Aus 34.000.000 wurden 8.908.000

34.000.000 versprochen - 8.908.000 gehalten

Die Tsunami-Hilfe war ein groß angelegter Bluff

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Tage des Mitleids, Tage der Erschütterung – Tage unmittelbar nach dem Tsunami, der am 26. Dezember 2004 die Küsten des Indischen Ozeans verwüstet: Fast 230.000 Tote, darunter tausende westliche Touristen; zehntausende gelten als vermisst. Es herrscht emotionaler Ausnahmezustand, weltweit.
In diesen Tagen kennt die Hilfsbereitschaft keine Grenzen. 54 Millionen Euro an privaten Spenden kommen allein in Österreich binnen weniger Tage zusammen. Da will auch die schwarz-blaue Regierung nicht zurückstehen. „Die Flutkatastrophe hat deutlich gemacht, wie verletzlich die Menschen sind“, erklärt Außenministerin Ursula Plassnik. „Aber es bleibt die Macht des Zusammenhaltens und der Zusammenhilfe.“
Zwei Wochen nach der Flutkatastrophe tritt Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit einem bemerkenswerten Versprechen an die Öffentlichkeit: 50 Millionen Euro aus öffentlichen Geldern für die Krisenregion, 34 Millionen davon vom Bund, zahlbar bis Ende 2007.
Dieser Tage wäre somit eigentlich Zeit, Bilanz über drei Jahre Tsunami-Hilfe zu ziehen. Tatsächlich machen jedoch alle damit befassten Behörden und Ministerien der stillsten Zeit im Jahr alle Ehre, was die „Wiederaufbauhilfe Südostasien“ betrifft. Der aktuellste öffentliche Report dazu stammt aus dem Oktober 2005. Einen Koordinator für das Programm gibt es längst nicht mehr, die Website bundeskanzleramt.at/wiederaufbau wurde bereits vor mehr als einem Jahr aus dem Netz genommen. Und konkrete Zahlen will niemand herausrücken. Von einem Erfolgsbericht ganz zu schweigen.
Dafür gibt es einen guten Grund.

Die – inzwischen abgewählte – Regierung Schüssel ist ihre Versprechen an die Opfer des Tsunami weitestgehend schuldig geblieben: Nur ein Bruchteil der zugesagten Millionen wurde tatsächlich ausbezahlt. Das geht aus einem internen Revisionsbericht hervor, der vom Außenministerium unter Verschluss gehalten wird, profil jedoch in vollem Umfang vorliegt.

Kurzum: Das groß angelegte Wiederaufbauprogramm der österreichischen Bundesregierung für die Flutregion hat sich als Bluff erwiesen. Länder, Städte und Gemeinden haben ebenso erkleckliche Summen gezahlt wie private Spender.

Rückblende. Als Wolfgang Schüssel das österreichische Hilfspaket für die Tsunami-Opfer präsentiert, hat die Regierung ein akutes Imageproblem. Es hagelt Kritik an ihrem Krisenmanagement, gleichzeitig lässt sie es in den Augen vieler Bürger an Mitgefühl fehlen. Anfangs will der Bund lediglich eine Million Euro für Sofortmaßnahmen lockermachen – im Vergleich zu den privaten Spenden ein läppischer Betrag.
Nach einer Krisensitzung am Abend des 9. Jänner 2005 stockt Schüssel die Summe auf 34 Millionen auf. Weitere 16 Millionen sollen Länder, Städte und Gemeinden aus ihren Budgets zur Verfügung stellen. Inzwischen ist auch schon ein eigener Koordinator für die Abwicklung der Katastrophenhilfe bestellt: Ex-Innenminister Ernst Strasser. Er lobt die „typisch rot-weiß-rote Arbeitsaktion“, in der „in effizienter und verantwortungsbewusster Weise inhaltliche und finanzielle Hilfe zugesagt“ worden sei. „Wir Österreicher wissen,
was es heißt, von der Hilfe aus dem Ausland abhängig zu sein“, sagt Plassnik am selben Tag.

Bilanzen. Nun geht alles sehr schnell: Auf der Insel Sri Lanka versorgt das Bundesheer Tsunami-Opfer mit Trinkwasser, das Infrastrukturministerium schickt ein Expertenteam – eine zerstörte Bahnlinie soll instand gesetzt werden. Vizekanzler und Verkehrsminister Hubert Gorbach reist selbst an die zukünftige Baustelle, um sich ein Bild von der Lage zu machen. In Indonesien wird im Auftrag des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider nach einem Grundstück gesucht, auf welchem ein Dorf für Waisenkinder errichtet werden kann. In Thailand helfen Experten des Innenministeriums bei der Identifizierung von Leichen. Und in Österreich kommen Ministerien, Landesregierungen, Städte und Gemeinden mit der Vielzahl von Projektanträgen kaum zurande.
Den Vereinten Nationen, die verzweifelt nach Finanzmitteln suchen, will die Republik aber nichts überlassen. „Wir haben kein Geld für die UNO auf den Tisch gelegt“, teilt eine Sprecherin des Außenministeriums nach einer Geberkonferenz in New York mit. „Österreich hat einen anderen Ansatz gewählt und setzt auf bilaterale Projekte, die als österreichisch identifiziert sind.“

Das scheint auch zu klappen. Bis Dezember 2005 legt Ernst Strasser insgesamt drei Zwischenbilanzen über die „Koordination Wiederaufbauhilfe Südostasien“ vor. „Die Bundesministerien haben sich an der bisherigen vertraglich gebundenen Tsunami-Hilfe mit rund 12,7 Millionen Euro beteiligt“, heißt es im letzten der Berichte. Es läuft also alles nach Plan, im ersten von drei Projektjahren wurde bereits ein Drittel der versprochenen 34 Millionen Euro eingesetzt.
Damit endet abrupt jede öffentliche Information über den Fortgang der Hilfsprogramme. Strasser wird als Koordinator mit herzlichem Dank verabschiedet, ein Nachfolger wird nicht ernannt. Begründung von Außenministerin Plassnik: „Ein Jahr nach der Katastrophe sind weit reichende Informationsnetzwerke über die Vereinten Nationen, die EU und auch die Stellen der betroffenen Regierungen aufgebaut. Eine eigene Koordinierung ist daher nicht mehr erforderlich.“
Die Regierung installiert zwar einen Beirat im Finanzministerium, der über die korrekte Verwendung der Bundesmittel für den Wiederaufbau in Südostasien wachen soll. Dieser darf jedoch nur dem Bundeskanzleramt und dem Ministerium berichten. Veröffentlicht werden die Berichte jedoch nicht.

In der Opposition regen sich währenddessen bereits Zweifel. Die SPÖ-Abgeordnete Petra Bayr stellt eine Reihe parlamentarischer Anfragen über die Entwicklung der Wiederaufbauhilfe. Die Antworten darauf lassen keine klaren Schlüsse zu. Da werden Beträge als „genehmigt“, „refundiert“, „zur Refundierung genehmigt“ oder „eingesetzt“ deklariert. Was tatsächlich gezahlt wurde, bleibt im Dunkeln.
So kündigt etwa Gorbachs Infrastrukturministerium unverdrossen Großes an: den Wiederaufbau der wichtigsten Bahnlinie an der Westküste von Sri Lanka – Projektvolumen: 20 Millionen Euro, fünf Millionen davon aus der Tsunami-Hilfe des Bundes. Damit wird der Eindruck vermittelt, dass die ÖBB dort in Kürze beginnen werden, Gleisbette aufzuschottern und Schienen zu verlegen. Im März 2006 wird das Vorhaben per Ministerratsbeschluss abgesegnet, im Juni gibt Finanzminister Karl-Heinz Grasser das Geld dafür frei.

Endstand. Noch im September 2006 verspricht Außenministerin Plassnik, Ende des Jahres einen weiteren „Bericht über den Zwischenstand der Tsunami-Hilfe“ vorzulegen.
Auffallend viele Ministerien melden inzwischen keine neuen Projekte. „Es ist nicht geplant, weitere Beiträge für Hilfsmaßnahmen im Rahmen der Flutkatastrophe in Südostasien zur Verfügung zu stellen“, heißt es aus dem Innenministerium. Es gebe „keine diesbezüglichen Planungen“, lässt das Landwirtschaftsministerium wissen. Man habe veranlasst, „dass die für die Tsunami-Hilfe vorgesehenen Mittel auch für andere Zwecke verwendet werden können“, erklärt das Sozialministerium.
Ende 2006 legt Plassnik den versprochenen Bericht zwar nicht vor, bekennt sich aber dazu, dass „Transparenz und Nachhaltigkeit die Kernprinzipien für die Tsunami-Hilfe sind“.
Auch einen neuen Termin für Interessierte bittet die Außenministerin vorzumerken: „Aussagekräftige Bilanzzahlen über öffentliche Entwicklungshilfeleistungen 2006 werden im 2. Quartal 2007 vorliegen.“
Auch darauf wartet die Öffentlichkeit bis heute vergebens.
Regierungsintern ist Ende 2006 bereits jedem klar, dass der Bund seine Fluthilfeaktivitäten längst eingestellt hat. Weiterhin wird als vorläufiges Ergebnis der Hilfsaktion des Bundes die Summe von 12,7 Millionen genannt.
In Wahrheit ist auch diese Zahl zu hoch gegriffen.
Einzig der profil vorliegende interne „Bericht des Beirates gemäß Auslandskatastrophenfonds-Gesetz“ nennt die tatsächlich ausbezahlte Summe. Sie liegt um fast ein Drittel unter der offiziell genannten.

