53. Kunstbiennale: Sieg über die Zukunft

53. Kunstbiennale - Sieg über die Zukunft: Plakative Arbeiten & die eigene Geschichte

Plakative Arbeiten und die eigene Geschichte

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Von Horst Christoph

„I will not make any more boring art“: ein Gelübde, das Ende der langweiligen Kunst ist nah. Der programmatische Satz prangt in riesiger Schreibschrift anlässlich der Eröffnung der 53. Kunstbiennale über dem venezianischen Canal Grande. Was wie ein Versprechen an die Konsumkultur oder eine Drohung für Kunstkritiker klingt, ist in Wahrheit etwas völlig anderes. John Baldessari, Konzeptkünstler aus Kalifornien, hat mit solchen Worten 1970 seine traditionell gemalten Bilder verbrannt und in einer Urne beigesetzt. Fortan bediente er sich für seine Kunst an Zeitungsfotos, Filmausschnitten, Postkarten und Textfetzen. Respektlosigkeit und Witz wurden als prägende Merkmale seiner Collagen gepriesen. Nicht selten wurde seine Arbeit als banal abgetan. Nie errang Baldessari breite Popularität.

Nun wird der umstrittene 78-Jährige auf der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk prämiert, gemeinsam mit der nicht minder kontroversiellen japanisch-amerikanischen Konzeptkünstlerin Yoko Ono (siehe Kasten Seite 137). Baldessari hat dazu die martialische Fassade des Ausstellungspalasts im Biennale-Areal der Giardini in eine überdimensionale Kitschpostkarte verwandelt: mit blauem Meer und noch blauerem Himmel, zu allem Überfluss dekoriert mit zwei Palmen. Venedig, die Tourismusfalle, scheint uns Baldessari sagen zu wollen: ein Ort, an dem zufällig alle zwei Jahre die vom Kunstmarkt abgesegneten Künstler und Kunstinstitu­tionen in die Lagune geschwemmt werden. Wie reagiert die Biennale auf die allzu ­aktienkompatible Kunst der vergangenen Jahre, die mit ihren anlageberatenen, bankkreditierten Käufern in so tiefer Krise steckt?

Glücklicherweise antwortet die diesjährige Kunstbiennale auf jede Art von Trend eher gelassen. Wie Valie Export meint – die gemeinsam mit Silvia Eiblmayer als Kommissärin des Österreich-Pavillons für diesen verantwortlich zeichnet –, sei es eine ausgesprochene Qualität dieser vor allem in ihren nationalen Präsentationen wahrgenommenen Veranstaltung, dass sie sich aus ihren eigenen Erfahrungen heraus weiterentwickelt.

Dies gilt in hohem Maße und insbesondere für die heurige Präsentation Deutschlands. Dabei setzt sich der Brite Liam Gillick – vom deutschen Kommissär Nicolaus Schafhausen nominiert – mit der Architektur des nach Anordnungen von Hitler und Goebbels zum Nazi-Parteizeichen umgebauten ­deutschen Pavillons auseinander. „Was ist ­moderne Architektur?“, fragt Gillick: die Ideen der Bauhaus-Künstler, die Pervertierung ihres Stils im nationalsozialistischen Monumentalismus – oder eher die in zehntausend Sozialwohnungen verwirklichte „Frankfurter Küche“ der österreichischen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, die Gillick immer wieder im Wiener MAK studiert hatte? Und was hat die Katze mit alledem zu tun, die in seinem Küchenate­lier ihn und seine Kinder irritierte? Gillick selbst verstört sein Publikum, indem er quer durch den Pavillon, in dem einst Stars wie Joseph Beuys ohne offene Kritik an der Nazi-Architektur ihre elitären Spuren legten, seine aus Tannenholz gezimmerten Einbauküchenmodule stellt. Und ganz oben auf dem letzten Küchenkasten sitzt die Katze.

Alles wird größer: Die heurige Biennale kommt auf die Rekordzahl von 77 Länderpräsentationen, neu im Sortiment sind Montenegro, Gabun, Monaco, die Komoren und die Vereinigten Arabischen Emirate; nicht alle sind zwangsläufig an den traditionellen Biennale-Orten in den Giardini oder im Arsenal zu finden, sondern stellen – wie Island oder Armenien – ihre Schaustücke verteilt über die ganze Stadt aus.

Abfallberge. Der Künstler Steve McQueen setzt sich im britischen Pavillon mit den politischen Rahmenbedingungen von Kunst auseinander. Der 40-jährige Medienartist wurde mit seinem Film „Hunger“ berühmt, der letztes Jahr in Cannes die Goldene Kamera gewann. Für die Biennale produzierte McQueen eine 30-minütige Arbeit mit dem Titel „Giardini“, die einen Streifzug durch das Biennale-Gelände in der leeren Zeit zwischen dem nur alle zwei Jahre stattfindenden Kunstspektakel absolviert. Herrenlose Hunde, Ausstellungsrelikte und Abfallberge zwischen der vor sich hindämmernden Herrschaftsarchitektur der Pavillons schaffen ein melancholisches und gleichzeitig amüsant-analytisches Bild von der Künstlichkeit der Kunstwelt. „Sieg über die Zukunft“ lautet der ironische Titel, der über dem russischen Pavillon zu lesen steht und den sieben ganz unterschiedliche Künstler bespielen. Der 42-jährige Gosha Ostretsov aus Moskau beispielsweise führt die Besucher durch ein Gruselkabinett, an dessen Ende der Künstler selbst als bewegliche Zombiepuppe an einem Tisch sitzt und die immer gleichen Kringel zeichnet.

Die österreichischen Teilnehmer befassen sich in drei höchst differenzierten Positionen mit dem eigenen Pavillon, indem sie ihn systemkritisch „als Ins­trument“ (so Kommissärin Silvia Eiblmayer) benutzen. Elke Krystufek hat auf schrille Weise Wände und Glasfronten bemalt, Dorit Margreiter nutzte den Pavillon als Atelier, um einen Film zu drehen. Und Lois und Franziska Weinberger errichteten einen Raum im Außenraum: Diesen füllt ein Würfel aus verrottendem Gras und Laub, zugleich eine minimalistische Skulptur und ein Stück Natur aus zweiter Hand.

Wie die Weinbergers behandeln nicht wenige Künstler dieser Schau die Themen Natur und Umwelt. Sehr überzeugend etwa tut dies Roman Ondak, der die Vegetation der Giardini in den tschechisch-slowakischen Pavillon hereinholt. So zufällig die Auswahl der nach dem Pressemarathon beschriebenen Ausstellungen in den Giardini und im Arsenal auch erscheinen mag, folgt sie doch offensichtlich festen Gesetzen, die da sagen: Die meistbesprochenen nationalen Pavillons – das ergeben Statistiken seit Jahrzehnten – korrelieren ausschließlich mit der ökonomischen Potenz des jeweiligen Landes. Und zweitens: Länder, die keinen eigenen Pavillon besitzen, werden wesentlich weniger beachtet als solche mit eigener Residenz in den Giardini.

Schnitztradition. Eine üppige Auswahl an nationalen Künstlern präsentiert seit je Italien, das vom ehemaligen Padiglione d’Italia – jetzt der internationale Palazzo delle Esposizioni – ins Arsenale übersiedelt ist und dort exemplarisch vorführt, wie allzu bemühte Thesen missglücken können. Die Entwicklung bestimmter Stile der letzten 30 Jahre soll dort gezeigt werden, vom Transavanguardisten Sandro Chia bis zu jungen Künstlern wie dem Duo Bertozzi & Casoni, das mit Keramik arbeitet und in ­einer Anhäufung von hunderten keramischen Erste-Hilfe-Schränken wohl zeigen möchte, dass in der Kunst die Rettung der Welt liegt. Es geht auch weniger modern: Der Schnitztradition hat sich der Südtiroler Aron Demetz verschrieben, der seine lebensgroßen männlichen und weiblichen Holzfiguren mit Pinienharz bestreicht.

Keine Biennale ohne Erweiterungen: Heuer beschert uns diese Faustregel einen „Giardino delle Vergini“, einen „Jungfrauengarten“, der am Rande des Arsenale liegt und unter anderem aus einem künstlichen Sumpf, einem Hänsel-und-Gretel-Haus sowie einer Kletter- und Hangelanlage besteht, die sich der amerikanische Choreograf William Forsythe ausgedacht hat. Auf Turnerringen in unterschiedlichen Höhen vollziehen die Besucher, wenn sie wollen, ihr ganz persönliches Ballett.

Bei all den großen und kleinen Spektakeln der Biennale ist es dann letztlich tröstlich, dass die Vereinigten Staaten, gleichsam unberührt von Kunstmoden und anderen Hypes, einen Klassiker nach Venedig schicken – und diesem einen strahlenden Auftritt bescheren. Der vielseitige Bruce Nauman, der schon 1999 zusammen mit Louise Bourgeoise den Goldenen Löwen erhielt, sorgt mit einem Überblick über sein Werk – mit seinen berühmten Leuchtschriften und figürlichen Installationen – für einen Höhepunkt dieser Biennale. Es sind eben nicht nur die Kunstneuigkeiten, die in der alten Lagune glänzen.