Kim Kardashian mit Naomi Campbell

Wie Stars auf Instagram ihre Intimsphäre offenlegen

Instagram ist jenes soziale Medium, in dem Stars ihre Privatsphäre erstaunlich exhibitionistisch offenlegen. Angelika Hager über deren "Igers"-Strips und die voyeuristische Sucht, virtuell dabei sein zu müssen.

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Anna Netrebko musste ihre "Traviata" in Paris wegen Erkältung absagen. Wie tröstlich, dass in ihrer Küche, daheim am Wiener Franziskanerplatz, in einem riesigen Tontopf ein aserbaidschanisches Genesungsgericht schmort. #theloveofmylife, vulgo Gatte Yusif Eyvazov, zauberte nach einem Rezept aus seiner Heimat Lamm, Kohlgemüse und Reis zu einer Art Aspirin. 7695 Menschen der 328.000 anna_netrebko_yusi_tiago-Follower drückten ein Herzchen. Eigentlich ein schwacher Schnitt angesichts der sonstigen Zuspruchsdimensionen. Das kurz davor lancierte Filmchen, in dem die vergötterte Diva der Opernwelt ihren neunjährigen Sohn Tiago im Fond ihres Wagens befragt, welches Mädchen in seiner Klasse er mag, erhielt 72.744 Aufrufe. Es ist übrigens Marianna, und sie ist blond. Der schüchterne Bub mit den sanften Augen sieht nicht gerade glücklich aus, als er dieses Geheimnis preiszugeben hat. Man weiß, dass er an Autismus erkrankt ist. Auf die Frage an Anna Netrebko, warum sie ihre Familie mit solcher Verve in den sozialen Medien inszeniert, antwortete sie bei einem profil-Interview 2016: "Möglicherweise ist es manchmal zu viel für mein Kind. Aber was soll ich machen? Wir sind nun einmal öffentliche Personen. Und dennoch versuchen wir, ein quasi normales Leben zu führen, was ich für sehr wichtig halte. Wo immer wir hingehen, kommen Fotografen. Ich lade sie manchmal ein, uns zu begleiten, und plaudere mit ihnen. Ich habe nichts zu verbergen."

Wobei Netrebko bei ihrer damaligen Antwort einen wesentlichen Punkt umschifft hatte: Dass Stars ihres Kalibers, wo immer sie erscheinen, einen Rattenschwanz an Papa- und Videorazzis und seit einem Jahrzehnt auch an Selfie-närrischen Fans nach sich ziehen, gilt als ein Naturgesetz. Eine ganze Industrie lebt seit der Geburt der Tabloids und ihrer medialen Derivate davon, dass sie die abgeriegelten Privatund Intimsphären, inklusive aller Tragödien und Triumphe, der ansonsten so unantastbaren Sterne zumindest in Spaltbreite öffnet.

Neu ist, dass Künstler, die ihren Weltruhm bereits erlangt haben und der öffentlichen Aufmerksamkeit und Zuwendung ohnehin sicher sein können, sich vor allem auf der 2010 gegründeten Plattform Instagram (das Kürzel für "instant telegram", Letztstand: 400 Millionen User) in einer Art freiwilligem und in jeder Hinsicht ungeschminktem Exhibitionismus offenlegen. Die Netrebko mit ihrem Sinn für grelle Theatralik erweist sich auch dabei als Ausnahmekünstlerin: Auf Instagram benimmt sie sich so überbordend wie ein Teenager, der eben einen Lotto-Sechser gewonnen hat.

Dauertuchfühlung

Aber mit welchen Beweggründen? Im Gegensatz zum Instagram-pathologischen Kardashian-Clan oder der 22 Millionen Follower starken Supermodel-Macht Gigi Hadid, die alle durch ihre konsequenten Bilderstürme auf den sozialen Medien überhaupt erst einmal ins Radarsystem der öffentlichen Wahrnehmung gelangten, hätten Frauen wie Netrebko, Madonna oder Jane Fonda diese Art von Privatissimum-Dauertuchfühlung mit ihren Fans gar nicht nötig. Im Fall der 80-jährigen Jane Fonda sind diese Auftritte durchaus auch von dem Parfüm der Selbstironie getränkt: Am Morgen nach einer blitzlichtumwitterten Gala präsentiert sie sich ohne Make-up und mit schreckensgeweitetem Blick in ihrer Küche beim Schmieren des Frühstückstoasts in der schwarzen Spitzen-Robe des Vorabends und den Worten: "Hier bin ich am nächsten Morgen. Ich konnte den Zip meines Kleides nicht öffnen, deswegen habe ich darin geschlafen. Ich wollte nie einen Ehemann in meinem Leben bis jetzt."

Das wahrscheinliche Kalkül hinter der Botschaft: Die mehrfach verheiratet gewesene Hollywood-Diva will ihrer "Crowd", ihrer Fangemeinde, mitteilen: "Hey, Leute, vergesst all den Glamour, das ist doch nichts als Fassade. In Wahrheit bin ich eine von euch."

Unbehandelte Authentizität scheint in der Dekade der millionenfachen Selbstinszenierung der Rohstoff zu sein, durch den man sich vom Mainstream abheben kann. Jetzt, wo Heerscharen von -häufig von der Industrie gekauften - "Influencern" mit oft gefakten Follower-Zahlen, aufgepimpt durch Filter und Fotoshop-Apps, einem mit ihren "Igers"-Auftritten (so das Kürzel für Instagrammer) ein perfektes Hochglanzleben vorturnen, gilt es, eine Demarkationslinie zu ziehen.

Womit wir an einem paradoxen Punkt angekommen sind: In einer Zeit, in der sich alle Lieschen Müllers mit dem entsprechenden 2.0-Know-how zu einem zumindest temporärem Star-Dasein hochmalochen können, spielen die echten Celebrities immer mehr Lieschen Müller.

"Bitches, I'm still there."

Nur die in die Jahre gekommene Madonna, die Pionierin des Star-Exhibitionismus, die mit ihrer Nabelschau-Doku "In Bed With Madonna" 1991 die Büchse der Pandora öffnete, überspannt auch hier den Bogen. Ob aus Kalkül oder aus wahrer Verzweiflung, wird nur ihr Psychotherapeut wissen.

Ende Jänner schockierte sie ihre Follower um drei Uhr nachts aus ihrer neuen Wahlheimat Lissabon mit einem Instagram-Post, in dem sie ihren nackten Oberkörper nur mit einer 3000 Dollar teuren Louis-Vuitton-Handtasche bedeckte, das Gesicht verquollen und gezeichnet von diversen Renovierungsmaßnahmen. Ein Manifest der Einsamkeit, denn das Foto wurde mit den Hashtags "nofriends" und "lisbonisfar" versehen. Kommentare wie "Depressionen sind eine schlimme Krankheit" oder "OMG - was ist nur mit deinem Gesicht passiert?" führten zu einer schnellen Löschung des Postings. Während des Verfassens dieses Textes lässt Igers-Madonna übrigens ihre 10,8 Millionen Follower wissen: "Bitches, I'm still there." Es ist ihr fünfter Beitrag am heutigen Tag. Die Adoptiv-Zwillinge aus Malawi müssen wenige Augenblicke später, mit blonden Perücken, in einem Video ein Hiphop-Tänzchen vorführen. Die Panik und Angst, vergessen zu werden, macht auch vor einem solchen Superstar wie Madonna nicht halt. Wie beruhigend.

Beunruhigend ist allerdings, dass die auf Instagram erzeugten Illusionen, mit den einst unnahbaren Proponenten des Star-Systems im freundschaftlichen Dauerkontakt zu stehen, zu einem echten Suchtfaktor werden können. Das Leben der anderen in der Dauerschleife ist leider verführerisch. Man mutiert zum voyeuristischen Zaungast und wird somit auch zu einer Art Instagram-Opfer, allerdings auf der anderen Seite: So klappt man sich mit Cindy Crawford die Schlafmaske in der sonnendurchfluteten Malibu-Villa hoch, wirft via Carla Bruni einen zärtlichen Blick auf den mit seiner kleinen Tochter ein Mittagsnickerchen haltenden Nicolas Sarkozy, freut sich am weißen Frühlingsstrauß in der Pariser Wohnung von Inès de la Fressange und hilft Sarah Jessica Parker nach dem Besuch des Hausfriseurs die Haarsträhnen vom Boden ihres Manhattaner Townhouse zu kehren.

Alles in Wischweite und so schön normal hier! Höchste Zeit für ein Instagram-Detoxing und eine IRL-Kur. IRL steht im kürzelwütigem Netz für "In Real Life" und gilt für manche User mittlerweile als echtes Kuriosum. In einem virtuellen Internet-Slang-Wörterbuch ist dazu folgende Erklärung zu lesen: "Das ist jene Art von Leben, das man nicht posten kann."

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort