Nachruf

Vivienne Westwood: Queen der Exzentriker

Zum Tod der Modeschöpferin, die am Donnerstag 81-jährig verstarb. Angelika Hager hat sie mehrfach interviewt.

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Vivienne Westwood zu interviewen, war so schwierig wie amüsant. Sie tendierte jede Frage mit einem Kurzreferat zu beantworten und schickte einen sehr strengen Blick, wenn man mit einer sachten Anmerkung einen Themenschwenk anpeilte.  Bei einem unserer Interviews in ihren Studios im Süden von London 2012 trug sie eine knallviolette Strickjacke zu einem groß karierten Rock, der graue Nachwuchs ihrer grellorangen Haare war einen Finger breit, ihr porzellanfarbenes Gesicht wirkte auf eine seltsame Art alterslos.

Wüsste man nicht, dass dieses Geschöpf wie sonst nur Coco Chanel die Mode revolutioniert und ein Millionenimperium begründet hatte, hielte man sie auf den ersten Blick für eine reizende Hausfrau aus der  britischen Provinz, die sich ein paar exzentrische Hobbys leistet. Die Studios waren erstaunlich klein und voll von jungen Menschen, die emsig herumschwirren. Kein Pomp, kein Schick, leere Wände, ein riesiger Arbeitstisch, um den ein paar Hocker standen, eine spartanische Teeküche. Ein Jahrzehnt  zuvor hatte  Westwood  noch in einer Sozialwohnung gelebt - aus freien Stücken.

Irgendwann kamen wir damals auf Verluste und den Tod zu sprechen. Sie erzählte von ihrer Mutter, die kurze Zeit zuvor gestorben war: „Sie war sehr krank und musste leiden. Aber was glauben Sie, was ihre letzten Worte waren? Sie sagte: Ich möchte nicht sterben.“ Ich fragte sie: „Glauben Sie, dass die Seele Ihrer Mutter irgendwo weiterlebt?“

Ich glaube nicht an Gott oder irgendeine Form von Leben nach dem Tod. Meine Existenz ist purer Zufall.

Die Frage belustigt sie herzlich: "Nein, natürlich nicht! Ich glaube nicht an Gott oder irgendeine Form von Leben nach dem Tod. Meine Existenz ist purer Zufall. Wenn wir sterben, ist es vorbei. Deswegen sollten wir tunlichst danach trachten, uns gut zu benehmen, solange wir hier sind.“

Dame Westwood (sie wurde als „Dame” des britischen Empire geadelt, das Foto ging um die Welt, denn Westwood trug keine Unterhosen und ihr Rock wurde durch einen Windstoss gelüpft) hat sich sehr gut benommen. Und ihr kreativer Einfluss auf die Art, wie Menschen sich stlyen, inszenieren und gestalten, wird noch Generationen beeinflussen. Lange bevor die Klimakatastrophe ins kollektive Bewusstsein drang, lebte Westwood grün: Sie hasste es, zu fliegen, fuhr nahezu ausschließlich mit dem Fahrrad, benutzte die Toilettenspülung nicht öfter als notwendig: „Ich esse nur biologische Lebensmittel, bei uns wird nichts weggeworfen.”

Und spendete mehrere Millionen Pfund für die britische Umweltorganisation „Cool Earth”, über die sie am liebsten ausschließlich geredet hätte: „Es wäre doch wirklich obszön, stinkreich ins Grab zu gehen. Jetzt, wo ich endlich Geld aus meiner Firma nehmen kann, spende ich. Wir sind verdammt, wenn nicht gleich was passiert. Mit nur 140 Millionen Pfund könnte der gesamte Regenwald gerettet werden. Ein Klacks, der unseren Planeten vor dem sicheren Untergang bewahren könnte. Nur von der britischen Regierung kommt nichts. Sie ist völlig ignorant, was diese wirklich bedrohliche Situation betrifft, die uns alle in den Abgrund stürzen wird. Ich habe versucht, sie zu überzeugen, das Projekt mitzufinanzieren - ohne Reaktion.”

Auch mit ihrer Kapitalismuskritik warf sie ungerührt die Axt gegen das eigene Unternehmen. Auf der Londoner Fashion Week trat sie nach ihrer Show auf den Laufsteg und verlautbarte, dass die Menschen aufhören sollten, zu konsumieren und wahllos Kleider zu kaufen.

„Sind Ihre Marketing- und Verkaufsmanager nicht kollabiert, als Sie auf Ihrer eigenen Show zum Kaufembargo aufgerufen haben?“-„Natürlich waren einige sehr zornig mit mir“, antwortet sie seelenruhig. "Ich habe ja auch schon öffentlich gesagt, dass es Zeiten gab, wo ich manche meiner Kleider nicht mochte.“ – „Wie bitte?“

"Ja, wir machten einfach viel zu viel. Ich wollte, dass wir weniger Produkte herstellen. Abgesehen davon: Ich finde es einfach grauenhaft, wie konformistisch und einfallslos uniformiert die Menschen heute aussehen. Sie kaufen sich lieber zehn billige T-Shirts als ein tolles Teil, das sie über Jahre tragen können. Dagegen bin ich. Kauft weniger und wählt gut aus! Für eine Westwood-Hose kann man den Heizkörper ruhig einmal runter drehen.“

Kauft weniger und wählt gut aus! Für eine Westwood-Hose kann man den Heizkörper ruhig einmal runter drehen.

Ob sie stolz auf das ist, was sie geschaffen hat? Sie beginnt zu kichern: „Stolz? Nicht im Geringsten. Möglicherweise wäre alles anders gekommen, wenn ich, das Mädchen aus der Arbeiterklasse und dem Norden, nicht mit 17 nach London gekommen wäre...”

Der einst mächtigste Modekritiker der Welt, John Fairchild, hatte der ehemaligen Lehrerin, die ihre Karriere mit Schmuck, den sie auf der Portobello Road vertickte, gestartet hatte, schon in den 1980-er Jahren attestiert, neben Yves Saint Laurent, Christian Lacroix und Karl Lagerfeld zu den wichtigsten Designern der Modegegenwart zu gehören.

Doch keiner der Genannten besaß auch auch nur annähernd die dauerhafte Innovationskraft und die Subversionslust, die Westwood seit ihrer ersten eigenen Kollektion „Pirates” (1982) antrieben. Sie adaptierte den S&M-Look der Pornoshops und die Versatzstücke des Punk für die Laufstege, entwarf fleischfarbene Bodystockings mit Feigenblättern, druckte Frauenbrüste auf Männer-Shirts, Penisse auf Frauen-Oberteile und revitalisierte den Cul de Paris, den künstlichen Hinternbesatz, und das Korsett für die Haute Couture. Sie bediente sich alter Schnitttechniken und ließ Stilelemente des Mittelalters und des Rokoko in ihre Kreationen fließen. Sie ironisierte den Traditionsstil des Königshauses mit Karomustern, Twinsets und taillierten Jacken. Mit unverhohlener Schamlosigkeit klauten Lacroix, Lagerfeld, John Galliano, der verstorbene Alexander McQueen und Legionen von anderen Designern seit Jahrzehnten ihre Ideen: „Das kränkt mich nicht, es amüsiert mich nur.”

Tatsächlich ist Mode in unserem Gespräch das Thema, das Westwood am meisten anödet: „Es ist so entsetzlich langweilig und banal über Mode zu reden.” – „Blättern Sie manchmal in der VOGUE?“ Sie sieht mich spitzmündig an: „Warum sollte ich? Nein, wirklich nicht.”

Nur „der anbetungswürdige Look der Queen” langweilt sie nicht, darüber gerät sie ins Schwärmen: „Die Queen ist in ihrer Erscheinung so außerhalb der Mode, dass sie eine eigene textile Staatsgewalt präsentiert. Sie hat einen Look etabliert, der die Mode inklusive ihres systemimmanenten Zickzackkurses und ihrer Veränderungen mit aller Würde ignoriert, um nicht zu sagen verachtet. Ich liebe ihre Eiscrèmefarben, sie sind ihre Trademark.”

