Bomben über Österreich

2. Weltkrieg: Bomben über Österreich - Zeitzeugen und Schützen berichten

Berichte von Zeitzeugen und Bomber-Schützen

Drucken

Schriftgröße

Thomas Bernhard ist 13 Jahre alt, als auf Salzburg die Bomben fallen. Viele Jahre später gibt der Schriftsteller in „Die Ursache. Eine Andeutung“ dem Grauen literarische Gestalt. Er beschreibt, was der Krieg so aus den Menschen macht, wie sie in die Schutzstollen „hinein drängten mit der ganzen ihnen angeborenen und nicht zurückgehaltenen Brutalität genauso wie heraus, die Schwachen waren sehr oft einfach niedergetrampelt worden“. Wie er als Kind stundenlang den Blick hatte werfen können auf die „mit diesen Zerstörungen nicht mehr fertig werdenden Menschen, direkt in die Menschenverzweiflung und in die Menschenerniedrigung und in die Menschenvernichtung hinein“. Wie er im Schutt auf einen weichen Arm tritt, und es ist der Arm eines Kindes. Wie wenig wert das Leben ist, „überhaupt nichts wert ist im Krieg“, wie er schreibt.

Geblieben ist in dieser Generation die Angst, wenn wieder einmal bei einer Luftschutzübung die Sirenen heulen oder wenn der moderne Bombenkrieg auf dem Bildschirm läuft. Geblieben sind auch Bilder, die sie nie wieder aus ihrem Kopf herausbekommen haben. Die 75-jährige Lieselotte Reiter, damals Schülerin in Graz, könnte heute noch „die Gesichter der zwei Männer im Cockpit des Tieffliegers aufzeichnen, die in unseren Zug hereingeschossen haben“. Waltraud Häupl, damals Kind in Wien, erinnert sich, dass die „Leichen blaue Gesichter hatten und eine Frau ein Hitler-Bild mit Füßen trat“.

Auch die ehemaligen Besatzungen der Bomberflugzeuge hat das Erlebte nicht losgelassen. Das Prasseln der Flakgranaten am Flugzeugrumpf, die Schreie, das Blut in der Maschine, wenn die Granatsplitter einen der Ihren getroffen hatten. „Wir flogen 8000 Meter hoch“, sagt Jim Alter, dessen Job es war, in einem US-Bombenflugzeug über Wien die Bomben auszulösen. „Wenn keine Wolken da waren, konnten wir das Ziel sehen, aber keine Menschen. Wir bombardierten einen unsichtbaren Feind, und sie schossen auf einen unsichtbaren Feind. Ich nenne das Blinde, die Blinde töten. Wir brachten sie um und sie uns, ohne dass wir einander sehen konnten.“

Es sind 60 Jahre vergangen, seit junge US-Soldaten wie James Alter und Dick Moulton Angriffe auf Ölraffinerien und Rüstungsbetriebe flogen, in denen unter Hochdruck für den vermeintlichen „Endsieg“ geschuftet wurde. Am 10. September 1944 fielen das erste Mal Bomben auf Wien. Der ORF sendet unter dem Titel „Gefährliche Himmel“*) zu diesem Jahrestag eine Dokumentation, für die die Historikerin Helene Maimann Angegriffene und Angreifer interviewt hat. In den Erzählungen der ehemaligen „Gegner“ stieß Maimann auf eine Gemeinsamkeit: die Angst. „Mir ging es darum“, sagt die Historikerin, „die Erinnerungen und Erzählweisen beider Seiten zu zeigen.“

Eine profil-Umfrage ergab allerdings ein konfliktträchtiges Bild: 28 Prozent der Österreicher sind der Meinung, dass die Bombenangriffe der Alliierten „ein Kriegsverbrechen“ waren.

