Treffpunkt Wien-Liesing. Zum Gespräch mit profil in den Räumen einer modernen Social-Media-Agentur erscheint der Wiener Influencer Satans Bratan mit seiner Oma – man kennt sie aus seinen TikTok-Videos. Der Influencer kümmert sich regelmäßig um sie, bringt sie von A nach B, wenn seine Eltern keine Zeit finden. Viel Freizeit hat er derzeit nicht, erzählt er. Immerhin möchte er sich bald ein paar Tage Urlaub gönnen und für einen Influencer bedeutet das: Videos vorproduzieren. “Dann zieh ich mir meine Hausmeisterkleidung an, fahre auf den Wienerberg und schaue mal, was passiert”, erklärt er seine Arbeitsweise. Spontanität ist alles.
Der grantelnde Wiener Hausmeister mit aufgeklebtem Bart und Bierbauch ist nur eine von vielen Rollen, in die Satans Bratan schlüpft. Erik, wie der Influencer mit bürgerlichem Namen heißt, mimt auch die überfürsorgliche Balkan-Mutter, den migrantischen BMW-Fahrer oder den cholerischen Vizeleutnant beim Bundesheer. Der sympathische Typ mit dem durchdringenden Blick gibt zwischendrin den seriösen Kumpel für seine Fans und Follower. Mit seinen kurzen Videos hält er den Menschen einen Spiegel vor und zeigt sie mit all ihren Fehlern und Stärken. Schaut man genauer hin, dann erzählt er aber auch von einem Multi-Kulti-Wien, in dem jeder Mensch seinen Platz finden kann. Er selbst nennt das Comedy.
Mit seinen Videos erreicht Satans Bratan inzwischen ein Millionenpublikum, 600.000 Menschen folgen ihm auf TikTok und Instagram. Damit wird er auch für Regierungsmitglieder interessant. In ihrem Auftrag spricht er über die Gefahren von Hass im Netz. Auch die ÖBB, die Stadt Wien und die Porr zählen zu seinen Kunden. Wie viel Werbung kann ein Influencer machen, ohne sich zu verkaufen? Und von welchem Politiker würde er keine Aufträge annehmen?
Der 23-jährige Wiener Erik (seinen Familiennamen will er lieber nicht in diesem Artikel lesen) ist die Stimme der österreichischen und migrantischen Jugend im Netz. Sein Künstlername leitet sich vom Balkan-Slangwort Bratan ab, das für Bruder steht. Eine Andeutung auf seine eigene Herkunft: Die Mutter stammt aus dem bosnischen Banja Luka, der Vater aus Wien, er ist gelernter Schalungsbauer. Und Sohn Erik geht in den sozialen Netzwerken durch die Decke. Als Zuseherin und Zuseher wird man Teil des Sketches, wird von Hausmeister Seppl angepöbelt, der direkt in die Kamera spricht. Satans Bratan hat die Jugendsprache verinnerlicht und wirft mit Begriffen wie “Cuxxl“ (was so viel wie Trottel bedeutet) oder „Klabinet“ (also: Glaube ich nicht) um sich.
Dass die Social-Media-Welt längst mit der richtigen Welt verschmolzen ist, merkt man, wenn man mit Erik – er ist groß und durchtrainiert – auf die Straße tritt. Denn Satans Bratan ist nicht nur ein Star in den sozialen Netzwerken. Menschen bleiben mit ihren Autos kurz stehen, wenn sie ihn erkennen, winken raus, strecken den Daumen anerkennend nach oben, rufen ihm aufmunternde Sprüche zu und fahren dann weiter. Auch wenn er in seinen Videos oft den grantigen Wiener spielt, ist Erik ein durchaus positiver Mensch, der “viel Liebe verbreitet”, wie er sagt, der den Menschen ein gutes Gefühl gibt, sie umarmt und jedes Selfie (“Zu einem Foto habe ich noch nie nein gesagt”) bereitwillig macht. In den Kommentaren zu seinen Videos liest man, dass er Menschen mit seinem Humor durch dunkle Stunden bringt oder sie aufheitert. Denn seine Geschichte ist auch eine Coming-of-Age-Story, wie aus dem kleinen Satansbraten aus Wien-Favoriten, ein großer Bruder für viele Jugendliche wurde.
“Die Corona-Politik hat nicht in die Karten der Jugendlichen gespielt”
Die Welt der Social-Media-Stars ist aber nicht nur spontan, sondern auch paradox: Denn Satans Bratan ist sich bewusst, dass viele Jugendliche auch wegen ihm vor den Handys hocken, andererseits will er sie dazu ermutigen, raus in die Natur zu gehen, Sport zu machen und sich nicht zu Hause zu isolieren. Da spüre man noch die Nachwehen der Corona-Pandemie, meint er. “Die Corona-Politik hat nicht in die Karten der Jugendlichen gespielt.” Heißt: Die Jugendlichen waren in der Blüte ihres Lebens zu Hause eingesperrt, konnten sich nicht mit Freuden treffen und haben vielleicht noch eine Strafe riskiert. Er selbst sei in seiner Jugend, erzählt er, viel angeln gegangen oder war mit dem Fahrrad unterwegs: “Dass viele Jugendliche keinen Fahrradreifen wechseln können, finde ich schon sehr traurig.”
TikTok statt Garde
Für Satans Bratan war die Pandemie Fluch und Segen zugleich. Denn seine Karriere als Content-Creator hat derweil beim Bundesheer begonnen. Die Welt stand still, Bratan hat sich gelangweilt. Eigentlich wollte er zur Garde, erzählt er, er möge die Ordnung, aber dafür hat die Disziplin gefehlt. 18 Mal musste er zum Rapport. Er brauche eben den ganzen Tag Action, und so habe er eben angefangen Videos zu drehen. Veröffentlichen konnte er das Kasernenmaterial aber nicht, das Risiko eine Geldstrafe zu riskieren schien zu groß. Die Videos von damals hat er fast alle wieder gelöscht.
Wann hat er gemerkt, dass es mehr als lustige Videos sind, die man vielleicht seinen Freunden schickt? Das ging “von Anfang an steil”, sagt er ohne zu zögern. Natürlich habe ihm dann auch Corona noch in die Karten gespielt, erzählt er. Die Menschen waren ständig vorm Handy – und TikTok sei in Österreich zu der Zeit erst so richtig aufgeblüht.
Vier- bis fünfstellige Beträge
Sein Geld verdient Satans Bratan heute hauptsächlich mit Kooperationen und seinem eigenen Modelabel, das er in nächster Zeit noch ausbauen will. Aber was verdient man so als Influencer? Die ersten Monate nicht viel, sagt er knapp. Das waren Beträge im dreistelligen Bereich. Heute gibt es keine Buchungen mehr unter vier- oder fünfstelligen Beträgen. Immerhin sieht man ihn bei Werbeeinschaltungen der ÖBB, vom Justizministerium – oder er promoted ein Sportevent (zuletzt die 3x3-Basketball-Weltmeisterschaft am Wiener Rathausplatz).
Angefangen hat das mit seinem Leib- und Lieblingsthema. Der Lehre – und der Kampagne #gemmalehre, mit der der Wiener Förderfonds WAFF, das Auszubildende an die richtigen Ausbildungsplätze vermitteln möchte. Es stört ihn, erzählt er, wie die Lehre in Österreich noch immer negativ konnotiert sei. Wenn er mit Justizministerin Alma Zadić ein Video macht, die sich gegen Cybermobbing und Hass im Netz wendet, meint er, stehe für ihn nicht die Politikerin im Fokus, sondern die Sache, die er bewirbt – und welche Botschaften er damit für sich und seine Follower ableiten kann. Aber wo zieht er Grenzen, würde er zum Beispiel auch mit Herbert Kickl ein Video machen? Das muss jeder Influencer für sich entscheiden, sagt er nur knapp. Es gebe aber genug Politiker, bei denen er sich auf den Kopf greife.
Nicht perfekt
Für Satans Bratan ist die Rechnung in Sachen Vorbildwirkung einfach: “Ich will meine Reichweite nutzen und nicht ausnutzen”, sagt er. Heißt für ihn: Man kann Menschen durchaus sagen, was richtig und was falsch ist, auch wenn man selbst nicht perfekt ist. Eines habe er aber definitiv schon geschafft. Während der Satan in seinem Künstlername das Böse sei, stehe er mit seiner Kunst für das Positive. So verbinde man heute das Schlechte mit etwas Gutem, meint er und alle, “die heute an Satan denken, denken an den Satans Bratan.”
Zu seiner Vorbildwirkung zählt auch der Sport (er hat die Sportmittelschule besucht und unzählige Pokale gewonnen), um bloß nicht auf blöde Ideen zu kommen. Bis zu einer Handverletzung hat er Bodybuilding gemacht – fast jeden Tag nach der Lehre. Außerdem konsumiere er selbst sehr wenig Social Media, schaue sich auch keine anderen Content Creator an, um sich nicht beeinflussen zu lassen. “Mein Handy-Feed schaut eher wie der Discovery Channel aus”, sagt er mit einem Lachen, viele Natur-Videos, Angeln und Tiere.
Nicht jeder Jugendliche kann Rapper werden
Bei Erik passt das alles zusammen, die Klamauk- und Satire-Videos und die eingestreuten Kooperationen. Seine Wunderwaffe, die man sofort spürt, wenn man ihm gegenübersitzt: Authentizität. Und die nutzt er auch für sein aktuelles Projekt, für das er als Speaker in Schulen auftritt. Angefangen hat es, als eine Polytechnische Schule aus dem 19. Wiener Bezirk angefragt hat. Dabei erzählt er von seinem Leben, seiner Lehre und Karriere – aber auch über Cybermobbing und Social Media. Es gehe auch darum, erzählt er, den Jugendlichen die Augen zu öffnen. Denn viele Schülerinnen und Schüler wollen heute Rapper, Influencer oder “Beautytanten” werden, aber die Realität sei eben kein Handy-Feed. Seine Message: Wichtig sei es, einen Beruf zu erlernen und sein eigenes Geld zu verdienen. Eine Karriere als Content Creator könne man dann noch immer anstreben.
Ab September will Satans Bratan sein Engagement auch institutionalisieren. Er, der Satansbraten von damals, wird zum Gesicht einer neuen Kampagne, die sich um Prävention im Bereich des Cybermobbings kümmert, mit Psycholog:innen arbeitet und Eltern und Lehrern gleichermaßen einbinden will. Möglicher Kooperationspartner: Österreichischer Integrationsfond. Erik soll zum Ansprechpartner der Kinder werden. Zielgruppe sind natürlich die Mittelschulen, die Gymnasien, das Polytechnikum – aber eigentlich, sagt Satans Bratan, müsse man in der Volksschule ansetzen. Denn TikTok sei in dem Alter durchaus ein Thema und Kinder würden sich schnell die falschen Vorbilder nehmen.
Willkommen im real life
Dass er „Halb-Jugo und Halb-Österreicher“ (Eigenbezeichnung) ist, sei für ihn immer ein Vorteil gewesen, meint Erik. Denn mit seiner Biografie könne er eben alle gleichermaßen kritisieren. Auch mit Alltagsrassismus kennt sich der gebürtige Wiener aus – auch wenn ihn sein österreichischer Nachname das Leben leichter gemacht hat, wie er erzählt. Erik kennt die Geschichten von der Straße – das real life – wie er es nennt. Er kommt mit Menschen unterschiedlicher Nationalität zusammen, redet mit Türken, Afghanen, Syrern gleichermaßen über ihre Probleme. Auch Integration sei für ihn, das betont er gerne, keine Einbahnstraße. Dass Menschen 30 Jahre lang in einem Land leben und immer noch nicht die Sprache verstehen würden, könne er nicht nachvollziehen.
In der Schule habe er eine super Klassengemeinschaft gehabt, erzählt er. Er, der bratan, habe sich auch schon damals gerne auf die Seite der Schwächeren und Introvertierten gestellt. Zum Schluss des Gesprächs erzählt er noch von einem anderen Schüler, der in einer Schule in Wien-Meidling so gemobbt wurde, dass sich die Mutter des Betroffenen an ihn gewandt hatte. Durch seine Kontakte habe der Schüler dann schnell eine neue Schule, ein neues Umfeld gefunden – und da sei es ihm auch egal, welche Politikerinnen oder Politiker sich für seine Anliegen einsetzen würden. Die Sache, das betont er, sei eben wichtiger als das politische Couleur.
Bleibt die Frage, ob er es sich vorstellen könnte, auch selbst einmal in die Politik zu gehen. Er habe, meint Erik, schon sehr viel darüber nachgedacht und möchte es nicht ausschließen: “Wer weiß schon, was die Zukunft bringt.”