Bluff. Demnach wurden in den Jahren 2005 und 2006 „insgesamt 8,848 Millionen Euro aus den vorgesehenen 34 Millionen Euro und Mitteln des Auslandskatastrophenfonds mit der Tsunami-Widmung liquidiert“.
Richtet man sich nach den spärlichen verfügbaren Angaben des Außenministeriums, dann wurde ein großer Teil davon für Personalkosten, Auslandszulagen und Reisespesen verwendet, die unmittelbar nach der Flutkatastrophe für Mitarbeiter des Innen-, Verteidigungs- und Infrastrukturministeriums anfielen: beispielsweise das Bundesheerkontingent, das die Wasseraufbereitungsanlage in Sri Lanka bediente. Oder die Kriminalisten, die in Thailand bei der Leichenidentifizierung halfen. 2006 wurden aller versprochenen „Nachhaltigkeit“ zum Trotz laut Bericht des Tsunami-Beirats, der zuletzt von Josef Schmidinger, dem Generaldirektor der SBausparkasse, geleitet wurde, nur mehr 130.000 Euro aus Bundesmitteln ausbezahlt. Die Summe fiel auch deshalb so mickrig aus, weil die ÖBB ihr Eisenbahnerneuerungsprojekt auf Sri Lanka längst fallen gelassen hatten. Zitat aus einem profil zugespielten Brief des Außenministeriums vom 4. Mai 2007: „Wie der Leiter der Rechtsabteilung der ÖBB-Infrastruktur-Betrieb-AG, Mag. Codemo, ausführte, sei das aus dem Aktionismus der ersten Tsunami-Hilfe geborene Projekt von Anfang an unrealistisch gewesen.“

Nicht weniger von Aktionismus geprägt war die Errichtung des „Kärntendorfes“ in Banda Aceh (Indonesien), für das neben Mitteln des Landes Kärnten und privaten Spenden auch Geld des Sozialministeriums verwendet wurde. Die damalige Ministerin Ursula Haubner unterstützte damit das Lieblingsprojekt ihres Bruders Jörg Haider. Der Landeshauptmann ließ es sich denn auch nicht nehmen, zur Eröffnung der für Waisenkinder gedachten zwölf Häuser persönlich anzureisen und die Siedlung zu übergeben. Allerdings stellte sich bald nach dem Festakt heraus, dass sich vor Ort niemand für den Betrieb der Anlage zuständig fühlte. Das „Campung Carinthia“ stand leer und verfiel langsam.
Schließlich musste sich die Landesregierung an die Entwicklungshilfeprofis des Österreichischen Hilfswerks wenden. Tsunami-Waisen waren zu diesem Zeitpunkt keine mehr aufzutreiben, also widmete man die Häuschen in ein Kinderheim und ein Gesundheitszentrum um. Hilfswerk-Chefin Heidi Burkhart sieht mittlerweile immerhin „eine Chance, aus dem Kärntendorf etwas zu machen“.
Nicht nur in diesem Fall blieben die Experten außen vor. Die gesamte Tsunami-Hilfe aus dem Auslandskatastrophenfonds der Republik lief an der Österreichischen Entwicklungshilfestelle ADA (Austrian Development Agency) vorbei. Die ADA konnte lediglich einen Teil ihres regulären Budgets für Projekte in den betroffenen Regionen verwenden – insgesamt rund zwei Millionen Euro in den Jahren 2005 bis 2007.

Kritik. Aus einem profil vorliegenden internen Schriftverkehr geht hervor, dass es das Finanzministerium abgelehnt hat, der ADA für ihre Hilfsprojekte Geld aus dem Tsunami-Topf zu überweisen.
Kritik daran kommt von Gerhard Bittner, dem Leiter des Österreichischen Instituts für Spendenwesen (ÖIS): „Es wäre ein Leichtes gewesen, der ADA die 34 Millionen Euro zuzuweisen, die von der Regierung versprochen wurden. Das hätte man schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit gegenüber den vielen privaten Spendern tun müssen.“
Das ist aber nicht geschehen. Im Gegenteil. Es bewahrheitet sich ein Vorwurf, den Caritas-Präsident Franz Küberl vergangene Woche erhob: „Unsere Politiker erkennen Spenden nicht als Solidarbeitrag der Menschen, zu denen sie noch was drauflegen müssen. Stattdessen freuen sie sich, dass ihr eigenes Budget entlastet wird.“
So bekam den größten Anteil der Bundeshilfe für die Tsunami-Opfer – laut Revisionsbericht des Beirats mehr als 25 Millionen Euro – der Finanzminister.
Außenministerin Plassnik ließ auf Ansuchen von profil um ein Bilanzinterview zur Tsunami-Hilfe mitteilen, sie habe keine Zeit.
Für Wiederaufbauhilfe hat die Regierung heuer gerade noch 60.000 Euro projektiert. Macht insgesamt 8,9 Millionen Euro außertourlich aufgebrachte Hilfsgelder.
Und für den siebenköpfigen Tsunami-Beirat gibt es eigentlich schon seit Längerem nichts mehr zu tun. „Da keine weiteren Projekte als Abwicklung gemeldet sind“, hat das Gremium bereits im vergangenen Sommer selbst ersucht, „seine Abberufung in Erwägung zu ziehen“.

Von Martin Staudinger und Robert Treichler
Mitarbeit: Gunther Müller, Elfi Puchwein