Die Illusion. In Deutschland wurden die Auswirkungen des Alliierten-Bombenkriegs zuletzt heftig diskutiert. Der Autor Jörg Friedrich zeichnete in seinem Buch „Der Brand“ den massenhaften Tod nach, den jene Feuerstürme nach sich zogen, die als Folge alliierter Bombardements im Juli 1943 Hamburg und im Februar 1945 Dresden verheert haben. In „Krematorien“ seien die Städte verwandelt worden, hinter den britischen Flächenbombardements sei, so Friedrich, „Vernichtungstrunkenheit“ gestanden. „Das Buch enthält viel Sprengstoff. Wir täten gut daran, behutsam damit umzugehen“, schrieb die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“.

Flächenbombardements und Brandteppiche hat Österreich nicht erlebt. Es lag außerhalb der Reichweite der britischen Bomber.

Die damalige „Ostmark“ konnte sich lange Zeit in Sicherheit wähnen. Die deutsche Rüstungsindustrie verlagerte große Teile ihrer Produktion nach Österreich, auch in von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern gebaute Bunker und Bergstollen.

In die Dörfer und Täler im Westen des Landes strömten immer mehr „Ausgebombte“ aus Hamburg und dem Ruhrgebiet – Frauen mit Kindern, Alte, mit ein paar Habseligkeiten auf dem Rücken. Sie berichteten von den Feuersäulen, die tausende Meter in den Himmel hinausloderten, von Menschen, die von Druckwellen als lebendige Fackeln durch die Straßen getrieben wurden. Willkommen geheißen wurden sie dennoch nicht. Eine der Evakuierten schrieb nach Hamburg: „Kein Mensch hat hier Verständnis in der Ostmark. Ich wünschte, dass die einmal Bomben bekämen!“

Es sollte nicht mehr lange dauern. Mit der Kapitulation und dem Kriegseintritt Italiens auf Seite der Alliierten wurde im Herbst 1943 vom italienischen Foggia aus die südliche Luftfront eröffnet. Nun war Österreich in die Reichweite der 15. US-Luftflotte gelangt.

Zur Vorbereitung der Invasion in der Normandie im Juni 1944 wurde vor allem die Rüstungsindustrie bombardiert. Nach dem D-Day kamen Züge und Anlagen zur Mineralölverarbeitung dran. Rund um Wien arbeiteten fünf Raffinerien, und in Moosbierbaum nahe Tulln wurde für das ganze Reich Flugbenzin erzeugt. Um diese Ziele positionierte man mehr als 1400 Flakgeschütze. Die Bevölkerung konnte sich noch der Illusion hingeben, die militärische Verteidigung würde vor Bombentreffern schützen.

Auf Anordnung der NS-Behörden wurden umfangreiche Vorkehrungen getroffen. Die Keller in Wien wurden provisorisch luftschutztauglich gemacht. Zwischen den Häusern wurden Mauern durchgebrochen, um Verbindungswege zu schaffen. Das unterirdische Wien, die Katakomben unter dem Stephansdom, die sich unter der gesamten Innenstadt verzweigen, die alten Stollen am Stadtrand wurden aktiviert, Hoch- und Tiefbunker gebaut, Löschteiche in jedem Park angelegt, sechs Flaktürme in Windeseile hochgezogen. In den Kellern vieler Wiener Altbauten sind heute noch die Hinweise auf einen Luftschutzraum in weißer Leuchtschrift zu sehen, obwohl die Bevölkerung nach 1945 aufgefordert wurde, die Spuren jener „dunklen Zeit“ rasch zu entfernen.

Der Schock. Die NS-Propagandamaschinerie ließ in Erwartung des bevorstehenden Luftkriegs verlautbaren, die Moral der Wiener – mehrheitlich wohl der Wienerinnen – würde durch Bomben erst recht gestärkt werden. Zu Sommerbeginn 1944 berichtete der Präsident des Wiener Oberlandesgerichts nach Berlin, die Menschen würden sich „auch nach schweren Angriffen auf das Stadtgebiet selbst ebenso bewähren wie die vom Bombenterror heimgesuchten Städte des Altreichs“. So hätten etwa Eisenbahner unter Lebensgefahr brennende Waggons abgehängt, sodass „der Zug gerettet werden konnte“. Der Bericht sagte auch, wie der Disziplin nachgeholfen wurde, und zitiert das Todesurteil über zwei Plünderer – einen ausländischen Zwangsarbeiter und einen SA-Mann.

