Jugo Ürdens im Schutzhaus zur Zukunft in Wien
Zehn Portionen Extrakitsch: Der Wiener Rapper Jugo Ürdens

Zehn Portionen Extrakitsch: Der Wiener Rapper Jugo Ürdens

Der Wiener Rapper Jugo Ürdens hat ein gutes Gespür für Geschichten, an denen Pop und die Welt einander berühren. Zum Beispiel seine eigene.

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Im Schutzhaus zur Zukunft, Wien, 15. Bezirk, tausend Klischees: Draußen auf der Johnstraße brutzeln BMWs vor Shishacafés. Drinnen auf der Schmelz tragen die Kleingärten Früchte und die Biergartenkellner Lederhose. Jugo Ürdens trägt eine Bauchtasche mit „Cevapcici“-Schriftzug. Jugo heißt im wirklichen Leben Aleks und ist 22 Jahre alt. Das Hip-Hop-Album, von dem er gleich reden wird, heißt fast wie seine eigene Kunstfigur, nämlich „Yugo“. Jugo mit J kommt gerade aus dem Musikstudio: letzter Feinschliff für die Platte, die Anfang Oktober erscheint. Der Vorgeschmack läuft seit ein paar Wochen schon im Radio: „Yugo“, eine immergrüne, aus tiefergelegter Ironie und großer Gelassenheit gefräste Hymne auf einen Kleinwagen aus Jugoslawien: „Ich sitz auf 45 PS / Er hat alles, was ich brauch“. Der Yugo ist eine Art Trabant des Südens, der es tatsächlich bis nach Hollywood geschafft hat: Er wird in „Dragnet“ von Dan Aykroyd und Tom Hanks eingehend gewürdigt; Bruce Willis fährt ihn in „Stirb Langsam II“ und in „Das Model und der Schnüffler“. Jugo Ürdens hat ein Gespür für Geschichten, an denen Pop und die Welt einander berühren. So wie in seiner eigenen.

Sie beginnt in Skopje, Mazedonien, und das allein erzählt schon viel. Vom Rest berichtet Jugo Ürdens im Biergarten der Zukunft, während sein Smartphone im Zwanzigsekundentakt brummt. „Mit dem ‚Österreicher‘ hab ich mir selber ein bissl ein Grab geschaufelt“ sagt er, was schlimmer klingt, als es ist. Jugo Ürdens hebt die Schultern, zieht die Mundwinkel hoch, linst auf die neueste Nachricht. „Österreicher“ war die erste ernstzunehmende Single, die er, noch als Teenager, veröffentlicht hat. Sie machte Schlagzeilen bis hinein in die Boulevardpresse, was nicht wirklich überraschte: Jugo Ürdens feiert in dem Song die (fiktive) Tatsache, endlich österreichischer Staatsbürger zu sein – mit allem, was dazugehört: „Ich komm im Brudi-Hoodie auf die Wirtschaftsuni / Hole mir paar gut betuchte Döbling-Tussis / Halte die Zwiebelfahne hoch.“ Und: „Du meinst, ihr wärt das Volk? Bitte, halt die Fresse, Oida.“ Selbst wenn es hart auf hart geht, bleibt dieser Rapper höflich.

Zwei Jahre später hält er den Song für „eine Katastrophe“. Rein musikalisch natürlich. „Von der Thematik her ist das ja ganz geil. Wenn du willst, kannst du da was Kritisches heraushören. Du musst aber nicht. Natürlich steckt da was drinnen. Aber ich will niemanden belehren.“ Und um Himmels willen will Jugo Ürdens kein „Sprachrohr“ für eine „Community“ sein. Welche denn auch? Seine Migrationsgeschichte sei weder besonders dramatisch noch sonderlich beispielhaft: „Mein Vater hat einen Job gefunden, hatte die Wahl zwischen Istanbul und Wien und meinte, für die Kinder ist Wien besser. Dann sind wir nachgekommen. Ich war knapp sieben, meine Schwester zehn oder elf. Der Krieg war längst vorbei.“ Der Bub besuchte ein Gymnasium im 1. Bezirk, machte Matura mit Ach und Krach, diverse Aushilfs- und Cateringjobs, ein bisschen Jus und immer mehr Musik.

Dabei wurde Jugoslawien freilich immer schwieriger zu ignorieren. Jugo Ürdens’ Samples stammen durchwegs aus sozialistischer Vorkriegszeit, „ganz viel 70er, 80er, extrem pathetische, langsame Jugo-Gitarren-Balladen, hochgepitcht und zusammengechoppt.“ Der elterliche Plattenschrank wurde leider nicht zur Fundgrube. „Das habe ich alles selbst erforscht, auf YouTube oder in Secondhandläden in Skopje, wenn ich mal unten war. Meine Eltern haben Rock gehört. Das war ganz groß in Jugoslawien. Ist es immer noch. Da ist die Zeit stehengeblieben.“

Das Cover von „Yugo“ zeigt ein Hochhaus, schräg vor blauem Himmel. Es ist wie die alten Balladen, die Jugo im Internet aufstöbert: ein bisschen wahnwitzig, eigensinnig, beeindruckend. Und symbolisch vieldeutig: „Das ist ein altes Studentenheim in Skopje. Man kann auch etwas hineininterpretieren: höhere Bildung, Blockbau, Balkan – und so weiter. Wenn man will. Man muss nicht. Es war eine ästhetische Entscheidung, das aufs Cover zu nehmen.“

Über Musik zu sprechen, ist wie über Architektur zu tanzen, sagen Kalenderspruchkenner. Dafür kann man ganz ausgezeichnet über Architektur sprechen, gerade wenn es um Skopje geht, dem von einer inzwischen im Skandal versunkenen nationalkonservativen Regierung ein Neubau-Klassizismus verordnet wurde, der jeder Beschreibung spottet. Jugo Ürdens, Architekturkenner: „Komplett behindert. Auf einmal gibt es an jeder Ecke Statuen. Und das Brandenburger Tor im Nachbau. Die vermischen einfach alles. Die VMRO (ehemalige Regierungspartei, Anm.) hat sich auch gleich ein eigenes Museum gebaut, das aussieht, als hätten sie die Wiener Oper übersiedelt und noch zehn Portionen Extrakitsch draufgeklatscht.“

Nationalismus ist kein schöner Anblick. Geschichte wird gemacht. Die Zukunft liegt in Wien. Auf der Schmelz, auf jeden Fall. Jugo Ürdens bestellt noch ein Getränk. Das Smartphone klingelt.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.