Umlaufpannen: 40 Jahre Mondlandung

40 Jahre Mondlandung: Fatale Pannen, gigantische Explosionen, hilflose Agenten

Fatale Pannen, hilflose Agenten, Explosionen

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Von Gerhard Hertenberger

Umgeben von mächtigen Kraterlandschaften, erstrecken sich die Lavaebenen und Bergmassive des Mondes unter einer gleißend hellen Sonne. Vor 40 Jahren, am 20. Juli 1969, landeten Neil Armstrong und Buzz Aldrin als erste Menschen auf der Mondoberfläche. Bis Dezember 1972 folgten zehn weitere NASA-Astronauten. Danach herrschte in der luftleeren und lautlosen Welt des Mondes wieder Einsamkeit. Am Dienstag vorvergangener Woche schwenkte nun erneut eine zwei Tonnen schwere NASA-Sonde in eine Mondumlaufbahn ein. Der Lunar Reconnaissance Orbiter soll hochaufgelöste Fotos schießen, Temperatur und Zusammensetzung der Mondoberfläche kartieren und an den Polen nach dem geheimnisvollen Kometeneis suchen. Die Mission gilt als Auftakt für eine neue Epoche der Monderforschung.

Anlässlich des vierzigjährigen Jubiläums der Mondlandung wird wieder an die Faszination und Hysterie jener Tage erinnert. Doch was die Öffentlichkeit damals erfuhr, war nur ein sehr kleiner Teil der Wahrheit. Denn inmitten des Kalten Kriegs gab es eine Vielzahl dramatischer und teils auch bizarrer Vorkommnisse: Schildkröten flogen zum Mond, riesige Raketen explodierten, bemannte kosmische Spionagestationen wurden von den Supermächten geplant und teils auch realisiert, und es gab vertuschte Zwischenfälle wie die Notlandung eines Kosmonauten in einer Schneewüste.
Nach der Öffnung russischer Archive im Lauf der neunziger Jahre stöberten westliche Raumfahrthistoriker in alten Dokumenten und sprachen ausführlich mit Zeitzeugen. Dazu erschienen in den vergangenen drei Jahren zahlreiche Fachpublikationen, die ein völlig neues Bild des Wettlaufs zum Mond zeichnen – über eine Zeit, da sich der Kalte Krieg bis in den Weltraum ausdehnte.

Geheimprogramm. Begonnen hatte alles mit dem Start des sowjetischen Sputnik-Satelliten, der in den USA einen Schock auslöste. Denn allen war klar: Wer eine Kugel auf 28.000 Stundenkilometer beschleunigen kann, vermag auch Atombomben per Rakete bis New York zu schießen. Im Oktober 1958 fiel in den USA der Entschluss, eine Kapsel für bemannte Raumflüge zu entwickeln (siehe auch Zeitleiste). Während im grellen Medienlicht über die sieben Mercury-Astronauten berichtet wurde, lief im Verborgenen ein gewaltiges militärisches Parallel-Raumfahrtprogramm, dessen Wurzeln bis 1942 zurückreichten.

Schon im Oktober 1957, kurz nach dem Sputnik-Schock, hatte die U.S. Air Force ein geheimes Programm für eine bemannte Miniweltraumfähre namens Dyna-Soar (Dynamischer Gleiter) initiiert. Das futuristische Fluggerät sollte ab 1968 ins All fliegen, um im Kriegsfall feindliche Satelliten zu demolieren und Atombomben auf sowjetische Städte und Militärbasen zu werfen. Einer der sieben Astronauten, die 1962 unter strengster Geheimhaltung für die Militärflüge trainierten, war Neil Armstrong – jener Mann, der später als Erster den Mond betrat.

Wesentliche Teile des Dyna-Soar-Konzepts stammten von Rüstungsplänen des NS-Regimes: Der im böhmischen Erzgebirge geborene Konstrukteur Eugen Sänger hatte Anfang der vierziger Jahre für Hitler ein 28 Meter langes Raketenflugzeug namens Silbervogel geplant, das 145 Kilometer hoch in den Weltraum steigen und im Gleitflug die USA erreichen sollte, um dort tonnenweise Bomben abzuwerfen. Nach Kriegsende schickte Stalin Agenten aus, um Sänger freiwillig oder mit Gewalt in die UdSSR zu bringen, was aber scheiterte. Der militärische Leiter von Hitlers Raketenprogramm, Walter Dornberger, sollte indes als Kriegsverbrecher angeklagt werden. Doch es kam anders: Anstelle einer Anklage wurde ihm im Rahmen der „Operation Paperclip“ vorgeschlagen, in den USA als Berater der Air Force zu arbeiten. Jahrelang warb er dort für den Bau eines Bomben-Raumgleiters, wobei er diplomatischerweise den unter Hitler üblichen Namen „Amerika-Bomber“ vermied.

