Libro-Pleite: 70.000 Aktenordner schwer

70.000 Aktenordner

Die Vorwürfe gegen Ex-Manager wiegen schwer

Drucken

Schriftgröße

Das Schriftstück wird von seinem Empfänger bereits sehnsüchtig erwartet. 650 Seiten umfasst das Gutachten, das in den nächsten Tagen beim Wiener Neustädter Untersuchungsrichter Hans Barwitzius einlangen wird. Urheber ist der renommierte Sachverständige Martin Geyer. „Wir hatten eine Frist bis Ende Jänner vereinbart, und die werden wir bis auf wenige Tage einhalten“, sagt Geyer gegenüber profil. Gut drei Jahre hat er in die Causa investiert. Über den Inhalt schweigt er naturgemäß beharrlich: „Von mir werden Sie dazu kein Wort erfahren.“
Mit Vorliegen des Gutachtens fällt nun jedenfalls der mit Spannung erwartete Startschuss für den Prozess um eine der größten Pleiten und möglicherweise einen der spektakulärsten Kriminalfälle des vergangenen Jahrzehnts. „Wenn das Gutachten da ist und keine Fragen mehr aufwirft, kann die Voruntersuchung geschlossen und der Akt an uns übermittelt werden“, erklärt der Leitende Staatsanwalt Werner Nussbaumer. Die Staatsanwaltschaft hat dann zu befinden, ob die Beweislage ausreicht, und gegebenenfalls die Anklage zu verfassen. Nussbaumer selbst will keinen Zeitpunkt nennen, „um die Kollegen nicht unnötig unter Druck zu setzen“. Dem Vernehmen nach könnte die Causa aber bereits im Frühjahr verhandelt werden.

Dickes Konvolut. Der Libro-Akt hat unterdessen beeindruckende Ausmaße angenommen. 258 Seiten umfasst die bereits seit September 2006 vorliegende Anzeige des Landeskriminalamtes Niederösterreich, insgesamt nahezu 1000 Seiten die Gutachten des Sachverständigen. Und die auf mehrere Räumlichkeiten aufgeteilten Beweismittel füllen mittlerweile über 70.000 Aktenordner. „Genau weiß das niemand“, sagt ein Ermittler. „Wir haben nur die Zahl der Paletten gezählt, auf denen sie stehen, und dann hochgerechnet.“
Die unter der Aktenzahl 33UR180/02f erhobenen Vorwürfe dürften einige prominente Manager des Landes in erheblichen Erklärungsnotstand bringen. Die von der Abteilung Wirtschaftskriminalität beim Landeskriminalamt Niederösterreich ausformulierten und teils durch die Gutachten untermauerten Vorwürfe lauten auf Bilanzfälschung betreffend das Geschäftsjahr 1998/99 und Untreue. Insgesamt sollen zwölf Personen in den Fall, der mit dem Konkurs der Libro AG im April 2002 (Passiva: 305 Millionen Euro) sein wirtschaftliches Ende fand, verwickelt sein: die ehemaligen Vorstände André Maarten Rettberg und Johann Knöbl, die Aufsichtsräte Kurt Stiassny (Präsident), Georg Wailand, Wilfried Millauer und Christian Nowotny, die Wirtschaftsprüfer Bernhard Huppmann, Michael Vertneg und Claudia Badstöber (alle Auditor Treuhand) sowie die mit der Prüfung der Libro-Bilanz 1998/99 betrauten KPMG-Gutachter Gottwald Kranebitter, Friedrich Lang und Regina Reiter. Alle bestreiten die Vorwürfe bis heute entschieden, für alle gilt bis zum Fall einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung.
Während das Gutachten von Martin Geyer naturgemäß eine nüchterne, penible und buchhalterische Auflistung aller fragwürdigen und inkriminierten Finanztransaktionen sein dürfte, birgt die profil vollständig vorliegende Anzeige der Kriminalisten eine wahre Flut von Vorhalten und Anschuldigungen.

