2-Stunden-Plan gegen Bildungsmisere

2-Stunden-Plan gegen Bildungsmisere: ÖVP und Gewerkschaft torpedieren Reform

ÖVP und Gewerkschaft torpedieren Reform

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Von Gernot Bauer
Mitarbeit: Josef Barth

In ihrem früheren zivilen Leben war Claudia Schmied Bankdirektorin. Ihr Institut, die im vergangenen Sommer in schwere Not geratene Kommunalkredit, gehört seit November 2008 dem Staat; dessen Dienstnehmerin Schmied bereits zwei Jahre lang ist. Im Jänner 2007 wurde die promovierte Betriebswirtin als Unterrichtsministerin angelobt. Die Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Topjobs erklärt sie mit den Parametern Präzision und Exaktheit: „Die Ziele in der Politik sind viel weniger klar, und auch der Erfolg ist schwieriger messbar.“

Mittwoch vergangener Woche formulierte Schmied ein eindeutiges Ziel: Ab dem Schuljahr 2009/2010 sollen Lehrer aller Schultypen pro Woche zwei Stunden mehr in den Klassen unterrichten. Einen messbaren Erfolg des „kühnen“ (ÖVP-Wissenschaftsminister Johannes Hahn) Vorschlags der Ministerin wollen zwei Pressure-Groups verhindern: die Lehrergewerkschaft und der Koalitionspartner. Doch auch aus dem neutralen Sektor der Bildungsexperten kommt vorsichtige ­Kritik.

Claudia Schmieds Hauptwaffe ist die Statistik. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verbringen Österreichs Pädagogen unterdurchschnittlich viel Zeit in den Klassenzimmern. Ein Volksschullehrer unterrichtet im Schnitt 774 Stunden, ein Lehrer in einer Hauptschule oder AHS-Unterstufe 607 Stunden. In Deutschland, Spanien und den Niederlanden arbeiten die Pädagogen deutlich mehr (siehe Grafik). Freilich ist die Aufenthaltsdauer im Klassenzimmer kein Garant für Qualitätssteigerung im Schulsystem. Wird ein ohnehin lustloser Pädagoge zu zwei Stunden zusätzlichen Unterrichts pro Woche zwangsverpflichtet, hält sich der positive Effekt für die Schüler in Grenzen. In dem seit PISA anerkannten Bildungswunderland Finnland unterrichten die Lehrer sogar kürzer als hierzulande.

Der Applaus der Öffentlichkeit war Schmied sicher. 68 Prozent der Österreicher sprechen sich nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifes für die Verlängerung der Lehrerarbeitszeit aus. Das Image der österreichischen Pädagogen ist denkbar schlecht. Laut Ifes gibt es „eine weit verbreitetete Überzeugung“, Lehrer seien arbeitszeitmäßig privilegiert. 14 Wochen Ferien machen die Österreicher offenbar neidisch.

Sämtliche Lehrergewerkschafter versuchten in der Vorwoche, mit einer eigenen Arbeitszeitkalkulation dagegenzuhalten. Laut dem sozialdemokratischen Vertreter der Pflichtschullehrer, Herbert Modritzky, fallen neben der Unterrichtszeit etwa gleich viel Stunden für Vor- und Nachbereitung an. Dazu kämen sonstige Verpflichtungen wie Aufsichten, Sprechstunden, Supplierungen, Fortbildung oder Skikurse. Insgesamt, so die Lehrergewerkschafter, würden Österreichs Pädagogen übers Jahr – trotz der Ferien – gleich viel arbeiten wie andere öffentlich Bedienstete. Laut einer im Jahr 2000 unter 7000 Lehrern durchgeführten Umfrage leisten die österreichischen Professoren, Magister und Fachlehrer durchschnittlich 1900 Arbeitsstunden.

Festgeschrieben ist die Arbeitszeit für Pflichtschullehrer im Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz, für die Bundeslehrer (AHS, BHS) im Bundeslehrer-Lehrverpflichtungsgesetz. Volks- und Hauptschullehrer müssen gesetzlich festgelegt 1800 Stunden pro Jahr arbeiten, davon zwischen 756 und 792 im Klassenzimmer. Die Arbeitszeit in AHS und BHS wird nach so genannten Werteinheiten abgerechnet, wobei die Unterrichtsfächer nach Aufwand gewichtet sind. Fächer mit Schularbeitenzwang wie Englisch oder Deutsch zählen mehr als einfache Disziplinen wie Turnen oder Geografie. Die Pflichtunterrichtszeit liegt bei 20 Stunden.

