Parmalat-Affäre

Affäre: Drehscheibe Österreich

Drehscheibe Österreich

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Bei Fausto Tonna lagen am Montag vergangener Woche die Nerven blank: „Ich wünsche euch und euren Familien einen langsamen und schmerzhaften Tod“, zischte der ehemalige Finanzchef des insolventen Parmalat-Konzerns in Richtung jener Journalisten, Fotografen und Kameraleute, die in Parma vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft warteten, als Tonna aus der Untersuchungshaft zur Vernehmung vorgeführt wurde.

Gemeinsam mit dem ebenfalls inhaftierten Parmalat-Gründer Calisto Tanzi gilt der 52-jährige Tonna als Drahtzieher eines enormen Betrugsskandals: Über Jahre hinweg sollen Tanzi, Tonna und weitere hochrangige Mitarbeiter von Parmalat, assistiert von einigen Wirtschaftsprüfern und Anwälten, die Bilanzen von Parmalat gefälscht haben. Über ein weit verzweigtes Netzwerk an Holdinggesellschaften wurden – vermutlich bereits seit etwa zehn Jahren – fiktive Geschäfte verbucht, Bankguthaben erfunden, Kontenbestätigungen getürkt und der Wert von Beteiligungen nach oben gejubelt.

Im Dezember flogen die Machenschaften auf, als der italienische Milch- und Lebensmittelkonzern eine Anleihe nicht fristgerecht zurückzahlen konnte. Wenig später stellte sich zuerst heraus, dass nahezu 500 Millionen Euro, die von Parmalat angeblich bei einem spekulativen Investmentfonds namens Epicurum auf den Cayman Inseln veranlagt wurden, nicht verfügbar waren, und wenig später wurde klar, dass der Fonds überhaupt nicht existiert.

Schließlich erwies sich auch ein Bankguthaben in Höhe von beinahe vier Milliarden Euro der Parmalat-Tochtergesellschaft Bonlat Financing Corporation als Schimäre. Die Bank of America, bei der das Geld angeblich gewesen ist, teilte mit, dass ein solches Konto nicht existiert, auch nie existiert hat und daher auch kein Geld vorhanden ist. Die Kontenbestätigung war am Parmalat-Konzernsitz in Collecchio nahe Parma mittels Scanner, Klebstoff und Schere erzeugt worden.

Damit war das Schicksal von Parmalat besiegelt: Der Milchproduktekonzern musste die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen. Aktueller Schuldenstand: geschätzte 13 Milliarden Euro. Rund 120 Millionen davon entfallen, wie die Finanzmarktaufsicht ermittelt hat, auf österreichische Banken. Mit rund 70 Millionen Euro ist die Raiffeisen Zentralbank größter heimischer Kreditgeber bei Parmalat, weitere 25 Millionen entfallen auf drei Raiffeisen-Landesbanken (siehe Tabelle). Mit neun Millionen Euro steht Parmalat bei der Erste Bank in der Kreide.

In Italien laufen die Untersuchungen der Behörden inzwischen auf Hochtouren. Derzeit wird wegen Verdachts des Bilanzbetrugs und Untreue gegen rund 25 Personen ermittelt, einschließlich Parmalat-Gründer Tanzi und Ex-Finanzchef Tonna wurden zehn mutmaßlich Hauptinvolvierte in Untersuchungshaft genommen.

Wien–Südafrika. Unter den Inhaftierten befindet sich, wie profil berichtete, auch Claudio Pessina, Geschäftsführer der Parmalat Austria GmbH und hochrangiger Mitarbeiter der Parmalat-Finanzabteilung. Bislang galt die Parmalat Austria GmbH als weit gehend unbedeutende Zwischenholding mit dem einzig bekannten Geschäftszweck, den im Jahr 2002 zum Preis von 30 Millionen Euro erworbenen 25-Prozent-Anteil am österreichischen Molkereiunternehmen NÖM AG zu halten.

Tatsächlich existierte jedoch die Parmalat Austria GmbH (unter dem Namen Grömig Beteiligungs-GmbH) bereits, lange bevor der italienische Milchkonzern den NÖM-Anteil erworben hat. Eines der Gründungsdokumente trägt die Unterschrift des nun inhaftierten Ex-Finanzchefs Fausto Tonna. Seit Jahren fungiert die österreichische GmbH als eine der zentralen Zwischenholdings, über welche die nun insolvente italienische Nahrungsmittelgruppe direkte und indirekte Beteiligungen an mehr als zwei Dutzend Gesellschaften – unter anderem in Steueroasen wie den Niederländischen Antillen, Malta, Luxemburg, der Isle of Man und den Cayman Islands – hält.

Die Österreich-Tochter erschien Calisto Tanzi und Fausto Tonna offensichtlich besonders geeignet, um heikle Funktionen zu erfüllen. Als die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte & Touche die Werthaltigkeit einer südafrikanischen Beteiligungsgesellschaft namens Parmalat Food Industries South Africa bezweifelte, wurde diese im Jahr 2001 aus dem Bereich einer Parmalat-Finanzholding, die öfters Anleihen begab und somit besonders streng geprüft wurde, an die Parmalat Austria GmbH verkauft. Parallel dazu wurden auch sämtliche anderen afrikanischen Parmalat-Unternehmen an die Wiener Tochtergesellschaft übertragen. Kaufpreis: 179,7 Millionen Euro.

Weil die Österreich-Tochter aber keineswegs über solche Beträge verfügte, blieb sie der verkaufenden Konzerngesellschaft das Geld einfach schuldig. Als Folge weist die Parmalat Austria GmbH in ihrer jüngsten verfügbaren Bilanz, jener über das Geschäftsjahr 2001, Verbindlichkeiten von 179,7 Millionen Euro aus (siehe Faksimile).

Zwei Holdinggesellschaften mit Sitz in Georgetown, der Hauptstadt der Niederländischen Antillen, waren per Jahresende 2001 ebenfalls mit erheblichen Werten in der Bilanz von Parmalat Austria vermerkt: das Finanzvehikel Curcastle mit 32,18 Millionen Euro und dessen Tochtergesellschaft Zilpa mit 1,96 Millionen Euro. Ob diese Zahlen auch nur annähernd den Tatsachen entsprechen, muss mittlerweile als höchst fraglich angesehen werden.

Beide Holdings dienten nämlich nach Aussagen verhafteter Parmalat-Manager über Jahre hinweg als Vehikel für die Bilanzfälschungen: Regelmäßig wurden sowohl in den Bilanzen von Curcastle als auch von Zilpa fiktive Geschäfte über hunderte Millionen Euro verbucht.

Ermittlungen in Österreich. Während Parmalat-Austria-Geschäftsführer Claudio Pessina in Parma in Untersuchungshaft sitzt und regelmäßig von der zuständigen Staatsanwaltschaft einvernommen wird, gibt sich Alexander Walther, der zweite Geschäftsführer der Parmalat Austria GmbH, überaus schmallippig: „Fragen zur Parmalat Austria GmbH können nur am Konzernsitz in Italien beantwortet werden“, meint der 34-jährige Jurist.

Hauptamtlich ist Walther für die Österreich-Filiale der niederländischen TMF-Gruppe tätig, die in mehreren europäischen Staaten und in Übersee Bürocenters betreibt, Amtswege bei Gesellschaftsgründungen erledigt, bei der Erstellung von Steuererklärungen behilflich ist, Holdinggesellschaften eine Postadresse bietet sowie auf Wunsch einen lokalen Geschäftsführer zur Verfügung stellt. So auch für die Österreich-Tochter von Parmalat, die ihren Firmensitz in den Wiener Büroräumen von TMF in der Wipplingerstraße hat.

Dass die Parmalat Austria GmbH – ebenso wie der Mutterkonzern – in die Insolvenz schlittern könnte, will Walther weder bestätigen noch ausschließen: „Solche Fragen kann und darf ich nicht beantworten.“ Persönliche juristische Konsequenzen glaubt der Parmalat-Austria-Geschäftsführer nicht befürchten zu müssen: „Dafür gibt es überhaupt keinen Anlass.“ Etwas ausführlicher wird Walther diese Argumentation wohl schon demnächst den österreichischen Behörden darlegen müssen. Die Staatsanwaltschaft Wien will nach Auskunft des für Wirtschaftssachen zuständigen Leitenden Staatsanwalts Erich Müller nun nämlich das Bundeskriminalamt Wien mit Erhebungen beauftragen, um Klarheit in die Vorgänge rund um die Parmalat Austria GmbH zu bringen.

Dass Österreich im diffusen Netzwerk der Parmalat-Konzerngesellschaften eine überaus wichtige Rolle spielte, dokumentiert unter anderem der Umstand, dass jener schriftliche Gesellschafterbeschluss vom 18. Juni 2002, mit dem Alexander Walther zum Geschäftsführer der damals noch als Grömig GmbH firmierenden Österreich-Tochter von Parmalat bestellt wurde, von Konzernschef Calisto Tanzi höchstpersönlich unterzeichnet wurde (siehe Faksimile).

Eine indirekte Beteiligung hält die Parmalat Austria GmbH – über zwischengeschaltete Gesellschaften auf der Isle of Man, in Luxemburg und Malta – auch an jener Bonalt Financing Corporation mit Sitz in Georgetown, Cayman Islands, die nach dem Erhebungsstand ausschließlich zu Zwecken des Bilanzbetrugs gegründet wurde und deren fiktives Konto bei der Bank of America den Parmalat-Skandal letztlich auffliegen ließ.