„Im Gegensatz zum Silbervogel, der auf einer kilometerlangen Schiene ins All starten und mehrmals auf der Erdatmosphäre aufgleiten und wieder abprallen sollte, war Dyna-Soar für einen Raketenstart in eine echte Umlaufbahn ausgelegt“, erklärt der Raumfahrtexperte Michael Köberl, der in Bruck an der Mur eine große Sammlung von Raumfahrtausstellungsstücken aufgebaut hat. Das Dyna-Soar-Projekt wurde 1963 aus Kostengründen gestoppt. Was sich damals in der Sowjetunion abspielte, blieb dem US-Geheimdienst CIA in vielen Fällen weitgehend verborgen: Einerseits gab es viel zu wenige Agenten, andererseits versagten die ersten primitiven Spionagesatelliten der Corona-Serie fast immer. Zur Tarnung wurde von offizieller Seite behauptet, es handle sich bei diesen Objekten um „biologische Forschungssatelliten mit Algen, Schimmelsporen und Gewebeproben an Bord“.

Die CIA setzte damals hoch fliegende bemannte U-2-Spionageflugzeuge ein, um Atomraketenbasen und Weltraumstartplätze auszukundschaften. Eine am 1. Mai 1960 in Pakistan gestartete U-2 überflog beispielsweise das sowjetische Startgelände von Tyuratam, wo ein Jahr später Juri Gagarin ins All startete. Am Weg über den Ural wurde sie jedoch von den Sowjets abgeschossen, worauf die US-Regierung lakonisch verkündete, dass ein „US-Wetterflugzeug“ wegen „Problemen mit der Sauerstoffversorgung“ über der UdSSR abgestürzt sei. Der Pilot überlebte jedoch, wurde von Chruschtschow im Fernsehen präsentiert und zwei Jahre später auf der zwischen Ost- und Westberlin verlaufenden Glienicker Brücke gegen einen KGB-Spion ausgetauscht.

Im Mai 1961 rief US-Präsident John F. Kennedy in seiner berühmten Rede dazu auf, bis zum Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond zu bringen. Angesichts der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt erst ein einziger US-Astronaut einen 15 Minuten langen „Hüpfer“ ins All getan hatte, war dieses Projekt geradezu wahnwitzig. Im Juni 1961 schlug Kennedy daher beim Gipfeltreffen in Wien Nikita Chruschtschow vor, die Kräfte für ein gemeinsames sowjetisch-amerikanisches Mondflugprogramm zu bündeln. Wie Chruschtschows Sohn Sergej vor einigen Jahren berichtete, lehnten die sowjetischen Militärs die Idee kategorisch ab, weil bei einer Zusammenarbeit ans Licht gekommen wäre, dass die von der CIA unablässig behauptete nukleare Übermacht der UdSSR überhaupt nicht existierte.

Bei den ersten Weltraumflügen saßen die Raumfahrer in der Spitze von umgebauten Atomraketen. Wie unzuverlässig diese waren, zeigte sich im Oktober 1960: Aus einer startbereiten sowjetischen Atomrakete neuen Typs sickerte plötzlich dampfende Salpetersäure. Der persönlich anwesende Leiter des Nuklearwaffenprogramms, Mitrofan Nedelin, lief mit dutzenden Technikern sorglos zum vollgetankten Geschoss, das kurz dar­auf explodierte. Von den (je nach Quelle) 90 bis 200 Toten erfuhr die Öffentlichkeit nichts, es wurde lediglich verlautbart, Marschall Nedelin sei „bei einem Flugzeugabsturz“ ums Leben gekommen.

