Drittes Reich: Adelige und SS

„20.000 jüdische Arbeitskräfte in das Konzentrationslager Lublin verbracht“

Österreichische Adelige waren in hohen SS-Rängen

Drucken

Schriftgröße

Warschau, am frühen Morgen des 19. April 1943. Der 45 Jahre alte SS-Oberführer Ferdinand von Sammern und Frankenegg stürzt in ein Kommandozimmer des Hotel Bristol und verlangt zur Niederschlagung des Aufstandes im jüdischen Ghetto den Einsatz von Bombenflugzeugen. Im Jänner hatte er tagelang gegen die sich verzweifelt Wehrenden brutal kämpfen lassen. Als er nun vor dem Widerstand kapituliert, wird er abgelöst und zur Partisanenbekämpfung nach Kroatien versetzt.

Ferdinand III. von Sammern-Frankenegg ist einer der elf österreichischen Adeligen, die es in die Führungsriege der SS geschafft hatten. Insgesamt stiegen in die vier höchsten Ränge der SS – vergleichbar dem Oberst in der Wehrmacht bis zum Generaloberst – 111 Österreicher auf. Im obersten Rang, den etwa Ernst Kaltenbrunner, als Chef des Reichssicherheitshauptamtes neben Hitler und Heinrich Himmler einer der mächtigsten Männer im Dritten Reich, innehatte, war kein Adeliger aus Österreich vertreten.

Die österreichischen Adeligen mit SS-Karriere waren meist Aufsteiger des 19. und 20. Jahrhunderts. Es gab aber auch Altadelige wie Sammern-Frankenegg oder Heinrich Freiherr Tunkl von Aschbrunn, geadelt im 14. Jahrhundert.

Ferdinand v. Sammern und Frankenegg stammt aus erbländisch-österreichischem Adel, in den die Tiroler Familie 1729 erhoben worden war. 1897 geboren, war er k. u. k. Berufsoffizier, absolvierte ein Jusstudium, nahm als überzeugter Deutschnationaler am missglückten NS-Putsch im November 1923 in München teil, trat 1932 der NSDAP bei, 1933 der SS, in der er sehr rasch steil aufstieg. Als hochaktiver „Illegaler“ wurde er mehrmals in Kaisersteinbruch inhaftiert, bekam von Ernst Kaltenbrunner Führungsaufgaben in der illegalen SS übertragen. Im April 1938 zog er in den Großdeutschen Reichstag ein. Mitte 1942 wurde er SS- und Polizeiführer in Warschau und trug sich mit seiner Arbeit in die Geschichte des Holocaust ein: als Verantwortlicher für den Bau des Vernichtungslagers Treblinka und Leiter der Deportation von 250.000 Warschauer Juden nach Treblinka. In den Unterlagen zum Prozess gegen Adolf Eichmann 1960 ist ein Treffen mit dem Reichsführer SS (RFSS), Heinrich Himmler, dokumentiert, in dem es um die endgültige Räumung des Ghettos ging: „RFSS erteilte an Oberführer Dr. v. Sammern den Befehl, bis zum 15.2.1943 die Auflösung des Warschauer Ghettos und die Überführung der Juden in die von der SS vorbereiteten KL durchzuführen.“ Da Sammern-Frankenegg den von Mordechai Anielewicz organisierten Ghetto-Aufstand unterschätzt hatte, wurde er abgezogen. Er starb 1944 bei seinem folgenden Einsatz zur Partisanenbekämpfung in Kroatien. Der SS-Tagesbefehl würdigte ihn als „gerechten Führer und Kommandeur, der sich alle Sorgen seiner deutschen Männer zur eigenen Herzenssache gemacht hatte“. Im Kampf für seine Weltanschauung habe er keine Nachtruhe gekannt.