Das Verhältnis zwischen Dienstgeber Schule und Dienstnehmer Lehrer beruht auf Vertrauen. Da die Lehrer die Hälfte ihrer Arbeitsleistung außerhalb der Schule erbringen, fehlen Kontrollmöglichkeiten. Art, Intensität und Dauer der Vorbereitung am Schreibtisch zu Hause sind ein Mysterium. Wissenschaftliche Studien dazu gibt es nicht. Georg Hans Neuweg vom Institut für Pädagogik und Psychologie der Universität Linz: „Es ist schlicht so, dass wir nicht wissen, wie sich Lehrer methodisch und vom zeitlichen Aufwand her auf ihren Unterricht vorbereiten. Sicher ist nur, dass die Arbeitszeit der Lehrer sogar innerhalb desselben Schultyps sehr variiert. Leider wurden nie entsprechend aussagekräftige Studien in Auftrag gegeben.“ Das Interesse von Lehrergewerkschaft und Politik dürfte sich in Grenzen gehalten haben. Neuweg: „Alles, was wir wissen, geht auf Eigenangaben der Lehrer ­zurück.“

Eines steht für Bildungsexperten fest: Schmieds Pauschalmaßnahme bestraft mit Sicherheit auch die Falschen. Motivierte Lehrer, die sich schon bisher intensiv und ernsthaft auf den Unterricht vorbereiteten, müssen ab Herbst eine unbezahlte Ausweitung der Arbeitszeit akzeptieren. Für Schmid eine „zumutbare Maßnahme“, für Experten eine Zielverfehlung. Die Bildungswissenschafterin Christiane Spiel von der Universität Wien: „Engagierte Lehrer trifft man mit der Regelung jetzt ebenso wie jene, die vielleicht glauben, deutlich weniger Zeit investieren zu müssen. Aber zwei Stunden länger zu unterrichten führt sicher nicht zu einer Steigerung der Unterrichtsqualität. So viel steht fest.“

In der Rechnung der Landesschulräte bedeutet Schmieds Maßnahme mehr Arbeit für fix beschäftigte und Arbeitslosigkeit für jüngere Lehrer. Allein in der Bundeshauptstadt wären laut der Päsidentin des Wiener Stadtschulrats, Susanne Brandsteidl (SPÖ), 2000 Lehrer weniger notwendig. Gemildert wird dies durch die in den kommenden Jahren anstehende Massenpensionierungen im überalterten Lehrkörper. Dennoch würden netto noch immer 900 Lehrer weniger nötig sein. Claudia Schmied kalmiert: „Der Solidarbeitrag der Lehrer wird keinen Arbeitsplatz kosten. Jeder Euro, jede Ressource, jede Lehrkraft, die wir durch diese Maßnahme mehr zur Verfügung haben, wird in die Verbesserung unserer Schulen investiert.“ Nach dem ministeriellen Konzept sollten die zusätzlichen Stunden für Kleingruppenunterricht, Förder- und Deutschkurse, Tagesbetreuung oder Freigegenstände genutzt werden.

Am Grundproblem des österreichischen Schulsystems ändert Schmieds 2-Stunden-Plan wenig. Eine Differenzierung plus Honorierung der Lehrerdarbietungen ist nicht vor­gesehen. „Es gibt keinerlei leistungsbezogene Aufstiegsmöglichkeiten“, sagt Christiane Spiel.
Dabei wäre ein Ausgleich zwischen engagierten und weniger motivierten Lehrern leicht herbeizuführen. Die Voraussetzung: freie Lehrereinteilung durch die Schulleitung. Die Idee: Lehrer, die kaum außertourliche ­Aktivitäten zeigen, könnten vom Direktor zu mehr Zeit im Klassenzimmer verpflichtet werden. Eifrige Pädagogen, die sich außerhalb des Regelunterrichts engagieren wollen, sollten im Gegenzug weniger Unterrichtsstunden absolvieren müssen.

Die Lehrerbezahlung erfolgt hierzulande streng nach Seniorität. Laut der von Schmied in der Vorwoche zitierten OECD-Studie arbeiten Österreichs Lehrer zwar kürzer, verdienen dafür aber auch weniger im internationalen Vergleich. So bezieht ein Lehrer der Hauptschule beziehungsweise AHS-Unterstufe mit 15-jähriger Berufserfahrung laut der OECD-Aufstellung umgerechnet rund 39.000 Dollar Jahreseinkommen. Sein deutscher Kollege erhält 51.000 Dollar. Erst im Alter lohnt sich hierzulande der Pädagogenjob. Lang gediente Lehrer verdienen in Österreich mehr als in fast allen anderen EU-Staaten. Und stundenlange Vorbereitung auf den Unterricht ist obendrein dank Erfahrung und Routine auch nicht mehr zwingend erforderlich.