"Ich bin das ideale Opfer"

Silvia Stantejsky über die Burgtheater-Affäre: "Ich bin das ideale Opfer"

Burgtheater. Ex-Vizedirektorin Silvia Stantejsky nimmt erstmals zum Finanzskandal Stellung

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Interview: Karin Cerny und Stefan Grissemann

Während Mittwoch und Donnerstag vergangener Woche Ex-Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann vor dem Arbeitsgericht – im Beisein des im Juni 2014 vorzeitig in den Ruhestand getretenen Bundestheater-Holding-Chefs Georg Springer – um seine Rehabilitierung und um jene rund zwei Millionen Euro kämpfte, die er bis 2019, wäre er nicht fristlos entlassen worden, als Intendant und Regisseur seiner Meinung nach verdient hätte, kam die Dritte im fragilen Bunde, die ehemalige Burg-Geschäftsführerin Silvia Stantejsky, erneut nicht zu Wort. Dabei spielt sie eine Schlüsselrolle in dem Eklat: Ein guter Teil des Theaterdefizits sei auf Stantejskys angeblich fehlerhafte und allzu improvisierte Buchhaltung zurückzuführen, erklären Springer und Hartmann seit Monaten; überhaupt habe sie stets alle Fäden in der Hand gehabt und finanzielle Manöver gewagt, die der Holding-Boss und der Theaterdirektor wegen anderer Verpflichtungen nicht zu durchschauen in der Lage gewesen seien.

Die öffentliche Debatte um den Finanzskandal am Burgtheater kommt Anfang Januar 2014 ins Rollen: Vizedirektorin Silvia Stantejsky, die zwischen 2008 und 2013 amtierende kaufmännische Chefin, sei "wegen Unregelmäßigkeiten bei der finanziellen Gebarung" bereits im November entlassen worden, wird mit Verspätung gemeldet. Auf ihrem Privatkonto hatten sich 9000 Euro aus dem Burg-Budget gefunden, das ergeben profil-Recherchen. Es handle sich dabei um die Rückzahlung von Beträgen, die Stantejsky aus ihrem Privatvermögen dem Burgtheater vorgestreckt habe, lassen ihre Anwältinnen ausrichten, die umgehend Klage gegen die Entlassung einreichen. Springer wirft Stantejsky vor, sie habe ein „buchhalterisches Parallelsystem“ etabliert. Klarheit soll ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG bringen, das Kulturminister Josef Ostermayer in Auftrag gibt. Der forensische Bericht mit dem Titel "Projekt Sopran", der teilweise geschwärzt öffentlich gemacht wird, spricht von einem "Containersystem", das Stantejsky aufgezogen habe, das es für alle schwer gemacht habe, Einblick in die Finanzen zu bekommen. Von gefälschten Unterschriften ist die Rede, zudem seien an die acht Millionen Euro Steuerschulden zu erwarten, die ebenfalls Stantejsky angelastet werden. Am 11. März entlässt Kulturminister Ostermayer überraschend Burg-Chef Matthias Hartmann; dieser sei am "Schattensystem Stantejsky" beteiligt gewesen, so Burg-Anwalt Bernhard Hainz. Zudem habe Hartmann, der – obgleich er für die kaufmännischen Belange durch das Vier-Augen-Prinzip de facto ebenfalls zuständig war – eine Mitverantwortung am Finanzdesaster stets von sich wies, Stantejsky in bar ausbezahlte Vorbereitungshonorare zur Verwahrung hinterlassen.

Wie sich herausstellt, hatte Hartmann diese Beträge nicht versteuert. Hartmann argumentiert nun, er habe Schulden bereits von seinem Vorgänger Klaus Bachler geerbt, obwohl ihm ein schuldenfreies Haus versprochen worden war. Und er habe bereits 2011 den deutschen Finanzexperten Peter F. Raddatz als Berater an die Burg geholt, um Klarheit in die angespannte finanzielle Lage zu bringen. Außerdem möchte Hartmann geklärt wissen, wie viel Holding-Chef Springer von den finanziellen Ungereimtheiten wusste. Während Hartmann und seine Anwälte medial stark präsent waren und sind, hielt sich Silvia Stantejsky, abgesehen von kurzen Stellungnahmen über das Büro Hornek Hubacek Lichtenstrasser Epler Rechtsanwälte OG, bislang im Hintergrund. Im profil-Gespräch, das vergangenen Dienstag im Anwaltsbüro im Ersten Wiener Gemeindebezirk stattfand, wolle sie sich nun erstmals explizit und ausführlich "zur Wehr setzen". Stantejsky machte einen gefassten Eindruck, sie argumentierte sachlich und bestimmt. Ihre Anwältinnen, Isabell Lichtenstrasser und Alice Epler, waren bei dem Gespräch anwesend, ergriffen bei einigen Fragen auch das Wort. Steuerrechtliche Themen und Details zu offenen Überweisungsfragen waren auf Wunsch der Anwältinnen nicht Gegenstand des Interviews.

