Affäre: Ein Hauch von Watergate

Mit dem Staatsapparat in den Wahlkampf

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Der Kronzeuge wartete im Café Eiles, drei Gehminuten vom Parlament – und auslösen konnte ihn nur einer: SPÖ-Klubobmann Josef Cap. Sollte der Innenausschuss des Nationalrats seine Ladung beantragen, dann werde er auch kommen, hatte Österreichs oberster Kriminalbeamter Herwig Haidinger durchsickern lassen. Am Dienstag vergangener Woche, Schlag 12.00 Uhr, rang sich Caps sozialdemokratische Fraktion zu einem Entschluss durch: Gegen die ÖVP stimmte die SPÖ mit der Opposition für Haidingers Ladung. Was der vom grünen Aufdecker Peter Pilz umgehend ins Hohe Haus eskortierte Noch-Chef des Bundeskriminalamts (BKA) dann vor den Abgeordneten des Innenausschusses zu Protokoll gab, erschüttert seither die Republik: In der Bawag-Affäre ermittelnde Beamte wurden angehalten, gezielt Belastungsmaterial gegen die SPÖ beizubringen, diesbezügliche Ergebnisse waren direkt an das Minis­terbüro zu liefern, das vom Banken-Untersuchungsausschuss angeforderte Aktenmaterial sollte vorweg dem ÖVP-Parlamentsklub übergeben werden – und eine schreckliche Fahndungspanne im Entführungsfall Natascha Kampusch musste aus wahltaktischen Überlegungen vertuscht werden.

Dabei ist der vor der Abberufung stehende BKA-Chef alles andere als ein Büttel der Roten oder der Grünen. In seiner Heimat Oberösterreich war Haidinger Sicherheitsexperte der ÖVP, nach Wien holte ihn ÖVP-Innenminister Ernst Strasser, um ihn an der Spitze des Bundeskriminalamts zu installieren. Als Lieferant von Wahlkampfmunition wollte sich der Spitzenbeamte ­allerdings nicht hergeben und riskierte den Konflikt mit seiner Partei. Das ist ihm nicht gut bekommen. profil liegen weitere Belege für den Versuch vor, den Staatsapparat im Wahlkampf 2006 in den Dienst der Parteipolitik zu stellen. Geknackte SPÖ-Konten, Dirty Tricks in Ministerbüros und ein bespitzelter Altbundeskanzler: Ein Hauch von Watergate liegt in der Luft. Nachfolgend eine Chronologie der nun erstmals transparenten Geheimaktionen im schmutzigen Wahlkampf ’06.

31. Mai 2006: Ein merkwürdiges Dossier
Dieser Mittwoch, fast genau vier Monate vor der Nationalratswahl, ist in der österreichischen Innenpolitik ein eher ereignisloser Tag. Die SPÖ kritisiert die Gesundheitspolitik der schwarz-orangen Regierung, die Parteien streiten über den ORF. Schweiz und Italien trennen sich in einem Fußball-Länderspiel remis. Im Finanzministerium in Wien macht Kabinettsmitarbeiter Hans-Georg Kramer im Auftrag seines Chefs Karl-Heinz Grasser ein fünfseitiges Dossier versandfertig. Die beiden Adressaten, Nationalbank-Direktor Josef Christl und Finanzmarktaufsichts-Vorstand Heinrich Traumüller, sind Freunde des Hauses. Sie haben früher selbst an wichtigen Positionen in Grassers Büro gearbeitet. Inhalt des Schreibens: Christl und Traumüller sollen dem Minister aufgrund der ihnen zugänglichen Akten Unterlagen zum Bawag-Skandal zusammenstellen. Die Prinzipien, nach denen sie dabei vorzugehen haben, sind dem Schreiben vorangestellt: „1. Keine Verfehlung der Behörden. Netzwerk der SPÖ verantwortlich für den Schaden in der Bawag und im ÖGB – keine Wirtschaftskompetenz. 3. ÖVP/BZÖ-Regierung rettet die Bawag und 1,3 Millionen Menschen vor der Pleite.“ Und etwas weiter hinten: „2b. Personen identifizieren und Verbindungen ÖGB-SPÖ darstellen.“ Eine merkwürdige Aufforderung: Weder Nationalbank noch Finanzmarktaufsicht sind Strafverfolgungsbehörden – und schon gar nicht Agitprop-Abteilungen einer Partei. Existenz und Inhalt des Papiers werden erst im März 2007, ein halbes Jahr nach der Nationalratswahl, durch eine profil-Enthüllung bekannt (Nr. 10/07). Der Minister habe diese Unterlagen für einen Auftritt im Rechnungshof-Unterausschuss des Nationalrats benötigt, erklärt Grassers Büro damals auf Anfrage.

