Affäre AMIS: Endstation Paradies

Böhmer und Loidl gingen den Behörden ins Netz

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Sie taten alles, um ihre Spuren nicht zu verwischen: reisten gemeinsam mit den eigenen österreichischen Pässen, buchten Tickets unter ihren richtigen Namen, telefonierten ungeniert in aller Welt herum – und wähnten sich offenbar trotzdem in Sicherheit.

Am Mittwoch vergangener Woche nahm die Flucht von Dietmar Böhmer und Harald Loidl, langjährige Vorstände und Aktionäre der kollabierten Wiener Fondsgesellschaft AMIS, ein jähes Ende: Die wegen mutmaßlichen Anlagebetrugs per internationalem Haftbefehl gesuchten Manager gingen in Venezuela Ermittlern des österreichischen Bundeskriminalamts (BK) in die Falle.

„Die beiden waren völlig perplex, als wir plötzlich vor ihnen gestanden sind“, sagt Helmut Reinmüller, Chef der BK-Zielfahndung: „Sie haben mit allem gerechnet – nur nicht mit österreichischen Beamten.“

34 Tage lang hatte das Duo versucht, sich dem Zugriff der Behörden zu entziehen, mehr als 11.000 Kilometer waren Böhmer und Loidl gereist: erst von Wien nach Miami, dann weiter nach Fort Myers an der Westküste Floridas, von dort nach Caracas und schließlich nach Porlamar auf der venezolanischen Isla Margari-ta.

AMIS, das Protokoll einer Fahndung: Am Donnerstag, dem 27. Oktober, stellen Fahnder des Bundeskriminalamts in Wien mehrere Wohnungen und Büros auf den Kopf. Sie suchen nach Beweismaterial für schwer wiegende Verdachtsmomente. Nur wenige Tage zuvor hat die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) bei der Staatsanwaltschaft eine Sachverhaltsdarstellung eingebracht. Inhalt: mutmaßliche Unregelmäßigkeiten in den AMIS-Büchern zulasten der Kunden. Böhmer und Loidl halten sich zu diesem Zeitpunkt zwar noch in Österreich auf, sind für die Polizei aber nicht greifbar.

Am Freitag, dem 28. Oktober, erlässt Staatsanwalt Georg Krakow einen Haftbefehl gegen die beiden. Zu spät. Böhmer und Loidl sitzen bereits im Flugzeug nach Florida. Dort, im beschaulichen Fort Myers, knapp zwei Autostunden von Miami, spekulieren sie seit Jahren gleichsam im Nebenerwerb mit Immobilien; dorthin könnte nach Erkenntnissen der Behörden auch ein Teil der verschwundenen Anlegermillionen geflossen sein. Dort hat einer der beiden eine Lebensgefährtin.

Nur eine Woche später setzen sie sich erneut ab. „Wir gehen davon aus, dass ihnen in den USA der Boden zu heiß geworden ist“, sagt Ermittler Reinmüller. Diesmal geht es Richtung Venezuela. Dort, glaubt das Duo offenbar, sei eine Auslieferung nach Österreich mangels bilateraler Abkommen unmöglich.

Was die Flüchtigen nicht wissen: Die BK-Zielfahnder sind ihnen zu diesem Zeitpunkt längst auf der Spur. Die US-Behörden haben umstandslos die Flugdaten von Böhmer und Loidl herausgerückt. Drei Mann hoch setzen sich die österreichischen Ermittler Mitte November nach Caracas in Marsch.

Diplomatie. Dort beziehen sie am Sitz der österreichischen Vertretung im Gebäudekomplex „Torre las Mercedes“ in der Avenida La Estancia ein kleines Büro, das Botschafterin Marianne Dacosta eilig für sie frei gemacht hat. Mehr noch: Inzwischen sind höchste diplomatische und politische Kreise mit der Causa befasst. Obwohl Venezuela bei der internationalen Strafverfolgung gemeinhin nicht eben kooperativ ist, gelingt es Dacosta, Innen- und Justizminister Jesse Chacon zu einer weit reichenden Zusammenarbeit zu bewegen.

„Die Botschafterin unterhält beste Kontakte zur Regierung“, sagt der in Caracas stationierte Konsul Walter Rehberger. Eine knappe Woche später zieht sich das Netz um Böhmer und Loidl bereits eng zusammen. Dacosta erwirkt einen nationalen venezolanischen Haftbefehl und organisiert zudem die Überwachung eines verdächtigen Handys, das kurz zuvor beim Telefonanbieter Digitel angemeldet wurde. Nach Erkenntnissen des BK sind von diesem Anschluss aus mehrfach Gespräche nach Österreich und Florida geführt worden, was auch die US-Behörden bestätigen.

Am 27. November scheint klar, dass sich die Gesuchten auf der Ferieninsel Margarita 40 Kilometer vor der Küste aufhalten. „Das war immer noch ein Suchgebiet von mehr als tausend Quadratkilometern“, resümiert Fahnder Reinmüller. Also legen sich die Beamten in der Hauptstadt Porlamar, genauer vor der Sambil Mall, dem größten Einkaufszentrum der Insel, auf die Lauer. „Es war davon auszugehen, dass sie sich dort irgendwann für den täglichen Bedarf eindecken.“ Eine Geduldsprobe. Volle zwei Tage harren die Ermittler aus, ehe Böhmer und Loidl am 30. November um 20 Uhr auftauchen. 45 Minuten später greifen die österreichischen Zielfahnder, unterstützt von einem Dutzend lokaler Polizisten, zu.

Seit vergangenem Wochenende weilen die ehemaligen AMIS-Manager in einem Knast der Hauptstadt Caracas. Und wollen dem Vernehmen nach nur noch eines: nach Hause. „Die Gefängnisse hier sind ein Horror“, so Konsul Rehberger, „wenn sich herumspricht, dass da Österreicher sitzen, die möglicherweise Zugang zu viel Geld haben, könnte es für die beiden gefährlich werden.“ Laut venezolanischer Statistik wurden in den Justizanstalten des Landes alleine heuer 380 Häftlinge ermordet.

Von Michael Nikbakhsh und Martin Staudinger