profil: Warum haben Sie, obwohl Sie massiv beschuldigt wurden, das Burgtheater durch jahrelange Misswirtschaft geschädigt zu haben, seit Ihrer fristlosen Entlassung im November 2013 kaum öffentlich Stellung genommen, kein einziges Interview gegeben?
Silvia Stantejsky: Ich habe sehr lange geschwiegen, weil mir zunächst bei meiner Entlassung die Möglichkeit einer Rückkehr an die Burg in einer anderen Position angeboten wurde und ich es deshalb nicht sinnvoll fand, Lärm zu schlagen. Später hat Matthias Hartmann kurzzeitig auch einen Vergleich mit mir angestrebt. Das erkenne ich im Nachhinein als Hinhaltetaktik, die verhindern sollte, dass ich meine Entlassung anfechte. Ich war zu diesem Zeitpunkt auch nicht gesund. Aber nach der öffentlichen Behauptung des damaligen Holding-Chefs Georg Springer, ich sei eine Betrügerin, meldete ich mich zu Wort. Ich habe einen Medienfeldzug, wie ihn Hartmann gegenwärtig veranstaltet, keineswegs im Sinn. Ich möchte nur einiges richtigstellen, weil ich nicht dazu bereit bin, mich von den Herren dazu benützen zu lassen, dass sie ihre eigenen Versäumnisse und Verfehlungen mir unterschieben. Ich möchte mich zur Wehr setzen.

profil: Angesichts der vielen Vorwürfe, die gegen Sie ausgesprochen wurden: Gibt es etwas, das Sie sich vorwerfen, das Sie sich zuschulden kommen haben lassen?
Stantejsky: Eines werfe ich mir vor: dass ich in dem Glauben, wir seien ein Team, vieles nicht schriftlich festgehalten habe – was am Theater aber auch nicht üblich ist, wenn man bestimmte Dinge ruckzuck und zwischen Tür und Angel bearbeiten muss. Hätte ich alles aufgezeichnet, würde ich jetzt ganz anders dastehen, weil viele Behauptungen nicht aufrecht zu erhalten wären. Und ich hätte manchmal einfach kälter reagieren müssen, nicht stets alles für die Kunst geben sollen. Aber so sah ich eben meinen Job. Die Philosophie der Bundestheater bestand immer darin, zu versuchen, das Künstlerische so gut wie möglich zu machen, man hatte ja einen Kulturauftrag, der explizit von Ministerin Schmied formuliert wurde; auf der anderen Seite gab es einen Etat, der dafür bei Weitem nicht ausreichte. Gerade am Burgtheater wurden im Zuge der Ausgliederung rund 100 Personen eingespart – aber das hat nicht einmal dazu gereicht, die Inflationsabdeckung und die Erhöhungen der Gehälter auffangen zu können. In dieser angespannten Situation gab es den Direktionswechsel von Bachler zu Hartmann; er war eine Zusatzbelastung, erzeugte Kosten, es standen Abfertigungen an, es gab zeitweilige Doppelbesetzungen, und es mussten neue Produktionen entstehen.

profil: Karin Bergmann hat das Burgtheater als Vizedirektorin verlassen, weil sie meinte, Hartmanns Premierenfeuerwerk sei eigentlich nicht finanzierbar gewesen. Haben Sie Hartmann auch gewarnt, dass er zu viel produzierte, viel zu viel Geld ausgab?
Stantejsky: Ja, sehr oft! Problematisch war immer, dass er für sich sehr in Anspruch nahm, Künstler zu sein und eben nicht Kaufmann. Obwohl er zuvor stets behauptet hatte, er sei der beste Kaufmann. Es war schwer, mit ihm sachlich über finanzielle Dinge zu reden. Jeder Controlling-Report besteht aus Excel-Listen, nur so kann man Soll-Ist-Differenzen darstellen. Wann immer ich aber solche Listen vorlegte, meinte Hartmann nur: "Du wieder mit deinen Excel-Listen, da sind so viele Zahlen drin." Aufzeichnen kann man die eben schlecht. Zudem gab es viele andere Diskussionen. Ein Beispiel: Hartmann wollte 2012 eine zusätzliche Produktion einschieben, die nicht geplant war – die "Mittsommernachts-Sex-Komödie" zu Silvester, denn diese würde, so war er überzeugt, viel Geld bringen. Mein Einwand: Es mochte ja sein, dass sie sich gut verkaufen würde, aber was die Produktion kostete, überstieg die Mehreinnahmen um ein Vielfaches. Aber so etwas war ihm nicht nahezubringen. Er war über alle Risiken immer informiert, hat sie jedoch so in sein eigenes Weltbild eingeordnet, dass es ihm anders erschien.