Doch dann kam der 10. September 1944. An diesem Tag zogen sich Rauchsäulen über das Stadtzentrum von Wien bis in die Vorstadt. Neun Wohnbezirke und der Ballhausplatz waren getroffen worden. 791 Menschen waren umgekommen. Der „Völkische Beobachter“ fand es angemessen, die Namen aller Opfer des 10. September 1944 als Gefallene „bei einem feindlichen Terrorangriff“ in die Zeitung zu setzen.

Nun war der Krieg da. Nach dem Angriff vom 10. September 1944 wurde die Stimmung als „gedrückt“ beschrieben. Die Front im Osten rückte näher. Die NS-Behörden ließen Szenarien für eine Evakuierung Wiens erörtern, die Bevölkerung erfuhr davon nichts.

Für die wenigen Menschen, die, mit einem Judenstern gekennzeichnet, noch in Wien überlebt hatten, gab es keinen Luftschutz, ebenso wenig für Zwangsarbeiter. Die anderen waren einander, so gut es ging, behilflich, wenn sie – unter den wachsamen Ohren der Gestapospitzel – zusammengepfercht in den Bunkern saßen. Sobald die Entwarnung kam, standen dann naturgemäß die eigenen Bedürfnisse wieder im Vordergrund: die Sorge um dasHeim, Essen für die Kinder. Nach Luftangriffen war es üblich, so der Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner, dass die unmittelbar Betroffenen auf die Führung, ja auf Adolf Hitler höchstpersönlich losschimpfen durften. Das wurde toleriert, doch „24 Stunden später konnte man wegen Verächtlichmachens des Führers sofort wieder vor dem Volksgerichtshof stehen“.

In den Wintermonaten 1944/45 verging kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo in Österreich die Sirenen heulten. Die Bombardements wurden nur durch Schlechtwetterphasen unterbrochen.

Als Traude Lessing, die Sprecherin der „Luftnachrichten“, in denen vor drohenden Bombenangriffen gewarnt wurde (siehe Kasten Seite 39), am Morgen des 12. März 1945 mit dem Motorrad in den Gaubefehlsstand am Gallitzinberg im 16. Wiener Gemeindebezirk gebracht wurde, war der Himmel bedeckt, was die leise Hoffnung nährte, dass an diesem siebenten Jahrestag des „Anschlusses“ an Deutschland, an dem allerorts noch rituelle Gedenkfeiern geplant waren, vielleicht doch keine Sirenen heulen würden.

Im US-Luftwaffenstützpunkt im italienischen Foggia bereitete man sich gleichwohl auf den größten Bombenangriff vor, der je gegen Österreich geflogen wurde. Im Morgengrauen versammelte sich die Mannschaft zur Befehlsausgabe. Immer wenn es nach Wien ging, war „lautes Aufstöhnen im Raum“, berichtet ein Zeitzeuge in der ORF-Dokumentation. Der Befehl lautete, vom Norden aus die Ölraffinerie in Wien-Floridsdorf zu zerstören und dann in einer Rechtsschleife nach Süden abzudrehen. Die Besatzungen erhielten detaillierte Luftaufnahmen. Um 9 Uhr morgens stiegen nacheinander 747 Bomber auf, flogen über die jugoslawische Adriaküste, wo sich 229 Jagdflugzeuge anschlossen, nahmen Kurs über die Steiermark und das nördliche Niederösterreich. Bei Klosterneuburg war der gefürchtete „Initial Point“, ab diesem Zeitpunkt mussten die Geschwader in strenger Angriffsformation zum Bombenabwurf fliegen: in 8000 Meter Höhe und mit einer Geschwindigkeit von 450 Stundenkilometern.

