Raumdeutung

"Shirley" bei der Viennale: Kinostudie über Edward Hopper

Kino. Die verblüffende Kinostudie "Shirley"

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Seine Liebe zu anachronistischen Techniken kann Gustav Deutsch, 61, nicht verhehlen. Die Idee, 13 der berühmten Ölgemälde des Amerikaners Edward Hopper (1882-1967) im Studio aufwändig nachzubauen, mit einem Schauspielteam zu besetzen und zur Erzählung zu verdichten, mutet im Zeitalter der digitalen Abkürzungen seltsam altmodisch an. Der analoge Luxus der real gebauten Räume erscheint in "Shirley - Visions of Reality“ doppelt irreal: Die sanfte Bewegung, die in diese Bilder kommt, treibt der Kunst Hoppers jenen Realismus gründlich aus, der dem New Yorker zu Unrecht unterstellt wird. Zudem destilliert Deutsch aus den einsamen Heldinnen Hoppers die Geschichte eines fiktiven Frauenlebens, mit dem er Fragmente der amerikanischen Geschichte zwischen 1931 und 1963 aufschließt, von der Great Depression bis zu Martin Luther Kings "I Have a Dream“ - aus her story wird history.

Autonome, aber einsame Frauenfiguren dominieren den österreichischen Gegenwartsspielfilm: Nach dem Überraschungserfolg des Martina-Gedeck-Solos in "Die Wand“, nach Ulrich Seidls weiblich bestimmter "Paradies“-Trilogie und Daniel Hoesls Meta-Feminismus-Studie "Soldate Jeannette“ erreichen diese Woche zwei weitere, um durchschlagskräftige Protagonistinnen gebaute Austro-Fiktionen die Kinos. In Götz Spielmanns "Oktober November“ brechen mit den Psychokrisen eines Schwesternpaars alte Familienkonflikte auf (siehe Kritik rechts) - und auch Gustav Deutsch lässt seine Hopper-Reflexion um eine von der Tänzerin und Performance-Künstlerin Stephanie Cumming formidabel dargestellte Titelheldin kreisen. "Shirley“ sei ein Film, den nur ein Architekt, eine Tänzerin und eine Malerin machen konnten, sagt Deutsch im profil-Gespräch - denn es brauchte, um die Arbeit zu konzipieren, nicht nur jenes Verständnis für Räume und Gebäude, das der Architekt und Filmemacher Deutsch mitbrachte, sondern eben auch das Zutun einer choreografisch versierten Darstellerin sowie die Hilfe einer für die Hintergrundmalerei zuständigen Künstlerin, die mit Hanna Schimek, Deutschs Kunst- und Lebenspartnerin, zur Verfügung stand.

"Shirley“ ist ein absichtsvoll statischer Film, seine Bewegungen sind gemessen, seine Rhythmen tranceartig. "Die Grundideen dieses Films verweisen in die Vorgeschichte des Kinos: auf das Tableau vivant, das Diorama und das Panorama.“ Aber sein Film sei "auch der Studiogeschichte Hollywoods verhaftet“, erklärt Deutsch, "schon deshalb wollte ich diese Räume bauen, den Reiz der Materialität spüren. Und genau wie das klassische Kino, das seine Künstlichkeit ja auch stets ausgestellt hat, weiß Hopper zu berühren, obwohl man sehen kann, wie konstruiert, wie falsch das alles gebaut ist.“ Hoppers Perspektiven seien "absolut nicht stimmig, bewusst surrealistisch“. Er verwende "Versatzstücke von Wirklichkeit, um diese neu zu konstruieren: Er malte falsche Perspektiven, anamorphotisch verzerrte Möbel, unmögliche Schatten, um einen bestimmten Eindruck von, Realismus‘ zu erwecken. Faszinierenderweise ist ihm dies gelungen. Man erkennt Hopper-Gemälde ja nicht ad hoc als surrealistisch.“ Aber es gebe da "jede Menge Inkonsequenzen: etwa ein Fenster, aber zugleich einen Lichtfleck am Teppich und einen an der Wand. Das wäre nur mit zwei Sonnen möglich - oder in einem Filmstudio. Hopper ging es um die Analyse von Innen- und Außenlicht.“

In der akribischen Arbeit an diesen Motiven kam Deutsch etlichen weiteren Bildgeheimnissen auf die Spur: Die namenlose Frau am Bett in Hoppers "Morning Sun“ (1952) etwa blickt nicht, wie in der Kunstliteratur überall vermerkt, aus dem Fenster - sie starrt an die Wand. "Hopper war nicht wichtig, dass es logisch richtig, sondern dass es malerisch richtig war. Er stellte eben nicht nur dar, er überhöhte metaphorisch. Er war Purist und Minimalist. So vermied er Details, malte Türen ohne Klinken, Telefone ohne Kabel und Kleidung ohne Knöpfe - Objekte, die dadurch über ihren bloßen Gebrauchswert hinaus Bedeutung erlangten.“

Eine eigene Ausstellung, deren Herzstücke drei von Licht und Sound bespielte Hopper-Sets sein werden, wird - ohne die teuren Originale zu zeigen - die Methoden des Malers in vielen Facetten neu ausleuchten: Was ist eigentlich in Hoppers Werken auf den kleinen Wandgemälden hinter den Protagonisten genau zu sehen? Hanna Schimek hat diese Arbeiten nachgemalt und anschließend Kopien von ihren Kopien hergestellt. Auch sie werden Teil der Ausstellung sein, die unter dem Titel "Visions of Reality“ im Wiener Künstlerhaus ab 6.11. zu sehen sein wird.

Bereits 2008 war in der Kunsthalle Wien im Rahmen einer Hopper-Schau das erste Filmset zu besichtigen: die Rekonstruktion des Gemäldes "Western Motel“ von 1957. In den Jahren danach entwarf Deutsch zwölf weitere Bildräume, die er in ein komplexes Storyboard und eine Story verwandelte, in der es folgerichtig um Inszenierung und Interpretation von Wirklichkeit geht: Shirley ist Schauspielerin, ihr Mann Bildreporter. Die politische Arbeit seiner imaginierten Heldin im Group Theatre, später im Living Theatre war für Deutsch ein Weg, "Hoppers Werk zu ehren, aber auch Ideen einzubringen, die der reaktionären Ideologie des Malers zuwiderlaufen. Er war erzkonservativ, engagierte sich politisch für die Rechten. Edward Hopper wird mir nicht sympathischer, wenn ich seine Biografie lese. Aber man muss das Werk vom Menschen trennen.“ Erst dann beginnt es zu schillern.

Die Österreich-Premiere von "Shirley“ findet im Rahmen der Viennale, in Kooperation mit profil, am Dienstagabend dieser Woche im Wiener Gartenbaukino statt. Die Ausstellung "Visions of Reality“ von Gustav Deutsch und Hanna Schimek wird im Künstlerhaus am 5.11. um 20.30 Uhr eröffnet - und ist bis 5.1. 2014 zu sehen.

Infos: Viennale: 24.10. – 6.11.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.