12. Juli 2006: Ein Kriminalist schert aus
Herwig Haidinger, Chef des Bundeskriminalamts, ist nach der Lektüre der Tageszeitungen entsetzt: Detailliert waren darin Inhalte der Computer-Festplatte des ehemaligen Bawag-Aufsichtsratsvorsitzenden Günter Weninger nachzulesen, die ihm sehr bekannt vorkamen. Er selbst hatte diese vertraulichen und höchst brisanten Informationen kurz zuvor an das Kabinett von Innenministerin Liese Prokop übermittelt – und das mit Bauchweh. Aber er hatte keine andere Wahl: Die Ressortleitung hatte ihm per Weisung aufgetragen, Ermittlungsergebnisse zu Bawag, ÖGB oder SPÖ sofort an das Ministerium zu melden. Außerdem solle er die diesbezüglichen Ermittlungen „vor der Nationalratswahl“ beschleunigen, hatte man verlangt. Und jetzt fand er seine Informationen in der Zeitung wieder … Haidinger verfasst ein Protestmail an den Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit und an das „Büro für Interne Angelegenheiten“ (BIA), zuständig für polizeiinterne Angelegenheiten. Inhalt: Da das von ihm an das Ministerium übermittelte Material jetzt in den Medien auftauche, „habe ich sofort die Entscheidung getroffen, Daten an die Ressortleitung nicht weiter zu übermitteln“.

22. August 2006: Ein Computer läuft heiß
Schon am Vormittag registriert der Großrechner der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) einen Zugriff von außen oder besser: eine ganze Serie von Zugriffen. 258 Anfragen zeichnet das Zählprogramm auf, und sie alle gelten einer sehr sensiblen Datei: der Großkredit-Evidenz der OeNB, in der alle Firmen und Personen vermerkt sind, die einen Kredit in der Höhe von mehr als 350.000 Euro aufgenommen haben. Die Anfragenserie kommt von einer einzigen Stelle, der ­Finanzmarktaufsicht – und es dauert zwei Tage, bis der Computer wieder zur Ruhe kommt. Die FMA interessiert sich nur für ein Thema: Welche Kredite hat die SPÖ bei der Bawag aufgenommen? Bis ins Jahr 1994 wird das Monatsobligo der Roten ausgedruckt – jenes der Bundes-SPÖ, aber auch die Konten der Landesparteien und der Nebenorganisationen werden gefilzt. Und das mitten im Wahlkampf – eine hochbrisante Aktion, ohne Beispiel in Österreichs politischer Geschichte. Das Ergebnis der opulenten Recherche ist dürftig: Vier Millionen Euro und später noch einmal 1,5 Millionen hat die SPÖ im Jahr 2000 offenbar zum Begleichen von Wahlkampfschulden aufgenommen und abgestottert. Eine Woche später erscheint die erste Ausgabe der Tageszeitung „Österreich“ – mit einer reißerischen ­Geschichte über den SPÖ-Kredit bei der ­Bawag. Die superseriösen Nationalbank-Herren sind geschockt: Diese Zahlen konnten nur aus ihrem Computer stammen. Erst jetzt entdecken sie den ungewöhnlichen Zugriff der FMA. Wer die Abfrage veranlasste, ließ sich selbst im nach der Nationalratswahl eingesetzten Banken-Untersuchungsausschuss nicht klären. FMA-Vorstand Kurt Pribil, früher Mitarbeiter im Kabinett Wolfgang Schüssels, wollte darin „nichts Außergewöhnliches“ sehen. Die Abfrage sei „tägliches Geschäft“ gewesen und gleichsam „automatisch passiert“: „Das war wirklich kein besonderer Tagesordnungspunkt.“