Pannenserie. Im Gegensatz zur sowjetischen Geheimhaltung gab es in den USA hohe mediale Aufmerksamkeit – auch bei peinlichen Zwischenfällen. Im November 1960 sollte beispielsweise eine für bemannte Flüge umgebaute Redstone-Atomrakete einen Testflug absolvieren. Sie erhob sich jedoch bloß zehn Zentimeter über den Starttisch und fiel dann auf die Plattform zurück, ohne zu explodieren. Im Startbunker diskutierten die 1945 aus Deutschland importierten Raketentechniker aufgeregt auf Deutsch, und der genervte amerikanische Flugleiter fauchte, sie sollten gefälligst Englisch reden, damit auch er etwas verstehe. Bei einem unbemannten Gemini-Start wiederum verursachte das Einschalten der stromfressenden Scheinwerfer für die TV-Übertragung einen Stromausfall im gesamten Kontrollzentrum. Alle Lampen und Bildschirme fielen aus, und die Flugkontrollore verpassten den – noch dazu erfolgreichen – Start ihrer eigenen Rakete.

Erst ab 1964 gab auch die Sowjetregierung den Auftrag für bemannte Mondflüge. „Der Fortschritt der Planungen wurde jedoch durch den frühen Tod des genialen Konstrukteurs Sergej Koroljow und durch Rivalitäten zwischen den Raumschiff-Konstruktionsbüros stark gehemmt“, berichtet Bruno Besser, Experte für Raumfahrtgeschichte und Mitarbeiter am Grazer Institut für Weltraumforschung. In den USA leitete inzwischen Wernher von Braun, der einst für Hitler V2-Raketen entwickelt und dafür auch KZ-Häftlinge ausgewählt hatte, den Bau der Mondrakete Saturn 5. Das dafür nötige, 160 Meter hohe Vertical Assembly Building (VAB) wurde von Anton Tedesko konzipiert, der einst in Wien studiert hatte. Es war so hoch, dass sich innen anfangs Wolken bildeten.

In den Jahren 1967 und 1968 gab es in Ost und West insgesamt mindestens fünf verschiedene Programme für bemannten Raumflug. Im Licht der Öffentlichkeit stand jedoch nur das Mondprogramm der NASA, die ihr Apollo-Schiff im Herbst 1968 erstmals bemannt testete. Parallel dazu arbeitete die Air Force an einer geheimen militärischen Raumstation (siehe Kasten „Weltraumkanonen“).

Von den drei sowjetischen Programmen erfuhr die Öffentlichkeit fast nichts: Zwischen 1966 und Herbst 1968 gab es nur einen einzigen Kosmonautenstart. Und dieser Flug endete tragisch: Die Fallschirme des neuen Sojus-Raumschiffs versagten, Wladimir Komarow stürzte samt Kapsel fast ungebremst aus über hundert Kilometer Höhe in die Steppe, wo später die brennenden Trümmer entdeckt wurden. Die Spionagesatelliten der Amerikaner zeigten überdies, dass 1968 eine riesige Rakete wochenlang an einer Startrampe stand. Sie war ebenso groß wie die NASA-Mondrakete Saturn 5, wie der lange Schatten vermuten ließ. Die Fotos waren so geheim, dass die CIA sogar den Kongressabgeordneten nur mündlich berichtete, ihnen jedoch den Einblick in die Fotos verwehrte.
Heute kennt man alle drei sowjetischen Programme: Erstens sollten bemannte Kapseln auf eine Schleifenbahn um den Mond geschickt werden (Projekt L1/Zond). Zweitens sollte die riesige Mondrakete getestet werden, um später zwei Kosmonauten zum Mond und einen davon auf die Mondoberfläche zu bringen. Und drittens baute das sowjetische Militär als Reaktion auf die Spionagestationen der U.S. Air Force an einem ­sowjetischen Pendant.

1968 flog erstmals ein unbemanntes Zond-Raumschiff hinter dem Mond vorbei und kehrte zur Erde zurück. Der Start wurde von Radaranlagen der CIA im Mittleren Osten – die routinemäßig nach allfällig Verdächtigem suchten – mitverfolgt, Bauweise und Zweckbestimmung des Flugobjekts waren jedoch völlig unklar. Westliche Beobachter lauschten aufgeregt an ihren Parabolantennen, ob das geheimnisvolle Objekt irgendwelche Funksprüche aussendete. Und tatsächlich waren russische Stimmen zu hören. Das Schweigen der offiziellen Sowjetunion nährte alsbald Spekulationen, dass unglückselige Kosmonauten bei einem geheimen Mondflug ums Leben gekommen seien. Tatsächlich handelte es sich jedoch um ferngesteuerte Tonbandgeräte, die den Funkverkehr zwischen Erde und Mond testen sollten. Immer wieder lösten aufgefangene Tonbandfunksprüche ohne nachfolgende „erfolgreiche Kosmonautenlandung“ wilde Gerüchte über durchs All treibende Leichen aus. Die genervten Russen spielten deshalb bei künftigen Testübertragungen per Tonband keine raumflugtypischen Gespräche ab, sondern beispielsweise russische Suppenrezepte und Choralgesänge – was Agenten an ihren Horchantennen erst recht verwirrte.