Schwere Geschütze. Der zentrale Vorwurf betrifft den nach Ansicht der Ermittler „geschönten Jahresabschluss der Librodisk Handels AG“ (später Libro AG) zum 28. Februar 1999. Zitat: „Im Jahresabschluss werden (…) Datumsangaben falsch dargestellt (Bestätigungsvermerk, …), Verträge falsch dargestellt, Ergebnisse von Tochterfirmen einbezogen, die zu dem Zeitpunkt noch nicht geprüft sind bzw. nicht mehr zum Konzern gehören u.v.m.“ Ausgehend von einem bereits seit Ende 2004 vorliegenden Teilgutachten sei etwa die Tochtergesellschaft Libro Deutschland um 116 Millionen Schilling zu hoch bewertet worden. Im Februar 1999 war es innerhalb der Gruppe zu Umschichtungen gekommen. Vorstandschef Rettberg ließ das Deutschland-Geschäft von Librodisk an eine Konzerntochter übertragen. Obwohl Libro Deutschland damals Verluste schrieb, wurde dafür intern ein Kaufpreis von 140 Millionen Schilling verbucht. Gutachter Geyer war bereits in einer profil vorliegenden ersten Teilexpertise zum Schluss gekommen, dass „der Wertansatz für Libro Deutschland zum 28.2.1999 mit einem Betrag in Höhe von 140 Millionen Schilling nicht gerechtfertigt und nicht plausibel“ sei. Vielmehr wäre „der Wert der Beteiligung Libro Deutschland mit null … respektive dem Buchwertschilling anzusetzen gewesen“. Weiter heißt es darin: „Die Aufwertung von Libro Deutschland auf 140 Millionen Schilling führte unter Berücksichtigung von latenten Steuern in Höhe von 23,9 Millionen Schilling zu einer Erhöhung des Bilanzgewinnes um 116,1 Millionen Schilling. Der Bilanzgewinn 1998/99 wurde in Höhe von 447 Millionen Schilling bilanziert, davon wurden 440 Millionen Schilling als Sonderdividende ausgeschüttet. Unter Berücksichtigung einer nicht gerechtfertigten Bewertung der Tochtergesellschaft auf 140 Millionen Schilling ergibt sich, dass die vorgenommene Gewinnausschüttung um zumindest 109,1 Millionen Schilling zu hoch gewesen ist.“
Die Ermittler wollen zudem noch weitere Unstimmigkeiten entdeckt haben. Unter der Rubrik „Korrekturposten“ werden aufgelistet: „Pre-Opening Zuschuss Steffl“ mit 7,48 Millionen Schilling, „unzulängliche Kurssicherung und notwendige Kreditaufwertung“ mit 9,3 Millionen, eine „virtuelle Filiale 99“ mit 76,9 Millionen Schilling sowie „nicht fakturierte Warenlieferungen“ in der Höhe von 31 Millionen Schilling. In Summe ergebe sich daraus ein Korrekturbedarf von 239,78 Millionen Schilling. Zieht man diesen Betrag vom offiziell ausgewiesenen Bilanzgewinn von 214 Millionen ab, bliebe unter dem Strich sogar ein Verlust von 25,78 Millionen Schilling. Nicht eben der Stoff, aus dem die Börseträume sind.

Vorsatz? Laut Anzeige sind diese mutmaßlichen Fehlbuchungen aber nicht auf einen Irrtum zurückzuführen, sondern seien vielmehr geplant gewesen. Zitat: „Sämtliche Schönungsmaßnahmen erfolgen aus dem Anlass, um eine Ausschüttung/Dividende von mindestens 440 Millionen zu ermöglichen – somit die Ankaufskredite, die in der UD-AG eingebettet sind, zurückführen und in der Folge durch Verschmelzung eine Börse-fähige Gesellschaftsstruktur herstellen zu können.“ Zum Verständnis: Libro war 1978 von der Handelskette Billa, damals noch unter Karl Wlaschek, gegründet worden. 1996 kam es zum Management-Buy-out, bei dem neben Rettberg auch die Unternehmens Invest AG und deren damalige Muttergesellschaft Deutsche Beteiligungs AG Anteile übernahmen. Als Holding wurde die UD-Beteiligungs- und Beratungs-AG eingerichtet. Ein beträchtlicher Teil des Kaufpreises war über Kredite finanziert und Aktien waren als Sicherheit verpfändet worden. Die Sonderdividende diente also – zumindest nach Ansicht der Kripo – dem Zweck, diese Aktien freizubekommen und beim Börsegang verkaufen zu können. Im Gegenzug hatte nun allerdings die Libro AG die Schulden am Hals. Denn laut Gerichtsakt musste das Unternehmen Geld aufnehmen, um den Dividendenwusch der Eigentümer befriedigen zu können. Zitat: „Die Dividende wurde in ihrer gesamten Höhe durch Fremdmittel finanziert: ATS 190 Millionen über die Bank Austria Creditanstalt, 250 Millionen über die P.S.K.“

