Affäre Grasser

Affäre: Der unbeteiligte Dritte

Der unbeteiligte Dritte

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Karl-Heinz Grasser scheint keine großen Zukunftspläne zu haben. Die Rubrik „Kalender“ auf der inzwischen berühmten Website www.karlheinzgrasser.at bleibt leer. Kein Termin im Jänner, keiner im Februar, und auch für März und April hat sich der Finanzminister offenbar nichts vorgenommen. Wo früher liebevoll jeder Empfang und jede Dienstreise avisiert und selbst kleinere Ordensverleihungen pompös angekündigt wurden, klafft jetzt bloß eine Leerstelle.

Man kann es Grasser nicht verdenken, dass er langsam die Lust am politischen Geschäft verliert: Kaum glaubt er die leidige Affäre um die Spende der Industrie, die merkwürdige Homepage, die nicht versteuerten Vortragshonorare und den ominösen Sozialfonds los zu sein, tauchen schon wieder neue Vorwürfe auf. Besonders lästig für ihn ist, dass immer neue Details immer längere Schatten auf das Treiben im Umfeld des Ministers werfen.

Zuletzt waren dem Wochenmagazin „News“ einige Informationen über Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft zugegangen. Und auch diese – sehr bruchstückhaften – Neuigkeiten könnten für KHG höchst unangenehm werden. So hat die Staatsanwaltschaft festgestellt, dass der Grasser-nahe Verein zur Förderung der New Economy im Jahr 2001 nicht, wie bisher stets angegeben, rund 175.000 Euro, sondern 283.000 Euro von der Industriellenvereinigung (IV) bekommen hat – damals knapp vier Millionen Schilling.

Davon sollen laut Staatsanwaltschaft 9900 Euro an Grassers Sozialfonds geflossen sein. Da es diesen Sozialfonds aber erst seit zwei Wochen gibt, die Justiz die zitierten Details aber schon im Herbst ermittelt hatte, war die milde Gabe noch an das Grasser zuzurechnende Konto bei der Notariatsbank gegangen. SPÖ-Finanzsprecher Christoph Matznetter hat deshalb eine neue Sachverhaltsdarstellung an die Justiz abgeschickt: Es sei zu prüfen, ob persönliche Vorteilannahme durch den Finanzminister vorliege.

Doch das ist noch nicht alles: Die Staatsanwaltschaft kommt anders als die Grasser unterstehende Finanz zum Schluss, der von Grassers Freund und Kabinettschef Matthias Winkler geführte New-Economy-Verein könnte durchaus steuerpflichtig sein. Und schließlich der große Hammer: Gegen Winkler werden Voruntersuchungen durchgeführt, die vielleicht sogar in Richtung „Verdacht von Untreue“ (§ 153 StGB) ausgeweitet werden. Laut „News“ denken Strafjuristen schon darüber nach, ob nicht auch gegen Grasser selbst wegen des Verdachts der Anstiftung zur Untreue ermittelt werden müsse.

Was geschah mit dem Geld? Zwar ändert die neue Faktenlage rechtlich wenig an der bereits bekannten Situation – Steuerpflicht bestand für den Grasser-Verein nach Meinung praktisch aller Experten schon bisher. Dringlicher denn je stellt sich allerdings die Frage, was mit dem vielen Geld der Industriellenvereinigung geschah.

Außer der Homepage mit den süßen Grasser-Babyfotos entwickelte der Verein bisher keine sichtbaren Aktivitäten. Die Website kann laut Kostenschätzungen, die profil bei Internet-Firmen einholte, maximal 20.000 Euro gekostet haben. Dazu kommen einige von der Staatsanwaltschaft jetzt erhobene Posten: jene rund 10.000 Euro, die an den Sozialfonds gingen; 4860 Euro, die Vereinsobmann Winkler für Bewirtung verbuchte und eine unbekannte Summe für Beratungskosten.

Das alles ist aber nur ein Bruchteil der insgesamt 283.000 Euro, die von der Industriellenvereinigung spendiert worden sind.

Nach profil vorliegenden Informationen wurde der Betrag in zwei Tranchen überwiesen: Die erste Rate bestand im Frühjahr 2001 aus jenen 174.000 Euro, die später öffentlich zugegeben wurden. Ein halbes Jahr später wurden knapp 110.000 Euro nachgeschossen.

Im Generalsekretariat der Industriellenvereinigung war nach dem Platzen der Affäre im Sommer 2003 heftig darüber diskutiert worden, ob die gesamte Summe eingestanden werden solle, erzählt ein Vorstandsmitglied der IV. Schließlich habe sich Generalsekretär Lorenz Fritz – er hatte die Spende veranlasst – durchgesetzt.

Möglicherweise nicht ohne Hintergedanken: Bei einer Summe von 175.000 Euro wären 66.458 Euro an Schenkungssteuer fällig gewesen – eine Betragshöhe, bei der es im Falle der Nichtbezahlung bloß ein Verwaltungsverfahren gegeben hätte. Bei der 283.000-Euro-Spende wären aber fast 119.000 Euro an Schenkungssteuer angefallen – dafür ist bei Steuerhinterziehung dann schon das Gericht zuständig.

Verständlich wird so auch der Eiertanz von IV-General Fritz bei Fragen nach der genauen Spendenhöhe:

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Causa sprach er vergangenen Juni gegenüber „Standard“-Kommentator Hans Rauscher von „75.000 Euro bzw. den Gründerkosten, die einen noch höheren Betrag ausmachten“. Einen Tag später spekulierte die Wiener Stadtzeitung „Falter“ über eine Spendenhöhe von „220.000 bis 250.000 Euro“, wobei Fritz nun schon eine Zahlung von „zweimal 75.000 Euro“ zugab. Wiederum zwei Tage darauf vermeldete „Format“, die Industrie habe dem Grasser-Verein 175.000 Euro zur Verfügung gestellt. Im „Standard“ war Fritz am selben Tag ganz genau: 174.414 Euro und 80 Cent habe der New-Economy-Verein bekommen. Dasselbe Blatt mutmaßte wenig später, dem Duo Grasser/Winkler könnten bis zu 260.000 Euro zugeflossen sein, weil es auch großzügige Einzelspender gegeben habe.

Bestätigt wurde diese Zahl nie.

Vielmehr schrieb Fritz seinen Mitgliedern einen Rechtfertigungsbrief, in dem er sie beruhigte, die Industriellenvereinigung gebe ohnehin nur 2,5 Prozent der Gesamtbudgets für Spenden an die Politik aus – also nicht mehr als 300.000 Euro. Wenn das stimmt, erscheint es bemerkenswert, dass allein der Grasser-Verein 283.000 Euro bezogen hat.

Randnotiz. Als verhängnisvoll könnte sich für den Finanzminister eine kleine, damals kaum beachtete Randnotiz im „Falter“ vom 18. Juni 2003 erweisen. Die Stadtzeitung hatte damals Christoph Neumayer, den Sprecher der Industriellenvereinigung, folgendermaßen zitiert: „Grasser ist an die Industriellenvereinigung herangetreten und hat um Spenden ersucht. Wir sind der Aufforderung nachgekommen, weil wir den wirtschaftsliberalen Flügel der FPÖ stärken wollten.“

Demnach wäre die Initiative für die Spende von Grasser selbst ausgegangen. Genau darin könnte der Staatsanwalt nun den Tatbestand der Anstiftung erfüllt sehen. In diesem Fall würde auch gegen den Finanzminister ermittelt – als Minister wäre Grasser dann nicht mehr zu halten.

Gegenüber profil sagte Neumayer vergangenen Donnerstag, er sei damals vom „Falter“ falsch zitiert worden: „Die haben mich an einem Freitag angerufen und nach der Spende gefragt. Ich habe gesagt: Das klingt ja gerade so, als ob Grasser um die Spende ersucht hätte.“ Der „Falter“ dagegen bleibt bei seiner Darstellung; außerdem sei das Zitat bisher nie dementiert worden.

In der Branche kursiert eine nicht unplausible Darstellung des tatsächlichen Ablaufs. Demnach sei Grasser im Frühjahr 2001 bei einem Besuch im Haus der Industriellenvereinigung am Wiener Schwarzenbergplatz der neue, äußerst aufwändige Newsroom gezeigt worden. So etwas hätte er halt auch gern, habe der Finanzminister geseufzt. Da ließe sich schon was machen, wurde ihm daraufhin angedeutet.

Wenig später erschien Grasser-Sekretär Winkler, um über Details zu sprechen. IV-General Fritz erklärte später, man habe mit der Förderung Grassers beabsichtigt, der FPÖ Haiders „Kleine-Mann-Politik“ auszutreiben.

Offiziell herrschte in der abermals zur Causa prima avancierten Affäre vergangene Woche diszipliniert gewahrte Funkstille. Staatssekretär Finz ließ über seine Sprecherin erklären, er habe ohnehin schon immer gewusst, dass die Industriespende die nun bekannt gewordene Höhe ausmachte. An seiner rechtlichen Beurteilung – Steuerfreiheit – ändere sich dadurch nichts. Industriellen-General Fritz ging ganz auf Tauchstation. IV-Sprecher Neumayer bat um Verständnis, dass man den Fall bei laufendem Verfahren nicht mehr kommentieren wolle. Dem Bundeskriminalamt seien jedoch alle Dokumente offen gelegt worden.

Auch im Vorstand der Industriellenvereinigung, der Donnerstag zu einer Sitzung zusammentrat, stand die Spende an den Grasser-Verein nicht auf der Tagesordnung. Ein Vorstandsmitglied zu profil: „Solche Spenden gehen nicht durch den Vorstand, sondern werden vom Präsidenten oder vom Generalsekretär direkt abgewickelt.“

„Alles geprüft“. Der Verein zur Förderung der New Economy – in der Person von Grassers Kabinettschef Matthias Winkler – beschränkte sich auf die Erklärung, alles sei durch „zwei unabhängige Finanzämter und zehn unabhängige Finanzbeamte völlig weisungsfrei“ geprüft worden. Auf die Überweisung von 10.000 Euro an den damals noch „in Gründung befindlichen“ Sozialfonds ging der Verein nicht ein.

Karl-Heinz Grasser selbst sieht hinter dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft einfach Finten der Opposition: Zuerst, so der Minister, habe man ihn kriminalisiert. Nun, da man gemerkt habe, dass „wenig Fleisch“ daran sei, konzentriere man sich eben auf seinen Mitarbeiter Winkler. Keck reagierte Grasser auf die Enthüllung der wahren Höhe der Industriespende: „Ich habe nie eine Zahl in den Mund genommen.“ Im Übrigen sei er „ein unbeteiligter Dritter“, weil die Zahlung zwischen der Industriellenvereinigung und seinem Mitarbeiter abgewickelt worden sei.

Grasser-Kabinettschef Winkler kommt nun auch auf ganz anderer Ebene in Probleme.

Er hatte im vergangenen Juni am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien bei Professor Peter Gehrlich seine Diplomarbeit zum Thema „Große versus kleine Koalition in Österreich 1996–2002 – ein Vergleich ihrer wirtschaftspolitischen Reformen“ eingereicht und danach seine Diplomprüfungen absolviert. Seither trägt er den Titel Magister.

In der akademischen Gemeinde sind nach Lektüre von Winklers Diplomarbeit jedoch arge Zweifel an der für solche Weihen erforderlichen Qualität aufgetaucht. In einem profil vorliegenden Gutachten eines Wiener Universitätsprofessors wird das Werk arg zerzaust: Viele der in der Diplomarbeit enthaltenen Zitate seien „Scheinzitate, sie finden sich nicht an den angegebenen Seiten der Bücher, dürften also von woanders her bezogen sein“. Andere Textstellen seien einfach abgeschrieben: „In Bezug auf die Übernahme der nichtzitierten Passagen kann man von einem klaren Plagiat sprechen.“

Manche Kapitel trügen hochtrabende Titel, die durch den Inhalt nicht gedeckt seien. Der Abschnitt „Analyse der wirtschaftlichen Reformmaßnahmen der kleinen Koalition“ etwa enthalte statt einer Analyse bloß eine vom Finanzministerium zusammengestellte Liste der Gesetze der schwarz-blauen Regierung mit finanz- oder wirtschaftspolitischem Charakter.

U-Ausschuss. Das Kapitel „Das politische Umfeld der kleinen Koalition“ liest sich wie ein FPÖ-Pamphlet: „Das Ende der großen Koalition bedeutete: Aus für die rot-schwarze Aufteilung des öffentlichen Sektors … Stopp der missbräuchlichen Verfassungsmehrheit von SPÖVP.“ Der kritisch begutachtende Uni-Lehrer in seiner Zusammenfassung ironisch: „Eine wirklich tiefschürfende Arbeit.“

Als Zugpferd in Wahlkämpfen eignet sich KHG vorerst nicht mehr. Hatte es vor zwei Wochen noch geheißen, Grasser werde Landeshauptmann Franz Schausberger in Salzburg Sukkurs leisten, wollte man dort zuletzt nichts mehr davon wissen: „Die Salzburger ÖVP hat nichts eingeplant“, hieß es im Büro des Landeshauptmanns. Grasser komme zwar gemeinsam mit Wirtschaftsminister Martin Bartenstein in die Stadt, dabei gehe es aber nur um die Steuerreform. Und veranstaltet werde das Ganze ohnehin von der Industriellenvereinigung.