Magnus Nilsson (Fäviken) räuchert Sommerbock
Schwein oder nicht Schwein

Spitzenköche-Happening im Mühlviertel: Schwein oder nicht Schwein

Spitzenköche-Happening im Mühlviertel

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Die Zahl änderte sich stündlich. Groß war sie schon von Anfang an, am Ende stand der Zähler bei knapp über 184.000. So viele Menschen hatten auf Instagram David Changs Schweinefilm angeschaut. Nicht, dass es in dem Clip besonders viel zu sehen gäbe. Ein Schwein eben, ein Ferkel eher - knusprige Haut, tote Augen, 184.000 Zuseher. Man muss David Chang, mehrfach besternter Küchenchef aus New York, wohl als Influencer bezeichnen. Der auch via Netflix ("Mind of a Chef") und Hipstermagazin ("Lucky Peach") berühmt gewordene 40-Jährige erreicht auf Instagram 740.000 Follower. Zum Vergleich: Sebastian Kurz hält bei 14.000. Den Schweinefilm hat Chang übrigens in Oberösterreich gedreht und das sogar vermerkt, inklusive Hashtag. Er weiß, was sich gehört und was die Oberösterreichwerbung freut.

David Chang war gerade für ein verlängertes Wochenende im Mühlviertel. Der italienische Kulinarik-Netzwerker Andrea Petrini hatte zu einer Ausgabe seines Freestyle-Kochevents "Gelinaz!" geladen. Das Happening, das in ähnlicher Besetzung und anderem Format auch schon in Lima, San Francisco und Brüssel stattfand, versteht sich als avantgardistisches, exzessives Projekt. Tatsächlich wird dabei kein Produkt verkauft und auf den ersten Blick auch kein Geld verdient, aber, und da kommt David Changs Spanferkel ins Spiel, sehr viel Wichtigeres produziert, nämlich Aufmerksamkeit, sprich: Umwegrentabilität. Dabei hilft eine konsequent prominente Besetzung. Für "Gelinaz! Does Upper Austria" waren 24 Köche aus aller Welt an den Mühltalhof in Neufelden gereist, darunter René Redzepi, erster Superstarkoch der 2010er-Jahre und mit seinem Kopenhagener "Noma" langjähriger Erstplatzierter auf der Liste der "50 Best Restaurants"; Virgilio Martinez vom Central in Lima, Peru (Nummer fünf der aktuellen "50 Best"), Mauro Colagreco vom Mirazur in Menton, Südfrankreich (Nummer vier), Anna Ros aus Slowenien (weltbeste Köchin laut "50 Best"); weiters eine Reihe hipper heimischer Jungstars wie Lukas Mraz, Felix Schellhorn, Milena Broger oder Philipp Inreiter. Dazu natürlich eine Busladung Journalisten, die unter anderem für die indische "Vogue", den "Condé Nast Traveller","Guardian" oder "Le Figaro" berichteten.

Zum Beispiel davon: An einer Nebenstraße von Neufelden an der Mühl, einem Ort, dem man seine angeblich 1300 Einwohner nicht ansieht, hängt ein Reh über offenem Feuer, daneben Knoblauch, Auberginen und Eichenlaub. Es wirkt wie ein heidnisches Ritual, ist aber austro-brasilianisches Barbecue, veranstaltet von der brasilianischen Spitzenköchin Manuela Buffara, dem Wiener Drei-Hauben-Träger Konstantin Filippou und Magnus Nilsson, Betreiber der legendären schwedischen Zwei-Sterne-Holzhütte Fäviken. Buffara bestreicht das Tier mit einem Besen aus Kukuruzblättern, es liegt Voodoo in der Luft und der Geruch von japanischer Nudelsuppe, die nebenan, im alten Stall der Familie Rachinger, zum Mittagessen ausgeschenkt wird. Dazu gibt es Geschichten aus den vergangenen Tagen, von einem erstaunlich unentspannten René Redzepi, der sein junges Team an der sehr kurzen Leine führt, von Gewitterstürmen und Badetagen und viel zu kurzen Nächten. Hanno Pöschl, der aus irgendeinem Grund auch hier ist, zwängt sich mit viel zu kurzen, dafür auffallend bunten Hosen hinter einen ungehobelten Holztisch, neben ihm hält Gelinaz!-Gründer Petrini Hof und erklärt wohlweislich nicht, was die Ankündigungslyrik genau meint, wenn sie Gelinaz! so beschreibt: "Ein weltweiter Thinktank von Avantgarde-Köchen, die Essen performen und ihre jeweiligen Gerichte remixen wie in einem DJ-Set und damit kulinarische Happenings entstehen lassen, in denen Kunst, Musik, Küche und Leben einander auf unerwartete, improvisatorische Art umarmen."

Koreanisch-mühlviertlerische Orgie

Fast 140 Gäste haben für diese Umarmung 250 Euro gezahlt, bekommen an einem Sommersonntagabend an sieben Stationen rund um den Mühltalhof kleine Happen und große Naturweine serviert und dabei gleich auch einen Eindruck von den verschiedenen Persönlichkeiten internationaler Starköche: Redzepi lässt seine Gäste in Fünfergruppen auf einer Art Schulbank Platz nehmen, um ihnen, sozusagen selbstparodistisch, frittiertes Moos mit Kalbszunge zu servieren. David Chang inszeniert eine koreanisch-mühlviertlerische Orgie. Heinz Reitbauer vom Wiener "Steirereck" serviert relativ humorlos eine hochkomplexe Zwiebel-Fisch-Pilz-Essenz und damit auch gleich das kulinarische Highlight des Abends.

Später wird auch noch Kunst betrachtet, Sirenengesängen gelauscht und an einer gemeinsamen Tafel weitergegessen, was einen Blick übers Publikum erlaubt, das zu einem bemerkenswerten Teil aus jungen Foodies in bunten Hemden und glitzernden Jacken besteht - sowie natürlich aus den in Gourmetkreisen üblichen Galeristinnen, Fernsehproduzenten und Lokalpolitikern. Genau dieses Publikum will allerdings so überhaupt nicht hierher passen, weil es ganz offensichtlich zu uncool ist für diese neue internationale Küche, zu der man tätowierte Unterarme trägt und die neuesten Sneaker und außerdem immer schon sehr genau weiß, welcher Hashtag gerade angebracht ist. Die neue Ess-und Restaurantkultur, die sich in Gelinaz! ausdrückt, hat nicht nur das touristische Standortmarketing verändert (weil Foodies heute die wichtigsten Reisetrendsetter sind), sondern auch das gegenwärtige Bild von Popkultur.

Das Gewicht zwischen Kunst und Alltag hat sich verschoben. Köche sind nicht mehr nur Zulieferer, sondern Hauptdarsteller eines Lifestyles, in dem Popmusik, Literatur und Kunst zwar noch eine gewisse Rolle spielen, aber nicht mehr die wichtigste. Ein neues Gericht, ein gehyptes Restaurant sagt mehr über die Gegenwart aus als der neueste Clubtrend. Pophistorisch ist die Spitzenküche damit endlich in Woodstock angelangt. Man geht auf Tour, trifft sich irgendwo auf dem Land, erweitert sein Bewusstsein und beschließt zwischen Blumen und Schlamm, sein Leben zu ändern. Mahlzeit!

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.