26. August 2006: Peter Westenthaler macht Druck
Ein warmer Samstagnachmittag, Justizministerin Karin Gastinger sitzt mit ihrem Pressesprecher Christoph Pöchinger im Dienstwagen auf der Rückreise vom BZÖ-Wahlkampfauftakt in Lannach bei Graz. Pöchinger hat seiner Chefin Wichtiges zu erzählen: Parteiobmann Peter Westenthaler habe ihn heute darauf angesprochen, „ob es eine Möglichkeit gebe, dass Wolfgang Flöttl gesondert angeklagt werde oder wenn möglich gar nicht auf die Anklage käme“, wie Pöchinger dies später auch vor dem Banken-Untersuchungsausschuss darstellte. Westenthaler erhoffe sich dafür im Gegenzug Wahlkampfmunition gegen die SPÖ. Gastinger ist nicht überrascht: Auch sie selbst sei von Westenthaler wiederholt bedrängt worden, noch vor der Nationalratswahl für eine Anklage in der Bawag-Causa zu sorgen. Und auch sie habe er wegen Flöttl angesprochen, erzählt sie im Februar 2007 vor dem U-Ausschuss – eine Darstellung, die Westenthaler selbst bestritt. Das Drängen auf eine Anklage vor der Wahl gab er hingegen zu. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelte daraufhin gegen den BZÖ-Chef wegen des Verdachts der verbotenen Intervention, stellte die Ermittlungen aber ein. Anstiftung zum Amtsmissbrauch sei das wohl nicht gewesen, erklärte Staatsanwaltschafts-Sprecher Wolfgang Swoboda: „Und ob es eine politisch schickliche oder eine unschickliche Intervention ist, geht den Staatsanwalt nichts an.“ Justizministerin Karin Gastinger hatte diese Entscheidung für sich getroffen und war sechs Tage vor der Nationalratswahl aus dem BZÖ ausgetreten.

Ende August 2006: Zwei Polizisten im Pensionistenheim
Noch fünf Wochen bis zur Wahl, und der Wahlkampf hat ein neues Thema: das ­Pflegeproblem. Ein Leserbriefschreiber hatte im „Standard“ über eine angeblich ­illegale Pflegerin der Schwiegermutter Wolfgang Schüssels berichtet, was die Debatte angeheizt hatte. Der Vorwurf stand allerdings auf etwas wackeligen Beinen, weil der damalige Kanzler innerfamiliär nicht in die Sache involviert und die Pflegerin außerdem von einer Hilfsorganisation geschickt worden war. Dennoch tat sich die ÖVP mit dem Thema schwer, seit Schüssel die Existenz eines Pflegenotstands bestritten hatte. Ende August tauchen zwei Herren in einem Haus „An den langen Lüssen“, einer Straße in Wien-Grinzing, auf und er­kundigen sich bei einer Nachbarin nach Ex-Kanzler Franz Vranitzky und dessen Schwiegermutter. Ihre Identität geben sie nicht preis. Vranitzky wohne schon seit 30 Jahren nicht mehr hier, sagt die Nachbarin. Und die Schwiegermutter sei vor einiger Zeit ins nahe Pensionistenheim in der Pfarrwiesengasse übersiedelt.

Umgehend sprechen die beiden Herren dort vor. Sie legitimieren sich abermals nicht, fragen eine Krankenschwester nach Vranitzky und wollen wissen, ob dessen hier lebende Schwiegermutter ein Pflegefall sei, wie sich die Schwester später gegenüber dem Ex-Kanzler erinnert. Die Schwester verneint und ruft, nachdem die beiden abgezogen waren, die Polizei. Rasch stellt sich heraus, dass die Besucher Beamte der Polizei-Paradetruppe „Büro für Interne Angelegenheiten“ waren. Was suchte die BIA im Altenheim? BIA-Chef Martin Kreutner vergangenen Freitag in einer Erklärung gegenüber profil: Seine Männer seien tatsächlich da gewesen, sie hätten aber nicht gefragt, ob die Schwiegermutter eine Pflegerin habe. Damit widerspricht Kreutner der Darstellung der Schwester. Und zum Grund des Besuchs: „Die Beamten hatten im Rahmen der Bawag-Ermittlung den Auftrag der Staatsanwaltschaft, mit Herrn Dr. Vranitzky schnellstmöglichen Kontakt herzustellen.“ Und da hätten sie ihn eben an allen möglichen Adressen gesucht. Auch im Pensionistenheim der Schwiegermutter. Wie hätte die Polizei, die mehr als zehn Jahre vor der Wohnung des damaligen Bundeskanzlers Vranitzkys wachte, sonst herausfinden sollen, wo dieser wohnt …

9. November 2006: Wünsche aus dem ÖVP-Klub
Die Wahlen sind geschlagen. Österreichs oberster Kriminalist Herwig Haidinger ist am 8. November 2006 eben auf einer Dienstreise in München, als ihn ein Anruf von Philipp Ita, Kabinettschef der Innenministerin, erreicht. Ita verlangt vom BKA-Chef nachdrücklich, er möge die vom eben eingesetzten Banken-Untersuchungsausschuss angeforderten Akten zuerst in den ÖVP-Parlamentsklub schicken, bevor er sie den Ausschussmitgliedern zuleitet. Haidinger zögert. Zurück in Wien, trifft sich Haidinger mit Ita und weigert sich, dem ÖVP-Par­lamentsklub die brisanten Akten vorweg zu geben. Daraufhin habe ihn Ita angebrüllt, erzählt Haidinger vergangene Woche vor dem Innenausschuss. Haidinger blieb hart. „Das hat in der Ressortleitung höchste Erregung verursacht“, wird Haidinger später in einem schonungslosen ­Bericht an die Personalkommission festhalten. Klubobmann der ÖVP war damals der heutige ÖVP-Chef, Vizekanzler Wilhelm Molterer. Dessen Sprecher Nikola Donig erklärt, von profil um eine Stellungnahme ersucht, Wilhelm Molterer schließe aus, „dass der von ihm in der betreffenden Zeit geführte ÖVP-Klub Ausschuss-Akten vorab angefordert oder erhalten hat“.

5. Februar 2008: Endstation Innenausschuss
Spätestens im Lauf des Jahres 2007 war Herwig Haidinger klar geworden, dass ihn seine widerspenstige Haltung den BKA-Job kosten wird. In Zeitungsmeldungen war bereits wiederholt kolportiert worden, er sei dem Ressort „zu kritisch“. Ende Juni 2007 präsentierte der Noch-BKA-Chef seine jetzt geäußerten Vorwürfe vor der Kommission zur Nachbesetzung des Bundeskriminalamtes, die darüber zu entscheiden hatte, ob sein Vertrag verlängert oder der Posten neu besetzt wird. Chancen rechnet er sich nicht mehr aus. Seine Begründung für den Bericht an die Kommission: „Ich führe das deshalb aus, weil mir HBM (Herr Bundesminister Platter; Anm.) mitgeteilt hatte, die Gründe, meinen Vertrag nicht zu verlängern, lägen in der Vergangenheit.“ Dazu gehöre aber auch die undankbare Aufgabe, „einer Ressortleitung direkt zu widersprechen, um einen gesetzeskonformen Vollzug sicherzustellen“. Das, jedenfalls, hat Haidinger versucht. Am 5. Februar packte er vor dem Innenausschuss des Nationalrats aus. Jetzt sind Parlament und Staatsanwaltschaft am Zug.