Die Kriminalisten haben in ihrer mehr als fünf Jahre dauernden Arbeit aber noch eine Reihe weiterer mutmaßlich brisanter Details zutage gefördert. „Es besteht der begründete Verdacht, dass André M. Rettberg aufgrund einer Treuhanderklärung vom 17.2.1992 an der Pagro Handels GmbH (Stammkapital 500.000 Schilling) mit 50.000 Schilling beteiligt war, obwohl ihm das betriebsintern strikt verboten war.“ Einen entsprechenden Notariatsakt wollen die Ermittler in einer Box in einem Mietlagerraum in Wien gefunden haben. Libro soll bei der Gruppe – damals die Nummer zwei hinter Libro im Papiereinzelhandel – Büroartikel um bis zu 25 Prozent zu teuer eingekauft und Pagro damit einen Umsatz von 160 Millionen Schilling im Jahr zukommen haben lassen.
Auch mit zwei anderen Unternehmen wurden, wie es scheint, zumindest fragwürdige Geschäftsbeziehungen unterhalten. So liegt den Kriminalisten ein nicht unterzeichnetes Exemplar eines Treuhandvertrages von Rettbergs Frau Barbara betreffend eine 33-Prozent-Beteiligung an einem Salzburger Unternehmen vor, bei dem der Libro-Chef selbst 49.000 Uhren und 500 Snowboards bestellt haben soll – in beiden Fällen zu weit überhöhten Preisen. Bei einer Wiener Gesellschaft namens Web 3000 Internet Marketing, an der Rettberg und sein Co-Vorstand Johann Knöbl mit jeweils fünf Prozent beteiligt gewesen sein sollen, seien im Jahr 2000 zudem in großem Stil Internettelefone bestellt worden. Ein Jahr später wurde das Unternehmen liquidiert. André Rettberg bestreitet all das gegenüber profil entschieden: „Diese Vorwürfe entbehren jeder Grundlage“.

Komplexer Sachverhalt. Wer von den Angezeigten wie tief in die Causa verstrickt oder über die mutmaßlich fragwürdigen Vorgänge zumindest informiert war, lässt sich aus den bisherigen Akten nicht ganz zweifelsfrei ersehen. Wilhelm Rasinger, Präsident des Interessenverbandes für Kleinanleger, dessen Anzeige die Ermittlungen in Gang gesetzt hatte, ist jedenfalls zurückhaltend: „Es ist schwierig, solch komplexe wirtschaftliche Vorgänge durch die Strafgesetzgebung einzufangen.“

Die Kriminalisten kommen jedenfalls zur Schlussfolgerung, dass „der Aufsichtsrat in beinahe sämtliche Belange“ bis hin zu „kleinsten Filialeröffnung“ involviert gewesen sei und in der Aufsichtsratssitzung vom 27. Jänner 1999 auch über die „schlechten Wirtschaftszahlen“ für das Geschäftsjahr 1998/99 in Kenntnis gesetzt worden sein soll. Werner Kratochwil, damals vom Betriebsrat in den Aufsichtsrat der Libro AG delegiert, hat dazu seine eigene These. Zitat aus einer polizeilichen Einvernahme vom 22. Juli 2005: „Mag. Stiassny war nach meiner Einschätzung das Hirn … Er gab die Projekte und die Umsetzung vor, und Rettberg musste es erledigen.

Von Martin Himmelbauer