Sie mussten nach einer kometenhaften Karriere den Spitzensport im Alter von nur 22 Jahren verletzungsbedingt beenden. Schafft man es überhaupt, als junger Mensch mit solchen Niederlagen umzugehen?
Toni Innauer
Nach einem fulminanten Einstieg ins Skispringen galt ich als Riesentalent. Ohne Training und mit Riesentorlaufski wurde ich Zweiter bei den österreichischen Meisterschaften. Ich gefiel mir in der Rolle, dass ich grandios bin, ohne ein Streber zu sein. Mit 14 passierte eine große Tragödie in meinem Leben: Mein bester Freund Arthur verunglückte mit nur 16 Jahren bei einem Skitraining tödlich. Zwei Tage zuvor waren wir noch miteinander im Zug gesessen: Er fuhr nach Schladming, ich nach Bischofshofen. Wegen eines Wettkampfes hat man versucht, mir seinen Tod zu verschweigen. Ich habe es aus der Zeitung erfahren und war geschockt. Arthur hatte mich immer wieder gerügt: „Toni, du hättest noch viel mehr Potenzial, du solltest nur fleißiger sein.“ Dieser Verlust war für mich ein Schlüsselerlebnis. Es wurde der Vorsatz daraus, alles zu geben – Streber hin oder her, auch egal, ob es am Ende reicht oder nicht. Ich sagte mir: Ich bin das dem Arthur schuldig. Und manchmal hatte ich das Gefühl, dass ein Schutzengel über mich wacht. Dass ich an die Weltspitze gekommen und nicht nur Landes- oder Vereinsmeister geworden bin, hat wesentlich mit Arthur und meinem Vorsatz zur Veränderung meines Selbstbildes zu tun.
Auf der Höhe Ihrer Karriere mussten Sie wegen einer starken Verletzung eine Saison lang pausieren.
Toni Innauer
Da habe ich gelernt, die Zeit zu nutzen. Der Zwangspause etwas Positives abzugewinnen. Ich habe damals viel über meinen Sport nachgedacht, beobachtet, Sprünge im Kopf visualisiert, Tagebuch geschrieben, meinen Körper beweglich gehalten. Der Baldur (Anm.: Preiml, einstiger Nationalteamtrainer) hat mir damals geraten, ein Instrument zu lernen. Oder das Zehnfingersystem auf der Schreibmaschine, um mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Und ich kann bis heute so schnell tippen wie eine Sekretärin.
Ratgeberliteratur dominiert die Verkaufstische jeder Buchhandlung. Lesen Sie so etwas auch?
Toni Innauer
Ja, Ich bin zwar wählerisch, aber wenn ich nur ein, zwei Ansätze gefunden habe, die mich ansprechen, kommt die Lust, die auch auszuprobieren.
Aber wie gelangt man an den Punkt, an dem das theoretisch Erfasste auch dauerhaft in die Praxis umgesetzt werden kann?
Toni Innauer
Es nützt mir die Lektüre von dicken Büchern oder Internettipps zum richtigen Absprung oder Golfschlag nichts, wenn dieses Wissen für mich im Eifer des Geschehens nicht anwendbar ist und die Angst, etwas verkehrt zu machen, mich dominiert. In der Übungsphase analysiert man die Dinge systematisch mit dem Kopf, sie sind noch „bewusstseinspflichtig“ und unsicher. Durch viele Wiederholungen entstehen Automatismen, gewohnte, geölte Abläufe und das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Im Wettkampf muss ich es schaffen, meinem Gspür für die Sache zu vertrauen und das analytische Denken im Hintergrund zu parken. Sonst pfuscht der Kopf im entscheidenden Moment störend in den Ablauf. Um diese Prozesse zu erfahren, sind Sportarten wie Golf oder Tennis, aber auch das Üben an einem Musikinstrument sehr gut geeignet.
Und was mache ich, wenn diese Methode nicht funktioniert?
Toni Innauer
Oft liegt es daran, dass man einfach zu wenig oder das Falsche geübt hat, das Gelernte ist unter Druck noch nicht stabil genug. Oder man will die Dinge zu sehr kontrollieren. Ich selbst hatte Glück mit Mentoren und Begleitern wie unserem Trainer Baldur Preiml oder später, als Manager, auch dem Peter Schröcksnadel über die Schulter schauen zu dürfen. Im Spitzensport wie beim Umprogrammieren von Gewohnheiten gilt: Es braucht ein Dorf, um einen Menschen zu erziehen. Man blockiert sich, wenn man alle Veränderungsprozesse verbissen und humorlos nur mit sich selbst ausmachen will.
Was unterscheidet Ihr Buch „Ein neues Leben“ von Tausenden anderen Lebenshilfewerken?
Toni Innauer
Ich habe die Niederlagen, Fehleinschätzungen und Bruchlandungen, aber auch Erfolge, die ich beschreibe, selbst als Athlet, Trainer, Manager und Vater erlebt, erlitten und gefeiert. Diese vielschichtigen Erfahrungen, aufgehängt an Vorsätzen und Gewohnheiten, gebe ich weiter und versuche, eine bewusst auch augenzwinkernde Einladung zum Ausprobieren zu vermitteln.
Gab es in Ihrem Leben auch Phasen, wo Sie selbst nicht mehr weiterwussten?
Toni Innauer
Natürlich. Ich hatte sehr schwierige Phasen. Zweimal stand ich knapp vor einem Burn-out, zum endgültigen Zusammenbruch fehlten noch ein paar Stufen. Es kam einfach sehr viel zusammen: Ich war in meinem Beruf als Cheftrainer unter extremem Druck gestanden, den ich mir auch selbst gemacht hatte. Die Jahre in der Öffentlichkeit hatten mir viel abverlangt, wir hatten damals schon drei Kinder, keine Großelternhilfe in der Nähe und weniger Kinderbetreuungseinrichtungen als heute. Meine Frau musste sich oft allein um zu viel kümmern. Es war einfach alles sehr viel auf einmal. Damals holte ich mir Hilfe und machte zweieinhalb Jahre lang eine Psychoanalyse.
Mit oder ohne Couchlage?
Toni Innauer
Mit Couchlage und dem Coach hinter mir … Das mochte ich. Ich fand die Psychoanalyse so spannend, dass ich kurz damit liebäugelte, mich in diese Richtung ausbilden zu lassen. Auch dieser Prozess spiegelt das dreipolige Grundmuster von Gewohnheitsbildung und Verhaltensänderung: das Setting, die vielen Wiederholungen und immer wieder kleine Belohnungen durch Entdeckungen, Erkenntnisse und Durchbrüche zwischendurch. Damals lernte ich auch, dass Träume sehr lohnend sein können.
Das Buch
Toni Innauer: Ein neues Leben.
CSV-Verlag. 240 Seiten, EUR 23
Toni Innauer, ein Freund von Struktur und Analyse, geht in seinen Tipps systematisch und wissenschaftlich gestützt vor, was seine Anregungen wohltuend von der üblichen Ratgeberliteratur unterscheidet. Vom „Blending“, der Integration von Bewegungskonzepten in den Alltag, bis zur gesundheitlichen Gefahrenzone der digitalisierten Gesellschaft, dem Schlaf, verquickt er praktische, simple Anleitungen, erklärt aber auch sehr griffig und mit vielen Beispielen aus Psychologie und Philosophie die Hintergründe seiner Thesen.
Würden Sie heute noch einmal von der Bergiselschanze springen wollen oder auch können?
Toni Innauer
Das wäre heute tatsächlich selbstmörderisch. 1991 habe ich es noch einmal probiert und konnte mit den österreichischen Juniorenspringern noch durchaus mithalten. Risikomanagement ist auch ein Teil des klugen und schonenden Umgangs mit sich selbst. Meine Frau (Anm.: die ehemalige Langläuferin Marlene Resch) geistert gerade durch das Zimmer und schmunzelt, wenn sie das hört. Wenn ich mich entsprechend aufwärme, würde ich den Sprung von einer kleinen Schanze schaffen. Aber wahrscheinlich würde sich das dann doch im Vergleich zu früher ziemlich armselig anfühlen. Das möchte ich mir eigentlich ersparen. Da gehe ich lieber Fliegenfischen.