„Man kann einfach mal die Schnauze halten”

Sven Regener: „Man kann einfach mal die Schnauze halten”

Interview. Sven Regner über die Sehnsucht der Raver nach dem Rock’n’Roll und die Gefahr, die Vergangenheit zu verklären

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Interview: Philip Dulle

profil online: Sie trinken Espresso?
Sven Regener: Natürlich trinke ich Espresso! Wollen Sie auch einen?

profil online: In Ihrem aktuellen Roman „Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt“ kommt die Filterkaffeemaschine als wiederkehrendes Sujet vor. Sie hegen diesbezüglich keinen Fetisch?
Regener: Es kommt eher auf die Romanfigur und ihre aktuelle Lebenswelt an. Die Frage ist doch, warum sich Menschen wie Karl Schmidt so darüber aufregen können, wenn sie keinen Filterkaffee mehr bekommen? Warum ist ihm das so wichtig? Man kennt das ja von Menschen, die bei Kleinigkeiten ganz manisch werden. Natürlich spielt das Verschwörungstheoretikern in die Hände.

profil online: Ihr Romanheld Karl Schmidt lebt nach einer schweren Psychose in einer Drogen-WG in Hamburg-Altona, verdingt sich als Hausmeister und muss mitansehen, wie seine alten Berliner Kumpels mit Technomusik das große Geld verdienen. In Ihren früheren Romanen war Karl Schmidt noch der Fels in der Brandung. Erzählen Sie grundsätzlich lieber von gebrochenen Seelen?
Regener: Es ist interessant zu beobachten, wie Karl Schmidt erst lernen muss, dass er nicht mehr unbesiegbar ist, sich selbst dabei aber treu bleibt. Den Freak wird er ohnehin nicht mehr los. Wie ich gerne sage: Einen Sprung in der Schüssel kann man kitten – aber sehen wird man ihn immer.

profil online:
Liegt der Erfolg Ihrer Romane auch darin begründet, dass Sie eine beruhigende Wirkung auf Ihre Leser ausüben?
Regener: Nein, das glaube ich nicht. Man kann meine Art von Realismus mögen, aber auch ablehnen. In der Kunst ist Ablehnung der Normalfall. Es ist wohl die Gewohnheit der Leser. Man mag bestimmte Figuren, den Schreibstil des Autors. Das ist ein Moment des Nach-Hause-Kommens.

profil online: Die Raver Ihres Romans suchen einen Brückenschlag in die 1960er-Jahre. Ihre Tournee nennen sie folgerichtig auch „Magical Mystery“. Gibt es einen roten Faden von den 1990er-Jahren zu den Beatles?
Regener: Die viel wichtigere Frage ist ja, warum diese Techno-Leute eigentlich auf die Idee kommen, so eine, nun ja, exzentrische Tour zu machen? Raver und DJs machen doch eigentlich keine Tourneen. Jedenfalls nicht solche. Das ergibt doch gar keinen Sinn.

profil online: Die Sehnsucht der Raver nach dem Rock’n’Roll?
Regener: Es gibt auch bei meinen Protagonisten eine Zeit vor dem Techno. Die hatten da diese Avantgarde-Rock-Krach-Bands in West-Berlin. Ich selbst habe in vielen dieser Bands gespielt. Man hat sie an einem Abend gegründet und am nächsten wieder aufgelöst. Den Techno-DJs in meinem Roman geht es darum, ihrer Musik einen ideologischen Überbau, etwas Bedeutungsvolles zu geben. Sonst wird es ihnen zu beliebig. Irgendwann kommen sonst ihrer Befürchtung zufolge nur noch Neuköllner Prolls, die nackte Busen sehen wollen.

profil online: Neigen Sie in Ihren Romanen nicht dazu, die Vergangenheit ein Stück weit zu verklären?
Regener: Franz Josef Strauß hat einmal gesagt, wer den Zeitgeist heiratet, der ist bald Witwer. Da ist was dran! Das Zeitaktuelle ist beim Roman keine Kategorie. Als Romanschriftsteller braucht man einen gewissen Abstand zu den Dingen. Außerdem habe ich ein ziemlich gutes Gedächtnis. Lesen Sie doch „Neue Vahr Süd“, dann sehen Sie: ich kann mich gut genug an meine Bundeswehrzeit erinnern, um überhaupt gar nichts zu verklären.

profil online: Ist Ihre berühmteste Romanfigur, Frank Lehmann, auserzählt?
Regener: Das kann ich nicht so sagen. Meine Romane waren immer durch die Figuren inspiriert. Nur weil Frank Lehmann da ist, muss ich keinen neuen Roman schreiben. Verbieten würde ich es mir aber auch nicht.

profil online: Sehen Sie sich heute mehr als Literat oder als Musiker?
Regener: Für mich ist das kein Widerspruch. Allerdings: Literat bin ich nur, wenn ich gerade an einem Buch schreibe. Musiker bin ich immer. Auch wenn wir mit Element of Crime nicht jedes Jahr etwas machen, war mir die Band stets am wichtigsten. Die Rolling Stones veröffentlichen ja auch nicht jedes Jahr ein neues Album. Braucht ja kein Mensch. Man kann ja einfach mal die Schnauze halten.

Zur Person:
Sven Regener, geboren 1961 in Bremen, seit 1985 Sänger, Gitarrist und Trompeter der Band Element of Crime. Mit seinen Romanen „Herr Lehmann“, „Neue Vahr Süd“ und „Der kleine Bruder“ reüssierte er als Schriftsteller. Im September 2013 ist sein aktueller Roman „Magical Mystery der Die Rückkehr des Karl Schmidt“ erschienen.

Sven Regener: Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt. Galiani Berlin, 512 S., 23,70 EUR

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.