Interview

Scheidungsanwältin Klaar: "Die netten Männer lerne ich ja leider nicht kennen"

Die Wiener Scheidungsanwältin Helene Klaar nennt die Kindschaftsrecht-Reform unter Alma Zadić einen "Vernichtungskrieg gegen die Frauen",erzählt, wie man richtig betrügt, warum Spielplatz-Vätern zu misstrauen ist und dass, verglichen mit ihrem Beruf, jeder Kinofilm "fad" sei.

Drucken

Schriftgröße

Warum lassen sich immer weniger Menschen scheiden, Frau Doktor? Mit 36,7 Prozent sank die Scheidungsrate seit 2019 zum dritten Mal in Folge.
Klaar
An meinem Geschäftsgang merke ich das nicht. Aber natürlich spielen die Wirtschaftslage, die Wohnungspreise und der Arbeitsmarkt eine große Rolle. Viele können sich eine Scheidung einfach nicht leisten. Es gilt noch immer: Besser eine schlechte Ehe als hungern oder frieren. Oder die Wohnung, an der das Herz hängt, aufgeben zu müssen.
Eine Ihrer Standardfragen an Ihre Kundschaft lautet: Ist die Situation so unerträglich, dass Sie beim Zahnarzt unbedingt sofort drankommen müssen?
Klaar
Als Anwalt sollte man nie zu einer Scheidung raten. Ich tue das nie. Wenn es den Leuten danach leidtun sollte, würden sie sofort dem geldgierigen Anwalt die Schuld zuschieben, der sie da hineingeritten hat. Das habe ich einmal bei meinem damaligen Chef als Konzipientin erlebt. Ich sehe meine Aufgabe einzig und allein darin, festzustellen, ob sich eine Scheidung rechnet.
Und wenn nicht, sollte man besser sein ganzes restliches Leben unglücklich bleiben?
Klaar
Wenn man Haarausfall, Hautausschlag und Magenschmerzen bekommt, dann muss man sich scheiden lassen. Denn sonst geht man ja drauf. Da hilft das schönste Spekulieren auf die Witwenpension nichts, denn die wird man dann eben leider nicht mehr erleben. Aber sonst muss ich die Frage stellen: Ist das Zusammenleben wirklich so belastend, dass es mögliche finanzielle Nachteile tatsächlich aufwiegt?

Die Menschen sollten mehr Sex als Paartherapeuten haben. Das würde sich positiver auf die Stabilität ihrer Ehe auswirken. 

Die wirtschaftliche Lage wird sich noch verschärfen. Die Mittelschicht ist schwer angeschlagen. Steuern wir auf einen neuen Klassenkampf zu?
Klaar
Klassenkampf würde ich nicht sagen, aber die Gesellschaft wird sich aufteilen in jene, die erben, und die anderen, die dieses Glück nicht haben. Das ist die neue Trennlinie. Menschen, die sich locker scheiden lassen können, ohne unter Existenzängsten zu leiden, sind vor allem solche, die von Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln geerbt haben oder erben werden. In den guten Wirtschaftsjahren haben sich ja viele meiner Generation ein Vermögen zusammengescheffelt und sich gleichzeitig relativ wenig fortgepflanzt. Da kommt natürlich einiges zusammen. Die Paare, die so flockig aufgestellt sind, müssen nicht zusammen bleiben, denn in den beiden Wohnungen wird wahrscheinlich bequem Platz für ein Bett für das Kind sein.
Ergibt es heute eigentlich überhaupt noch Sinn, zu heiraten?
Klaar
Man sollte in jedem Fall verheiratet sein, denn in Lebensgemeinschaften ist man komplett rechtlos. Da können Sie als Frau den Vater Ihres Partners gepflegt und den Pool ausgehoben haben-es wird Ihnen nach einer Trennung nichts nützen.
Wir leben in einer sehr stark psychologisierten Gesellschaft-für alles gibt es heutzutage einen Therapeuten oder einen Coach. Nützt das Ihrer Erfahrung nach bei der Aufrechterhaltung von Beziehungen?
Klaar
Da gibt es natürlich viel Modernes. Ich als Alt-68erin bin der Überzeugung, dass die Menschen ihre Zeit anders nützen und mehr Sex als Paartherapien haben sollten. Das würde sich positiver auf die Stabilität ihrer Ehen auswirken.
Früher klagten die Frauen, wie Sie mir einmal erzählten, dass die Männer dauernd von ihnen Sex wollten. Um die Jahrtausendwende wendete sich das Blatt: Ihre Klientinnen beschwerten sich über zu wenig Sex. Manche ließen sich sogar deswegen scheiden.
Klaar
Das ist in der heutigen Krisensituation kein Scheidungsgrund mehr für Frauen. Aber die Helden sind noch immer müde.
Sie sagen, eine Scheidung muss sich rechnen. Aber man muss auch mit seinem Scheidungswunsch durchkommen. Was gilt es zu beachten?
Klaar
Wenn ein Mann zu mir kommt und sagt, er will das gesamte Verschulden auf sich nehmen, seine Frau war zwar immer brav und lieb, hat gekocht und sich um die Kinder gekümmert, aber es gibt jetzt eben diese andere, die er liebt Dann kann ich ihm nur die Frage stellen: "Gibt es eine Möglichkeit, Ihrer Ehefrau irgendwie eine einvernehmliche Scheidung schmackhaft zu machen? Ansonsten kann ich nur raten: Ziehen Sie aus und warten Sie drei Jahre." Mehr kann ich für den Herrn nicht tun.
Was rät man einer Frau, die es nicht verkraften kann, dass sie von ihrem Mann betrogen wurde?
Klaar
Sie sollte es innerhalb eines halben Jahres nach seinem Betrug nicht verkraften können. Schwierig wird es, wenn sie erst zwei Jahre später draufkommt, dass sie es nicht verwinden kann. Ich brauche einen nicht verfristeten Scheidungsgrund im letzten halben Jahr. Und wenn er sich da aber wie ein Sängerknabe benommen hat, kann ich ihr leider nicht helfen, sondern nur sagen: Pech gehabt, leider zu spät.
Aber es geht auch hier vor allem darum, den Scheidungsgrund beweisen zu können. Das heißt, die, die in der Warteschleife kreisen, sollten unsichtbar bleiben?
Klaar