Die Königsfamilie ist ihr Geld wert. Und der Zement, der unser Land zusammenhält. Sie stehen außerhalb von allem und sind für mich unantastbar.

Erstaunlicherweise entpuppte sich die Frau, die die Punk-Bewegung mitbegründetet und in ihrem Laden in der Portobello Road T-Shirts verkaufte, die die Queen mit einer durchbohrten Sicherheitsnadel in der Wange zeigten , als leidenschaftliche Monarchistin:

„Die Königsfamilie ist ihr Geld wert. Und der Zement, der unser Land zusammenhält. Sie stehen außerhalb von allem und sind für mich unantastbar. Ich mochte es nie, wenn sie sich so um Volksnähe bemühten und mit ihren Hunden auf dem Rasen herumkugelten. Ich finde die britische Aristokratie mit ihrer Attitüde, sich alles bei einem bestimmten Schneider machen zu lassen, großartig. So grenzt sie sich von der Bourgeoisie ab und wird verzweifelt von ihr imitiert.”

Westwood und die Queen bei einem Empfang 1999.

Den damaligen Thronfolger Prince Charles hielt sie für „einen wirklich klugen Kopf”: Er hat schon grün gedacht, als das noch niemanden interessiert hat.“ Prince William ringt ihr weniger Begeisterung ab: „Den halte ich für nicht besonders klug.”

Hielt Sie Kontakt zu irgendwelchen Habsburgern? Westwood leitete Ende der 1980er die Modeklasse an der Wiener Hochschule für Angewandte Kunst, wo sie ihren späteren Ehemann und langjährigen kreativen Partner, den Tiroler Studenten Andrea Kronthaler kennen lernte: „Ja, Francesca Habsburg bin ich begegnet. Eine ganz nette Frau. Sie hat nur leider einen furchtbar schlechten Kunstgeschmack.“

Mit erstaunlicher Offenheit spricht sie über die Anfänge der Beziehung mit dem 25 Jahre jüngeren Modestudenten: Die Frage nach der Problematik des Altersunterschieds wirkt im Fall dieser Ehe müßig; Westwood schwebte über so banalen Kategorien wie Zeit und Vergänglichkeit: „Natürlich hat mich sein bloßer Anblick schon elektrifiziert, als er noch Student bei mir war. Er wirkte so stark, gefährlich und geheimnisvoll. Aber eigentlich ging die Sache von ihm aus. Ich war da viel gehemmter. Ältere Frauen haben ihn immer fasziniert, bis heute. Aber ich bin ein Mensch, der auch sehr viel allein sein muss. Ich brauche meine Zeit für mich, Andreas akzeptiert das.“

Die Begriffe, die am häufigsten mit Westwood assoziiert werden, sind Provokation und Rebellion. Allein der Gedanke brachte sie in Rage: „Es gibt nichts Dümmeres, als undurchdacht und aus bloßem Willen zur Provokation zu agieren. Aus diesem Grund finde ich zum Beispiel Andy Warhol lächerlich. Alles, wovon wir in diesem kulturlosen 20. Jahrhundert, dessen Kunst so maßlos überschätzt wurde, leben und zehren, ist Tradition. Und gerade die Mode steht in einem ständigen Abhängigkeitsverhältnis zur Tradition. Denn Tradition bedeutet Technik. Wenn ich die Kostüme und Kleider der Queen betrachte, sind sie perfekte Beispiele von Schnitttechnik. Und ein klares ästhetisches Bekenntnis zu ihrer Standeszugehörigkeit.”

Vivienne Westwood und profil-Autorin Angelika Hager anlässlich eines Interviews.

Eigentlich wäre sie am liebsten frei von allem: „ Am liebsten würde ich nur lesen und über Bücher sprechen. Sesshafte Privatgelehrte wäre mein Traumberuf. Ich hasse es nämlich auch zu reisen. Flughäfen greifen meine Nerven an. Nur wenn ich dann im Flieger sitze und lese, komme ich wieder langsam zu mir.“

Vivienne Westwood starb im Kreise ihrer Familie am vergangenen Donnerstag in London.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort