EWIGES KIND: Iris Apfel residiert in New York und Palm Beach inmitten von Plüschtieren, Nippes und Tonnen von Kleidern.

Supermodel Iris Apfel (97): "Ein geriatrisches Starlet"

Iris Apfel verlieh dem Altern ungeahnten Sex-Appeal. Mit 97 ist die New Yorkerin das älteste Topmodel der Welt. Und Herrin eines Imperiums. profil führte ein (nicht ganz einfaches) Telefonat mit der Stilikone anlässlich ihres ersten Buches.

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Der deutsche Presseagent hat schon vorgewarnt: „Sie ist – nun ja – etwas schwerhörig.“ Das Alternativangebot, die Fragen vielleicht vorweg schriftlich zu schicken, musste er ausschlagen: „Sie hat kein Mail-Account.“ Gibt es vielleicht Assistentinnen, die man zwischenschalten könnte? Im Kopf spukt die Vorstellung von einer mit den edelsten Vintage-Klamotten überbordenden Wohnung, die mehr an einen begehbaren Kleiderschrank erinnert und in der ein Dutzend aufgeregter Kammerzofen, alle mit riesigen kreisrunden Brillen auf den Nasen, herumschwirren, aber nein: „Frau Apfel hat keine Mitarbeiterinnen.“

Doch seit zwei Jahrzehnten eine Haushälterin namens Inez (man kennt sie bereits aus der wunderbaren Filmdokumentation „Iris“), die auch mit der erschöpften Gelangweiltheit jener Menschen, die ein Minimum von 50 bittstellenden Anrufen täglich abzuwimmeln haben, an den Apparat geht. Nach einigen Minuten Wartezeit, in denen man langsam schlurfende Schritte hört, ertönt eine schroffe Stimme mit der gestrengen Eröffnungsfrage: „Kindchen, haben Sie mein Buch gelesen?“ Natürlich! Gratulation! Es ist großartig. Was nicht gelogen ist. Der reichlich holprige deutsche Titel „Stil ist keine Frage des Alters“ klingt nach einem spießigen Lebensratgeber; aber das dort ausgebreitete Universum der formidablen Missis Apfel ist natürlich frei von jeder kleingeistigen Biederkeit, aber knallbunt von exzentrischem Individualismus und vibriert vor kindlicher Lebensfreude und Neugierde.

Die schon in Albert Maysles’ großartiger Dokumentation „Iris“ vorgeführten Wohnsitze des Ehepaars Apfels (Ehemann Carl starb 2015 nach 67 gemeinsamen Jahren im Alter von 100 Jahren), eine Zimmerflucht auf der New Yorker Park Avenue und ein Haus im Millionärsrefugium Palm Beach in Florida, sind wilde Sammelsurien voller Plüschtiere, exotischer Nippes von den gemeinsamen Reisen, überlasteter Kleiderstangen und jeder Menge Weihnachtsbeleuchtungen. „Bei uns ist sieben Monate im Jahr Weihnachten“, erklärte Carl Apfel, der wie seine Frau jüdischer Abstammung ist, dort mit einem milden Blick auf Iris, „meine wilde Braut liebt dieses Zeug. Ich werde sie wahrscheinlich behalten, weil sie noch immer ein solches Kind ist.“

Iris und Carl Apfel betrieben jahrzehntelang eine Firma mit exquisiten Stoffen, die sie teilweise selbst entwarfen oder nach historischen Vorbildern exakt nachgestalten ließen, und arbeiteten als Innenarchitekten – auch für das Weiße Haus im Laufe von neun Präsidentschaften, wo sie mit der Konservierung und Restauration der historischen Textilien betraut waren. Innerhalb einer gewissen New Yorker Elite waren die Apfels eine so fixe wie exzentrische Größe, denn auch Carl Apfel wurde von seiner Frau weit jenseits des Mainstream-Geschmacks gestylt. Iris sammelte auf all den vielen Entdeckungsreisen, die sie rund um den Erdball führten, wie verrückt. Auf Flohmärkten, in Secondhand-Stores, in Basaren, bei den Abverkäufen nach den Modeschauen in den großen Pariser Modehäusern, aber auch in den „übelsten Ramschläden“: Von wuchtigen tibetanischen Armreifen über afrikanischen Stammesschmuck, von Yves-Saint-Laurent Bauernblusen bis zu französischen Liturgie-Kleidern. In ihren Stil-Memoiren erzählt sie, wie sich durch eine (eigentlich aus einer Notsituation entstandenen) Schau ihrer Outfits und Schmuckstücke 2005 im Metropolitan Museum of Art ihr Leben um 180 Grad drehte und ihre Laufbahn als „geriatrisches Starlet“, wie sie das nennt, begann: „Es war die erste Show, die einer noch lebenden Person gewidmet war. Mein Neffe hörte, wie Besucher darüber rätselten, wer diese Frau nur sein könne und ob sie schon tot sei. Er tippte ihnen dann auf die Schulter und sagte: „Meine Tante ist quicklebendig. Sie spaziert aber nur noch herum, um uns die Begräbniskosten zu ersparen.“

Gelassene Antithese zum Jugendwahn

In reich illustrierten Kapiteln erörtert Missis Apfel die großen Fragen des Lebens wie Alter, Liebe, Einkaufen und Stil („Mode kann man kaufen, Stil nicht!“) und feiert dabei eine Geisteshaltung, die sie zu einer Philosophin der Popkultur und einem weltweiten Idol gemacht haben: Iris Apfel („Ich bin der älteste Teenager der Welt“) ist die gelassene Antithese zu dem in manischer Hektik betriebenen Jugendwahn vieler Stars und Starlets, und nicht umsonst prangt in „Accidental Icon“ („Per Zufall Ikone“, so der Originaltitel des Buches) das Coco-Chanel-Zitat: „Nichts lässt eine Frau älter aussehen als der verzweifelte Versuch, jung zu wirken.“

Eben unterschrieb Apfel bei ICM, einer Künstler- und Modelagentur, bei der u. a. Gigi Hadid und Kate Moss unter Vertrag sind; sie entwirft Gläser, Brillen und Schmuck; verkauft auf einem Homeshopping-Kanal ihre eigene Modelinie, war für die Kosmetikfirma MAC „die älteste Tussi der Welt“, hat diverse Werbeverträge, unterrichtet Modestudenten und ist die älteste Vorlage für eine Barbie-Puppe.

Das folgende Gespräch zeichnet sich dadurch aus, dass man die Fragen drei bis vier Mal in wachsender Lautstärke zu wiederholen hat und die wunderbare Iris Apfel immer wieder einwirft: „Wo um Gottes willen wohnen Sie denn? Die Verbindung ist ja wirklich ein Drama.“ Was nicht der Wahrheit entspricht, aber natürlich bestätigt man aus Respekt und Höflichkeit diese Schutzbehauptung.

INTERVIEW: ANGELIKA HAGER

profil: Missis Apfel, Ihr wunderbarer Mann Carl pflegte Ihnen bei Galadiners zuzuflüstern: „Baby, du bist die Einzige hier mit einem eigenen Gesicht.“ Apfel: Ja, das hat er oft gesagt. Ich bin immer schon ein Gegner von allen Schönheitsoperationen und diesem Botox-Zeugs gewesen. Warum all das Theater wegen der paar Falten? Man versteht es einfach nicht. Und zunehmend sehen ja alle gleich aus. Man kann diese glatt gebügelten Gesichter nicht mehr voneinander unterscheiden. Wenn man mit einer Nase wie Pinocchio oder einer sonstigen Fehlbildung geboren wird, ist die plastische Chirurgie natürlich ein Segen. Aber wenn man älter ist, ist es doch dumm, jünger aussehen zu wollen. Denn das glaubt einem sowieso keiner. Außerdem verraten einen sowieso immer die Hände – diese knorrigen kleinen Fingerchen lügen nicht.

profil: Haben Sie Mitleid mit diesen Frauen? Apfel: Das wäre übertrieben. Aber ich denke mir oft, wenn ich solche Zurechtgemachten sehe: Wie schade! Sie haben noch immer nicht herausgefunden, wer sie sind! Sonst müssten sie sich nicht solchen Prozeduren unterziehen.

Die einzige Regel, die ich habe, ist es, keine zu haben. Regeln sind nur dazu da, um sie zu brechen.

profil: Wann haben Sie herausgefunden, wer Sie sind? Apfel: Eigentlich sehr früh. Aber ich bin dennoch noch immer dabei. Doch es war harte Arbeit, das können Sie mir glauben.

profil: Einer Ihrer häufig zitierten Sätze ist eine Anmerkung, die jemand zu Ihnen gemacht hat: „, Du bist nicht schön, wirst es nie sein, aber du hast Stil.“ Apfel: Aber bitte fragen Sie mich jetzt nicht, was ich für Stil-Regeln habe. Die einzige Regel, die ich habe, ist es, keine zu haben. Regeln sind nur dazu da, um sie zu brechen. Meine Mutter, die eine Modeboutique während der großen Depression eröffnet hat, sagte, dass das Wichtigste in einer Garderobe die Accessoires sind. Ich liebe Farben. Das Leben ist doch ohnehin grau genug. Und alle rennen heute in diesem schwarzen Einheitslook herum. Wie in einer Uniform! Das ist doch wirklich grauenhaft. Und so langweilig. Ich kleide mich nur für mich. Um mich auszudrücken. Minimalismus ist nichts für mich. More is more and less is a bore.

profil: Ist es im Alter besser, keine Schönheit gewesen zu sein? Apfel: Die Frauen, die sich nur auf ihre Schönheit verlassen haben und mit ihrem Schwinden nicht umgehen können, haben es im Alter schwer. Denn irgendwann stehen sie mit leeren Händen da. Und dann kann ihr Leben ebenso leer werden.

profil: Kürzlich zierten das Cover des „Hollywood Reporter“ die bekanntesten Stylistinnen der Filmstars. Können Sie sich vorstellen, dass Sie jemand heuern, der Ihnen erklärt, was Sie anziehen sollen? Apfel: Natürlich nicht. Aber diese Frauen haben, wie schon eingangs erwähnt, wahrscheinlich noch nicht herausgefunden, wer sie sind. Und sind vielleicht auch entsprechend unsicher. Das ist schade.

Im Leben der Iris Apfel gibt es keine durchschnittlichen Tage.

profil: Gab es eine Periode in Ihrem Leben, die für Sie besonders anregend und aufregend war? Apfel: Jeder Tag in meinem Leben ist so. Und ich lebe jeden Tag so, als ob es mein letzter sein könnte. Irgendwann wird es dann so weit sein.

profil: Wie sieht ein durchschnittlicher Tag im Leben der Iris Apfel aus? Apfel: Im Leben der Iris Apfel gibt es keine durchschnittlichen Tage.

profil: Haben Sie schon Vorkehrungen getroffen, was mit Ihrer Sammlung nach Ihrem Ableben geschehen soll? Apfel: Ja, natürlich. Ich trenne mich langsam von einigen Stücken. Und Museen wie das Peabody Museum bekommen Teile meiner Kollektionen. Es ist mir wichtig, dass meine Kleider in Zukunft auch andere Menschen erfreuen können.

profil: Was muss man tun, um so fröhlich so alt zu werden? Apfel: Gut essen. Das ist wichtig. Und gesund leben. Der Rest ist Glück.

profil: Sie haben vor wenigen Jahren Ihren Ehemann Carl verloren. Wie haben Sie nach diesem Verlust wieder ins Leben zurückgefunden? Apfel: Es war entsetzlich. Ich bin nur dagesessen und habe geweint. Aber irgendwann begriff ich: Das macht ihn auch nicht wieder lebendig. Ich habe mich dann in die Arbeit gestürzt. Arbeit hilft in solchen Situationen sehr.

Was soll ich von Trump halten? Er ist mein Präsident und verdient deswegen meinen Respekt.

profil: Was hat diese Liebe so haltbar gemacht? Apfel: Der Humor. Wir lachten die ganze Zeit und machten Witze. Und wenn wir irgendwann eine Meinungsverschiedenheit hatten, sahen wir uns lange an und begannen zu lachen, weil die Ursache für den Streit meist unglaublich lächerlich war.

profil: Sie sind jüdischer Abstammung. Haben Sie je Antisemitismus erfahren müssen? Apfel: Ich rede weder über Religion noch über Politik. Und zwar mit Konsequenz nicht. Das ist meine Privatsache.

profil: Schade. Denn meine nächste Frage wäre gewesen, was Sie von Ihrem Präsidenten Donald Trump halten? Apfel: Was soll ich von ihm halten? Er ist mein Präsident und verdient deswegen meinen Respekt.

profil: Sie haben von Harry Truman bis Bill Clinton neun Präsidenten lang im Weißen Haus gearbeitet. Wer war die netteste First Lady? Apfel: Mit großem Abstand Pat Nixon. Das war eine Frau, die voller Leidenschaft für Inneneinrichtungen war.

profil: Und wenn die Trumps Sie einlüden? Würden Sie hingehen? Apfel: Warum nicht? Er ist mein Präsident. Jetzt habe ich eine Frage: Wie sind denn die Flohmärkte in Wien? Kann man dort noch günstig einkaufen?

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort