Untertagediebe

Reportage. Bei den Golddieben in den Minen von Südafrika

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Von Brigitte Reisenberger, Südafrika

Die schweren Türen des rostgefleckten Stahlkäfigs schließen sich, ein kräftiger Ruck, dann geht es hinunter in die Finsternis: Es zischt, wackelt, Temperatur und Luftfeuchtigkeit steigen, die Ohren gehen zu. 84 Kumpel drängen sich auf drei Decks aneinander. Nach ­einer gefühlten Ewigkeit stoppt der Lift. „#6 DRD Blyvoor, Level 15, 1783,08 m BC“ verkündet ein grünes Schild: Ebene 15 der Blyvoor-Mine, die vom Schürfkonzern DRDGold betrieben wird, liegt fast 1,8 Kilometer unter der Erdoberfläche.

Hier steigen die Arbeiter in eine Grubenbahn um – jeweils zehn pro Wagen, geduckt und mit ineinander verkeilten Beinen. Noch ein Stück zu Fuß über kantige Felsbrocken, dann haben die Kumpel des Minenunternehmens DRDGold ihren Arbeitsplatz erreicht. Pressluftbohrer dröhnen, Bergarbeiter kriechen über bereits gebrochenes Erz, die Strahlen von Helmleuchten schneiden durch die Dunkelheit.

Wo ihr Licht nicht mehr hinreicht, beginnt die Welt der Golddiebe. Zeichen an den Stollenwänden, die nur Eingeweihte entschlüsseln können, weisen den Weg tief hinein ins weitverzweigte Labyrinth der Stollen.

Schätzungen sprechen davon, dass in den Tiefen Südafrikas 36.000 Tonnen Gold verborgen sind, ein Drittel des noch nicht abgebauten Edelmetalls auf der Welt. Dennoch sind die guten Zeiten vorbei. 1970 wurden über 70 Prozent der weltweiten Jahresproduktion in Südafrika gefördert, heute sind es weniger als zehn Prozent. Nach 102 Jahren als führender Goldproduzent wurde das Land am Kap 2007 von China überholt, 2010 fiel es auf den fünften Platz der größten Produzenten zurück.

Rund um Johannesburg befinden sich die tiefsten Goldminen der Welt. Die Gewinnung hier erfordert eine Energie- und Materialschlacht. Allein die Klimaanlagen, die das Arbeiten einigermaßen erträglich machen sollen, verschlingen riesige Summen. Die ökonomische Sinnhaftigkeit, unter solchen Umständen Gold abzubauen, sei am Ende der entscheidende Faktor, so Chris Moller vom Minenunternehmen Gold Fields.

Vergangene Woche lag Gold bei knapp 1900 Dollar pro Feinunze, mehr als dem Sechsfachen seines Werts vor zehn Jahren (siehe Kasten Seite 67). Das macht den Abbau nicht nur für die Minenunternehmen attraktiv, sondern auch für Desperados aller Art.

Die Blyvoor-Goldmine liegt in der Provinz Gauteng und produziert monatlich etwa 80.000 Tonnen Erz. Daraus lassen sich rund 300 Kilogramm Gold gewinnen. Das macht pro Jahr 3,6 Tonnen, also nicht ganz zwei Prozent der südafrikanischen Produktion. Zwei Goldadern liegen hier 60 Meter übereinander, sie sind 80 bis 130 Zentimeter dick.

Der Stollen selbst ist nur einen bis 1,5 Meter hoch. „Wir wollen die Operation hier so niedrig wie möglich halten, um so wenig Material wie möglich transportieren zu müssen“, sagt Hennie King, der Minenmanager von DRDGold. Der Boden ist mit Schlamm bedeckt, der ebenfalls Gold enthält – zwischen drei und vier Gramm pro Tonne und damit nur etwas weniger als das Erz mit seinen vier bis 4,5 Gramm.

Die Frühschicht bohrt und sprengt, die Nachmittags- und die Nachtschicht fördern das Erz nach oben. Mit Loren wird es einem Förderbandsystem zugeführt, das es über den horizontalen Schacht an die Oberfläche bringt. Auf einer der Loren steht auffällig mit rotem Spray in Blockbuchstaben „Zama-Zama!“ geschrieben.

Zama-Zama ist ein Begriff aus der Zulu-Sprache und heißt so viel wie „Die, die ihre Chance wahrnehmen“. Es ist auch der Name der Golddiebe, die sich sogar in die tiefsten und gefährlichsten Minen Südafrikas einschleichen, um Hunderte Meter unter Tage auf eigene Faust zu schürfen – junge Männer, die reich werden wollen. Im Free State gibt es Tausende von ihnen, die Stadt Welkom in der Provinz Free ­State ist ihr Mekka.
Einer von ihnen drückt sich verstohlen um das heruntergekommene Haus im Thabong Township von Welkom, das als Treffpunkt vereinbart wurde. Er zieht seine Mütze tief ins Gesicht. Die Unsicherheit ist dem ausgemergelten großen Mann von Weitem anzusehen. Die Sonnenbrille nimmt er nicht ab: Die dunklen Gläser schützen ihn vor neugierigen Blicken und vor der grellen Sonne. Erst seit wenigen Tagen ist er wieder an der Oberfläche.
Anfangs will er nicht viel von sich preisgeben: „Kein Foto, kein Name.“

Mit neun anderen hat der Zama-Zama zuletzt im Team geschuftet. Viele von ihnen sind ehemalige Minenarbeiter, die ihr Geschäft verstehen. Sie bleiben Wochen, manchmal sogar Monate unter Tage. Der Gewinn, den sie dabei machen, ist hoch. Der Preis, den sie zahlen, ebenfalls.

Die Zama-Zama schuften in Stollen, in die sich normale Kumpel nicht trauen, sprengen ohne Sicherheitsvorkehrungen, arbeiten ohne Kühlsystem. Frischluft: Fehlanzeige. Die Temperaturen können auf bis zu 50 Grad Celsius steigen. Es mangelt an Wasser, das die Staubentwicklung beim Bohren verringern würde. Das Quecksilber, mit dem sie umgehen, dringt über Haut und Atemwege in den Körper ein, greift Gehirn und Nieren an.

Schon nach wenigen Tagen unter der Erde verliere man das Zeitgefühl, erzählt der Mann, Panikattacken drohen. Viele würden unter den albtraumartigen Arbeitsbedingungen verrückt.

Der Golddiebstahl ist so alt wie die Industrie selbst. Minenunternehmen wie Gold Fields überprüfen ihre Mitarbeiter alle zwei Jahre in Einzelverhören. Mit einem Lügendetektortest versuchen sie, Unterstützern der Zama-Zama und eigenen Golddieben auf die Schliche zu kommen. Wie viel Gold illegal geschürft oder den Minen im Herstellungsprozess gestohlen wird, ist kaum festzustellen. Die südafrikanische Chamber of Mines geht davon aus, dass es jährlich rund 34 Tonnen sind. Die Regierung schätzt den Wert des Goldklaus etwas niedriger, auf 5,6 Milliarden Rand (617 Millionen Euro). Das sind ungefähr zehn Prozent des jährlich geschürften Golds in Südafrika.
Der Zama-Zama hat inzwischen etwas Vertrauen geschöpft. „Please, call me Peter“, sagt er plötzlich auf Englisch und erzählt weiter: „In der Nachtschicht und direkt nach den Sprengungen arbeiten weniger Leute in den Stollen.“ Das ist die Zeit, in der sich die Zama-Zama Maschinen und Sprengstoff vom Minenunternehmen holen. „Wir stehlen das nicht, wir borgen es uns nur aus, ohne um Erlaubnis zu fragen.“ Ein breites Grinsen zieht sich über sein eingefallenes Gesicht.

Unter Tage ist Angst ein ständiger Begleiter. „Viele meiner Freunde sind schon gestorben, durch Steinschlag oder austretende Gase.“ Wenn es wieder jemanden erwischt, dann tragen sie die Leiche zu einem Notfalltelefon und rufen nach oben: „Hier ist jemand tot.“ Auf die Frage „Wer ist dran?“ antworten sie nie, da laufen sie schon.

In den Schächten hat sich eine regelrechte Schattenwirtschaft etabliert, von der auch die regulären Minenarbeiter profitieren. Zum Beispiel, indem sie die Golddiebe mit Essen versorgen. Die Preise sind hoch. Der aktuelle Kurs für einen Laib Brot beträgt 100 Rand (11 Euro). Alkohol und Zigaretten gibt es ebenfalls zu astronomischen Preisen. Einige Minenarbeiter schleusen sogar Prostituierte, in Overalls und mit Helm verkleidet als Männer, hin­unter zu den Zama-Zama.

Früher haben sich die Golddiebe auf stillgelegte Abschnitte der Minen beschränkt. Inzwischen steigen sie auch in Schächte ein, in denen die Schürfunternehmen Abbau betreiben. Sobald die Golddiebe einmal unten sind, ist es in den Tausenden Kilometer Stollen fast unmöglich, sie zu fassen.

Manche Minenunternehmen versuchen, die Zama-Zama auszuhungern, ihnen die Nahrungsmittelzufuhr abzuschneiden, indem sie ihren Arbeitern verbieten, Lebensmittel mit nach unten zu nehmen. „Es ist schon passiert, dass wir zehn bis 15 Tage ohne Essen auskommen mussten“, sagt Peter.
Viele Schürfunternehmen setzen auf verstärkte Sicherheitssysteme und beordern mehr Wachleute nach unten, um der Zama-Zama Herr zu werden. „Man hat fast keine Zeit zu arbeiten, weil uns die Leute von der Mine ständig jagen“, klagt Peter.

Das Gold verfeinern die Kumpel bereits in der Mine. Werkzeug und Material werden über Kontaktleute nach unten gebracht, die das Rohgold auch wieder nach oben schmuggeln. Was mit seiner Beute weiter passiert, weiß Peter nicht.

Meistens geht das Gold über Swasiland und Mosambik weiter Richtung Osten: ­Indien, Pakistan, China. Aber auch schon in Zürich sei Hehlerware aus den südafrikanischen Minen aufgetaucht, berichtet Dick Kruger von der Chamber of ­Mines. Das weiß man, weil mittels Gold-­Fingerprinting feinste Spurenmetalle gefunden werden und das Edelmetall so einer geologischen Region, Abbaumethode oder sogar einer bestimmten Mine zugeordnet werden kann. Aber auch das nutzt nicht viel, sagt Kruger. „Man kennt nur den Anfang und das Ende der Reise, aber nicht den Weg.“

Und schon gar nicht die Bosse des ­Zama-Zama-Goldsyndikats. Manchmal gehen der Polizei Personen aus dem mittleren Management des Business ins Netz: Unternehmer, Anwälte, Ärzte. Die Leute darüber sind kaum zu fassen, die darunter einfach zu ersetzen.

Innerhalb der Goldmafia gibt es zunehmend auch rivalisierende Gruppen. Die Aggression steigt, die Stollen werden immer öfter mit Waffengewalt verteidigt, mit Kalaschnikows, 9-Millimeter-Pistolen oder Sprengfallen. „Da unten liefern sie sich Feuergefechte, Leute sterben“, sagt Dick Kruger.
Es ist auch vorgekommen, dass Minenarbeiter von den Zama-Zama als Geiseln genommen und bei Auseinandersetzungen mit der Polizei als menschliche Schutzschilde missbraucht wurden. In einer südwestlich von Johannesburg gelegenen Mine schickten die Golddiebe eine handgeschriebene Notiz nach oben zum Minenmanager: „Zusammen mit euren Leuten töten wir uns hier unten. Ihr müsst wissen, dass wir von heute an, wenn wir jemanden von Protea (dem Sicherheitsdienst des Minenunternehmens, Anm.) oder einen Polizisten unter Tage sehen, euch und den Förderkorb bombardieren werden.“

Und das Diebsgewerbe floriert weiter, umso besser, je mehr die Goldpreise steigen. Vor dem Sommer 2008 sei er einmal ein halbes Jahr ununterbrochen im Schacht gewesen, erzählt Peter. Am 25. Juli kam er wieder nach oben: „Dieses Datum vergesse ich so schnell nicht wieder.“ Sechs Monate Dunkelheit, Hitze und Anstrengung haben ihm damals rund 20.000 Rand (umgerechnet 1680 Euro) gebracht. Derzeit kann man in derselben Zeit bis zu 50.000 Rand (4800 Euro) machen.

Peter rückt seine dunkle Sonnenbrille zurecht und lächelt. Er wird wieder hinunterfahren, so viel ist sicher.