Tierschutz: Der Streit um die "Gatterjagd" eskaliert

Die "Gatterjagd", bei der Wildtiere innerhalb eines Geheges bejagt werden, ist selbst unter Jägern nicht unumstritten. Im Kampf um ein mögliches Verbot in ganz Österreich schenken einander der Tierrechts-Aktivist Martin Balluch und der Salzburger Landesjägermeister und Gatterjäger Maximilian Mayr-Melnhof nichts.

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Anmerkung: Dieser Artikel erschien ursprünglich in der profil-Ausgabe 07/18 vom 12.2.2018.

Maximilian Mayr-Melnhof kniet auf einem Turm aus Holzscheiten und beobachtet eine Gruppe von zehn Wildschweinen, die 300 Meter entfernt auf einer Lichtung stehen. Er blickt durch die Optik seines Gewehrs. Den Schalldämpfer von Swarovski verwendet er regelmäßig, wenn er ein "Stück entnimmt", wie es in der Jägersprache heißt. Es soll keine zu große Unruhe im Revier entstehen. Die alte Bache in der Mitte des Wildschweinrudels hat den Kopf gesenkt, steht regungslos da. Dann fällt der Schuss. Volltreffer, Blattschuss. Die Bache geht zu Boden, die anderen Wildschweine laufen in alle Richtungen davon. Mayr-Melnhof macht sich auf den Weg zum erlegten Tier, dem er zur letzten Ehrerweisung noch ein Eichenblatt in den Mund legt. "Wir töten nicht zur Belustigung. Dagegen verwehre ich mich. Sie mögen es Leidenschaft nennen, in der Jägersprache nennen wir es 'angewölft'. Wir haben die Überzeugung, dass etwas geboren wird und auch wieder geht. Macht euch die Tiere untertan! Aber wir behandeln, was uns die Natur schenkt, mit großem Respekt."

Mayr-Melnhof, Landesjägermeister von Salzburg und Großgrundbesitzer, ist auf Rundgang in seinem Jagdgatter in der Antheringer Au nördlich der Stadt Salzburg. Er trägt Jagdkleidung, das Gewehr hat er über die Schulter gehängt. Wenn es Adelstitel in Österreich noch gäbe, wäre der 37-Jährige ein Baron. Seine Angestellten würden ihn zwar hin und wieder "Baron Max" nennen, allerdings nur aus Spaß, so Mayr-Melnhof. Er ist jovial und redselig, am liebsten spricht er über die Jagd. Eigentlich wäre er gerne Förster geworden - jetzt leitet der Unternehmer die Forstverwaltung in Glanegg, die sein Großvater einst gegründet hat. Zur Forstverwaltung gehört auch die Antheringer Au. Es ist ein riesiges Areal, für Autofahrer von außen durch einen Schranken versperrt, für Wanderer in bestimmten Bereichen zugänglich. Die Au gilt als "Natura 2000"-Gebiet, als ein besonders schützenswertes Areal also. In kleinen Teichen schwimmen Biber und Enten, in den Lichtungen zwischen den Wäldern, die vor allem aus Eichen bestehen, stolzieren Pfaue. Am auffälligsten sind die vielen Wildschweine. Alle paar Meter überqueren Wildschweinrudel die flachen Wanderwege oder fressen an Futterplätzen. Hinter den älteren Tieren traben Frischlinge, viele erst ein paar Monate alt. Insgesamt 600 Wildschweine leben in Mayr-Melnhofs Gatter auf einer Fläche von 500 Hektar. Das Gebiet ist seit Jahrzehnten im Besitz der Familie Mayr-Melnhof, seit 1989 ist die Antheringer Au gesetzlich legitimiertes Jagdgatter. Mayr-Melnhofs Vater Friedrich war damals Salzburger Landesrat für Landwirtschaft und Umwelt.

Mehr als dieses eine Wildschwein wird er heute nicht erlegen, erklärt Mayr-Melnhof, als er es auf seinen Jeep auflädt. Es handle sich um einen sogenannten Selektionsabschuss, der bei Rundgängen durch das Gatter selten, aber doch vorkommen könne. Sehr alte oder kranke Tiere werden auch unter dem Jahr "selektiv" geschossen. Ansonsten hätten die 600 Wildschweine ein ruhiges und entspanntes Leben, sagt er, "viel entspannter als in freier Natur."

"Umfriedete Eigenjagd" oder "grausamer Brauch"?

Außer an drei Tagen im Jahr. Dann, wenn die Gatterjagd stattfindet. Um die gesetzlich vorgeschriebenen Wildbestände wiederherzustellen. Befürworter dieser Jagdform sprechen auch von "umfriedeter Eigenjagd": In einem umzäunten Gebiet wird Jagd auf Wildtiere gemacht. Im Gatter von Mayr-Melnhof nur auf Wildschweine, in anderen Gattern auch auf Rotwild wie Damhirsche. Es ist eine Jagdform, die feudalen Traditionen entspringt. Ursprünglich nutzten Adelige diese Jagden auch - oder vor allem, hier scheiden sich die Geister - als Gesellschaftsereignisse, um Geschäfte anzubahnen. In Österreich gibt es noch rund 80 aktive Jagdgatter, die meisten davon in Niederösterreich, dem zweiten Bundesland, in dem diese Form der Jagd offiziell noch erlaubt und uneingeschränkt möglich ist. In Salzburg gibt es drei große Jagdgatter. Eines davon ist jenes in der Antheringer Au. Dort, im Norden Salzburgs, werden an zwei Tagen im Herbst und einem Tag im Frühjahr Gatterjagden durchgeführt. An diesen Tagen, so Mayr-Melnhof, "kommt der Wolf". Bis zu 20 Jäger und Treiber nehmen an den Jagden teil, bei denen die Wildschweine durch Hunde in Bewegung versetzt und von Hochständen aus gezielt beschossen werden. Dass die Tiere in Bewegung sind, mache es schwerer, sie zu treffen, gesteht Mayr-Melnhof ein. Er lasse allerdings nur Jäger teilnehmen, die geübte Schützen sind. Dass es bei Jagden in seinem Gatter trotzdem zu Streifschüssen komme, lasse sich nicht vermeiden. Es handle sich dabei aber ausschließlich um Einzelfälle. Geschossen werden bis zu 200 Tiere pro Tag.

Genau dagegen protestiert der Verein gegen Tierfabriken (VgT) unter Obmann Martin Balluch seit Jahren. Die Gatterjagd sehen die Tierschützer als einen "anachronistischen und grausamen Brauch, der in der heutigen Zeit rein gar nichts mehr verloren hat", wie es Balluch ausdrückt. In seinem Büro an der Meidlinger Hauptstraße in Wien steht noch das "steinerne Herz", das Balluch Mayr-Melnhof 2016 im Rahmen einer satirischen Aktion überreichen wollte - für besondere Grausamkeit. Balluch sitzt an seinem Schreibtisch. In einem Kasten stehen Wildschweinfiguren, an der Wand hinter ihm hängt die riesige Zeichnung einer Kuh, darunter der Slogan "Go Vegan". Auf seinem Computer zeigt Balluch ein Video, in dem sich ein angeschossenes Wildschwein vorwärtsschleppt. Aufgenommen wurde es, so der Tierschützer, im November 2017 bei einer Gatterjagd im Mayr-Melnhof 'schen Revier. Die Tierschützer waren vor Ort - wie meistens, wenn Jagden dort stattfinden. Sie demonstrierten, dokumentierten mit Kameras. Und verursachten eine Eskalation, die heute von beiden Seiten unterschiedlich geschildert wird.

Drei Tierschützer seien in die Au eingedrungen, sagt Maximilian Mayr-Melnhof. Um zu vermeiden, dass sie verletzt werden, habe er darauf hingewiesen, dass sie das Gelände verlassen müssen. Schließlich sei bei der Jagd scharf geschossen worden. Die Aktivisten hätten sich dagegen verwehrt, woraufhin er sie mit Nachdruck gebeten habe, zu gehen. Zu körperlicher Gewalt von seiner Seite sei es nicht gekommen. Die Aktivisten hätten allerdings einen seiner Jäger, der sie als "beeidetes Landeswacheorgan" zum Rückzug aufgefordert hatte, attackiert. Der Jäger habe sogar eine Verletzung an der Schulter erlitten. Martin Balluch erzählt die Geschichte anders: Die Tierschützer hätten sich immer außerhalb des Gatters befunden. Einer der Aktivisten sei von einem Jäger attackiert, fast bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und deshalb sogar ins Krankenhaus eingeliefert worden. Anderen Aktivisten hätten Mayr-Melnhof und seine "Schergen" Kameraequipment gestohlen. Welche Version glaubwürdiger ist, wird sich am 20. Februar vor Gericht weisen. Wieder einmal - denn wenn sich die ziemlich besten Feinde Martin Balluch und Maximilian Mayr-Melnhof persönlich sehen, dann dort. Erst letzten Oktober wurde Balluch zu einer Zahlung von 40.000 Euro an Mayr-Melnhof verurteilt, weil er diffamierende Postings gegen den Landesjägermeister und dessen Familie nicht rechtzeitig von seiner Facebook-Fanseite habe löschen lassen. Im Jänner 2016 trafen sich die Kontrahenten vor Gericht, weil Anhänger des Vereins gegen Tierfabriken eine Gatterjagd unerlaubterweise mit einer Drohne gefilmt hatten. Mayr-Melnhof ließ diese von einem Jagdteilnehmer kurzerhand herunterschießen. Während die eine Seite wegen Besitzstörung klagte, konterte die andere mit einer Klage wegen Sachbeschädigung.

Proteste der Tierschützer zeigen Wirkung

Die Abschaffung der Gatterjagd in ganz Österreich zu erwirken, gehört seit Sommer 2015 zu den zentralen Projekten des "Vereins gegen Tierfabriken". Dabei sei Mayr-Melnhofs Gatter bei Weitem nicht das Einzige, das im Fokus stehe, sagt Balluch. Tatsächlich haben Demonstrationen vor dem Lainzer Tiergarten in Wien wohl mit dazu beigetragen, dass es dort zu einer Öffnung des Gatters kommen wird. Nach runden Tischen mit den Tierschützern wurde vonseiten der Landesregierung beschlossen, die Gatterjagd im Lainzer Tiergarten ab 2021 einzustellen. Die Wildtiere sollen bis dahin nicht mehr gefüttert werden, sondern sich durch das natürliche Nahrungsangebot selbst erhalten. Statt der Zäune und Mauern sollen Grünbrücken entstehen. Im Burgenland, wo die Gatterjagden des Alfons Mensdorff-Pouilly für negative Schlagzeilen sorgten, wurde letzten Herbst eine Öffnung aller Jagdgatter ab 2023 beschlossen. Diese Form der Jagd sei nicht mehr zeitgemäß, so die Begründung von Landesrätin Veronika Dunst. Balluch fehlen zum Erfolg nur noch Niederösterreich und Salzburg - und damit Maximilian Mayr-Melnhof. Den Salzburger Landesjägermeister bezeichnet er gerne als "besonders uneinsichtig". Er züchte die Tiere hoch, "damit sie von einer lustigen Jagdgesellschaft abgeknallt werden können". Dadurch sei nicht nur das Gatter völlig verdreckt, obwohl es als "Natura 2000"-Gebiet besonders sauber sein sollte. Die Jagd sei auch tierquälerisch, weil gezielt gegen Zäune gejagt würde.

Zurück in Salzburg, wo Maximilian Mayr-Melnhof das vorhin erlegte Wildschwein gerade mit seinem Jeep zur hauseigenen Fleischerei transportiert: Die Vorwürfe von Martin Balluch kann er nicht nachvollziehen. Dass es dreckige Stellen im Gatter gebe, sei klar. Das komme überall vor, wo Tiere leben. Die Umwelt in der Antheringer Au sei trotzdem in einem sehr guten Zustand. Auch die Vorwürfe der Tierquälerei kontert der Salzburger Landesjägermeister. "Es wird immer nur ein Teil des Gatters bejagt. Die Tiere haben genug Platz, um auszuweichen. Es wäre völlig unethisch, gegen Zäune zu jagen. Schwarze Schafe mag es geben, in meinem Gatter passiert das mit Sicherheit nicht." Die Jagd in seinem Gatter sei außerdem in mehrerer Hinsicht sinnvoll. Die Nachhaltigkeit sei dadurch gewährleistet, dass er mit seiner hauseigenen Fleischerei einen Teil Salzburgs mit Fleisch versorge. Jedes erlegte Wildschwein werde in der Fleischerei von einem seiner Mitarbeiter, einem gelernten Fleischer, verarbeitet, so Mayr-Melnhof. "Ich bin sogar sehr stolz darauf." Dass trotzdem Schluss mit Gatterjagd und Halali sein könnte, weil auch in Salzburg über ein Gesetz zur Öffnung der Jagdgatter nachgedacht wird, glaubt er nicht. Es sei schlicht nicht möglich. "Da fragen sie am besten die angrenzenden Bauern. Die Wildschweine würden die umliegenden Felder völlig zerstören. Deshalb wurde das Gatter einst bewilligt." Für Martin Balluch sind diese Argumente nur vorgeschoben. Mayr-Melnhof stelle sich gerne als Retter der Bauern dar. In Wahrheit sei das Problem, dass die Wildschweine die umliegenden Felder zerstören würden, hausgemacht. "Ich kann natürlich nicht eine totale Überpopulation an Wildschweinen züchten, dann die Zäune weggeben und mich wundern, dass die Schweine alles wegfressen."

Eine Lösung des Konflikts scheint zumindest zwischen den beiden Kontrahenten in weiter Ferne. Martin Balluch pocht darauf, dass die Gatterjagd "im Mistkübel der Geschichte verschwindet", wie es der Tierschützer lautstark fordert -auch immer wieder durch Demonstrationen vor den Landtagen. Der Salzburger Landesrat für Umwelt und Landwirtschaft, Josef Schwaiger, erklärt auf Anfrage von profil, dass er bemüht sei, eine Lösung zu finden, mit der beide Seiten leben können. Er werde sich sicher nicht von Demonstrationen beeinflussen lassen und "auf jene reagieren, die am lautesten schreien", wie er in Richtung Balluch bemerkt. Auch eine ähnlich kurze Übergangsfrist wie in Wien oder im Burgenland könne er sich nicht vorstellen. Neue Jagdgatter würden in Salzburg ohnehin nicht mehr bewilligt. Es sei im Bereich des Möglichen, mit einer nachhaltigen Öffnung bestehender Gatter noch in dieser Legislaturperiode zu beginnen, so Schwaiger. Ein mögliches Ziel könne sein, bis Ende der 2020er-Jahre ein Naherholungsgebiet in der Antheringer Au zu schaffen. Ob damit alle Seiten leben können, bleibt abzuwarten.