Teamchef Marcel Koller und ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner (r.) während des Trainings der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft.
"Der Vorschlag Marcel Koller kam von mir"

Willi Ruttensteiner: "Der Vorschlag Marcel Koller kam von mir"

Willi Ruttensteiner hat den österreichischen Fußball reformiert. Ein Gespräch mit dem Sportdirektor des ÖFB.

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profil: Österreich gehört inzwischen zu den elf besten Mannschaften der Welt. Österreich spielt nicht mehr wie Österreich, oder? Willi Ruttensteiner: Wenn man die vergangenen 15 Jahre hernimmt, haben Sie absolut recht. Ich habe immer gesehen, dass man international mit einer abwartenden Spielweise nichts gewinnen kann. Heute agieren wir und sind erfolgreich.

profil: Wie konnte das Team innerhalb von vier Jahren von Platz 72 bis in die Top 10 kommen? Ruttensteiner: Durch eine fantastische Basisarbeit, hervorragende Spieler und einen herausragenden Trainer, der keinen Fehler gemacht hat. Bei der Taktik auswärts gegen Schweden oder Russland war ich mir bei der Spielerbesprechung nicht sicher, ob ein so offensives und druckvolles Spiel gutgehen kann. Aber Marcel Koller hat dort vermittelt, dass das funktioniert.

Den Unterschied im Spitzenfußball machen individuelle Qualität und Taktik aus

profil: Taktische Fragen wurden von Teamchefs früher gern kleingeredet. Wie wichtig ist Taktik? Ruttensteiner: Den Unterschied im Spitzenfußball machen individuelle Qualität und Taktik aus. Wenn taktische Fehler gemacht werden, verliert man auf höchstem Niveau das Spiel. Man muss in verschiedenen Situationen auf das Spiel reagieren können.

profil: Teamspieler beschwerten sich in der Ära vor Koller über mangelhaftes Taktiktraining. War das ein Grund, warum das Nationalteam lange nicht von der Stelle kam? Ruttensteiner: Ich möchte nicht über frühere Spieleraussagen sprechen. Heute ist es anders, und das ist das Entscheidende.

profil: Sie durften vor der Koller-Bestellung nie bei der Teamchefwahl mitreden. Warum? Ruttensteiner: Vor viereinhalb Jahren hat man die Aufgaben des Sportdirektors im ÖFB neu definiert. Grundsätzlich sollte es völlig normal sein, dass ein Sportdirektor bei der Teamchefsuche einbezogen wird.

profil: Den Namen Marcel Koller kannten damals in Österreich nur wenige. Wie haben Sie ihn gefunden? Ruttensteiner: Das war nicht schwer. Wir erstellten ein Anforderungsprofil. Der Teamchef sollte der deutschen Sprache mächtig sein und er sollte internationale Erfahrung haben. Es ist dann eine Kleinigkeit, die besten Trainer der Schweiz herauszufiltern.

Verdiente Nationanalspieler werden in allen Ländern gehört. In Österreich genießen sie vielleicht das eine oder andere Privileg mehr

profil: Kam der Vorschlag Koller von Ihnen? Ruttensteiner: Der Vorschlag Koller kam von mir. Ich hatte aber auch den Schweden Lars Lagerbäck und österreichische Trainer auf meiner Liste.

profil: Welchen Eindruck hatten Sie anfangs von Koller? Ruttensteiner: Eine starke Persönlichkeit. Er war auch kritisch und fragte: "Wenn jemand im Betreuerstab nicht der Qualität entspricht, kann ich den wechseln?" Da sah man schon: Er akzeptiert nicht alles so einfach, sondern will optimieren.

profil: Koller war anfangs verwundert, dass so scharfe Kritik von heimischen Fußballhelden kam. Haben die Legenden überall ein so gewichtiges Wort wie in Österreich? Ruttensteiner: Verdiente Nationanalspieler werden in allen Ländern gehört. In Österreich genießen sie vielleicht das eine oder andere Privileg mehr.

profil: Welche Privilegien? Ruttensteiner: Dass sie vielleicht leichter durchs Fußballleben kommen als andere. Wenn einer der besten Spieler Österreichs als Trainer beginnt, hat er es sicher leichter als einer, der einmal kein bekannter Fußballer war.

profil: Dabei sind Spieler und Trainer ja komplett unterschiedliche Berufe. Ruttensteiner: Da gibt es auch einen großen Wandel. In Deutschland bekommen viele unbekannte Nachwuchstrainer die Chance in der Bundesliga. Dort steigen Trainer, die keine bekannten Spieler waren, zu Toptrainern auf. Hier sollte es Chancengleichheit geben.

Es gibt wahrscheinlich keinen Spitzenklub auf der Welt, der ohne Sportwissenschaft arbeitet

profil: Wäre das nicht ein Modell für Österreich? Ruttensteiner: Österreich wird auch in diesem Bereich nachziehen. Ich sehe im Akademiebereich viele großartige Trainer. Aber im Profibereich gibt man ihnen wenige Chancen.

profil: Sie haben viele Bereiche in der Nachwuchsarbeit verwissenschaftlicht. Mit welchem Ziel? Ruttensteiner: Nur wenn man diesen Weg geht, ist eine elitäre Ausbildung möglich. Es gibt wahrscheinlich keinen Spitzenklub auf der Welt, der ohne Sportwissenschaft arbeitet. Damals musste ich viel Kritik dafür einstecken. Es wurde gesagt: Wir engagieren Sportpsychologen und verwenden Spielanalyseprogramme. Wo soll das alles hinführen? Da kennt sich ja keiner mehr aus.

profil: Sie werden oft von den Spielerlegenden als Professor oder "Power-Point-Willi" belächelt. Ärgern Sie sich darüber? Ruttensteiner: Mir steht so etwas Ehrenvolles wie ein Professorentitel gar nicht zu. Es ist ja auch polemisch gemeint. Ich würde nicht sagen, dass alle ehemaligen Spielerlegenden Freunde von mir sind, aber einige schätzen meine Arbeit doch ein wenig und ich ihre. Ich bin halt nie in Ehrfurcht gestorben, sondern habe kritisch widersprochen. Das war der eine oder andere möglicherweise nicht gewohnt.