Die Staatsoper. Am späten Vormittag meldet Lessing aus dem Schirachbunker: „Schwere Kampfverbände im Anflug vom Süden auf das Reichsgebiet“; um die Mittagszeit ist klar, die Bomber steuern Wien an. Die Sirenen heulen dreimal in einem lang gezogenen Dauerton, dann auf- und abschwellend, eine Minute lang. Weitere Meldungen werden schon vom Geschützfeuer übertönt.

Eineinhalb Stunden lang wurde bombardiert, am Nachmittag stellte sich heraus, dass die Raffinerie keine schwer wiegenden Treffer abbekommen hatte.

Doch ein Teil der Bomben war auf das Zentrum von Wien niedergegangen. 900 Menschen wurden getötet. Die Staatsoper stand in Flammen, der Heinrichshof, die Albertina und der Messepalast waren getroffen. Der Philippshof sank brennend in sich zusammen. Im Luftschutzkeller des Philippshofs waren 200 Menschen eingeschlossen. Erst nach Stunden gelang es, Notausstiege freizulegen. Fast alle erstickten, verbrannten oder wurden in dem aus geplatzten Leitungen in den Keller fließenden Wasser buchstäblich gekocht. Sie sind bis heute dort begraben.

In der Oper hätte am 12. März eine Anschlussgedenkfeier stattfinden sollen. Sänger, Musiker und Bühnenarbeiter konnten rechtzeitig flüchten, doch die Oper brannte vollständig aus. Es waren nicht genug Löschfahrzeuge vorhanden. Bald entstand das Gerücht, auch daran seien die Amerikaner schuld. Sie hätten, so die Volksgemeinschaft, die tapferen Feuerwehrleute mit Tieffliegern beschossen. Doch die waren an diesem Tag nicht in der Luft.

Der Bombenfehler. Bis heute wird über den Grund für dieses Bombardement gerätselt. Nach amerikanischer Interpretation hatte der bedeckte Himmel ein genaues Zielen unmöglich gemacht. Ein Foto, das der Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner in amerikanischen Akten gefunden hat – eine Luftaufnahme vom Angriff direkt über Wien um die Mittagszeit –, zeigt jedoch einen nahezu wolkenlosen Himmel. Man erkennt die Donau, den Kanal und die Brücken; der Bereich der Innenstadt ist schon etwas verqualmt von den Explosionen der Fliegerabwehrgranaten. „Es war wohl die verhängnisvolle Rechtsschleife“, mutmaßt Rauchensteiner. „Wenn ein Bomber mit dem Abwurf noch nicht ganz fertig war und schon abdrehte, dann mussten die Bomben ganz woanders hinfallen, in diesem Fall in das Gebiet der Inneren Stadt.“ Zwischen Floridsdorf und der City lagen nur 15 Flugsekunden, gibt Rauchensteiner zu bedenken.

Der Zerstörung der Oper folgten fast täglich Angriffe. Die Menschen kamen nächte- und tagelang nicht mehr aus den Luftschutzkellern heraus. Die Mutter des heutigen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel war zwei Tage lang hochschwanger im Keller eines durch Bomben zerstörten Hauses verschüttet.

In den Aufbaujahren wurde vom erlebten Grauen des Bombenkriegs öffentlich kaum gesprochen, sondern von der Tapferkeit der Trümmerfrauen und von der Unmenschlichkeit des Krieges im Allgemeinen. Österreich sah sich als erstes Opfer Hitlers. „In dieser nationalen Opferidentität hatten auch die Leiden der rund 35.000 Bombenopfer ihren Platz“, so der Wiener Zeithistoriker Bertrand Perz. Doch die Frage nach Ursache und Schuld wurde nicht gestellt.

Unter den Alliierten gab es bald heftige Diskussionen, ob die massiven Luftangriffe zur Beendigung des Zweiten Weltkriegs gerechtfertigt waren. In Washington wurde Ende September 1945 durchaus selbstkritisch Bilanz gezogen: „Die alliierten Luftwaffen waren für den Kriegsausgang in Europa entscheidend. In der Rückschau wird freilich klar, dass die Luftverbände in mancher Beziehung anders oder auch besser eingesetzt werden hätten können.“