Richtig. Als ich einmal eine Klientin während eines Verfahrens am ersten sonnigen Frühlingssamstag am Naschmarkt Hand in Hand mit ihrem Neuen schlendern sah, habe ich mir nur an den Kopf gegriffen. Den Adonis auf alle Fälle bis nach der Scheidung einfrieren und nie an die große Glocke hängen! Wenn ein Mann knapp nach der Scheidung plötzlich eine neue Partnerin aus dem Hut zaubert, dann kann man davon ausgehen, dass es die schon viel länger gibt.

Die Gesellschaft wird sich aufteilen in jene, die erben, und die, die dieses Glück nicht haben. 

Verhalten sich Frauen und Männer bei Seitensprüngen unterschiedlich?
Klaar
Erstaunlicherweise gehen Frauen pragmatischer damit um. Ich hatte eine Klientin, die neben ihrem Mann einen Freund hatte. Er, der ebenso immer wieder Freundinnen hatte, kam ihr drauf und ließ sich mit Triumphgeheul scheiden. So billig hätte er sie anders nie entsorgen können. Sie verstand das überhaupt nicht und sagte nur: "Deswegen hätte ich mich nie scheiden lassen."
In vielen Ihrer Interviews bezeichnen Sie Kinder als echte Beziehungskiller.
Klaar
Das ist auch tatsächlich so. Ein Beispiel: Zehn Jahre ging die Ehe eines Paares gut. Kaum war das Kind da, kam nach zwei Jahren die Scheidung. Da konnte er es einfach nicht verkraften, dass sich nach einem Jahrzehnt plötzlich nicht mehr alles um ihn dreht.
Ist das nicht ein sehr eindimensionales Bild von Männern? Gibt es inzwischen nicht schon längst eine Generation von anderen Vätern?
Klaar
Die Netten lerne ich ja leider nicht kennen. Es muss sie aber geben, denn 60 Prozent der Ehen werden ja nicht geschieden. Oder doch: Ein paar nette Männer kommen auch zu mir. Das sind dann die ganz Soften, die von ihren Frauen betrogen werden und ihnen trotzdem Unterhalt zahlen wollen, damit sie nur halbtags arbeiten müssen und sich um die Kinder kümmern können. Das ist natürlich sehr rührend und gefällt mir. Ich hätte diese Art von Softies aber lieber auf der Gegnerseite. Leider ist mir das nur selten beschieden.
Verstehen Sie, wenn Frauen heute noch ihre Unabhängigkeit aufgeben und nicht berufstätig sind?
Klaar
Ich habe mich oft gefragt: Was kann ich Frauen raten, damit es ihnen besser geht? Natürlich sollen sie nie ihren Beruf aufgeben. Kinder wachsen aber nicht auf Bäumen. Und wenn man Kinder verantwortungsvoll aufziehen will, lässt sich das mit Vollzeit-Jobs beider Eltern schwer verbinden. Wer zurück steckt, ist in der Regel die Frau, weil sie für das Kind das größere Mitleid empfindet und die Väter meist alles andere als vollkommen sind.
Auf den Spielplätzen sieht man inzwischen immer mehr junge Väter.
Klaar
Ja, weil sich da sieben alleinstehende Mütter um einen Vater scharen und ihn bewundern. Die eine schnäuzt das Kind, die andere schmiert ihm ein Butterbrot, und die anderen erklären ihm, wie toll er ist. Und während unser toller Vater am Spielplatz ist, putzt die Mutter zu Hause das Häusl und räumt das Frühstücksgeschirr weg, das er am Tisch stehen lassen hat.
Sie vermitteln tatsächlich ein deprimierendes Männerbild. Sind Frauen wirklich die besseren Menschen?
Klaar
Sagen wir so, obwohl ich als Alt-68erin gegen Biologismen bin: Sie sind weniger egoistisch als Männer, weil sie anders sozialisiert wurden. Was ihre Lage nicht besser macht. Aber man kann ihnen ja auch nicht zurufen: Werdet's egoistischer, dann geht es euch besser!

Verheiratete Frauen verlieben sich oft in die Kinderärzte ihrer Kinder. 

Mit welchen Typen gehen verheiratete Frauen überdurchschnittlich oft fremd?
Klaar
Die verlieben sich oft in die Fußballtrainer und Kinderärzte ihrer Kinder. Ist ja auch ganz klar nachvollziehbar: Das sind Männer, die sich für die Kinder oft mehr interessieren als der eigene Vater.
Neben Kindern führen Sie auch immer wieder den Kapitalismus als Beziehungskiller an.
Klaar
Zu Recht. Wenn Eltern eine 30-Stunden-Woche anstelle einer 40-Stunden-Woche hätten, gäbe es viel weniger Scheidungen. Die Menschen zerbröckeln an der Überforderung, der Übermüdung und natürlich auch an den falschen Erwartungen.
Justizministerin Alma Zadić plant eine Reform bezüglich Kindschaftsrecht, Doppelresidenz-sprich: eine Woche beim Vater, eine Woche bei der Mutter-und eine mit verstärkter Betreuung durch die Väter verbundene Reduktion von Unterhalt.
Klaar
Meines Wissens ist keine Doppelresidenz geplant, weil sie sich nicht bewährt hat. Die meisten Kinder wollen das nicht. Was das Justizministerium da in seiner Weisheit auskocht, wird, davon abgesehen, furchtbar. Da sitzen Menschen, die zwar nur das Beste wollen, aber was dabei herauskommt, ist einfach nur schrecklich. In Wahrheit sind das Leute, die die Rache des Patriarchats an den Frauen vollstrecken, indem man ihnen die Kinder wegnimmt und entfremdet. Und wenn die neue Tussi dann nicht nur im Bett besser ist, sondern auch mit den Kindern, weil die ja dann dort oft viel mehr dürfen, dann kränkt das die Mütter.
Jetzt könnte man auch einwenden, dass eine intensivere Vaterbeziehung einem Kind guttut und eine Mutter auch entlasten kann?
Klaar
Da wäre ich unbedingt dafür, aber bei aufrechter Ehe, nicht nach der Scheidung. Solange sie verheiratet sind, wird von den Burschen nichts verlangt. Kaum kommt es zu einer Scheidung, drängt man ihnen die Kinder auf, und sie nehmen sie auch gerne, damit sie nichts zahlen müssen. Das ist die sogenannte feministische Reform der Justizministerin Alma Zadić. Das ist ein Vernichtungskrieg gegen Frauen. Die Hasenjagd auf Frauen begann ja schon 2013 mit der gemeinsamen Obsorge, auch gegen den Willen der Mutter. Man nimmt den Frauen so die Kinder weg. Oft ist es ja so, dass der Vater zu Hause kaum präsent ist und deswegen auf die Bedürfnisse und Wünsche seiner Kinder gar nicht eingestellt ist. Ich muss jetzt einräumen, dass mir die Justizministerin durchaus sympathisch ist. Sie hat ein sehr kleines Kind, einen Mann und einen Knochenjob, ist aber natürlich sehr privilegiert. Aus dieser Perspektive heraus will sie halbe-halbe mit den Vätern machen. Aber sie hat mit Familienrecht kaum praktische Erfahrung, sie ist ja Wirtschaftsanwältin.
Alma Zadić will auch gegen psychische Gewalt in Familien vorgehen.
Klaar
Das schaue ich mir an! Ihre Richter können ja nicht einmal physische Gewalt erkennen und verurteilen. Und das wird wiederum ein klarer Schlag gegen die Frauen sein. Wenn eine schweigt, dann ist das psychische Gewalt, und sie hat mit ihrer passiven Aggressivität seinen Ärger natürlich ständig herausgefordert.
Von der aktuellen Frauenministerin werden Sie demnach vermutlich auch nicht sehr angetan sein.
Klaar
Wer ist die Frauenministerin überhaupt? Man merkt sich ja die Namen schon gar nicht mehr. Nein, natürlich nicht, sie soll am besten zurücktreten. Oder abgewählt werden.
Susanne Raab behauptete auch einmal von sich, nicht Feministin zu sein.
Klaar
Das würde ich von mir auch nicht behaupten. Ich bin eher ein Blaustrumpf, also wesentlich radikaler.
Das heißt: Sie gehen noch immer auf die Barrikaden?
Klaar
Wenn eine in der Nähe ist, dann bin ich dort.
Ansturm auf die geplante Neuregelung des Kindschaftsrechts?
Klaar
Natürlich. Wenn der Unterhalt wegen überdurchschnittlicher Betreuung seitens des Vaters weiter gekürzt wird, werden die Frauen nach der Scheidung die Ehewohnung nicht mehr halten können. Ein Vater, der sein Kind an einem Nachmittag vier Stunden lang betreut, soll deswegen einen Tag anteilig weniger Unterhalt zahlen! Hat ein Tag nicht acht Stunden? Dass die Betreuung des Vaters sich auf den Unterhalt auswirkt, ebnet den Weg in die Kinderarmut. Wenn der Vater nicht das Drei-bis Vierfache von ihrem Gehalt verdient, wird die Mutter auch für sich keinen Unterhalt beanspruchen können. Gleichzeitig kann der Vater, wenn er ausgezogen ist, einen fiktionalen Mietanteil vom Unterhalt abziehen, da ja seine frühere Wohnung von der Familie abgewohnt wird. Das bedeutet dann in etwa 25 Prozent weniger Unterhalt pro Kopf.
Manche Väter ziehen vor, gar nicht zu zahlen. Das Eintreiben des Kindesunterhalts kann sehr zermürbend werden.
Klaar
Ich mache nur mehr selten Verfahren über Kindesunterhalt, weil ich den Frauen für das bisschen Unterhalt nicht noch mehr Geld abnehmen will, sondern schicke meine Klientinnen direkt zum Jugendamt. Die machen das dort kostenfrei. Meine Klientinnen sind Gott sei Dank nur emotional arm, aber nicht wirtschaftlich. Und ich frage mich dann, wie die dort am Jugendamt die Zeit finden, sich um die wirklich armen Hascherln zu kümmern, die das Geld tatsächlich dringend brauchen. Das ist alles sehr unerfreulich.
Sie wirken aber alles andere als abgeklärt, sondern noch immer sehr leidenschaftlich. 
Klaar
Manchmal wundere ich mich selbst darüber.
Nach so vielen Jahren in Beziehungskatastrophen: Ist Ihnen inzwischen noch irgendetwas Menschliches fremd?
Klaar
Ich kann nur sagen: Kino ist dagegen fad.

Helene Klaar

74, hier in ihrer Wiener Kanzlei, ist ein einziges Mal und bis heute glücklich verheiratet. Sie gilt als feministische Autorität unter den Scheidungsanwälten; ihre Gerichtsauftritte werden von Außenstehenden als "Theaterinszenierungen" beschrieben. Die zweifache Mutter, die lange das Justizministerium beriet, bezeichnet ihre Prozessauftritte selbst als "sachlich und ruhig".Pointen gibt es nur am Schluss. Klaar verfasste auch einige Scheidungsratgeber.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort