der Kölner Psychologe Matthias Niggehoff.

Psychologe Niggehoff über Pokémon: "Ich muss da sofort hin!“

In sieben Tagen rund 270 Kilometer zurücklegen und zwei Kilo abnehmen. Was treibt Pokémon-Go-Fans an? Der Kölner Psychologe Matthias Niggehoff über den Hype der Stunde.

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profil: Einige Pokémon-Go-Spieler vergessen einen halben Tag zu essen, weil sie vom Spiel so gefesselt sind. Wie ist das zu erklären? Matthias Niggehoff: Beim Eintauchen in diese virtuelle Welt vergisst man gewisse Grundbedürfnisse. Menschen haben die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit, die gibt das Spiel ihnen. Man bekommt jedes Mal diese Art Zuwendung, und die Aufmerksamkeit wird immer wieder belohnt. Das ist dann oft wichtiger, als zu essen.

profil: Ein anderes wichtiges Element von Pokémon Go ist das Sammeln. Woher kommt diese Faszination? Niggehoff: Der Mensch hat schon in der Steinzeit gesammelt. Dieses Element ist heute noch sehr präsent. Man will seine Sammlung voll haben. Das wird von Pokémon Go und anderen Spielen geschickt genutzt: Man wird nur belohnt, wenn man sammelt. In der Steinzeit sammelte man und wurde dafür mit Essen belohnt. Heute tut man das, um ein höheres Level im Spiel zu erreichen.

profil: Nicht nur Kinder und Jugendliche, auch viele junge Erwachsene zwischen 20 und 35 spielen Pokémon Go. Was macht es speziell für diese Gruppe so interessant? Niggehoff: Psychologisch gesehen gibt es die Altersregression. Man kennt gewisse Reize von früher, etwa aus der Zeit als Kind. Das verbindet das Gehirn meistens mit etwas Angenehmem. Nintendo und Pokémon gab es bereits vor Jahren, das war ein großer Hype. Oft werden alte Gefühle wieder hochgefahren: dass man damals weniger Sorgen hatte als jetzt und sich geborgen fühlte.

profil: Pokémon Go basiert auf "Augmented Reality“, also "erweiterter“ Realität. Wie reagiert unser Gehirn auf diese neue Realität? Niggehoff: Hier laufen zwei Prozesse ab: Einmal ist es uns natürlich bewusst, dass das ein Spiel ist und keine echten Pokémon herumrennen. Allerdings kann das Unbewusste hier nur schwer unterscheiden. Letztens saß zufällig ein Pokémon auf der Waschmaschine eines Freundes, bei dem ich war. Er sprang plötzlich auf und sagte: "Pokémon auf der Waschmaschine, ich muss da sofort hin!“ Eigentlich ist dem bewussten Teil des Gehirns klar, dass das nur ein Spiel ist, aber die Reaktion war sehr emotional.

profil: Besteht auch die Gefahr, dass Menschen süchtig werden? Niggehoff: Ich sehe die Gefahr nicht so groß wie bei normalen Computerspielen. Dort flüchtet man komplett vor der realen Welt. Man kann ein Spiel stundenlang in einem abgedunkelten Zimmer spielen und taucht sehr intensiv ein. Bei Pokémon Go ist das anders. Die Realität sendet immer wieder Signale. Beim Spielen ohne Kopplung an die Realität schätze ich das Risiko höher ein.

Das Gehirn sagt, das Spiel ist etwas Angenehmes, etwas Schönes.

profil: Trotzdem sind wir ständig vom Internet umgeben, nicht nur durch Pokémon Go, sondern beispielsweise auch im Gasthaus, wenn wir die Speisekarte auf dem Handy betrachten. Was bedeutet das für unser Gehirn? Niggehoff: Die vielen Reize ziehen uns weg vom Moment. Die Speisekarte im Gasthaus sehe ich nicht so problematisch. Wenn man aber unterwegs ist, hat man eine bestimmte Aufmerksamkeit. Ich bin draußen, genieße die Sonne. Plötzlich piepst oder vibriert etwas, und schon kuckt man wieder aufs Handy. So hat man immer wieder einen neuen Reiz, der einen aus dem Moment wirft.

profil: Erlebt die Generation, die so aufgewachsen ist, die Wirklichkeit schwächer als ältere Generationen? Niggehoff: Wir erleben das anders. In manchen Situationen ist das hilfreich, etwa bei einer Speisekarte. Aber in anderen Situationen sind wir weniger präsent, können den Moment an sich weniger genießen. Das Gehirn verarbeitet die Reize, die es bekommt. Jedes Mal, wenn andere Reize kommen, etwa über Facebook oder eine App, braucht das Gehirn viel Energie, um den Reiz einordnen zu können.

profil: Hypes wie Pokémon Go flauen nach einiger Zeit ab. Warum verlieren wir das Interesse an etwas, das kurzfristig so fesseln kann? Niggehoff: Wenn der Hersteller das Spiel nicht technisch überarbeitet und verbessert, gebe ich dem Spiel ungefähr bis September, Oktober. Dann wird der Hype abflauen. Es gibt Probleme, etwa beim Einloggen. Das Gehirn sagt, das Spiel ist etwas Angenehmes, etwas Schönes. Man will weiter spielen. Und dann geht das nicht. Das führt dazu, dass die Menschen aggressiv werden und es vielleicht deinstallieren.

Zur Person

Matthias Niggehoff, 30, ist Psychologe mit Schwerpunkt Jugend und Familie. Er hat eine Praxis in Köln und betreibt einen YouTube-Kanal, in dem er auch ein Video über die Suchtfaktoren von Pokémon Go veröffentlichte.