profil: Hartmann sagte vor Kurzem, Sie hätten seine Spielpläne stets abgesegnet.
Stantejsky: Der Spielplan stand fest, ich musste schauen, wie ich damit zurande kam. Aber wenn dann noch zusätzliche Produktionen angedacht wurden und ich deutlich sagte: "Das Geld ist nicht da", war ihm das völlig egal. Gewusst, was die Produktionen kosten und, dass das Geld nicht da ist, hat jeder, auch Springer und der Aufsichtsrat.

profil: Wie oft gab es Sitzungen zwischen Hartmann und Ihnen?
Stantejsky: Es gab wöchentlich eine Direktionssitzung, bei der alle Dramaturgen anwesend waren, da wurden Grundlagen besprochen. Es gab monatliche Reportings innerhalb des Hauses, aber auch an die Holding; es gab die interne Revision, und es gab zumindest vier Mal im Jahr die Aufsichtsratssitzungen, wo es aber schwierig war, Vorbereitungssitzungen mit Matthias Hartmann abzuhalten, weil er meist gerade selbst inszenierte. Es hieß immer nur: rasch, rasch, rasch.

profil: War Hartmann bei den Aufsichtsratssitzungen stets anwesend?
Stantejsky: Ja, er war dabei. Die Finanzen waren in diesen Sitzungen immer das zentrale Thema. Ich wurde im April 2008 zur kaufmännischen Direktorin ernannt, und schon in meinem ersten Interview sagte ich, dass ich rund 3,5 Millionen Euro mehr an Subvention brauchte, plus die Inflationsanpassung, sonst werde es eine Zitterpartie. Da unser Budget aber nie entsprechend erhöht wurde, muss Hartmann gewusst haben, dass es nicht da war.

profil: Der KPMG-Prüfungsbericht und die Anwälte von Hartmann werfen Ihnen vor, dass Sie viele Gagen mittels nicht nachvollziehbarer Barauszahlung aus der Kassa getätigt hätten.
Stantejsky: Barauszahlungen gab es immer. Bernhard Minetti etwa hat keine Bühne betreten, wenn er nicht fünf Minuten vor seinem Auftritt, noch in der Garderobe, sein Geld bekam. Bei uns gab es viele Schauspieler, die ganz ähnlich funktionierten. Barbezahlung ist am Theater ein völlig normaler Vorgang, und es ist absurd, ihn jetzt zu kritisieren. Wir wurden sechs Jahre lang von PricewaterhouseCoopers (PwC) geprüft, und unsere Barauszahlungen, die Handkassen, die nun als Schwarzkassen bezeichnet werden, obwohl nichts an ihnen schwarz war, wurden von diesen Prüfern als notwendig und zweckmäßig für den Betrieb bezeichnet. Eineinhalb Jahre später kommt eine andere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – und auf einmal sind Barzahlungen des Teufels. Dasselbe betrifft die Abschreibungspraxis von Werken über fünf Jahre: erst toleriert, dann verpönt.
Lichtenstrasser: Im Rahmen der Gebarungsprüfung für die Geschäftsjahre 2010 und 2011 wurde noch durch die PwC festgestellt, dass Abläufe und Kontrollmaßnahmen im Burgtheater ausreichend und wirksam sind und die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit eingehalten werden. Es gab weder Kritik am Bargeldsystem noch am internen Kontrollsystem. Auch der interne Revisionsbericht im Auftrag der Holding aus 2011 stellte bei allen Bühnengesellschaften, was den Bargeldprozess anbelangt, eine positiv gelebte Praxis und ein intaktes internes Kontrollsystem fest. Dann wurde in dem vom Burgtheater in Auftrag gegebenen KPMG-Gutachten festgestellt, dass die Barauszahlungen unüblich und problematisch seien und, dass das Kontrollsystem praktisch nicht vorhanden sei. Da muss man schon an der Richtigkeit des KPMG-Gutachtens zweifeln.

profil: Sie haben sich Belege für alle Überweisungen und Auszahlungen geben lassen? Die gegnerischen Anwälte behaupten, es fehlten unzählige Belege, Überweisungen seien nicht zuzuordnen, Unterschriften wären von Ihnen gefälscht worden.
Stantejsky: Das ist mir unerklärlich, es gab bei mir keine Kassa-Auszahlung ohne Beleg – nichts, was heimlich über den Tisch geschoben wurde. Und Unterschriften habe ich natürlich überhaupt nie gefälscht; dagegen wehre ich mich vehement.