Maßgebliche Mitverantwortung dafür, dass es Parmalat-Gründer Tanzi und dessen engsten Mitarbeitern über vermutlich mehr als zehn Jahre gelungen ist, die Bücher und Bilanzen des Milchproduktekonzerns zu türken, vermuten die italienischen Ermittler bei der italienischen Partnerkanzlei der international tätigen Wirtschaftsprüfungssozietät Grant Thornton.

Verhaftete Prüfer. Bis 1998 war Grant Thornton hauptverantwortlich für die Testate der Parmalat-Bilanzen. Da italienische Unternehmen ihre Prüfer alle zehn Jahre wechseln müssen, übernahm daraufhin die Kanzlei Deloitte & Touche das Mandat. Grant Thornton prüfte jedoch weiterhin eine Vielzahl von Parmalat-Tochtergesellschaften. Zwei italienische Geschäftsführer von Grant Thornton wurden in Mailand inhaftiert.

Mittlerweile wurde die italienische Partnerkanzlei aus dem internationalen Grant-Thornton-Netzwerk ausgeschlossen. Trotzdem zeigen sich erste Konsequenzen, die weit über Italien hinausreichen. So hat Countrywide Financial, eine börsenotierte US-amerikanische Finanzgesellschaft, Grant Thornton als Wirtschaftsprüfer abberufen.

Walter Platzer, Universitätsdozent und geschäftsführender Gesellschafter der in Wien ansässigen Grant Thornton Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs-GmbH, ist angesichts der Kalamitäten in Italien konsterniert: „Für den Ruf von Grant Thornton ist das sicherlich nicht förderlich.“ Platzer betont, dass seine Kanzlei „nie Prüfungen oder Tätigkeiten“ für Parmalat oder deren österreichischer Tochtergesellschaft durchgeführt habe.

Außerdem verweist Platzer darauf, dass Grant Thornton eine Organisation auf Mitgliedsbasis ist und solcherart keine wechselseitigen Haftungen oder weiter reichenden Verflechtungen bestünden. Grant Thornton habe durch den Ausschluss der italienischen Partner rasch reagiert und kooperiere mit den Behörden. Ungeachtet der Tatsache, dass die Vorfälle in Italien „alles andere als erfreulich sind“, befürchtet Platzer für seine Wirtschaftsprüfungskanzlei, die unter anderem die Bilanzen von Mobilkom, Telekom Austria und voestalpine prüft, keine negativen Konsequenzen.

Durchaus nennenswerte Auswirkungen könnte der Parmalat-Skandal auf die Eigentümerstruktur der österreichischen Molkereigesellschaft NÖM haben. Enrico Bondi, der im Dezember als Parmalat-Chef eingesetzte Sanierungsexperte, ist derzeit bemüht, zumindest größere Teile des unter Gläubigerschutz agierenden Milchprodukteherstellers zu retten.

Bondi ist in erster Linie bemüht, einen Überblick über die tatsächlichen Vermögenswerte sowie die Ertragslage der zahlreichen Tochtergesellschaften zu gewinnen. Derzeit wird der Plan ventiliert, die lebensfähigen Teile von Parmalat an eine neue Gesellschaft zu übertragen, die dann in das Eigentum der Gläubiger übergehen soll.

Zudem hat Bondi begonnen, nicht zum Kerngeschäft gehörende Beteiligungen zu verkaufen. Davon könnte auch der 25-Prozent-Anteil an der NÖM AG betroffen sein. Erwin Hameseder, Chef der Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien, des Mehrheitsaktionärs bei der NÖM, gibt sich gelassen. Abgesehen von „ein paar hunderttausend Euro“ an Forderungen aus Milchlieferungen habe die Parmalat-Affäre keine weiter reichenden Auswirkungen auf das österreichische Unternehmen. Und sollte Parmalat die NÖM-Beteiligung tatsächlich verkaufen wollen, verfügt Raiffeisen über ein Vorkaufsrecht.

Der Hoffnung, dass die von Parmalat gehaltenen Anteile als Schnäppchen zu haben sein könnten, erteilte Salvatore Lucisano, bei Parmalat für das Geschäft in Zentral- und Osteuropa verantwortlich, vergangene Woche vorerst einmal eine Absage. Sollte es zu einem Verkauf der NÖM-Beteiligung kommen, werde dies sicher nicht zu einem „günstigen Preis“ erfolgen, ließ Lucisano das „WirtschaftsBlatt“ wissen.

Vorsichtiges Interesse zeigt Hameseder auch an anderen Parmalat-Beteiligungen – etwa in Ungarn. „Sollte da etwas zu günstigen Konditionen auf den Markt kommen, werden wir uns das natürlich ansehen“, meint der Raiffeisen-Holding-Chef.

Recht froh ist Hameseder jedenfalls, dass die im Eigentum von Parmalat stehenden NÖM-Aktien über eine österreichische GmbH gehalten werden: „Sollte es zu gröberen Problemen kommen, ist zumindest sicher gestellt, dass österreichisches Recht angewendet wird und der Gerichtsstand in Wien ist.“