Rassistische Wiener Straßennamen: "Entsorgen wäre das Gefährlichere"

Sollten problematische Wiener Straßennamen umbenannt werden? Historiker Oliver Rathkolb wünscht sich mehr Kontext.

Drucken

Schriftgröße

Weltweit wird über rassistische Symbole diskutiert. Denkmäler werden gestürzt, Markenlogos verändert. Der belgische König Philippe hat sich für die blutige Kolonialpolitik seines Vorgängers Leopold II. entschuldigt. In Wien stehen die Große und die Kleine Mohrengasse zur Debatte. Schon im Sommer 2013 legte eine Historikerkommission um Oliver Rathkolb einen Bericht über problematische Wiener Straßennamen vor. Unter den rund 6600 Wiener Verkehrsflächen wurden 159 kritische Fälle identifiziert, deren Namensgeber sich durch antisemitische, rassistische oder faschistische Äußerungen oder Handlungen hervortaten. Die Historiker plädierten damals gegen Umbenennungen und für eine Kontextualisierung durch Zusatzschilder. Die aktuellen Debatten sieht Rathkolb differenziert.

profil: Derzeit wird über die Namen der Großen und Kleinen Mohrengasse im 2. Bezirk debattiert. In Ihrem Bericht kommen diese nicht vor. Warum?

Rathkolb: Das haben wir, offen gesagt, einfach übersehen. Uns ist auch der eine oder andere Fall durch die Lappen gegangen, etwa die Robert-Hamerling-Gasse im 15. Bezirk oder der Robert-Hamerling-Park in der Josefstadt, benannt nach einem eindeutig antisemitischen Schriftsteller. Wir reichen das sukzessive nach.

profil: Empfand man die Bezeichnung "Mohrengasse" vor sieben Jahren nicht als problematisch?

Rathkolb: Es gab damals schlicht keine intensive öffentliche Debatte darüber. Der Straßenname stammt aus dem Jahr 1862, es gibt dazu auch keine weiteren Unterlagen. Man würde den Begriff heute nicht mehr verwenden, aber der historische Kontext dieses Straßennamens ist weitgehend unklar.

profil: Ist die Debatte darüber trotzdem historisch produktiv?

Rathkolb: Unbedingt! Man beschäftigt sich endlich mit einer für Österreich nicht so offensichtlichen kolonialen Vergangenheit. Die Habsburgermonarchie war bis weit ins 19. Jahrhundert in den Sklavenhandel involviert - länger, als man gerne glaubt. Was ich nicht produktiv fände, wäre zu sagen: Schild weg, neuer Name her, koloniale Referenz zerstört. Ich warne davor, eine große Umbenennungsdebatte zu starten und zu glauben, dass der Alltagsrassismus, der in Österreich tatsächlich grassiert, damit verschwindet.

profil: Was schlagen Sie stattdessen vor?

Rathkolb: Ich schlage vor, durch Zusatzschilder den historischen Kontext zu erläutern, also nicht mit einem Formalakt, sondern mit inhaltlichen Argumenten zu reagieren. Diese Debatte wäre ein guter Anlass, die koloniale Vergangenheit der Habsburger in Erinnerung zu rufen. Wir haben immer noch ein eher pittoreskes, geradezu kitschiges Bild der Monarchie, das zu konterkarieren wäre.

profil: Gilt dieses Argument auch für das Vorarlberger Mohrenbräu, das in seinem Logo eine Figur mit rassistischen Stereotypen zeigt?

Rathkolb: Man muss von Fall zu Fall denken. Bei diesem sehr eindeutigen Logo würde ich von einer Verwendung abraten, den Namen aber nicht zwangsläufig ändern.

profil: In Ihrem Bericht tauchen auch Namen auf, die im Allgemeinen nicht problematisiert werden: Julius Tandler, Karl Renner, Adolf Schärf. Wie streng muss man in der historischen Bewertung sein?

Rathkolb: Auch hier muss jeder Fall einzeln bewertet werden. Adolf Schärf war im internen Parteidiskurs durchaus antisemitisch. Das wusste man, es wurde aber in der öffentlichen Wahrnehmung verschüttet, weil es lange niemanden interessierte. Deswegen haben wir uns auch entschieden, diese Kontextualisierung durch Zusatzschilder vorzuschlagen. Jede Generation muss aufpassen, was sie entsorgen und was sie in der öffentlichen Debatte erhalten will. Das Gefährlichere für unsere parlamentarische Demokratie ist das Entsorgen.

profil: Einer der Anlässe für Ihren Bericht war der Streit um den Wiener Karl-Lueger-Ring. Er wurde in Universitätsring umbenannt.

Rathkolb: Eigentlich wollte man warten, was unser Bericht ergibt, aber dann war die Debatte auch international schon so präsent, dass man lieber schnell handelte. Es wurde innerhalb weniger Wochen beschlossen. Die ÖVP war übrigens dagegen, und für die FPÖ war es sogar eine mittlere Katastrophe, was historisch tatsächlich absurd ist: Lueger war das totale Feindbild der Deutschnationalen, das die FPÖ bis heute hochhält. Da gilt das Kreisky-Wort: Lernen Sie Geschichte!

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.