profil: Der damalige Holding-Chef Georg Springer unterschied zwischen erlaubten Tricks, die in der Bilanz angewandt werden dürften, und sogenannten "dolosen", die er Ihnen zuschreibt. Für Außenstehende ist diese Differenzierung schwer nachvollziehbar.
Stantejsky: Wenn Sie die Verlängerung der Abschreibung der Bühnenbilder auf fünf Jahre meinen, kann ich dazu nur sagen, dass diese von Springer selbst in den Holding-Richtlinien formuliert wurde. Es war eine Weisung, das so umzusetzen, und ich möchte klar festhalten, dass das von den Wirtschaftsprüfern ausdrücklich für richtig befunden wurde und für mich daher keine Veranlassung bestand, der Weisung von Springer nicht nachzukommen.

profil: Wenn Hartmann Zweifel an Ihrer Kompetenz hegte, hätte er sich doch von Ihnen trennen können.
Stantejsky: Er hätte sich 2011 gegen die Verlängerung meines Vertrags aussprechen können; hat er aber nicht – mein Vertrag lief also weiter, bis 2014. Hartmann hat stets vorgegeben, ich sei seine gute Freundin. So lange er mich gebraucht hat, war das so, er wusste eben genau, dass das Ensemble und alle Mitarbeiter hinter mir standen. Eine wesentliche Aufgabe der Intendanz besteht, laut Kulturauftrag, in der Pflege des Ensembles. Das war aber etwas, das Hartmann rigoros ablehnte. Hartmann sagte wortwörtlich: "Ich wurde nicht engagiert, um mich um das Ensemble und die Nöte jedes Einzelnen zu kümmern." Diese Nöte sind, nachdem Karin Bergmann gegangen war, also bei mir gelandet, weil ich eben 30 Jahre lang im Burgtheater gearbeitet hatte. Dafür brauchte er mich. Darum hat er mir ja auch angeboten, dass ich seine Stellvertreterin werde: um genau diesen Teil seines Jobs, den er nicht erfüllen wollte, zu übernehmen. Schon als ich bereits entlassen war, brauchte er mich immer noch, weil er wollte, dass ich das Ensemble gegen ihn ruhig halte. Als das Misstrauensvotum des Ensembles gegen ihn ausgesprochen wurde, rief er mich am Handy an und brüllte ins Telefon, ich solle sofort eine APA-Meldung aussenden, in der ich dem Ensemble mein Misstrauen ausspreche. Ich sollte sagen: „Der Einzige, dem ich vertraue, ist Matthias Hartmann.“ Das war für mich dann echt völlig absurd! Und wir haben im Kasino jedes Jahr einen internen Ball, eine Mischung aus Opernball und Kirtag, da war es Sitte, dass ich mit dem Direktor den Eröffnungswalzer tanzte. Ende Jänner war ich bereits entlassen, und Hartmann wollte trotzdem, dass wir gemeinsam den Eröffnungswalzer tanzen. Das war natürlich genauso absurd. In der Folge wurde auch Hartmann klar, dass es am besten war, mir die Schuld an allem zuzuschieben. Denn ich bin das schwächste Glied, schon deshalb weil ich an Dokumente und Belege des Burgtheaters nicht mehr herankomme, um meine Unschuld zu beweisen. Da war die Freundschaft dann zu Ende.

profil: Im Bericht der Bundestheater-Revision wurde für 2011 festgehalten, dass 30 Prozent aller Auszahlungen an der Burg bar gelaufen seien. Ist das nicht ein ungewöhnlich hoher Anteil?
Epler: Nein, bei allen Bühnengesellschaften sind Barauszahlungen üblich, das kann man dem Rechnungshofbericht und dem internen Revisionsbericht entnehmen. Auch Handkassen werden im PwC-Bericht sowie im internen Revisionsbericht als üblich und notwendig dargestellt. Im KPMG-Bericht werden Barauszahlungen dann plötzlich als "unüblich" bezeichnet. Aus unserer Sicht zeigt das deutlich, wie einseitig dieser Bericht ist. Jeder, der in der Theaterbranche kundig ist, weiß, wie geläufig gerade Barauszahlungen in dieser Branche sind; natürlich wussten das auch der Aufsichtsrat vom Burgtheater und Georg Springer. Viele Schauspieler rühren keinen Finger, ehe sie ihre Gage nicht bar in die Hand bekommen haben.

