In Gottes Namen

In Gottes Namen

Ägypten. Die radikalen Salafisten gehören zu den Wahlsiegern. Nun wollen sie das ganze Land erobern

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Gerald Drißner, Alexandria

Ist es der Wind, der so heftig vom Mittelmeer weht, dass der Müll durch die Straßen Alexandrias fliegt? Oder sind es am Ende doch wieder die Frauen? Irgendjemand muss ja Schuld haben, dass der Scheich, der oben auf dem Podium sitzt, seit 20 Minuten wartet, bis er endlich reden darf. Er sieht den Männern unten rechts zu, die große Mühe haben, ein schweres, drei Meter hohes Tuch mit islamischen Mustern an vier Dattelpalmen anzubinden. Es soll eine Art improvisierter Blickschutz werden für die zwölf Personen, die auf Stühlen sitzen und aussehen, als hätte ihnen jemand einen langen schwarzen Sack über den Körper gestülpt; es sind mutmaßlich Frauen.

Wer mit diesem Käfig nun vor wem geschützt werden soll und vor allem warum, das ist nicht ganz klar. Klar ist aber, dass die 400 Männer, die sich an diesem Freitagabend auf dem Midan-El-Mitafi-Platz etwas außerhalb des Zentrums von Alexandria versammelt haben, ein Zeichen setzen wollen: Wir sind gar nicht so schlimm, wie alle denken! Wir haben Frauen unter uns! Oder, wie der Scheich auf dem Podium ins Mikrofon lärmt: "Männer und Frauen sind bereit für Gottes Auftrag!“

In Ägypten ist es Mode geworden, öffentliche Konferenzen zu veranstalten. Mal geht es um die Wirtschaft, mal um die Zukunft, mal um irgendwie alles und nichts, so wie bei den Salafisten. Das Viertel ihres Treffens heißt El-Seyuf. Auch nach ägyptischen Maßstäben ist es eine arme und kaputte Gegend. Hier wohnen viele Fans von Abd El-Moneim El-Schahat, dem Scheich auf dem Podium, studierter Ingenieur, Jahrgang 1970. Der Bart ist obligat, die Hochwasserhosen auch, denn die soll der Prophet ja schließlich auch so getragen haben als Zeichen gegen die Angeberei. Seiner Stimme sagt man nach, sie sei ein "Zilzaal“: ein Erdbeben.

Abd El-Moneim ist der Sprecher des Dachverbands der Fundamentalisten, der Al-Da’wa Al-Salafeya. Das erste Wort könnte man mit "Aufruf“ übersetzen; das zweite heißt so viel wie "Zurück zu den Wurzeln“. Also ins siebente Jahrhundert, als Mohammed, der Prophet des Islams, die Menschen in Arabien mit seinem Lifestyle begeisterte. Abd El-Moneim sieht sich dieser Tradition verpflichtet. Also forderte er, dass die Pyramiden mit Wachs überzogen werden müssten, "weil die pharaonische Kultur verderblich“ sei. Ein andermal ließ er die Statue einer Meerjungfrau verschleiern. Unlängst sagte er, Demokratie sei etwas für Atheisten, die Todfeinde des Islams.

Abd El-Moneim ist damit zu einem Star auf YouTube und Facebook geworden, geliebt von seinen Fans und gehasst von den jungen Menschen, die von einem neuen Ägypten träumen. Doch nun, wenige Wochen vor dem Ende der komplizierten Parlamentswahlen, ist der bullige Mann plötzlich auf den Titelseiten der Zeitungen: El-Nur, die Partei der Salafisten, soll im ersten von drei Wahlgängen jede vierte Stimme abgegriffen haben. In Alexandria haben die Salafisten gar ein Drittel der Wähler auf ihrer Seite, nur knapp geschlagen von den Muslimbrüdern (siehe Kasten).

Der Wind lässt nach, auf der Konferenz wird Tee ausgeschenkt, es ist kalt für einen Novemberabend in Alexandria, 18 Grad. Ein Video beschreibt, wie die "ägyptische muslimische Identität korrumpiert“ wurde: Zinsen, Bier, Bikini, Korruption. Also soll das alles weg. Und das ginge, wenn man die Scharia in Ägypten einführte, das islamische Gesetz. Das hätte zur Folge, dass "die Gesellschaft rein wird“ und "jedem Bürger ein Sitzplatz in einem Bus garantiert“ werde, sagt der Scheich. Die Scharia habe schließlich nichts mit Bestrafung zu tun: "Wir würden nur fünf Prozent der Diebe die Hand abhacken.“

Vor mehr als 2000 Jahren war Alexandria die vielleicht hippste Stadt der Welt, in der griechische Denker, homo wie hetero, über Gott und die Welt nachdachten. Bis ins 20. Jahrhundert war es eine Handelsmetropole. Heute ist die Stadt wirtschaftlich heruntergekommen. Und sie ist die Hochburg der radikalen Islamisten Ägyptens. Beobachter nennen die einstige "Braut des Mittelmeers“ bereits "Hauptstadt des Salafismus“ - und von hier aus wollen die Salafisten das ganze Land erobern.

Die Küstenstraße Alexandrias, wo abends Pärchen Händchen halten, ist vollgesprayt mit Graffiti, die gemahnen: "Würdest du das bei deiner Tochter akzeptieren? Allah sieht alles!“ Zuletzt zertrümmerten Salafisten einen Alkoholladen und schmierten auf den Eingang: "Geschlossen von Allah!“ In Oberägypten schnitten sie einem Christen ein Ohr ab, weil er eine Wohnung an eine Gruppe muslimischer Frauen vermietete, die angeblich darin Sex hatten. Und im Nildelta machten sie fünf Schreine der Sufis platt, der Anhänger des mystischen Islams.

Ältere Ägypter wie Nageeb Karim, 73 Jahre alt und pensionierter Professor, suchen die Ursache für diesen Fanatismus in den siebziger Jahren. Anwar El-Sadat war damals Präsident, gewann 1973 einen wichtigen Krieg gegen Israel und wollte sich von der Sowjetunion frei machen. "El-Sadat war es, der den Islamisten Luft zum Atmen gab“, sagt Nageeb. Denn die streng Religiösen sollten die lästigen Sozialisten und Kommunisten im Land kontrollieren, die als "Kuffar“ galten, als Ungläubige. Das funktionierte auch ganz gut, bis El-Sadat mit Israel Frieden schloss. Im Oktober 1981 wurde er auf einer Militärparade erschossen - von islamischen Fundamentalisten.

Dann kam Hosni Mubarak, und auch ihm passten die Salafisten in die Karriereplanung. Er wusste, dass buchgläubige Muslime ihrem Führer nicht trotzen dürfen, egal, wie schlecht dieser auch sein mag - so lesen sie es in den islamischen Texten. "Die Muslimbrüder aber wollten Politik machen und prallten damit auf die Salafisten“, sagt Nageeb. Somit hätten die Muslimbrüder, Millionen an der Zahl, Mubarak gefährlich werden können. Also ließ er sie verbieten und erteilte den Salafisten Lizenzen für Satellitenkanäle, damit sie ihre Propaganda unters Volk bringen konnten.

In den neunziger Jahren nahm Scheich Muhammad Hussein Yaqoub, einer der Scharfmacher unter den salafistischen Predigern, einen Vortrag auf und spielte ihn auf Kassette. Der Titel: "Warum betest du nicht?“ Darin sprach er über das Leben und Leiden auf Erden und wurde auch recht konkret: "Ich habe den Raucher meinen muslimischen Bruder genannt und die Unverschleierte meine Schwester. Aber derjenige, der nicht betet, was soll ich zu ihm sagen? Jedenfalls nicht, dass er mein Bruder ist!“

Die Kassette war beliebt bei den Fahrern von Minibussen und Taxis, was dazu führte, dass die Stadt damit dauerbeschallt wurde. Die Botschaften trafen ins Mark einer Gesellschaft, die aus Angst vor der Hölle im Zweifel lieber betete, als Spaß zu haben. "Du kannst einen Scheich, der den Koran auswendig rezitieren kann, nicht einen Idioten nennen“, sagt Abdallah Hassan, 24. Er hat Wirtschaft studiert und wohnt in Sidi Bischr, einem Stadtteil, in dem Silvester vor einem Jahr 21 Christen bei einem Bombenanschlag ermordet wurden. Seit der Revolution geht er auf die Straße und erklärt den Menschen, warum Demokratie und Islam keine Widersprüche sind. Für ihn hat der Westen Schuld daran, dass die Salafisten so massiven Zulauf bekommen haben. "Nach 9/11 habt ihr uns keine Visa mehr erteilt“, sagt Abdallah. Also gingen viele Ägypter in die Golfstaaten und suchten nach Arbeit, vor allem in Saudi-Arabien. Zurück aber kamen sie nicht nur mit Geld, "sondern auch mit einer Ideologie“.

In Abdallahs Nachbarschaft lebt Yassir El-Burhami, der zu den Gründern der Salafisten in Alexandria zählt. Der studierte Kinderarzt, geboren 1958, adelte Osama Bin Laden als Märtyrer, "der erhobenen Hauptes in den Tod ging“. Er ist der Spiritus rector der Salafisten in Ägypten. Seine Kadertruppe schickt er zu den Satellitensendern Al-Nas, Al-Rahman und Al-Hikma, die in vielen Imbissen und Kiosken 24 Stunden lang laufen. Meistens aber kümmert er sich um seine Webseite "Sawt Al-Salaf“, die Stimme der Salafisten, wo ihn seine Anhänger um Rat fragen. "Ich bin ein Taxifahrer und sehe einen Priester. Darf ich ihn mitnehmen?“, fragt ein Mann. "Das ist schlimmer, als jemanden zu einer Bar zu fahren“, antwortet der Scheich.

1000 der 4000 Moscheen Alexandrias sollen von Salafisten kontrolliert sein, zu erkennen eigentlich nur an den Videos in der Bibliothek und den Predigten. Denn Muslimbrüder reden mehr über das Diesseits, Salafisten über das Jenseits, das Höllenfeuer und das Paradies. "Und sie hassen den Iran mehr als Israel“, sagt Abdallah, der Webdesigner. Denn im Iran leben die meisten Schiiten - und diese sind Ungläubige in den Augen der sunnitischen Salafisten. Deshalb sind sie die besten Missionare gegen den Iran, was den Golfstaaten besonders gut passt. Und das lassen sie sich auch etwas kosten. Erst neulich berichtete die Zeitung "Al Akhbar“, dass Katar, Kuwait und Saudi-Arabien im vergangenen Jahr 50 Millionen Dollar an eine salafistische Organisation in Ägypten überwiesen haben sollen.

Für den Westen verheißt das nichts Gutes. Mit den Muslimbrüdern kann man reden, sie sind im Zweifel lieber pragmatisch als radikal. Die Salafisten aber teilen die Welt in Gut und Böse ein - in Gläubige und Ungläubige. Und der Westen ist in ihren Augen ungläubig.

Es ist halb elf Uhr abends, auf dem Midan-El-Mitafi-Platz lässt die Stimme von Abd El-Moneim plötzlich nach. Drei Stunden hat er nun monologisiert. Bevor er seine Aktentasche schnappt und abtritt, gibt er seinen Anhängern aber noch etwas mit auf den Weg: "Gott hat uns die Revolution geschenkt und prüft uns jetzt. Wir werden in Ägypten das Licht anmachen und das Land von der Traurigkeit befreien.“ Es klingt wie eine gefährliche Drohung.