Otto Gustav von Wächter1) wurde nach Kriegsende als einer der Prominentesten in der Führung der österreichischen Nationalsozialisten beschrieben. Wächters Familie (geadelt 1918) stammte aus Böhmen, sein Vater war während des Einmarschs österreichischer Truppen in das Burgenland im November 1921 Verteidigungsminister. Otto Gustav wurde 1901 in Wien geboren und war als Spitzensportler bereits während des Jusstudiums bei der Wehrsportvereinigung „Deutsche Wehr“. Als 22-jähriger trat er 1923 der NSDAP bei. 1932 heiratete er die aus der steirischen Industriellenfamilie stammende Lotte Bleckmann, war an der Reichsführerschule in München und ging zur SS. Im nationalsozialistischen Juli-Putsch 1934 – er endete mit der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß – war Wächter nach eigener Aussage „führend“ tätig. Im Mai 1938 zog er als Staatssekretär in das Bundeskanzleramt ein und leitete die so genannte „Wächter“-Kommission: Die war zur „Reinigung des Beamtentums“ von Juden installiert worden. Der weitere Aufstieg brachte den SS-Gruppenführer (vergleichbar dem Wehrmachts-Generalleutnant) als Gouverneur von Krakau in das besetzte Polen. Im Innenministerium wurde Wächter nach 1945 als politisch schwerst belasteter Kriegsverbrecher geführt: Wächter war als „Zwingherr von Krakau“ unter anderem für die Errichtung des jüdischen Ghettos verantwortlich, seine Pläne zur Aufstellung großer ukrainischer SS-Freiwilligen-Divisionen brachten ihm 1944 die Beförderung in den Stab Heinrich Himmlers. Nach Kriegsende wurde von verschiedenen Staaten nach Wächter gefahndet, er lebte untergetaucht in einem Kloster in Rom und starb 1949. Alois Hudal, Vatikan-Fluchthelfer vieler Nazis, erinnerte sich „mit Ergriffenheit an den Vizegouverneur von Polen und Generalleutnant der SS, der … in meinen Armen seine Seele aushauchte“. 1951 wurde über Wächters Gut bei Zell am See, das er 1940 günstig erstanden hatte, und über seine Schöller-Bleckmann-Aktien Vermögensverfall ausgesprochen.

Max de Crinis’ Familie war im 16. Jahrhundert aus Oberitalien in die Steiermark gekommen. 1889 geboren, war er im Ersten Weltkrieg Landsturmoberarzt, wurde 1924 Professor für Psychiatrie in Graz, dann in Köln und Berlin. Er war ein Freund von Heinrich Heydrich, dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes. 1936 trat de Crinis der SS bei, im Sommer 1939 war er an der Planung der Krankenmorde beteiligt, der unter der Bezeichnung T-4-Aktion mehr als 70.000 Menschen in vier Vergasungsanstalten zum Opfer fielen. Als T-4-Gutachter und Referent für Medizin im Reichswissenschaftsministerium nahm de Crinis im Vernichtungsbetrieb eine wichtige Funktion ein. Er beging am 2. Mai 1945 mit Zyankali Selbstmord.

In die höchsten SS-Ränge stiegen Männer wie Johann von Feil aus Oberösterreich (Adelsprädikat seit 1815) auf. Feil hatte im Ersten Weltkrieg an zwei Isonzo-Schlachten teilgenommen, im Zweiten Weltkrieg war er in der SS-Division „Prinz Eugen“ bei der grausamen Bekämpfung der jugoslawischen Partisanen im Einsatz.

Andere adelige SS-Führer wurden in der „Ostmark“ an leitender Stelle tätig.

Wladimir von Pawlowski etwa entstammt einem polnischen Adelsgeschlecht, das im 19. Jahrhundert nach Kärnten gekommen war. Sein Vater war Bezirkshauptmann in Spittal an der Drau, er wurde Jurist in der Kärntner Landesregierung und 1935 aus politischen Gründen pensioniert. Im Juli 1936 trat er der illegalen SS bei, am 11. März 1938 schlug seine Stunde: bis Kriegsende wurde Pawlowski Gauhauptmann von Kärnten. 1948 wurde er in Graz zu fünf Jahren Haft verurteilt, 1961 starb er in Klagenfurt.

Heinrich Weithner Edler von Weitenturms Vater wurde 1918 als Oberst der k. u. k. Armee geadelt, er selbst besetzte 1932 einen Direktorsposten in den Steyr-Werken. 1933 Beitritt zu NSDAP und SS, als Illegaler mehrmals in Haft, am 11. März 1938 besetzte die SS unter seiner Führung das Landesgendarmeriekommando in Linz. Sein Einsatz als Betriebsführer der Steyr-Werke wurde 1941 vom damaligen SS-Führer Oberdonau, Ernst Kaltenbrunner, als „beispielgebend“ hervorgehoben. Nach 1945 kam er in Haft und starb 1952 in Vorarlberg.

Eines zeichnete alle aus: der unbedingte Wille, in die SS und dort in führende Ränge zu kommen.

Karl Ritter von Kurz, Gaukriegerbundführer in der Steiermark und SS-Brigadeführer, meldete sich 1939 als 66-Jähriger zum Kriegsdienst. Zum 70. Geburtstag wurde er demobilisiert. Und Hitler schickte dem alten Herrn persönliche Dankeswünsche.