profil: Ihre "kreative Buchführung" wurde Ihnen zum Verhängnis. Haben Sie dieses System erfunden oder wurde es bereits praktiziert, als Sie 2008 als kaufmännische Chefin antraten?
Stantejsky: Im Rahmen der Ausgliederung des Bundestheater 1999 wurde das System für Buchhaltung und Kostenrechnung durch ein hochkarätig besetztes Gremium neu aufgesetzt. Es gab vorher keine Kostenrechnung, neue Lohnverrechnungssysteme, eine neue Buchhaltung wurden implementiert, Kostenrahmen und Kostenstellen benannt. In diesem Gremium wurde auch entschieden, wie Barauszahlungen erfolgen müssen. Wir haben dafür extra Belege drucken lassen mit dreifachem Durchschlag. Das wurde von allen abgesegnet und wurde nie verändert. Ich habe nichts Neues dazu erfunden. Ich habe es nicht einmal exzessiver benutzt.

profil: Das viel zitierte "System Stantejsky" gibt es also gar nicht?
Stantejsky: Absolut nicht. Wir haben halt versucht, schnell zu agieren, weil das im Theater oft notwendig ist. Aber es gab immer Belege, keine Auszahlung, die an mir vorbeigehuscht wäre.

profil: Und Sie haben diese Belege auch nicht manchmal nachlässig archiviert?
Stantejsky: Über den Sommer, wenn das Theater Pause hatte, versuchte ich immer, meine Buchhaltung zu kontrollieren. Wenn ein Beleg gefehlt hat, von wem auch immer, dann war das eine Gelegenheit, ihn nachzufordern. Alles Übrige war immer belegt.
Epler: Der Begriff "System Stantejsky" wurde vom Burgtheater, den Burgtheater-Anwälten und der KPMG erfunden, genau wie die Begrifflichkeiten "Containerorganisation", "subkutanes Buchhaltungssystem" oder "Schottenprinzip". Kein Mensch weiß, was mit diesen Begriffen gemeint ist. Sie werden verwendet, als wären dies neue Straftatbestände; in Wirklichkeit heißen sie gar nichts!

profil: All diese Umschreibungen meinen doch nur, dass man am Burgtheater und in der Holding von den finanziellen Transaktionen der Geschäftsführerin nichts wissen habe können.
Stantejsky: Das stimmt eben nicht. Die Aufgabenverteilung war immer klar, das wurde von mir nicht verändert. Die Burg ist zwar kein sehr sitzungsaktives Haus, weil auf allen Ebenen so viel zu tun ist, aber jeder informiert den anderen. Diese Zuruf-Praxis wurde von mir weder abgeblockt noch erfunden. Das ist von Anfang an so gelaufen.
Lichtenstrasser: Im PwC-Gutachten werden die internen Abläufe und die Kompetenzverteilung deutlich erklärt. Da wurde festgehalten, wie gut die Kommunikation funktionieren würde, es wurde keinerlei Kritik formuliert. Nur etwa zwei Jahre später, nach der Entlassung von Frau Stantejsky, heißt es plötzlich im KPMG-Gutachten, unsere Mandantin hätte alles an sich gezogen, keiner sei informiert worden. Das sind zwei Gutachten, die einander diametral entgegenstehen, was nicht nachvollziehbar ist.

profil: Sie haben also einfach ein System übernommen, das bereits unter Ihrem Vorgänger Thomas Drozda üblich war?
Stantejsky: Ja, die starke Veränderung fand 1999 statt, aber diese war mir relativ vertraut, weil ich an der Wirtschaftsuniversität studiert hatte, für mich war eher die kameralistische Buchhaltung exotisch, die angewandt wurde, bevor die Bundestheater ausgegliedert wurden.

profil: In sämtlichen Berichten über Sie ist die Rede von „Schwarzgelddepots“, von "Verschleierungstaktiken" und "Bilanztricks". Stimmt das alles nicht? Sehen Sie sich als das Opfer einer Intrige?
Stantejsky: Nein, aber ich bin das ideale Opfer für die Herren Hartmann und Springer, die mir nun alles zuschieben können. Sie erfinden laufend Vorwürfe gegen mich, es gibt aber bislang keinen Nachweis für einen gefälschten Beleg. Ich verwehre mich gegen den Vorwurf der Urkundenfälschung. Es gibt für alles Belege, aber am Burgtheater will man eben bestimmte Dinge nicht zur Kenntnis nehmen. Ein Vorwurf lautete, ich hätte mir selbst Geld überwiesen. Das war aber nur der Ausgleich für Barauszahlungen von Künstlergagen während der Theaterferien, die ich aus meinem Privatvermögen vorgestreckt habe.