Im September 1968 gelangten erstmals irdische Raumfahrer aus der Sowjetunion zum Mond und landeten nach einem mehrtägigen Rückflug sicher im Indischen Ozean. Erschöpft krochen sie danach über die Planken des sowjetischen Bergungsschiffes – dies, weil es sich um zwei große Schildkröten handelte. Sie waren die ersten Erdlinge, die zum Mond flogen, begleitet von Würmern, Fruchtfliegen und 237 Fliegeneiern.

Tagebuch-Quellen. Leider waren die Zond-Raumschiffe samt ihren Raketen extrem unzuverlässig. Die Russen zögerten deshalb, ihnen Kosmonauten anzuvertrauen, wie die privaten Tagebücher des Kosmonauten-Chefs Nikolai Kamanin verraten, die heute für Historiker zugänglich sind. Dabei stand sogar schon die erste Mondflug-Besatzung fest: Alexej Leonow und Oleg Makarow hätten als erste Menschen Anfang Dezember 1968 den Erdtrabanten erreichen und umfliegen sollen.

Die NASA-Führung war im Herbst 1968 dennoch äußerst beunruhigt über die auf Satellitenfotos sichtbare sowjetische Mondrakete. Kurzfristig wurde daher entschieden, schon den zweiten bemannten Apollo-Flug über die riesige Distanz von 384.000 Kilometern zum Mond zu schicken. Dort würden die Astronauten den kraterübersäten Himmelskörper umkreisen und hoffen, dass das einzige Haupttriebwerk beim Rückschuss zur Erde funktionierte. Falls nicht, wären die Astronauten auf ewig in der Mondumlaufbahn gefangen.

Nikolai Kamanin schrieb damals in sein Tagebuch, er halte das NASA-Projekt Apollo 8 für ein unglaublich riskantes Wagnis. Und doch – der gefährliche Flug ­gelang, und nach den beiden russischen Schildkröten schwebten nun auch drei Amerikaner hoch über der von der Erde aus unsichtbaren Rückseite des Mondes. Sie blickten zu Weihnachten 1968 als erste Menschen auf dessen fremdartige Landschaft hinab. „Apollo 8 war in der Tat eine riskante Mission“, meint der in Australien lebende Astrophysiker Eric Jones, der in Zusammenarbeit mit der NASA und mehreren Mitarbeitern im „Apollo Lunar Surface Journal“ den gesamten Funkverkehr der Apollo-Mondlandungen schriftlich dokumentierte. Das Apollo-Raumschiff bestand immerhin aus 5,6 Millionen Einzelteilen. Selbst bei einer Zuverlässigkeit von 99,9 Prozent musste man theoretisch mit 5600 Fehlfunktionen rechnen.

Wenige Tage nach Apollo 8, im Jänner 1969, landete die sowjetische Kapsel Sojus 5 durch einen Defekt hunderte Kilometer abseits in einer dünn besiedelten, tief verschneiten Steppenregion. Beim heftigen Aufprall riss der Anschnallgurt, und der Kosmonaut brach sich den Kiefer. Um bei minus 38 Grad nicht zu erfrieren, stapfte er, Blut und Zähne ausspuckend, kilometerweit durch den Tiefschnee. Bei einem einsamen Gehöft klopfte er an und bat lispelnd um Einlass, da er gerade aus dem Weltraum komme. Die kasachische Familie bewirtete ihn freundlich, bis die Bergungsmannschaften eintrafen.

Gewaltige Explosionen. Während die NASA im Licht der Öffentlichkeit den Test einer Mondlandefähre in der Erdumlaufbahn vorbereitete (Apollo 9), liefen in der Sow­jetunion letzte Vorarbeiten für vier monumentale Geheimprojekte: Im Februar 1969 sollte die erste riesige Mondrakete N1 starten sowie ein unbemanntes Mondauto und zwei tonnenschwere Marssonden.

Am 3. Februar 1969 zogen mehrere Diesellokomotiven die gewaltige, waagrecht liegende Mondrakete zum Startplatz, wo sie ganz langsam mit hydraulischen Kranarmen aufgerichtet und dann betankt wurde. 2770 Tonnen schwer, ruhte sie nun auf der Startplattform. In der Nacht zum 21. Februar, es hatte minus 41 Grad Celsius, zündeten in einem grellen Lichtblitz die 30 Triebwerke und schoben die schwere Rakete ganz langsam hinauf in den Himmel. Doch schon Sekunden nach dem Start brachen mehrere Druckleitungen, ein Feuer entstand, Kabel brannten durch, und in 27 Kilometer Höhe verloschen sämtliche Triebwerke. Die hundert Meter lange Rakete stürzte zur Erde zurück und bewirkte eine so gewaltige Explosion, dass in weitem Umkreis alle Fenster zersplitterten. Wegen der Kälte platzten viele Heizungsrohre durch Eisbildung, und trotz rascher Verglasung der Fenster konnten Wohnungen und Arbeitsräume der Techniker tagelang mit kleinen Elektroöfchen nur mühsam knapp über dem Gefrierpunkt gehalten werden.

Die CIA versagte damals völlig: Weil gerade kein Satellit auf Kasachstan schaute, blieb dieser erste Mondraketenstart dem Westen jahrzehntelang verborgen. Selbst 1990 war in der Fachliteratur noch nichts davon zu lesen. Wenige Tage nach der verunglückten Mission sollte ein automatisches Mondauto starten, um auf der Mondoberfläche herumzufahren, Fotos zu machen und – ein bisschen Propaganda musste schon sein – die Sowjethymne zur Erde zu funken. Doch auch diese Rakete explodierte 50 Sekunden nach dem Start. Laut Augenzeugen wurde das robuste Mondauto in der verschneiten Steppe inmitten der Raketentrümmer in erstaunlich gutem Zustand gefunden. Unverwüstliche russische Technik eben. Angeblich wurde sogar der Bandrekorder entdeckt, der inmitten der Raketentrümmer unverdrossen die ­Sowjethymne spielte.

Viel brisanter war jedoch eine Box mit Polonium-Staub – die hochradioaktive Substanz sollte die Elektronik in der eiskalten Mondnacht heizen. Der Behälter war stabil genug, um auch Explosionen zu überstehen, doch eigenartigerweise blieb er verschollen. Monate später konnte das Rätsel gelöst werden: Zwei Soldaten hatten die Box, trotz der „Radioaktiv“-Warnsymbole, an sich genommen und als Heizkörper in ihrem Wächterhäuschen deponiert, um die minus 40 Grad besser zu ertragen.

Fotos vom Mars. Auch die beiden Marssonden scheiterten: Eine stürzte in die kasachische Steppe, die andere ins zentralasiatische Altai-Gebirge. In Amerika segelte die NASA inzwischen von einem Erfolg zum nächsten. Bemannte Testflüge mit der Mondlandefähre in der Erd- und Mondumlaufbahn im März und Mai 1969 gelangen, und zwei NASA-Marssonden passierten im August 1969, kaum beachtet wegen der Mondeuphorie, den Planeten Mars und funkten 198 scharfe Fotos zur Erde.
Anfang Juli 1969 fieberte die Welt der Mission Apollo 11 entgegen. Eine Hysterie griff um sich, und kaum jemand kümmerte sich um die Frage, was gerade in der Sowjetunion vor sich ging. Die Analysten der CIA brüteten allerdings grübelnd über Satellitenfotos, auf denen zwei riesige, flugbereite sowjetische Mondraketen zu sehen waren. Einige Tage später, kurz nach dem 3. Juli, war eine der beiden Raketen verschwunden – und mit ihr die Startrampe. Das Gelände auf dem unscharfen Foto wirkte irgendwie verwüstet. Und am 13. Juli, drei Tage vor dem Start von Apollo 11, sandte die Sowjetunion ein mehrere Tonnen schweres Objekt zum Mond, das kryptisch als Luna 15 bezeichnet wurde.

Heute weiß man, was geschah: Eine der beiden Mondraketen war ein Testmodell, die andere sollte am 3. Juli 1969 unbemannt starten, als Testlauf für eine bemannte Mondlandung. Die hundert Meter hohe, vollgetankte Rakete explodierte jedoch 200 Meter über dem Boden mit der Sprengkraft einer kleinen Atombombe. Es war die gewaltigste Raketenexplosion der Geschichte. Die Sonde Luna 15 wiederum sollte Mondgestein einsammeln und zur Erde bringen. Wenn sie funktioniert hätte, wäre sie fast gleichzeitig mit Apollo 11 zurückgekehrt.

Die Weltöffentlichkeit starrte inzwischen gebannt auf die TV-Schirme mit ihren unscharfen Mondbildern. Der ORF übertrug am 20. Juli 1969 eine 36-stündige Live-Sendung aus den damaligen ORF-Studios in der Maxingstraße, die kürzlich zu einem Orang-Utan-Haus umgebaut wurden. Peter Nidetzky, der gemeinsam mit Hugo Portisch und Othmar Urban diese längste Live-Sendung der ORF-Geschichte moderierte, erinnert sich an die Stunden in den glühend heißen Räumen: „Wir waren nicht darauf vorbereitet, 36 Stunden lang live berichten zu müssen, obwohl es über lange Strecken keine neuen und auch keine wirklich spannenden Bilder zu sehen gab.“

Mondbasis. Während die NASA sechs erfolgreiche Mondlandungen durchführte, scheiterten alle vier Sowjetmondraketen. Die Sowjetführung ordnete daraufhin 1974 die Zerstörung aller noch vorhandenen Raketen an, jede Erinnerung an das Projekt sollte beseitigt werden. Immer wieder wird behauptet, die UdSSR hätte bereits 1969, kurz nach Apollo 11, ihr bemanntes Mondprogramm aufgegeben. Dies ist falsch: Bis Mitte der siebziger Jahre wurde unbeirrt an der Entwicklung einer kleinen sowjetischen Mondbasis gearbeitet, die den russischen Antarktis-Stationen ähnlich gewesen wäre. Sie sollte Ende der siebziger Jahre installiert werden, zwei bis drei Kosmonauten hätten dort jeweils rund einen Monat lang Forschung betrieben. 1974 wurde dieses L3M-Mondbasis-Projekt allerdings modifiziert und 1976 endgültig gestoppt.

Die NASA hatte sich inzwischen längst dem neuen Shuttle-Programm verschrieben, und die Sowjetregierung beschloss 1976, unter strengster Geheimhaltung ebenfalls Buran-Raumfähren zu entwickeln. Parallel dazu forschten Kosmonauten in zivilen Saljut-Raumstationen, und Weltraumspione fotografierten in ihren Almaz-Raumbasen das gegnerische Territorium. Der Mond ­jedoch geriet langsam in Vergessenheit. „Vom technischen und wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet, fanden die Apollo-Flüge 40 Jahre zu früh statt“, glaubt Eric Jones. „Wenn der Kalte Krieg nicht gewesen wäre, würden wir wahrscheinlich erst jetzt Mondflüge vorbereiten.“ Damals habe die symbolische und geopolitische Bedeutung der Mondlandung weitaus mehr Gewicht gehabt als die wissenschaftliche Forschung. Jetzt, wo auch andere Länder erneut über Mondprojekte nachdenken, gewinnt hingegen der wissenschaftliche Aspekt immer mehr an Bedeutung.

Vom sowjetischen bemannten Mondprogramm bleibt einstweilen nur die Erinnerung. Oder doch nicht? Nicht alle Teile wurden vernichtet: Seltsame halbkugelige Sonnendächer und kugelige Wasserbehälter in der Stadt Leninsk/Bajkonur entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Bauteile von einstigen Mondraketen. In einer Lagerhalle wiederum fand man nach dem Zerfall der Sow­jetunion 150 wertvolle Triebwerke für eine verbesserte Version der Mondrakete. Sie sind technisch so gut, dass eine US-Firma sie nun in Lizenz nachbaut. Und in der Technischen Universität Bauman in Moskau steht heute noch ein vierfüßiger, großer Apparat: eine echte sowjetische Mondlandefähre, einst flugbereit. Alexej Leonow hätte vor 40 Jahren in einer solchen ­Maschine auf dem Mond landen sollen.