Wenn weiterhin Talente geboren werden und wir die Ausbildung optimieren, dann bleiben wir unter den besten 20 der Welt

profil: Warum hatte Österreich vor 15 Jahren nur zwei Legionäre und mittlerweile so viele in den besten Ligen? Ruttensteiner: Wir haben in den 1990er-Jahren in der Ausbildung vieles versäumt. Der Erfolg des Nationalteams und die großartigen Spieler täuschten darüber hinweg, dass der Straßenfußball wegfiel und die notwendigen Ausbildungseinrichtungen nicht gebaut wurden. Und plötzlich merkte man: Es gibt keine Top-Spieler, die nachkommen. Damals stieß ich zum ÖFB und bekam den Auftrag, ein Konzept zu entwickeln, damit Spieler auf Topniveau ausgebildet werden können.

profil: Ist die aktuelle Mannschaft ein Glücksfall oder gibt es schon die nächsten Juwelen? Ruttensteiner: Österreich hat in jedem Jahrgang hervorragende Talente und ein tolles Ausbildungsmodell. Wenn weiterhin Talente geboren werden und wir die Ausbildung optimieren, dann bleiben wir unter den besten 20 der Welt.

profil: Sie raten österreichischen Spielern, sich zuerst in der heimischen Bundesliga durchzusetzen, ehe sie ins Ausland wechseln. Warum? Ruttensteiner: Ich glaube, dass unsere Akademien international mithalten können. Außerdem haben die Spieler bei den großen internationalen Vereinen in der Regel keine Chance, in den Profikader zu kommen. Und wenn ein Spieler mit 17,18 oder 20 Jahren nicht spielt, ist das negativ. In Österreich hat er bessere Chancen, im Profifußball zu spielen.

profil: David Alaba, Marko Arnautović oder Martin Harnik haben nie in der österreichischen Bundesliga gespielt. Auch Alessandro Schöpf und Florian Grillitsch sind ohne Station in der heimischen Liga in Deutschland erfolgreich. Ruttensteiner: Ich garantiere, dass Schöpf und Grillitsch, wenn sie mit 17 bei Rapid, Austria, Salzburg oder Sturm in der ersten Mannschaft gespielt hätten, zwei Jahre später mit Sicherheit auch in der deutschen Bundesliga gelandet wären. Ich glaube, dass man besser vorbereitet zu einem großen Klub kommt, wenn man zwei Jahre in der österreichischen Bundesliga gespielt hat.

Wenn wir nur ein halbes Jahr auf dem Level von heute bleiben, garantiere ich, dass wir bald nur mehr zwischen Platz 20 und 40 liegen

profil: Kann sich ein kleines Land wie Österreich auf Dauer in der Weltspitze halten? Ruttensteiner: Ich versuche, ständig zu optimieren. Wenn wir nur ein halbes Jahr auf dem Level von heute bleiben, garantiere ich, dass wir bald nur mehr zwischen Platz 20 und 40 liegen. International passiert so viel, auch in vielen kleinen Ländern. Wir müssen in Dimensionen von Jahrzehnten denken. Und dafür sind permanente Optimierungsschnitte notwendig, vor allem in der Trainerqualität bei der Ausbildung der Zehn- bis 14-Jährigen. Es ist immer Luft nach oben.

profil: Ihr Vertrag läuft nach der Euro aus. Wollte Sie schon jemand abwerben? Ruttensteiner: Ja, erst vorige Woche habe ich ein Angebot abgelehnt. Angebote kommen immer wieder. Aber das ist für mich derzeit kein Thema. Ich hoffe, dass es bis zum Abflug zur Euro eine Entscheidung um meine Personalie gibt.

profil: Das heißt, Sie werden beim ÖFB bleiben? Ruttensteiner: In Prozentsätzen: 50 zu 50. Ich habe meine Vorstellungen deponiert.

profil: Was kann Österreich bei der Europameisterschaft erreichen? Ruttensteiner: Wenn wir eine gute Vorbereitung haben und keine verletzten Spieler, können wir die Gruppenphase überstehen. Und dann wird es richtig spannend.

WILLI RUTTENSTEINER, 53, stammt aus Steyr. Über Trainerstationen beim FC Linz kam der ausgebildete Volksschullehrer, der "nie ein großer Fußballer" war, 2000 zum ÖFB, wo er ein Ausbildungskonzept für den Nachwuchs entwerfen sollte. 2001 wurde er Technischer Direktor, seit 2006 ist er Sportdirektor. 2011, vor der Koller-Bestellung, war Ruttensteiner erstmals in eine Teamchef-Auswahl miteingebunden. Ruttensteiner setzt auf die Verwissenschaftlichung des Fußballs. Wohlwollende halten ihn für das Hirn im ÖFB, Kritiker verspotteten ihn lange als "PowerPoint-Willi". Sein Amtskollege beim FC Bayern Matthias Sammer sagte über ihn: "Der österreichische Fußball sollte Willi ein Denkmal setzen." Ruttensteiner ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.