profil: Sind Sie überzeugt davon, dass Sie Ihre Unschuld beweisen können werden?
Lichtenstrasser: Grundsätzlich ist es so, dass das Burgtheater die Entlassungsgründe beweisen muss und nicht Frau Stantejsky ihre Unschuld. Problematisch ist allerdings, dass das Burgtheater bis jetzt und auch noch weiterhin Gelegenheit hat, jeden Stein im Burgtheater umzudrehen und nach einer Verfehlung von Frau Stantejsky zu suchen, um diese dann im Prozess als Entlassungsgrund nachschieben zu können. Wir hinken also immer ein bisschen hinterher, weil uns ja die Buchhaltungsunterlagen des Burgtheaters nicht vorliegen. Aber Frau Stantejsky hat tatsächlich ein phänomenales Gedächtnis und kann sich fast an jeden Beleg erinnern. Wir sind also optimistisch.
Stantejsky: Ich habe ein fast fotografisches Gedächtnis, ich kann exakt sagen, wie ein Beleg aussieht, den ich gerade suche, aber das nützt mir natürlich aus der Ferne nichts.

profil: Menschen, die Ihr Büro betreten haben, um vertragliche Angelegenheiten zu klären, berichten von dem unglaublichen Anblick Ihrer Papierhaufen und Aktenberge. Konnten Sie da die Übersicht bewahren?
Stantejsky: Ich habe immer gefunden, was ich gesucht habe. Das wird Ihnen jedes Mitglied des Ensembles auch bestätigen. Ich bin kein Mensch, der für jedes Detail extreme Ordnung sucht; aber es wird jeder, der bei mir war, bestätigen, dass ich jede Unterlage gefunden habe. Ich hatte Farbsystemmappen, wusste beispielsweise, dass Aufführungsverträge blau sind, Gastspiele grün und so weiter.

profil: Haben Sie sich nicht überfordert gefühlt von Ihrem Job?
Stantejsky: Ich habe mich ab Beginn der Direktion Hartmann oft überfordert gefühlt. Weil das ein ganz anderes Arbeiten war. Ich war plötzlich für alles allein zuständig. Ich war seine Ansprechperson für alles, habe 16 Stunden am Tag gearbeitet, war auch am Wochenende im Burgtheater. Hartmann hat immer aus dem Moment heraus etwas gefordert. Wenn ich, selten genug, das Gefühl hatte, mal zwei Tage Ruhe zu haben, hat er das gerochen und wollte sofort wieder etwas Neues.

profil: Das war unter Klaus Bachler anders?
Stantejsky: Unter Bachler war viel zu tun, aber es waren nicht diese unkontrollierten und unkoordinierten Anforderungen. Unter Hartmann gab es eine totale Sprunghaftigkeit; er hat mich immer wieder dazu getrieben, alles fallen zu lassen, um mich etwas anderem zuzuwenden. Es war schwierig, sich mit ihm auf eine Sache zu konzentrieren.

profil: Sie spielten die Wunscherfüllerin sowohl für Hartmann als auch für Springer. Sie wollten alles möglich machen?
Stantejsky: Ich wurde zerrieben zwischen den beiden. Die haben ein Spiel mit mir gespielt, das ich, als es geschah, nicht wahrhaben wollte. Einmal ist der eine bei mir am Schoß gesessen, dann der andere. Bis sie sich wieder gegen mich verbündet haben. Dann war ich die Böse. Das waren psychologische Ekelhaftigkeiten.

profil: Haben Sie nie mit Kündigungsgedanken gespielt?
Stantejsky: Natürlich, nach jeder Aufsichtsratssitzung mit Hartmann, die ich wie üblich türenknallend verließ. Diese Sitzungen waren sehr speziell. Ich habe jeweils vorher alle Themen mit ihm besprochen. In der Sitzung selbst hat er dann behauptet, er hätte davon noch nie gehört.

profil: Hat Holding-Chef Springer auf Sie Druck ausgeübt?
Stantejsky: Für Springer war die berühmte "schwarze Null" in der Gewinn- und Verlustrechnung das Wichtigste. 2008 warnte ich schon, dass es einen enormen Mehraufwand durch den Direktorenwechsel geben werde, für ihn aber war nur die ausgeglichene Gewinn- und Verlustrechnung entscheidend. Die Abschreibungsmethode auf fünf Jahre war ja aus dem System, wie wir es vor Hartmann kannten, nicht falsch. In der letzten Saison Bachlers wurden die Highlights aus zehn Jahren gespielt, wir hatten diese Stücke tatsächlich alle aufgehoben. PwC hatte die Abschreibung so verstanden, dass ein Stück so lange Wert habe, wie eine Wiederaufnahme, ein Gastspiel möglich und beabsichtigt sei. Die KPMG dagegen fragte: Wie viel Geld kann man durch ein bestimmtes Stück lukrieren? Das sind völlig unterschiedliche Ansätze. Die längere Abschreibung verhalf natürlich zunächst zur schwarzen Null.

profil: Sind Sie je zu Springer gegangen, um ihm zu erklären, wie schwierig es war, seine "schwarze Null" herzustellen?
Stantejsky: Wir haben im Zuge der Budget-erstellungen intensiv darüber geredet. Ich habe um 2009 immer wieder erklärt, dass es so nicht mehr gehe. Er meinte nur: „Du schaffst das schon irgendwie.“

profil: Wie wurde die Burg von der Holding kontrolliert?
Stantejsky: Die Holding hat über unser Buchungssystem zu jedem Zeitpunkt Einblick in alles gehabt. Das war ein Direktzugriff, sie machte daraus ihre Berichte.

profil: Matthias Hartmann sagt, er habe 2011 den deutschen Finanzexperten Peter Raddatz hinzugezogen, um die Finanzlage des Burgtheaters besser zu verstehen. Nahmen Sie Raddatz damals wahr? Gab es eine Zusammenarbeit zwischen Ihnen?
Stantejsky: Er war bereits im Haus, als 2010 der Bericht der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young erstellt wurde. Springer hatte Raddatz als Experten von außen hinzugezogen. Hartmann hielt die Erstellung des Berichts für einen völlig unsinnigen Vorgang und stand außer dem Begrüßungsmeeting für nichts mehr zur Verfügung.

profil: Springer also brachte Raddatz ins Spiel? Nicht Hartmann, der sich ja derzeit als derjenige geriert, der eigentlich immer Aufklärung in die Burgfinanzen bringen wollte?
Stantejsky: Zuerst holte ihn Springer, später dann Hartmann auch. Bei Ernst & Young wurden damals tatsächlich Äpfel mit Birnen verglichen, sie hatten falsche Zahlen zusammengerechnet. Daraufhin setzten die drei Häuser das gemeinsam mit Ernst & Young noch einmal auf, stellten die Zahlen richtig. Hartmann hat nie verstanden, warum die finanziellen Mittel an der Burg immer weniger werden. Das Prinzip der Abschreibung leuchtete ihm nicht ein, deshalb holte er 2011 erneut Raddatz. Seitens Springer hieß es bereits 2008, wir müssten alle Rücklagen auflösen, dann komme frisches Geld. Das war immer die Karotte vor der Nase. Also wurden die Rücklagen aufgelöst, die natürlich kein Geld in die Kassa gespielt haben, es gab nur wieder die schöne "schwarze Null". Damals habe ich sehr deutlich zu Springer gesagt: Aber du weißt schon, dass wir deswegen keine bessere Liquidität haben? Er meinte nur, ja, aber es käme ja dann neues Geld. Aber das rettende Geld vom Ministerium kam nie.

profil: Wann haben Sie realisiert, dass die kontinuierliche Verschiebung des Schuldenbergs aussichtslos war?
Stantejsky: Ich habe immer versucht weiterzukämpfen. Das Minus war im letzten Jahr durch die Auflösung der Abschreibungen zwar groß, aber es war ein Papier-Minus. Das tatsächliche Geld-Minus war schon vorher da. Raddatz jedenfalls war 2011 einige Tage da, recherchierte, hatte Zugang zu allem, ich übermittelte ihm viele Unterlagen, wie aus meinem Mailverkehr ersichtlich ist. Er hat vieles mit mir besprochen und in Ordnung gefunden. Welche Meldungen er Hartmann machte, weiß ich nicht. Es gab keine Ergebnisrückmeldung an mich und keine Form von Kritik. Erst Monate nach meiner Entlassung behauptete er, er habe 2011 schon gewusst, dass es sich um eine finanzielle Katastrophe handelte. Von 2011 bis 2014 hat er mir davon nichts gesagt.

profil: Gibt es Unterlagen, Ergebnisse seiner Arbeit am Haus?
Stantejsky: Nein, bei mir sind jedenfalls keine gelandet.

profil: Was ist Ihre Verteidigungslinie in diesem Prozess?
Lichtenstrasser: Frau Stantejsky wurde entlassen; die Gründe dafür müssen von der Gegenseite bewiesen werden. Es gab anfangs diese drei Privatüberweisungen, die leicht erklärbar sind; wir werden versuchen, so weit wie möglich, alle Belege zu prüfen und zu erklären. Unsere Aufgabe ist es, Punkt für Punkt die Entlassungsgründe zu entkräften. Das KPMG-Gutachten bleibt in vielem sehr vage, es wird selten konkret, spricht aber ständig von "Tricks". Das sind Worthülsen, keine konkreten Vorwürfe. Da wird pauschal vorverurteilt.

profil: Kann es nicht sein, Frau Stantejsky, dass Sie unter dem massiven Druck Ihrer Arbeit und der drohenden Überschuldung tatsächlich Fehler gemacht haben?
Stantejsky: Niemand kann von sich behaupten, nie was falsch gemacht zu haben. Ein chaotisch erscheinendes Büro ist kein Entlassungsgrund. Durch meine Krankheit war vieles schwerer zu bewältigen.

profil: Welche Krankheit?
Stantejsky: Der Fachausdruck lautet: hochgradige Depressionsstörung im Burnout-Umfeld. Es war im Burgtheater allen bekannt, dass ich krank war. Sogar Kollegen rieten Hartmann: "Lass sie mal aus, es geht ihr nicht gut."

profil: Hat sich Hartmanns Verhalten mit dem Wissen um diese Krankheit verändert?
Stantejsky: Er meinte nur: "Die hält mehr aus, als ihr glaubt."
Epler: Kurz nach Ihrer Entlassung ist Frau Stantejsky zu uns gekommen. Springer hat ihr damals einen anderen, geringer dotierten Vertrag angeboten – unter Wahrung ihrer Pensionsansprüche. Wir diskutierten noch bei uns in der Kanzlei, ob sie dieses Angebot annehmen sollte oder nicht. Beim Termin mit Springer hieß es dann, es ginge doch nicht. Wenn Frau Stantejsky aber beim Jahresabschluss mithelfen würde und alle Unklarheiten ausräumen könne, könne man darüber reden, dass sie wieder an die Burg zurückkehrt. Weil es ihr gesundheitlich sehr schlecht ging, wurde ihr geraten, ein paar Tage auszuruhen und dann beim Jahresabschluss zu helfen. Die Rückkehroption war offenbar eine Hinhaltetaktik: Die Anfechtung der Entlassung muss binnen 14 Tagen bei Gericht eingebracht werden.
Stantejsky: Die Vorstellung, das Burgtheater zu verklagen, war für mich aber entsetzlich, ich arbeitete dort 35 Jahre lang. Also habe ich trotz meiner Krankheit zwei Monate lang geholfen, den Abschluss fertig zu machen und offene Fragen aufzuklären.

profil: Wann erwarten Sie eine gerichtliche Entscheidung?
Lichtenstrasser: Der Prozess ist sehr aufwendig. Er kann mehrere Jahre lang dauern, das ist nicht unüblich bei solchen Verfahren.
Stantejsky: Momentan lebe ich vom Arbeitslosengeld, meine Bundestheaterpension werde ich aufgrund der Entlassung nicht bekommen, und das, obwohl ich jahrelang in die Pension einbezahlt habe.

profil: Haben Sie noch Kontakt zu Burgtheater-Mitarbeitern?
Stantejsky: Ich halte mich sehr zurück und treffe nur meine allerbesten Freunde vom Theater. In Vorstellungen gehe ich nicht, obwohl das ein großer Verlust für mich ist.

profil: Finden Sie es denn ungerecht, dass Georg Springer vorzeitig in Pension gegangen ist und nicht weiter belangt wird?
Stantejsky: Ja, sicher finde ich das ungerecht. Er kassiert seine Pension, klar, als gebrochener Mann. Da wäre ich auch gern kurz gebrochen und gehe mit einer satten Beamtenpension in Ruhestand. Für Hartmann ist die Situation sicher ebenfalls ein Einschnitt, aber er kann weiter Regie führen. Was soll ich machen? Zu einer Firma gehen und fragen: Kann ich Ihnen freiberuflich eine Bilanz erstellen? Die Burg war mein Leben, ich habe alles, was ich an Kraft hatte, in dieses Theater gesteckt.

Zur Person
Silvia Stantejsky, 59, kam 1980 als Leiterin des Betriebsbüros, des administrativen Zentrums, ans Burgtheater. Unter Klaus Bachler wurde sie 1999 Stellvertreterin des kaufmännischen Direktors Thomas Drozda, dem sie 2008 nachfolgte. Bachler bezeichnete die bei den Schauspielern stets sehr beliebte Stantejsky als "die Mutter der Kompanie"; unter seinem Nachfolger Matthias Hartmann blieb sie kaufmännische Direktorin. Als ihr Vertrag im Frühjahr 2013 auslief, machte Hartmann sie ab September zu seiner Vizedirektorin. Im November 2013 wurde Silvia Stantejsky "wegen Unregelmäßigkeiten bei der finanziellen Gebarung" fristlos entlassen. Sie kämpft vor Gericht nun gegen diesen Schritt.

Bild: Sebastian Reich für profil